Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.05.2025 – 4 ZB 24.30080
Titel:

Verwaltungsgerichte, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Klärungsbedürftigkeit, Abschiebungsandrohung, Bundsverwaltungsgericht, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Hinreichende Aussicht auf Erfolg, Subsidiärer Schutzstatus, Anderer Mitgliedstaat, Zulassungsantrag, Maßgeblicher Zeitpunkt, Flüchtlingseigenschaft, Aufhebung, Prozeßkostenhilfeantrag, Internationaler Schutz, Unzulässigkeitsentscheidung, Mitgliedstaaten, Rechtsverfolgung, Prüfung der Erfolgsaussicht, Nichtzulassung

Normenketten:
AsylG § 29
AsylG § 34
AsylG § 35
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, Abs. 10 S. 2
Schlagworte:
Berufungszulassung, Grundsätzliche Bedeutung, Prozesskostenhilfe, Flüchtlingsanerkennung, Subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, Rechtsschutzgleichheit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 15.12.2023 – RO 13 K 20.31194
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10209

Tenor

I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Dezember 2023 – RO 13 K 20.31194 – wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Den Klägern wird für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin Dr. L. B., Regensburg, bewilligt.

Gründe

I.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
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a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung (entscheidungserheblich) war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72). Dabei kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag an (grundlegend BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744; OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.3.2020 – OVG 3 N 113.17 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 8 ZB 18.33079 – juris Rn. 6).
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b) Den aufgeworfenen Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung (mehr) zu.
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aa) Die Kläger hatten in ihrem Zulassungsschriftsatz vom 19. Januar 2024 erstens die Frage für grundsätzlich bedeutsam gehalten, ob
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in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU eingeräumten Befugnis, einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedstaat [hier: Griechenland] als unzulässig abzulehnen, keinen Gebrauch machen darf, weil die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat den Antragsteller der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC aussetzen würden, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) 604/2013, Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und Art. 13 RL 2011/95/EU sowie Art. 10 Abs. 2 und 3, Art. 33 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2013/32/EU dahin auszulegen sind, dass die bereits erfolgte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus den Mitgliedstaat daran hindert, den bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz ergebnisoffen zu prüfen, und ihn dazu verpflichtet, ohne Untersuchung der materiellen Voraussetzungen dieses Schutzes dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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Die Frage ist nicht mehr klärungsbedürftig, da sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mittlerweile – im verneinenden Sinne und damit anders als von den Klägern vertreten – geklärt ist (vgl. OVG NW, B.v. 28.6.2024 – 14 A 963/23.A – juris). Der Europäische Gerichtshof hat dazu entschieden, dass die Behörde nicht verpflichtet ist, dem Antragsteller internationalen Schutz allein deshalb zuzuerkennen, weil dieser zuvor durch eine Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats internationaler Schutz zuerkannt worden ist (EuGH, U.v. 18.6.2024 – C-753/22 – juris Rn. 56 ff., 76 ff., 80).
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Die Berufung ist insoweit auch nicht aus Gründen des effektiven Rechtschutzes zuzulassen (Art. 19 Abs. 4 GG). Diesem Grundsatz widerspräche es zwar, ein erfolgversprechendes Rechtsmittel nur deshalb nicht zuzulassen, weil in einem anderen Verfahren nachträglich eine grundsätzliche Klärung erfolgt ist (vgl. BVerfG, B.v. 25.9.2018 – 1 BvR 453/17 – juris Rn. 11 = NJW 2018, 3699). Gemessen daran kommt hier eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht, weil eine Berufung der Kläger auf der Grundlage ihres Vorbringens bis zum zulassungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist (§ 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylG) keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.3.2020 – OVG 3 N 113.17 – juris Rn. 8).
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Die Kläger haben ihren Asylantrag im Wesentlichen damit begründet, sie seien im Jahr 2016 aus der Provinz Ninive geflohen, weil der IS diese im Juni/Juli 2014 erobert habe (UA S. 3). Auch unter Berücksichtigung einer möglichen Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) sprechen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt aber – wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat (UA S.13) – keine stichhaltigen Gründe mehr für eine erneute Verfolgung durch den IS (vgl. auch OVG NW, U.v. 5.9.2023 – 9 A 1249/20.A – juris Rn. 63 ff.). Im Zulassungsantrag finden sich hierzu keine Ausführungen.
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bb) Die zweite Frage, ob „eine Abschiebungsandrohung in den Verfolgerstaat (vorliegend Irak) gemäß § 34 AsylG verfügt werden darf, wenn ein anderer Mitgliedstaat (vorliegend Griechenland) den Antragstellern den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat“, ist in dieser Form schon deshalb keiner grundsätzlichen Klärung fähig, weil ihre Beantwortung wesentlich davon abhängt, ob infolge der Zuerkennung des subsidiären Schutzes eine Unzulässigkeitsentscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht ergehen darf, vielmehr die Beklagte wegen der Verhältnisse im zuerkennenden Mitgliedsstaat eine neue Sachprüfung durchführen muss. Auf der maßgeblichen Grundlage des Vorbringens der Kläger zur Begründung des Zulassungsantrags ist die Berufung allerdings auch nicht zuzulassen, wenn man zwischen beiden Fällen differenziert.
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(1) Hat ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt und das Bundesamt den Asylantrag des Ausländers gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (rechtmäßig) ohne weitere Sachprüfung als unzulässig abgelehnt, ist diesem gem. § 35 AsylG (nur) die Abschiebung in den Staat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, anzudrohen (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – NVwZ 2014, 1460 = juris Rn. 30; BVerfG, B.v. 13.9.2020 – 2 BvR 2082/18 – juris Rn. 28). Ein Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ist hierdurch ausgeschlossen (Hailbronner in ders., Ausländerrecht, Stand 1.5.2022, § 29 Rn. 5a), ohne dass es insoweit auf die von den Klägern für erforderlich gehaltene (analoge) Anwendung von § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Fall der Zuerkennung eines nur subsidiären Schutzes ankäme. Grundsätzliche klärungsbedürftige Fragen stellen sich insoweit nicht.
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(2) Für den Fall einer erneuten Sachprüfung der Beklagten ist, wie sich bereits aus dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts ergibt (vgl. UA S. 21 f.), schon bezüglich der Flüchtlingsanerkennung durch einen anderen Mitgliedstaat umstritten, ob sie in einem anderen Mitgliedstaat auch dann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG oder unionsrechtlichen Normen begründet, wenn eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen ist (offenlassend BVerwG, B.v. 7.9.2022 – 1 C 26.21 – NVwZ 2023, 358 = juris Rn. 15 m.w.N. zur Rechtsprechung). Das Verwaltungsgericht hat dies verneint und die von den Klägern in der Zulassungsbegründung ausschließlich thematisierte Folgefrage der analogen Anwendung von § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf den subsidiären Schutzstatus offen gelassen (UA S. 23). Hierauf gehen die Kläger in ihrer Zulassungsbegründung nicht ein, sondern beschränken sich auf die Wiedergabe eines – vor dem soeben angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2022 ergangenen – Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 9. Juli 2021 (M 11 K 18.31931 – juris). Damit genügen die Kläger dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht (vgl. OVG NW, B.v. 28.11.2024 – 9 A 2482/21.A – juris Rn. 11).
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cc) Eine grundsätzliche Bedeutung kommt schließlich auch nicht den Fragen zu,
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- „ob die frühere Feststellung des Bundesamts, der Schutzsuchende dürfe im Hinblick auf die Schutzgewährung in dem anderen Mitgliedstaat nicht in sein Heimatland abgeschoben werden, eine den Schutzsuchenden begünstigende Regelung ist, die, wenn diese bestandskräftig geworden ist, im Hinblick auf ihren Widerruf den Anforderungen des § 49 Abs. 2 VwVfG unterliegt“ und
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- „ob die durch das Verwaltungsgericht nicht beanstandete Zulassung der Aufhebung einer die Kläger begünstigenden Feststellung, dass diese nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden dürfen, im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 C 15/18 –, BVerwGE 164, 179-203, Rn. 7 mit obergerichtlicher Rechtsprechung vereinbar ist.
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Die mit der sog. negativen Staatenbezeichnung gem. § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG zusammenhängenden Rechtsfragen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13. Dezember 2023 (1 C 34.22 – juris) geklärt und klargestellt, dass eine negative Staatenbezeichnung bei Aufhebung der Abschiebungsandrohung nicht selbständig fortbestehen könne (BVerwG a.a.O. Rn. 22 ff.; vgl. auch U.v. 24.4.2024 – 1 C 8.23 – juris Rn. 7). Soweit einzelne Formulierungen in früheren Urteilen im Sinne einer Bejahung der selbstständigen Existenzfähigkeit der negativen Staatenbezeichnung zu verstehen sein sollten, hält das Bundesverwaltungsgericht hieran nicht fest (BVerwG a.a.O. Rn. 26).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
II.
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Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 166 Rn. 8 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs (BVerfG, B.v. 16.4.2019 – 1 BvR 2111/17 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 3.3.1998 – 1 PKH 3.98 – juris Rn. 2).
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Vorliegend haben die Kläger bereits vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 2024 (C-753/22 – juris) vollständige, entscheidungsreife Prozesskostenhilfeanträge gestellt und fristgemäß die Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beantragt. Zu diesem Zeitpunkt bot der Zulassungsantrag im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2022 (1 C 26.21 – NVwZ 2023, 357) hinsichtlich der Zuerkennung internationalen Schutzes hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass den Klägern ausgehend von der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. § 117 Abs. 2 ZPO) vollumfänglich Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts (§ 121 Abs. 1 ZPO) zu bewilligen ist.
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Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.