Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.05.2025 – 24 ZB 25.190
Titel:

Versagungsgegenklage, Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Teilnahme an einem Fachkundelehrgang, waffenrechtliche Zuverlässigkeit

Normenketten:
VwGO § 121
WaffG § 5
WaffG § 21 Abs. 3 Nr. 1
Schlagworte:
Versagungsgegenklage, Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Teilnahme an einem Fachkundelehrgang, waffenrechtliche Zuverlässigkeit
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 15.10.2024 – B 1 K 22.1189
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10200

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2024 – B 1 K 22.1189 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Unter Aufhebung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2024 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlich erfolglos gebliebene Klage weiter, mit der er sich gegen die Ablehnung der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung wendet.
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Am 26. Oktober 2018 beantragte der Kläger die Erteilung der Erlaubnis zum Waffenhandel. Zur Schaffung der hierfür notwendigen Voraussetzungen (vgl. § 21 Abs. 3 WaffG) beabsichtigte er, die erforderliche Fachkundeprüfung (§ 22 WaffG) bei einer Industrie- und Handelskammer abzulegen und forderte hierfür vom Landratsamt ... (nachfolgend: Landratsamt) die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, um sie dort vorzulegen. Dies lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 26. November 2019 ab, da die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 5 WaffG nicht gegeben sei.
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Mit weiterem Bescheid vom 26. Juni 2024 widerrief das Landratsamt die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers, ordnete die sofortige Sicherstellung der erlaubnispflichtigen Waffen und Munition sowie der Erlaubnisdokumente an und untersagte dem Kläger den Besitz und Erwerb von sowohl erlaubnisfreien als auch erlaubnispflichtigen Waffen. Zur Begründung wurde auf die im Rahmen der waffenrechtlichen Kontrolle vom 7. Mai 2024 getroffenen Feststellungen und die sich hieraus ergebenden Verstöße gegen Aufbewahrungsvorschriften verwiesen. Der Kläger sei deshalb unzuverlässig. Zudem fehle dem Kläger nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG die erforderliche Zuverlässigkeit, da er mehrfach gegen Aufbewahrungsvorschriften verstoßen habe und im Besitz zweier verbotenen Waffen gewesen sei.
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Die gegen die verfahrensgegenständliche Ablehnung der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 26. November 2019 erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 15. Oktober 2024 ab. Der Kläger sei unzuverlässig i.S.d. § 21 Abs. 3 Nr. 1 WaffG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Da der maßgebliche Zeitpunkt derjenige der mündlichen Verhandlung sei, ergebe sich die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers aufgrund der bei der Waffenkontrolle am 7. Mai 2024 festgestellten Verstöße gegen Aufbewahrungsvorschriften. Darüber hinaus sei er gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG und § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG unzuverlässig.
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Mit weiterem Urteil vom selben Tag (U.v. 15.10.2024 – B 1 K 24.647) wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid des Landratsamts ... vom 26. Juni 2024 ab.
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Gegen beide Urteile ließ der Kläger einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. Das klageabweisende Urteil, das den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse zum Inhalt hatte (Az.: B 1 K 24.647), ist zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Der gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg, weil die Antragsfrist nicht gewahrt worden war und die Voraussetzungen für die Widereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlagen (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2025 – 24 ZB 25.194).
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Zur Begründung des hiesigen Zulassungsantrags ließ der Kläger unter anderem vorbringen, dass im vorliegenden Verfahren trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth im Verfahren B 1 K 24.647 der zur Entscheidung berufene Senat eigenständig über eine eventuelle waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers zu entscheiden habe. Die im dortigen Verfahren (zu Unrecht) festgestellte waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers könne für das hiesige Verfahren nicht bindend sein, da jene Entscheidung nur deshalb rechtskräftig geworden sei, weil der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist die Zulassung der Berufung beantragt habe.
8
Der Beklagte trat dem Zulassungsantrag entgegen.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen verwiesen.
II.
10
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da dem Erfolg seiner Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung die rechtskräftige Feststellung seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit entgegensteht. Die materielle Rechtskraft hindert den Senat an einer abweichenden Beurteilung vorgreiflicher rechtlicher oder tatsächlicher Feststellungen (§ 121 VwGO), sodass die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO) nicht vorliegen, da sie sich – ungeachtet der Frage, ob sie jeweils ordnungsgemäß dargelegt wurden – nicht entscheidungserheblich auswirken können.
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1. Mit Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch Beschluss vom 21. März 2025 im Verfahren 24 ZB 25.194 ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2024 (Az.: B 1 K 24.647), mit dem die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse und Anordnung von Waffenbesitzverboten als unbegründet abgewiesen wurde, formell rechtskräftig geworden.
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2. Gemäß § 121 VwGO steht zwischen den Beteiligten und auch für das Verwaltungsgericht hinsichtlich der vorliegenden Verpflichtungsklage bindend fest, dass der Kläger waffenrechtlich unzuverlässig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG sowie § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG ist (vgl. VG Bayreuth, B.v. 15.10.2024 – B 1 K 24.647 – UA S. 9 und 11).
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a) Nach § 121 VwGO binden formell rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. In diesem Umfang tritt materielle Rechtskraft ein, d.h. der durch das Urteil ausgesprochene Inhalt ist in jedem Verfahren zwischen den Beteiligten bindend. Die Bindungswirkung erstreckt sich nicht nur auf die Beteiligten, sondern auch auf die Gerichte, denn das damit verkörperte Institut der materiellen Rechtskraft dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden (BVerfG, B.v. 25.11.2008 – 1 BvR 848/07 – juris Rn. 39). Es bezweckt, dass in einem neuen Verfahren keine dem rechtskräftigen Urteil widersprechende Entscheidung ergehen kann (BVerwG, U.v. 22.9.2016 – 2 C 17.15 – juris Rn. 9; U.v. 24.11.1998 – 9 C 53/97 – juris Rn. 12), sodass die materielle Bindungswirkung nach § 121 VwGO unabhängig davon eintritt, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat (BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 26/08 – juris Rn. 14). Die Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 99.13 – juris Rn. 9). Die Entscheidung über eine Anfechtungsklage erschöpft sich nicht in dem Rechtsschluss, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, sondern sie umfasst grundsätzlich die Feststellung, dass die Voraussetzungen der unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage vorliegen. Folglich nehmen die Gründe, aus denen eine Klage abgewiesen wurde, an der Rechtskraft des Urteils teil (vgl. BVerwG, U.v. 7.8.2008 – 7 C 7.08 – juris Rn. 18 m.w.N.).
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Aber auch bei unterschiedlichen Streitgegenständen kann § 121 Nr. 1 VwGO über seinen Wortlaut hinaus Bindungswirkung erzeugen. Die Vorschrift will eine wiederholte Inanspruchnahme der Gerichte in derselben Sache sowie widersprechende gerichtliche Entscheidungen verhindern. Nach Sinn und Zweck der Rechtskraft ist von derselben Sache auszugehen, wenn der Sachverhalt, der im Vorprozess an einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal gemessen worden ist, im Folgeprozess erneut an diesem Tatbestandsmerkmal zu messen ist (sog. präjudizielle Bindung). Darauf, ob für den Vor- und den Folgeprozess dieselbe Norm entscheidungserheblich ist, kommt es nicht an. Die Rechtskraft wirkt sich auf den Folgeprozess in der Weise aus, dass das rechtskräftige Urteil ohne Sachprüfung der Entscheidung zugrunde zu legen ist. Ob Vorgreiflichkeit besteht, hängt u.a. davon ab, ob die rechtskräftige Vorentscheidung ein Element liefert, das nach der einschlägigen materiell-rechtlichen Norm notwendig ist für den Subsumtionsschluss, der zu der im zweiten Prozess beanspruchten Rechtsfolge führt (vgl. BVerwG, U.v. 17.5.2018 – 4 C 2.17 – juris Rn. 18; BVerwG, U.v. 31.1.2002 – 2 C 7.01 – juris Rn. 15).
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b) Dies ist vorliegend der Fall. Ausweislich der Entscheidungsgründe stützen sich beide Urteile auf Feststellungen anlässlich der beim Kläger am 7. Mai 2024 durchgeführten Waffenkontrolle und legen damit ein- und denselben Sachverhalt zugrunde. Für die weitgehende Überschneidung der Sach- und Rechtslage im hiesigen Verfahren einerseits und im bereits rechtskräftigen Verfahren andererseits spricht besonders anschaulich, dass im vorliegenden Verfahren zur Zulassungsbegründung zusätzlich der Berufungszulassungsschriftsatz aus dem (mittlerweile abgeschlossenen) Parallelverfahren vorgelegt und durchgehend in Bezug genommen wurde. Vor diesem Hintergrund ist es dem Senat verwehrt, gegenteilige Feststellungen zur Beurteilung dieses Sachverhalts zu treffen.
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c) Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für die präjudizielle Bindung der rechtskräftigen (Erst-)Entscheidung auch nicht darauf an, weshalb das angestrebte Rechtsmittel erfolglos gewesen ist. Die in § 121 VwGO vorausgesetzte formelle Rechtskraft bezeichnet den Abschluss des laufenden gerichtlichen Erkenntnisverfahrens durch streitige Entscheidung (Wöckel in Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 121 Rn. 1a), sodass es nur darauf ankommt, dass eine Entscheidung in der Sache ergangen ist. Dies ist vorliegend der Fall.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Der Streitwert folgt aus § 47, § 52 Abs. 2 GKG und ist mit dem Auffangstreitwert anzusetzen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist es nicht gerechtfertigt, vorliegend Nr. 50.4 des Streitwertkatalogs, welche die Erteilung einer Waffenhandelserlaubnis umfasst, heranzuziehen. Denn die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung setzt lediglich eine von mehreren Voraussetzungen für die Erteilung einer Waffenhandelserlaubnis voraus, nämlich die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers. Im Vergleich zur Nr. 50.4 des Streitwertkatalogs, welcher 15.000,00 EUR ansetzt, erscheint der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR vorliegend angemessen. Der Senat macht daher von seiner Befugnis nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG Gebrauch und ändert die Streitwertfestsetzung für das Verfahren im ersten Rechtszug.
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5. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil rechtskräftig wird (§ 124 Abs. 5 Satz 4 VwGO) ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).