Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.05.2025 – 14 ZB 24.1289
Titel:

Polizeivollzugsbeamter, Dienstunfall wegen SARS-CoV-2-Virus-Erkrankung (verneint), Erkenntnisse und Bewertungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 des Robert-Koch-Instituts (RKI) als Entscheidungsgrundlage.

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5
BeamtVG § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1
Leitsatz:
Erkenntnisse und Bewertungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu SARS-CoV-2 und COVID-19 können von Gerichten wie ein Sachverständigengutachten berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 57).
Schlagworte:
Polizeivollzugsbeamter, Dienstunfall wegen SARS-CoV-2-Virus-Erkrankung (verneint), Erkenntnisse und Bewertungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 des Robert-Koch-Instituts (RKI) als Entscheidungsgrundlage.
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 11.06.2024 – B 5 K 23.693
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10194

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO sind nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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a) Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist die Berufung dann zuzulassen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 8.12.2009 – 2 BvR 758/07 – BVerfGE 125, 104/139 f.) und sich die angegriffene verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis offensichtlich richtig erweist (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542/543; vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 30 m.w.N.). Zur Darlegung der Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO muss der Antragsteller herausarbeiten, wogegen er sich im Einzelnen wendet, und konkretisieren, welche Rechtssätze und/oder Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts er angreift (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 14). Außerdem sind schlüssige Gegenargumente zu den angegriffenen Punkten erforderlich in Form einer argumentativen Auseinandersetzung, die bereits dann vorliegen, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 Rn. 19).
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b) Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Erkrankung an COVID-19 als Dienstunfall gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, hilfsweise als Berufskrankheit i.S.v. § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG. Er rügt, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass keine hinreichend genaue Bestimmung von Zeitpunkt und Ort der Infektion des Klägers i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG möglich bzw. dass der Kläger keiner erhöhten Infektionsgefahr i.S.v. § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG ausgesetzt gewesen sei.
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Beim Kläger, einem Polizeivollzugsbeamten, der sich vom 4. bis 6. Dezember 2020 auf einem Einsatz in H. befunden und seinem Kollegen W., dessen Testergebnis am nächsten Tag positiv gewesen ist, wegen gesundheitlicher Probleme am 5. Dezember 2020 Erste Hilfe geleistet hat, lasse sich eine hinreichend genaue Bestimmung von Ort und Zeitpunkt der Ansteckung vornehmen. Der Kläger, der am 8. Dezember 2020 einen PCR-Test habe durchführen lassen, der positiv gewesen sei, könne die Indexperson W. sowie Zeitpunkt und Ort auf den 5. Dezember 2020 in Hamburg benennen. Soweit das Verwaltungsgericht die Ansteckung des Klägers bei der Indexperson aufgrund der vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten mittleren Inkubationszeit von 5,8 Tagen verneine, verkenne es, dass es sich um einen Durchschnittswert handele, was nicht ausschließe, dass erste Symptome bereits wesentlich früher, wie hier ca. eineinhalb Tage nach Ansteckung, aufträten. Die Methode der Ermittlung der Durchschnittswerte durch das RKI sei nicht näher bekannt; in den in Anlage beigefügten Quellen werde auch eine wesentlich kürzere Inkubationszeit von zwei Tagen benannt. Soweit das Verwaltungsgericht die hinreichende Bestimmbarkeit der Infektion wegen anderweitiger privater Kontakte des Klägers verneine, stelle es zu hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast, da dadurch die Anerkennung einer Corona-Infektion als Dienstunfall nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG quasi unmöglich werde. Es müsse daher für eine vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit ausreichen, wenn wie vorliegend eine Indexperson bekannt sei und ein enger Zeitraum der Infektion sowie ein Ort definiert werde mit einem engen Kontakt zur Indexperson sowie dem Kläger keine Infektionen aus seinem privaten Umfeld bekannt seien, weshalb eine Infektion im privaten Umfeld ausgeschlossen werden könne. Jedenfalls nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei beim Kläger ein Dienstunfall zu bejahen.
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Weiter habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass mit dem geschilderten Einsatz des Klägers eine besondere Gefahr der Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Erreger bzw. der Erkrankung an COVID-19 i.S.v. § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG einhergegangen sei. Bereits die Tätigkeit eines Polizeivollzugsbeamten sei hinsichtlich der Intensität menschlicher Kontakte nicht mit der Tätigkeit von Nicht-Polizeibeamten vergleichbar. Festnahmen, Durchsuchungen etc. erforderten stets einen engen körperlichen Kontakt, wobei der Kläger in der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit bei Demonstrationen eingesetzt gewesen sei. Das Verwaltungsgericht sei, ohne die Erforderlichkeit der Einzelfallprüfung zu erkennen, davon ausgegangen, dass der Einsatz des Klägers am 5. Dezember 2020 zu keiner Gefährdung i.S.v. § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG geführt habe, weil der Kläger nicht verpflichtet gewesen sei, mit Demonstranten in engen Kontakt zu treten und die Demonstration im Freien stattgefunden habe. Zudem müsse vorliegend auch die Erste-Hilfe-Maßnahme berücksichtigt werden.
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c) Mit diesem Vortrag legt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils dar.
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aa) Die vom Kläger angeführten Angaben zur Indexperson W. und zu Ort und Zeit am 5. Dezember 2020 in H. genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen bzw. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bejahung eines Dienstunfalls i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG.
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Nach den vom Verwaltungsgericht richtig angeführten Maßstäben, die das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit des schädigenden Ereignisses, das zu einer Infektionskrankheit geführt hat, aufgestellt hat, nämlich, dass Ort und Zeitpunkt feststehen müssen (vgl. nur BVerwG, B.v. 19.1.2006 – 2 B 46.05 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 17 Rn. 6), bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass das Verwaltungsgericht zurecht einen Dienstunfall i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG verneint hat. Auch, wenn der Kläger sich sicher ist, dass er sich am 5. Dezember 2020 bei der Erste-Hilfe-Leistung für den Kollegen W. in H. infiziert hat, ist die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der genaue Zeitpunkt der Ansteckung mit dem Coronavirus lasse sich nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen und es sei möglich, dass sich der Kläger außerhalb des Dienstes bei irgendeiner anderen Person angesteckt habe (UA S. 9 ff.), nicht ernstlich zweifelhaft. Das Gericht hat dabei nicht nur die vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichte mittlere Inkubationszeit von 5,8 Tagen angeführt, sondern auch weitere Umstände benannt, etwa, dass sich die Erste-Hilfe-Leistung darin erschöpft habe, dass der Kläger dem Kollegen W. gegen die Kälte eine Jacke untergelegt habe, und dabei eine FFP-2-Maske getragen habe und dass alles in der frischen Luft erfolgt sei (UA S. 10 unten). Zusätzlich hat es auf die weit unterdurchschnittliche Inkubationszeit von lediglich 36 Stunden abgestellt, die selbst unter den vom Kläger unter Bezug auf andere Quellen genannten zwei Tagen liegt (UA S. 11 oben). Bereits dies rechtfertigt es, nicht von einer hinreichend genauen Bestimmung des Ortes und des Zeitpunkts der Ansteckung auszugehen. Soweit der Kläger meint, ihm seien keine Infektionen aus seinem privaten Umfeld bekannt gewesen, weshalb eine Ansteckung im privaten Umfeld ausgeschlossen werden könne, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn wie das Verwaltungsgericht zurecht ausgeführt hat, ohne dass dies vom Kläger angegriffen wird, können auch symptomlos Infizierte eine Ansteckung verursacht haben (UA S. 10 zweiter Absatz a.E.).
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Soweit der Kläger meint, es würden vorliegend zu hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast gestellt, weshalb eine vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit ausreichen bzw. ein Dienstunfall nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu bejahen sein müsse, setzt er sich schon nicht argumentativ mit den auf der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwG, B.v.11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris Rn. 5 m.w.N.) beruhenden gegenteiligen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander (UA S. 12 f.) – die im Übrigen auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof teilt (vgl. etwa BayVGH, U.v. 5.6.2024 – 3 BV 21.3116 – juris Rn. 13 f. zum gleichlautenden Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG) –, sondern setzt nur seine eigene Rechtsmeinung der des Verwaltungsgerichts entgegen. Damit kann er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen, wonach es hier bei den allgemeinen Beweisgrundsätzen zu verbleiben hat und der Kläger hinsichtlich der Unaufklärbarkeit der entscheidungserheblichen Tatsache einer zeitlichen und örtlichen Bestimmbarkeit der Infektion die materielle Beweislast trägt (UA S. 12 Mitte unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – ZBR 2012, 38 Rn. 12 f.), nicht erwecken.
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bb) Weiter zeigt der Kläger auch keine ernstlichen Zweifel an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu auf, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG i.V.m. Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in seinem konkreten Fall nicht erfüllt sind, weil er einer Infektionsgefahr nicht in einem ähnlichen Maße wie Beschäftigte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium besonders ausgesetzt gewesen ist.
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Soweit der Kläger sich auf seine Tätigkeit als Polizeivollzugsbeamter beruft, geht dies schon deshalb fehl, weil es nach ständiger Rechtsprechung auf die konkrete „dienstliche Verrichtung“ ankommt, wie das Verwaltungsgericht (UA S. 14 f.) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 4.9.1969 – II C 106.67 – BVerwGE 34, 4) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW, U.v. 21.1.1986 – 4 S 2468/85 – ZBR 1986, 277) ausgeführt hat (ebenso für den gleichlautenden Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG BayVGH, U.v. 5.6.2024 – 3 BV 21.3116 – juris Rn. 29 f. m.w.N.). Somit kommt es allein auf den Einsatz vom 4. bis 6. Dezember 2020 in H. an, hinsichtlich dessen das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers eine umfassende Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (UA S. 19 ff.), der der Kläger wiederum nur pauschal entgegenhält, er sei bei der Demonstration in der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit eingesetzt gewesen und zusätzlich müsse die Erste-Hilfe-Maßnahme berücksichtigt werden. Diese pauschalen Ausführungen können die Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel ziehen, wonach neben dem Kontakt zu einer etwaigen Indexperson keine zusätzlichen risikoerhöhenden Faktoren vorgelegen hätten, sondern vielmehr die Einhaltung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen sowie die Umstände des Einzelfalls zu einer Minimierung des Infektionsrisikos beigetragen hätten; dies gelte wegen des sehr geringen persönlichen Kontakts des Klägers zum infizierten Kollegen, des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes sowie der Tatsache, dass sich das als Infektionszeitpunkt geltend gemachte Ereignis an der frischen Luft zugetragen habe (UA S. 19). Im Ergebnis hat das Verwaltungsgericht deshalb schon kein erhöhtes Infektionsrisiko gegenüber der allgemeinen Bevölkerung gesehen (UA S. 21). Diese Wertung hat der Kläger mit seinen Ausführungen nicht in Zweifel gezogen.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
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a) Der Kläger hält die Frage für klärungsbedürftig, welche Voraussetzungen der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit einer Corona-Infektion i.S.v. § 31 BeamtVG bestehen.
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Hierzu führt er aus, diese Frage habe über den Einzelfall hinaus Auswirkungen und betreffe eine Vielzahl von Konstellationen, in denen (Polizei-)Beamte eine Corona-Infektion als Dienstunfall geltend machten. Die bisher ergangene (höchstrichterliche) Rechtsprechung sei bisher, soweit ersichtlich, nicht mit Infektionen im Rahmen der Corona-Pandemie vergleichbar.
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b) Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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c) Der Kläger legt schon die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dar, da er sich nicht genügend mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die vom Verwaltungsgericht zitiert wurde (s. oben 1. c) aa)), auseinandersetzt und nicht aufzeigt, inwiefern die von ihm gestellte Frage, soweit sie grundsätzlich klärungsfähig ist, also nicht von der Wertung des jeweiligen Einzelfalls abhängt, nicht bereits durch ebendiese Rechtsprechung geklärt sein sollte.
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3. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen des klägerseits gerügten Verfahrensfehlers zuzulassen.
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a) Der Kläger meint, die Beurteilung der Übertragung und der Dauer der Inkubationszeit und die sich daraus ergebenden Rückschlüsse einer Infektion zu der vom Kläger angegebenen Zeit und dem angegebenen Ort bedürfe medizinischer oder virologischer Sachkunde, über die das Gericht nicht verfüge. Aus dem Urteil ergebe sich nichts, woraus zu schließen sei, dass das Gericht über die erforderliche Sach- und Fachkunde verfüge. Soweit es seine Entscheidung auf die zitierten Internetquellen des Robert-Koch-Instituts (RKI), insbesondere was die Inkubationszeit betreffe, stütze, genüge dies ebenfalls nicht, um eine Sachkunde des Gerichts zu begründen. Auch könne eine Infektion nicht allein aufgrund der Tatsache kategorisch ausgeschlossen werden, dass der Kläger eine FFP-2-Maske getragen habe. Das Gericht hätte diesbezüglich eine gutachterliche Stellungnahme oder ein Gutachten dazu einholen müssen. Durch dieses Unterlassen habe es gegen seine Amtsermittlungspflicht gemäß § 86 VwGO verstoßen.
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b) Der Grundsatz der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) verpflichtet das Tatsachengericht, diejenigen Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere Beweiserhebungen vorzunehmen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen (BVerwG, B.v. 20.6.2017 – 2 B 84.16 – juris Rn. 22 m.w.N.). Fehlt dem Gericht die für die Sachverhaltsaufklärung erforderliche Sachkunde, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. Wurde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein förmlicher Beweisantrag (§ 86 Abs. 2 VwGO) gestellt, ist für einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO substantiiert darzulegen, weshalb sich dem Tatsachengericht aus dessen materiell-rechtlicher Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, auszugleichen (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2017 a.a.O. Rn. 23 m.w.N.).
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c) Vorliegend ist nicht dargelegt, warum sich dem Verwaltungsgericht die klägerseits vermisste Einholung eines Gutachtens hätte aufdrängen müssen, obwohl ihm fachliche Einschätzungen des RKI vorlagen, auf die es sich gestützt hat.
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Beim RKI handelt es sich um das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehören die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Analyse langfristiger gesundheitlicher Trends in der Bevölkerung. Die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die vielseitigen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit, erarbeiten überprüfbare evidenzbasierte Empfehlungen und entwickeln neue Methoden für den Gesundheitsschutz (vgl. BVerfG, B.v. 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21 – BVerfGE 161, 299 Rn. 138, 160; BVerwG, B.v. 7.7.2022 – 1 WB 2.22 – BVerwGE 176, 138 Rn. 90). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit. Deshalb können seine Erkenntnisse und Bewertungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie ein Sachverständigengutachten berücksichtigt werden (BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 56 f.).
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Für das Gericht hätte allenfalls dann Anlass bestanden, ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen, wenn die Erkenntnisse und Bewertungen des RKI, auf die es sich gestützt hat, auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufgewiesen hätten. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält. Er muss dessen Beweiswert durch substantiierten Vortrag ernsthaft erschüttern (BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 57), was hier nicht ansatzweise der Fall ist. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stützt sich im Übrigen bei der Beurteilung einer Ansteckungsgefahr bezogen auf COVID-19-Infektionen im Rahmen der Beurteilung von Dienstunfällen auf die fachlichen Einschätzungen des RKI (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 5.6.2024 – 3 BV 21.3116 – juris Rn. 13, 18, 34). Von einem kategorischen Ausschluss einer Infektion bei Tragen einer FFP-2-Maske ist das Verwaltungsgericht im Übrigen nicht ausgegangen.
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Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens bestimmt sich nach § 52 Abs. 2, § 47 GKG. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich des Streitwertbeschlusses nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.