Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.04.2025 – 20 ZB 24.1949
Titel:

Berufungszulassung (abgelehnt), Entschädigung für Absonderung einer symptomlos positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Arbeitnehmerin, Verdienstausfall, Arbeitsunfähigkeit

Normenketten:
VwGO § 124a
VwGO § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3
IfSG § 56
EntgFG § 3
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), Entschädigung für Absonderung einer symptomlos positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Arbeitnehmerin, Verdienstausfall, Arbeitsunfähigkeit
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 21.10.2024 – B 7 K 24.806
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10189

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 1.036,65 EUR festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 5 VwGO liegen nicht vor oder wurden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nur dann hinreichend dargelegt, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird; dabei ist auszuführen, in welchem konkreten rechtlichen oder tatsächlichen Punkt ergebnisrelevante Zweifel bestehen und worauf sie sich gründen (stRspr., vgl. nur BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 20 ZB 23.1043 – juris Rn. 2; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 m.w.N.).
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„Darlegen“ im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert dabei mehr als einen nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes. Es bedeutet vielmehr „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist deshalb unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. Eyermann, VwGO, a.a.O., § 124a Rn. 59 und 63).
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Mit ihrer Zulassungsbegründung hat die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bereits nicht dargelegt. Tragender Rechtssatz des Verwaltungsgerichts war, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG nur besteht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Tätigkeitsverbots oder einer Absonderung einen Verdienstausfall erlitten hat. Weiter war das Gericht der Meinung, dass ein die geltend gemachte Entschädigung ausschließender, vorrangiger Anspruch auf Lohnfortzahlung im vorliegenden Fall gegeben ist, weil die betroffene Arbeitnehmerin der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum ihrer Isolation arbeitsunfähig erkrankt war, denn die Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 stelle nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 11 und 17) unabhängig von etwaigen Symptomen eine Krankheit i.S.v. § 3 Abs. 1 EntgFG dar. Diesen Ausführungen ist die Klägerin zunächst im Wesentlichen damit entgegengetreten, dass die Differenzierung des Krankheitsbegriffs im Entgeltfortzahlungsgesetz von dem des Infektionsschutzgesetz unterschiedlich zu beurteilen sei. Wie dadurch der entscheidungserhebliche Rechtssatz des Verwaltungsgerichts in Frage gestellt sein soll, erschließt sich dem Senat nicht, zumal das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, dass für die Frage des Verdienstunfalls und damit zusammenhängend die Frage des Bestehens des Entgeltfortzahlungsanspruches auf den Krankheitsbegriff des Entgeltfortzahlungsgesetzes abzustellen ist.
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Zwar mag es sein, dass die Annahme eines Beschäftigungsverbots, wie es das Verwaltungsgericht in seinem Urteil angenommen hat (S. 16), im Falle einer Absonderungsanordnung in der Form einer häuslichen Isolationsanordnung in der Regel unzutreffend sein wird, denn den Adressaten der Absonderungsanordnung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG, also hier der Arbeitnehmerin als Kranke bzw. Ausscheiderin oder Ansteckungsverdächtige, wurde lediglich aufgegeben, die Quarantäne oder Isolation in einer Wohnung oder einem anderweitig räumlich abgrenzbaren Teil eines Gebäudes durchzuführen, was bedeutete, dass die Wohnung nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts verlassen werden durfte (vgl. Nr. 2.2 und 2.3 der Allgemeinverfügung Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 31.8.2021, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 1.1.2022). Ein Beschäftigungsverbot im engeren Sinn wurde gerade nicht ausgesprochen. Damit sind die Einwendungen der Klägerin in ihrem Berufungszulassungsantrag zwar zutreffend, führen aber nicht zum Ziel. Denn die Klägerin räumt selbst ein, dass im vorliegenden Fall aufgrund der Art der Beschäftigung der Arbeitnehmerin die Ausübung der Beschäftigung aus der Quarantäne tatsächlich nicht möglich war. Insoweit mag zwar die Annahme des Verwaltungsgerichts, für die Arbeitnehmerin der Klägerin habe ein Beschäftigungsverbot bestanden, nicht zutreffend gewesen sein. Gleichzeitig hat das Verwaltungsgericht aber den richtigen und tragenden rechtlichen Schluss gezogen, dass die behördlich angeordnete Absonderung (Isolation) dazu führte, dass der Arbeitnehmerin die Erbringung ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung wegen ihrer Erkrankung mit dem Virus SARS-CoV-2 objektiv unmöglich war. Dies ist ausreichend, um die Rechtsfolgen des § 3 Abs. 1 EntgFG herbeizuführen.
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Soweit die Klägerin noch anführt, dass der Ausschluss durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sich nicht auf § 3 EntgFG beziehe, sondern auf § 616 BGB, so dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Rd. 56 d. U.) an den Ausführungen der Klagebegründung vorbeigingen, so hat die Klägerin aber in ihrem Berufungszulassungsantrag nicht ausgeführt, wie dieser Umstand zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der das Urteil des Verwaltungsgerichts tragenden Gründe führen könnte. Aus sich heraus verständlich ist dieser Vortrag nicht.
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Schließlich führt die Rüge der Klägerin, dass eine Erstattung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz aufgrund ihres Gesetzeszwecks eine Erstattung des Verdienstausfalles nicht ausschließen solle, nicht zu einer Zulassung der Berufung. Mit diesem im Stile einer Berufungsbegründung bloßen Bestreiten der Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 EntgFG sei vorrangig zu einem Anspruch aus § 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 IfSG (vgl. BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 20) sind keine ernstlichen Zweifel dargelegt.
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2. Die Rechtssache weist auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens der Klägerin keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
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Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn das Zulassungsvorbringen gegen das erstinstanzliche Urteil Fragen von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass sie sich wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2022 – 8 ZB 22.1193 – AUR 2022, 472 = juris Rn. 32; BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – DVBl 2000, 1458 = juris Rn. 17; BayVGH 13.2.2025 – 8 ZB 25.64 – BeckRS 2025, 1883) und sich die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht im Berufungszulassungsverfahren klären lassen. Alleine der Umstand, dass es nach der Ansicht des Verwaltungsgerichts nur noch in den seltensten Fällen einen Erstattungsanspruch für Infizierte nach dem § 56 IfSG geben könnte, kann keine entsprechende rechtliche Schwierigkeit begründen. Hier bleibt die Klägerin bereits schuldig zu erläutern, worin in dieser Behauptung eine besondere rechtliche Schwierigkeit liegen könnte. Aber selbst wenn dies so sein sollte, vernachlässigt die Klägerin, dass § 56 IfSG nicht nur auf Arbeitnehmer, sondern auch auf Selbständige und Heimarbeiter anwendbar ist.
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Warum in diesem Zusammenhang auch ein Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen soll, erschließt sich dem Senat wiederum nicht. Soweit dies nachvollziehbar ist, meint die Klägerin, dass ein Rechtsanwendungsfehler des Verwaltungsgerichts dazu geführt habe, dass es eine andere Betrachtungsweise außer Acht gelassen habe. Dies liegt allerdings in der Natur der Sache, eine Verletzung des Prozessrechts kann damit nicht herleitet werden.
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Soweit die Klägerin hier noch anführt, dass ihre Mitarbeiterin nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als symptomlos Infizierte Ausscheiderin im Sinne des § 2 Nr. 6 IfSG sei und eine Allgemeinverfügung auf der Grundlage des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht möglich sei, macht sie keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten geltend, sondern allenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Hierbei hätte sie jedoch näher darlegen müssen, wie sich die Frage der Rechtmäßigkeit einer Absonderung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG auf den Ersatzanspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG auswirken könnte, zumal das Gesetz lediglich davon spricht, dass eine Person abgesondert wird. Dies lässt sich der Zulassungsbegründung aber nicht entnehmen.
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3. Auch die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat die Klägerin nicht in ausreichender Weise dargelegt.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 3.2.2025 – 9 ZB 24.266 – BeckRS 2025, 1886).
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Die Klägerin hat bereits keine noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO.