Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.04.2025 – 20 ZB 24.1425
Titel:

Entschädigung für Absonderung einer symptomlos positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Arbeitnehmerin - Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Normenketten:
VwGO § 124a
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1–3
IfSG § 56
EntgFG § 3, § 7
Leitsätze:
1. Mit der bloßen Gegenüberstellung einer Gegenauffassung aus der Literatur sind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zur Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erforderliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage setzt grundsätzlich (auch) voraus, dass diese noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Dabei ist die Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu berücksichtigen, also auch die des Bundesarbeitsgerichtes. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), Entschädigung für Absonderung einer symptomlos positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Arbeitnehmerin, Verdienstausfall, Arbeitsunfähigkeit, Leistungsverweigerungsrecht, SARS-CoV-2, krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Absonderungsanordnung, symptomlose Infektion, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, SARS-CoV-2-Infektion, Entgeltfortzahlungsanspruch, Erstattungsanspruch
Vorinstanz:
VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12.08.2024 – Au 9 K 24.1353
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10188

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 991,97 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor oder wurden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 genügenden Weise dargelegt.
2
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nur dann hinreichend dargelegt, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird; dabei ist auszuführen, in welchem konkreten rechtlichen oder tatsächlichen Punkt ergebnisrelevante Zweifel bestehen und worauf sie sich gründen (stRspr., vgl. nur BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 20 ZB 23.1043 – juris Rn. 2; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 m.w.N.).
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„Darlegen“ im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert dabei mehr als einen nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes. Es bedeutet vielmehr „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist deshalb unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. Eyermann, VwGO, a.a.O., § 124a Rn. 59 und 63).
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a) Soweit die Klägerin Zweifel an der Richtigkeit des Urteils damit begründen will, dass anders als das Verwaltungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23) meine, die bloß rechtliche Hinderung an der Ausübung der Tätigkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht gleichgestellt werden könne, rechtfertigt dies keine Zulassung der Berufung. Die Klägerin setzt sich nicht mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auseinander, welches unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 14) ausgeführt hat, dass Arbeitsunfähigkeit nicht nur dann vorliegt, wenn der betroffene Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann, sondern auch, wenn er aus rechtlichen Gründen wegen einer Erkrankung, insbesondere aufgrund einer behördlichen Absonderungsanordnung, seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Mit der bloßen Gegenüberstellung einer Gegenauffassung aus der Literatur sind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt.
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Wenn die Klägerin weiter darauf verweist, dass bei einer symptomlosen Infektion der Arbeitnehmer nicht infolge einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert sei, weil er die Leistung im Einzelfall auch im Homeoffice erbringen könne, hat sie schon nicht dargelegt, dass die Arbeitnehmerin, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Verkauf-Innendienst tätig war, ihre Leistung auch im Homeoffice konkret hätte erbringen können. Im Gegenteil, die Klägerin hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts selbst gegenüber dem Beklagten in ihrem Formblattantrag im Erstattungsverfahren angegeben, dass die von der Arbeitnehmerin ausgeübte Tätigkeit nicht im Homeoffice habe ausgeübt werden können, da die betroffene Arbeitnehmerin Farbe und Lacke vertreibe, die auf Kundenwunsch individuell gemischt würden.
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b) Soweit die Klägerin die fehlende Monokausalität der SARS-CoV-2-Infektion für die Arbeitsunfähigkeit damit begründen will, dass die arbeitsvertragliche Nebenpflicht bestehe, als Ansteckender dem Arbeitsort zum Schutz der Belegschaft fernzubleiben, dringt sie damit nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, dass eine aufgetretene und nachgewiesene Erkrankung und die behördliche Anordnung der Isolation eine untrennbare gedankliche Einheit bilden und den vorrangigen Anspruch aus § 3 Abs. 1 EntgFG begründen (vgl. BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 21). Eine möglicherweise bestehende arbeitsvertragliche Nebenpflicht, als Ansteckender dem Arbeitsort zum Schutz der Belegschaft fernzubleiben, ist nur Folge der SARS-CoV-2-Infektion und der daraus resultierenden Absonderungsanordnung und -pflicht. Insoweit handelt es sich um einen einheitlichen Lebensvorgang, der nicht künstlich aufgespalten werden kann.
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c) Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgerichts habe zu Unrecht das ihr zustehende Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EntgFG verneint, da die Arbeitnehmerin für den Isolationszeitraum nicht zumindest eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt habe. Die Verpflichtung zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 4 EntgFG entfalle auch nicht aufgrund der Ordnungsverfügung. Weder ein positives PCR-Testergebnis noch eine Isolationsverfügung seien die erforderlichen ärztlichen Bescheinigungen in diesem Sinne. Das Leistungsverweigerungsrecht der Klägerin sei auch nicht nach § 7 Abs. 2 EntgFG ausgeschlossen, da der Arbeitnehmer die Nichtausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu vertreten habe. Damit hat die Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts es der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht bedarf, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unstreitig ist oder anderweitig nachgewiesen wird. Die vorzulegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat keine anspruchsbegründende Bedeutung. Die nicht rechtzeitige Vorlage oder die Nichtvorlage begründet kein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers (BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die Klägerin hat mit ihrem Zulassungsantrag schon nicht dargelegt, dass ihr das Leistungsverweigerungsrecht zusteht, weil ihr die Infektion ihrer Arbeitnehmerin mit SARS-CoV-2 und die darauf erfolgte Absonderungsanordnung nicht anderweitig nachgewiesen worden sei. Hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte, weil die Klägerin offenbar bewusst in Vorleistung gegangen ist und damit auch tatsächlich die Leistung nicht verweigert hat. Dass sie im Hinblick auf ihren angeblich zustehenden Erstattungsanspruch geleistet haben will, ist im Nachhinein nicht von Bedeutung. Damit kann offenbleiben, ob ein Verdienstausfall bejaht werden kann, wenn der Arbeitnehmerin ein Entgeltfortzahlungsanspruch dem Grunde nach zusteht, sich der Arbeitgeber aber berechtigterweise auf sein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 EntgFG beruft.
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d) Der Einwand der Klägerin, die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Vorschrift des § 56 IfSG entfalle, wenn ein Anspruch aus § 3 EntgFG bestehe, treffe nicht zu, vielmehr folge die Arbeitsunfähigkeit aus dem vorrangig anzusehenden infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot, welches zum Wegfall der Arbeitspflicht führe, sodass § 3 EntgFG nicht zur Anwendung komme, genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen. Auch hier gilt, dass mit der bloßen Gegenüberstellung einer Gegenauffassung aus der Literatur keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt sind.
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2. Die Rechtssache weist auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens der Klägerin keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
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Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn das Zulassungsvorbringen gegen das erstinstanzliche Urteil Fragen von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass sie sich wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2022 – 8 ZB 22.1193 – AUR 2022, 472 = juris Rn. 32; BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – DVBl 2000, 1458 = juris Rn. 17; BayVGH 13.2.2025 – 8 ZB 25.64 – BeckRS 2025, 1883) und sich die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht im Berufungszulassungsverfahren klären lassen. Alleine der Umstand, dass rechtliche Fragen in der Rechtsprechung und Teilen der juristischen Literatur unterschiedlich beurteilt werden, führt nicht ohne weiteres zu besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Sache. Zwar kommt eine Zulassung der Berufung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten im Hinblick auf die Uneinheitlichkeit der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur in Betracht (BVerfG, B.v. 10.9. 2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642). Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert dargelegt, zumal sich das Verwaltungsgericht maßgeblich an der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts orientiert hat.
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3. Auch die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat die Klägerin nicht in ausreichender Weise dargelegt.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 3.2.2025 – 9 ZB 24.266 – BeckRS 2025, 1886).
13
Die Klägerin meint, die Frage, in welchem Verhältnis § 56 IfSG und § 3 EntgFG stünden und ob sich die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 EntgFG in Fällen der symptomlosen SARS-CoV-2-Infektion auch im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit durchsetze, sei bisher höchstrichterlich ungeklärt. Mit dieser übergeordneten, allgemeinen Frage hat die Klägerin bereits keine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird. Darüber hinaus setzt die zur Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erforderliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage grundsätzlich voraus, dass diese noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Dabei ist die Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu berücksichtigen (BVerwG, B. v. 10.8.2010 – 6 B 16/10 – BeckRS 2010, 52475 Rn. 11; BSG, B. v. 30.7.2019 – B 2 U 239/18 B – BeckRS 2019, 18762), also auch die des Bundesarbeitsgerichtes. Zumindest hätte die Klägerin aufzeigen müssen, dass trotz der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Klärung dieser Frage durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus gewichtigen Gründen weiter erforderlich scheint (BAG, B. v. 17.10.2017 – 10 AZN 533/17 – BeckRS 2017, 129814).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO.