Titel:
Feststellungsklage, Genehmigungsfreistellungsverfahren, Gesicherte Erschließung
Normenketten:
VwGO § 43
BayBO Art. 4, Art. 58
BauGB § 30
Schlagworte:
Feststellungsklage, Genehmigungsfreistellungsverfahren, Gesicherte Erschließung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 25.01.2024 – M 11 K 21.1488
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10184
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger begehren die Feststellung, dass für das Grundstück FlNr. …1, Gemarkung G* …, die Erschließung gesichert ist.
2
Das in ihrem Eigentum befindliche Grundstück (Vorhabengrundstück), auf dem die Beigeladene als Bauträgerin ein Einfamilienhaus errichtet hat, liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 171/G* … für den Bereich G.weg – H. Straße. Dieser sieht für den Bereich, in dem auch das Vorhabengrundstück liegt, neue Baufenster vor, die von einer von der H. Straße abzweigenden neuen Stichstraße mit einem Wendehammer erschlossen werden sollen. Das Wohngebäude wurde auf Antrag der Beigeladenen im Genehmigungsfreistellungsverfahren errichtet. Im Zusammenhang mit einer auf Veranlassung des Landratsamtes durchgeführten Neuberechnung der Abstandsflächen und einer Abstandsflächenübernahme stellte die Beigeladene für das Vorhaben einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung. Im Baugenehmigungsverfahren stellte das Landratsamt fest, dass das Vorhabengrundstück nicht an die im Bebauungsplan vorgesehene innere Erschließung über die Stichstraße angebunden war; die vorgesehene Stichstraße wurde nur verkürzt bis zu den südlich gelegenen Nachbargrundstücken realisiert und führt nicht bis zum Vorhabengrundstück. Das errichtete Wohngebäude wird derzeit über den nicht öffentlich gewidmeten G.weg erreicht, der zunächst auf einer Länge von ca. 75 m von der H. Straße in Richtung Norden abzweigt und in einer Entfernung von weiteren ca. 70 m nach einer Abzweigung Richtung Westen zum Vorhabengrundstück führt. Aufgrund der im Verfahren eingeholten Stellungnahme der Kreisbranddirektion, wonach die derzeitige Erschließung über den Privatweg nicht zulässig sei, hörte das Landratsamt die Beigeladene zur Ablehnung des Bauantrags an. Nach Rücknahme des Bauantrags forderte das Landratsamt die Beigeladene zur Einreichung eines neuen Bauantrags auf und hörte die Kläger als neue Eigentümer zur Nutzungsuntersagung an. Nachdem eine einvernehmliche Umsetzung einer provisorischen Lösung durch Installation eines weiteren baulichen Rettungsweges erfolgte, erklärte das Landratsamt, dass sich die Androhung der Nutzungsuntersagung erledigt habe. Die von den Klägern eingeforderte Bestätigung, dass eine ordnungsgemäße Erschließung des Vorhabengrundstücks vorliege, lehnte es ab, weil es an der Eigenschaft einer begrenzten Länge des Guggemoswegs fehle und Belange des Brandschutzes entgegenstünden.
3
Die Feststellungsklage der Kläger hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen. Es fehle an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis, weil es sich bei der Erschließung lediglich um eine Vorfrage zu einem Rechtsverhältnis handle. Auch bei Annahme eines Rechtsverhältnisses in Form einer möglichen Nutzungsuntersagung für das Wohngebäude auf dem Vorhabengrundstück sei dieses Recht jedenfalls nicht streitig bzw. stehe eine solche Maßnahme nicht konkret im Raum; für eine vorbeugende Feststellungsklage sei nicht erkennbar, dass ein Abwarten eines repressiven Rechtsschutzes ausnahmsweise nicht zumutbar sei. Dass die Frage der Erschließung des Vorhabengrundstücks im Rahmen eines Zivilprozesses zwischen den Klägern und der Beigeladenen streitig sei, genüge nicht, da es sich um ein Feststellungsinteresse gegenüber einem beigeladenen Dritten handle. Die Zulässigkeit scheitere auch an der Subsidiarität der Feststellungsklage, weil die begehrte Feststellung im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens zu klären wäre.
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Mit ihrem Zulassungsantrag machen die Kläger insbesondere geltend, dass aus der Frage der Erschließung auch Rechte wie z.B. der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung resultieren würden und zwischen ihnen und dem Landratsamt ein Meinungsstreit bestehe. Sie könnten nicht darauf verwiesen werden, abzuwarten, ob das Landratsamt in Bezug auf eine Nutzungsuntersagung seine Meinung wieder ändere. Im Übrigen sei der G.weg als Erschließung für die anliegenden Grundstücke im Bebauungsplan festgesetzt worden, sodass die Voraussetzungen der Genehmigungsfreistellung vorlägen. Sie könnten nicht über den Grundsatz der Subsidiarität gezwungen werden, ein – aus ihrer Sicht nicht erforderliches – Baugenehmigungsverfahren durchzuführen.
5
Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Bauakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. wird nicht entsprechend den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Feststellungsantrag unzulässig ist.
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Unabhängig davon, ob sich die Rechtsbeziehungen zwischen den Klägern und dem Beklagten nach Errichtung des Wohngebäudes durch den Beigeladenen im Genehmigungsfreistellungsverfahren aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Frage der gesicherten Erschließung ihres Wohnanwesens über den (privaten) G.weg zu einem Rechtsverhältnis im Sinn des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet haben, weil die Kläger der Meinung sind, dass aus der Feststellung ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung resultiert und der Beklagte vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine bauordnungsrechtliche Verfügung in Gestalt einer Nutzungsuntersagung ausgeht, fehlt es den Klägern an dem erforderlichen Feststellungsinteresse für ihren Antrag. Als solches ist jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen, das hinreichend gewichtig ist, um die Position des Betroffenen zu verbessern (vgl. BVerwG, U.v. 19.7.2022 – 8 C 10.21 – NVwZ 2023, 512). Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der nachfolgend Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2024 – 9 B 8.24 – juris Rn. 17).
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Der Vortrag im Zulassungsverfahren zielt zum einen auf die Verhinderung möglicher bauordnungsrechtlicher Anordnungen. Insoweit legen die Kläger bereits nicht substantiiert dar, warum das Abwarten einer etwaigen (erneuten) Nutzungsuntersagung unzumutbar sein soll. Soweit die Kläger auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Weimar vom 20. August 2015 (4 K 331/14 We) verweisen, betrifft die Entscheidung die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines verfahrensfreien Bauvorhabens und damit eine andere Fallgestaltung. Zum anderen zielen die Kläger auch darauf ab, dass das Vorhabengrundstück nach ihren Vorstellungen aufgrund der bauplanerischen Festsetzung des Guggemoswegs als Erschließungsstraße für die anliegenden Grundstücke über eine bauplanungsrechtliche Erschließung verfügt, sodass die Voraussetzungen der Genehmigungsfreistellung (weiterhin) vorliegen und ein Baugenehmigungsverfahren nicht durchzuführen ist. Diese Rechtsauffassung der Kläger vermag nach Fertigstellung des Wohngebäudes im Genehmigungsfreistellungsverfahren nicht zu einer gegenwärtigen Beeinträchtigung ihres Eigentums durch den Beklagten zu führen. Im Übrigen trifft die Rechtsmeinung der Kläger nicht zu.
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Im Genehmigungsfreistellungsverfahren sind alle Festsetzungen des Bebauungsplans einzuhalten. Das Vorhaben, konkretisiert durch die der Gemeinde vorzulegenden Bauunterlagen, muss diese Voraussetzungen zwingend erfüllen. Die Verantwortung dafür, dass das Vorhaben formell genehmigungsfrei und materiell rechtmäßig ist, obliegt allein dem Bauherrn und den von ihm beigezogenen Fachleuten bzw. dem neuen Eigentümer (vgl. Taft in Busse/Kraus, BayBO, Stand Dezember 2024, Art. 58 Rn. 77). Das auf dem Vorhabengrundstück errichtete Wohngebäude kann vorliegend nur über den privaten G.weg erreicht werden und wird damit abweichend von den Festsetzungen des Bebauungsplans erschlossen, die eine Erschließung des Vorhabengrundstücks über die festgesetzte Stichstraße vorsehen, weil ein Anhängen weiterer Grundstücke an den privaten G.weg nicht als sinnvoll erachtet wurde (vgl. dazu die textliche Festsetzung 6.3 und Nrn. 5 und 6.6 der Begründung des Bebauungsplans). Es erscheint zweifelhaft, ob eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt werden kann, weil die Festsetzung der Stichstraße gerade im Hinblick auf die teilweise nur geringe Breite des Guggemoswegs und die fehlende Wendemöglichkeit erfolgte. Damit sind die Grundzüge der Planung berührt. Die Bauaufsichtsbehörde hat von der Gültigkeit des Bebauungsplans auszugehen, solange er von der Gemeinde nicht förmlich aufgehoben worden ist oder seine Unwirksamkeit in einem Normenkontrollverfahren festgestellt wurde. Den Verwaltungsbehörden steht insoweit keine Normverwerfungskompetenz zu. Zudem ist hier – unabhängig davon, ob für eine Erschließung über den G.weg die erforderlichen Geh- und Fahrtrechte vorliegen – die bauordnungsrechtliche Erschließung nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO bereits deshalb problematisch, weil es sich bei dem G.weg nicht um einen Wohnweg begrenzter Länge handelt (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2023 – 1 B 21.1241 – juris Rn. 20).
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Da somit das Baugenehmigungsverfahren zur Klärung der Frage der gesicherten Erschließung führt, können die Kläger ihre Rechte öffentlich-rechtlich abschließend im Wege der Verpflichtungsklage verfolgen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).