Titel:
Staatsangehörigkeit, Erteilung einer Duldung, Freiwilligkeitserklärung, Verwaltungsgerichte, Rechtsmittelbelehrung, Ausländerbehörde, Behördenakten, Bestehende Abschiebungshindernis, Streitwertfestsetzung, Anspruch auf Erteilung, Ungeklärte Identität, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gültiges Reisedokument, Vollziehbar Ausreisepflichtige, Kostenentscheidung, Reisepass, Arbeitsgenehmigung, Asylfolgeantrag, Prozeßbevollmächtigter, Begründungsfrist
Normenkette:
AufenthG § 60b
Schlagworte:
Duldung, Abschiebungshindernis, Identitätstäuschung, Passpflicht, Freiwilligkeitserklärung, Täuschungshandlung, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 15.05.2025 – 10 BV 25.542
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10174
Tatbestand
1
Der Kläger, ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den seiner Duldung beigefügten Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“.
2
Er reiste 2016 in die Bundesrepublik ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Dies lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 16. März 2017 ab, die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des VG Augsburg vom 2.8.2017, Au 2 K 17.31526). In gleicher Weise erfolglos blieben zwei vom Kläger gestellte Asylfolgeanträge vom April 2018 und vom Mai 2020. Der Kläger wurde seit Ablehnung seines Asylerstantrags geduldet, da er nicht im Besitz von somalischen Dokumenten war. Im Dezember 2021 legte er dann einen somalischen Reisepass vor, später eine somalische Geburtsurkunde. Bei beiden Dokumenten wurden keine Manipulationen festgestellt. Der Kläger wurde weiterhin geduldet, ihm wurde bis zuletzt auch eine Erwerbstätigkeit als Lagermitarbeiter gestattet. Mit Schreiben vom 7. August 2024 wurde er dann von der Ausländerbehörde aufgefordert, gegenüber der somalischen Botschaft eine Erklärung mit dem Inhalt abzugeben, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen (Freiwilligkeitserklärung). Dem kam der Kläger, soweit erkennbar, bislang nicht nach.
3
Am 25. September 2024 wurde dem Antragsteller eine Duldung nach § 60b AufenthG erteilt. Er wurde erneut aufgefordert, die Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
4
Am 7. Oktober 2024 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben mit dem Ziel, den Beklagten zur Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG sowie zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung zu verpflichten. Zur Begründung trägt seine Bevollmächtigte vor, der Kläger habe weiterhin einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a AufenthG, da er bereits vor drei Jahren seinen gültigen Reisepass vorgelegt habe. Die Weigerung der Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung zum Erhalt von Reisedokumenten sei nicht strafbar. Die Identität des Klägers sei bereits geklärt. Die Freiwilligkeitserklärung beziehe sich explizit auf die Identitätsklärung, nicht auf den Vollzug bzw. die Ermöglichung der Abschiebung.
5
Soweit die Klage ursprünglich auch auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung gerichtet war, wurde sie später zurückgenommen. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und eingestellt (Au 1 K 24.2666)
7
Der Bescheid der ZAB vom 25.09.24 wird aufgehoben und dem Kläger weiterhin eine Duldung gem. § 60a AufenthG erteilt.
8
Der Beklagte beantragt,
10
Die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von * meint, der streitgegenständliche Zusatz sei formell und materiell rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Seine Abschiebung könne aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, da er zumutbare Handlung zur Erfüllung seiner Passbeschaffungspflicht nicht vornehme. Bei dem vorgelegten somalischen Reisepass handle es sich nicht um ein gültiges Reisedokument. Die Identität des Antragstellers sei daher weiter ungeklärt. Durch die Verweigerung der Abgabe der Freiwilligkeitserklärung lägen die Voraussetzungen des § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vor. Unter die dort genannten zumutbaren Handlungen würde auch die Abgabe erforderlicher Erklärungen fallen. Eine Abschiebung sei mit dem Pass des Klägers nicht möglich, da er erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlasse.
11
Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2025 bzw. 5. Februar 2025 verzichteten die Beteiligten auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung.
12
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
Entscheidungsgründe
13
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
14
1. Gegenstand der Klage ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG. Mit der bloßen Aufhebung des der zuletzt am 25. September 2024 erteilten Duldung beigefügten Zusatzes („für Personen mit ungeklärter Identität“) wäre dem Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in vollem Umfang entsprochen. Eine uneingeschränkte Duldung (für die Zukunft) kann lediglich durch eine Verpflichtungsklage erstritten werden (Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Rn. 24 zu § 60b AufenthG).
15
Hierüber konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
16
2. Die Klage ist begründet. Die Erteilung einer Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung ohne Zusatz gemäß § 60a AufenthG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
17
a) Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung liegen beim Kläger vor.
18
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
19
Dies ist beim Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, derzeit der Fall. Die von ihm vorgelegten Ausweisdokumente ermöglichen es nicht, ihn in sein Heimatland abzuschieben, solange er nicht zusätzlich bereit ist, die von ihm geforderte Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
20
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Beifügung des streitgegenständlichen Zusatzes nach § 60b AufenthG sind nach Auffassung der Kammer hingegen nicht gegeben.
21
Nach § 60b Abs. 1 AufenthG wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung als „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nicht vornimmt. Voraussetzung ist damit auf Tatbestandsebene nach dem Wortlaut des Gesetzes, dass der Ausländer über seine Identität täuscht, falsche Angaben macht oder die Passpflicht nicht erfüllt. Alle drei Varianten sind vorliegend nicht erfüllt.
22
Der Kläger hat das bestehende Abschiebungshindernis nicht durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit herbeigeführt. Hinsichtlich der somalischen Staatsangehörigkeit des Klägers wurden auch von Seiten des Beklagten zu keinem Zeitpunkt Bedenken geltend gemacht. Auch der Kläger selbst hat insoweit zu keinem Zeitpunkt etwas Gegenteiliges vorgetragen. Sowohl im asylrechtlichen wie auch im anschließenden ausländerrechtlichen Verfahren hat er dauerhaft, widerspruchsfrei und unwidersprochen angegeben, somalischer Staatsangehöriger zu sein. Gleiches gilt letztlich auch für seine Identität. Auch insoweit liegen keine widersprüchlichen oder nicht glaubhaften Angaben vor. Auch der Beklagte hat diese niemals in Zweifel gezogen. Sie decken sich auch mit dem Inhalt der vom Kläger vorgelegten Dokumente. Die Bescheinigung der somalischen Botschaft vom 2. Juli 2018 belegt die somalische Staatsangehörigkeit des Klägers und enthält die von ihm auch sonst angegebenen Personaldaten. Der am 8. Dezember 2020 ausgestellte und der Ausländerbehörde vom Kläger vorgelegte somalische Reisepass (Bl. 597ff der Behördenakte) enthält ebenso keine abweichenden Angaben. Ausweislich der durchgeführten Überprüfung weist der Reisepass keine Auffälligkeiten auf (Bl. 604 der Behördenakte). Zuletzt liegt dem Beklagten eine Geburtsurkunde des Klägers vom 8. Dezember 2020 vor (Bl. 928 der Behördenakte), welche seine Angaben wiederum bestätigt. Auch deren Echtheit wurde zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Eine irgendwie geartete Täuschungshandlung des Klägers hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit oder Identität kann den vorgelegten Behördenakten somit nicht entnommen werden.
23
Der Kläger hat das bestehende Abschiebungshindernis auch nicht durch eigene falsche Angaben selbst herbeigeführt. Falschangaben des Klägers im insoweit maßgeblichen Kontext im Rahmen des asylrechtlichen Verfahrens oder später gegenüber der Ausländerbehörde sind an keiner Stelle dokumentiert. Der Kläger kann derzeit nicht abgeschoben werden, weil er sich weigert, eine Freiwilligkeitserklärung abzugeben. Insoweit hat der Kläger allerdings keinerlei falsche Angaben gemacht, sondern lediglich die Abgabe einer Erklärung verweigert. Die Kammer sieht angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts keine Möglichkeit, diese beiden Dinge gleichzusetzen. Eine schlichte Verweigerung stellt keine Täuschungshandlung dar.
24
Der Kläger hat auch keine zumutbaren Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passpflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unternommen.
25
Die Pflichten in § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG knüpfen daran an, dass der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer keinen gültigen Pass besitzt. Dies ist beim Kläger schon nicht der Fall. Er ist im Besitz eines von der Republik Somalia ausgestellten Reisepasses und hat diesen der Ausländerbehörde auch vorgelegt. Diese geht, soweit erkennbar, von der Gültigkeit bzw. Echtheit des Passes aus. Jedenfalls wurden Zweifel hieran im gesamten Verfahren nicht geltend gemacht und ergeben sich auch sonst nicht. Der vorgelegte Reisepass ist möglicherweise nicht geeignet, eine Abschiebung des Klägers zu ermöglichen. Er ist deswegen aber noch lange nicht ungültig. Wenn die somalischen Behörden die Aufnahme eines abzuschiebenden somalischen Staatsbürgers zusätzlich von der Abgabe einer besonderen Erklärung abhängig machen, stellt dies die Gültigkeit der von ihnen ausgestellten Reisepässe nicht automatisch in Frage. Damit fehlt es schon an der Verpflichtung des Klägers, die besondere Passbeschaffungspflicht zu erfüllen, da er im Besitz eines gültigen somalischen Reisepasses ist. Es spricht auch nichts für die Annahme, der Pass des Klägers sei kein gültiges Reisedokument. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass es dem Kläger problemlos möglich wäre, in sein Heimatland zu reisen. Der Pass ist damit ein gültiges Reisedokument, allerdings kein geeignetes Abschiebedokument. Die weiter in § 60b Abs. 3 AufenthG genannten Handlungspflichten betreffen ihn damit nicht. Damit fehlt es an einem rechtlich tragbaren Ansatz, von ihm derzeit die Abgabe der in § 60b Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genannten Erklärung zu fordern bzw. in der Folge deren Nichtabgabe zu sanktionieren.
26
Die Kammer geht mit dem Beklagten davon aus, dass die Abschiebung des Klägers aus von ihm selbst zu vertretenen Gründen nicht vollzogen werden kann. Er weigert sich beharrlich, die von ihm geforderte Freiwilligkeitserklärung abzugeben, was wohl zwingende Voraussetzung für eine Übernahmebereitschaft der Republik Somalia ist. Dies wird aber nicht von den in § 60b Abs. 1 AufenthG genannten Konstellationen erfasst, die durch das Wort „weil“ letztlich einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich sind. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, so wäre es naheliegend gewesen, die Vorschrift des § 60b AufenthG so zu fassen, dass eine „Duldung light“ auch dann erteilt wird, wenn etwa die Freiwilligkeitserklärung nicht abgegeben wird. Dies ist der aktuell geltenden Fassung der Vorschrift gerade nicht zu entnehmen.
27
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat der Beklagte die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen.
28
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.
29
5. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache angesichts einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle in der ausländerrechtlichen Praxis grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine die Rechtsfrage klärende Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs liegt noch nicht vor.