Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.05.2025 – 10 BV 25.542
Titel:

Erteilung einer "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität" wegen verweigerter Freiwilligkeitserklärung

Normenkette:
AufenthG § 60b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, S. 2
Leitsätze:
1. Die Mitwirkungspflicht eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll nicht allein eine Identitätsklärung und Passbeschaffung ermöglichen, sondern bezweckt eine Beseitigung tatsächlicher Abschiebungshindernisse. (Rn. 16)
2. Die Mitwirkungspflicht betrifft nicht nur Personen, die über keinen gültigen Pass verfügen, sondern vielmehr alle vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, bei denen nach der Rechts- und Verwaltungspraxis des Herkunftsstaates noch nicht alle notwendigen Voraussetzungen für eine Abschiebung vorliegen. (Rn. 17 – 18)
Schlagworte:
Erteilung einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“, Staatsangehörigkeit Somalia, Besitz eines gültigen aber nicht anerkannten Passes, der für sich allein keine Abschiebung ermöglicht, zumutbare Mitwirkungshandlungen zur Beseitigung von Abschiebungshindernissen, verweigerte Freiwilligkeitserklärung, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Mitwirkungspflicht, Beseitigung von Abschiebungshindernissen, Voraussetzungen für Abschiebung, Passbeschaffungspflicht, Identitätsklärung, Unmöglichkeit der Abschiebung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 25.02.2025 – Au 1 K 24.2453
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10173

Tenor

I. Unter Abänderung von Ziffer I. des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Februar 2025 wird die Klage abgewiesen.
II. Unter Abänderung von Ziffer II. des Urteils trägt der Kläger die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den seiner Duldung beigefügten Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“.
2
Er reiste 2016 in die Bundesrepublik ein, ein Asylverfahren und zwei Asylfolgeverfahren blieben erfolglos. Seit dem Abschuss des Asylerstverfahrens ist er vollziehbar ausreisepflichtig und wurde geduldet, weil er nicht im Besitz von amtlichen somalischen Dokumenten war. Im Dezember 2021 legte der Kläger einen somalischen Reisepass vor, später eine somalische Geburtsurkunde. Mit Schreiben vom 7. August 2024 wurde er von der Ausländerbehörde aufgefordert, gegenüber der somalischen Botschaft eine für die Abschiebung erforderliche Erklärung mit dem Inhalt abzugeben, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen (Freiwilligkeitserklärung). Dem kam der Kläger nicht nach. Am 25. September 2024 wurde dem Kläger eine Duldung nach § 60b AufenthG („Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“) erteilt. Er wurde erneut aufgefordert, die Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
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Einer vom Kläger am 7. Oktober 2024 erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht – nach Abtrennung eines anderen Verfahrensgegenstandes – mit Urteil vom 25. Februar 2025 statt und verpflichtete den Beklagten, dem Kläger eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen. Zur Begründung führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, beim Kläger seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt, weil er nicht – wie § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfordere – nicht im Besitz eines gültigen Passes sei. Eine erweiterte Auslegung oder analoge Anwendung der Vorschrift sei nicht möglich.
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Zu Begründung seiner vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend, das Erstgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 60b Abs. 1 AufenthG auf den Fall des Klägers nicht anwendbar sei. Zwar sei der Kläger im Besitz eines gültigen Passes, auch wenn dieser in Deutschland nicht anerkannt sei. Der Kläger verweigere aber nachdrücklich die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung, obwohl ihm dies zumutbar sei. Deswegen sei seine Abschiebung trotz des vorliegenden Passes nicht möglich. Solch eine Konstellation regele § 60b Abs. 1 AufenthG entweder in erweiterter Auslegung oder jedenfalls in analoger Anwendung.
5
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Februar 2025 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt weiter aus, sein Fall sei vom Anwendungsbereich von § 60b AufenthG nicht erfasst. Die Erteilung einer Duldung nach dieser Vorschrift belaste den Kläger schwer, insbesondere erwecke er bei jeder Personenkontrolle zu Unrecht den Verdacht, die Passpflicht zu verletzen. Die Identität des Klägers sei geklärt, seiner Passbeschaffungspflicht sei er soweit als möglich nachgekommen. Dass die Bundesrepublik somalische Pässe nicht anerkenne, liege nicht in seinem Verantwortungsbereich. Aus § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergebe sich nicht die Pflicht, jedes Abschiebungshindernis zu beseitigen. Der Gesetzgeber hätte eine solche Pflicht regeln können, habe es aber nicht getan. Diese Gesetzeslücke könne auch nicht durch Auslegung geschlossen werden.
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Mit Schriftsätzen vom 9. Mai 2025 bzw. 12. Mai 2025 verzichteten die Beteiligten auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung.
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Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Behördenakte sowie der Gerichtsakten beider Instanzen.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgeben.
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Es kann dahinstehen, ob Rechtsschutz gegen die Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG im Wege der Anfechtungsklage (so BayVGH, B.v. 27.8.2021 – 10 C 21. 2203 – juris Rn. 28; B.v. 28.9.2022 – 19 CS 22.1650 – juris Rn. 4; OVG Nds, B.v. 9.6.2021 – 13 ME 587/20 – juris Rn. 8, 12; OVG MV, B.v. 25.6.2024 – 2 O 202/24 OVG – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 16.8.2023 – 11 S 2717/22 – juris Rn. 10) oder – wie das Erstgericht unter Berufung auf Kommentarliteratur (Hailbronner, AuslR, Stand: 1.3.2020, § 60b Rn. 24) meint – im Wege der Verpflichtungsklage zu suchen ist. Unabhängig davon ist die Klage als unbegründet abzuweisen, denn der Beklagte hat dem Kläger zu Recht (nur) eine Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt.
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1. Nach § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde, wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung im Sinne des § 60a als „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht vornimmt. Nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, wenn er keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, unbeschadet der allgemeinen Passpflicht nach § 3 AufenthG verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen.
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2. Zwischen den Beteiligten unstreitig hat der Kläger weder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht noch ein Abschiebungshindernis durch falsche Angaben selbst herbeigeführt (§ 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AufenthG). Streitentscheidend ist daher allein die Frage, ob der Kläger im Sinne von § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgenommen hat. Dies ist – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – nicht der Fall. Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Auch im Übrigen unterfällt er dem persönlichen Anwendungsbereich nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG und hat in diesem Sinne zumutbare Mitwirkungshandlungen nach § 60b Abs. 3 Satz 1 AufenthG zur Beseitigung eines tatsächlichen Abschiebungshindernisses nicht vorgenommen.
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a) § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG findet, soweit es die Frage der Erteilung einer Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG betrifft, auch auf solche Personen Anwendung, die – wie der Kläger – einen gültigen Pass besitzen, wenn dieser Pass nach der Rechts- und Verwaltungspraxis des Herkunftsstaates allein eine Abschiebung nicht ermöglicht. Dies ergibt sich zwar nicht bereits eindeutig aus dem Wortlaut des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wohl aber aus der systematischen Stellung sowie aus dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
15
aa) § 60b AufenthG zielt nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht alleine auf eine Identitätsklärung, sondern soll allgemein eine bessere Durchsetzung der Ausreisepflicht ermöglichen (BT-Drs. 19/10047, S. 1 f.; vgl. Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.7.2024, § 60b AufenthG Rn. 1; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigrR, Stand: 1.1.2025, AufenthG § 60b Rn. 16). Dementsprechend dient die Vorschrift auch der Beseitigung von Hindernissen der Rückführung dort, wo der Staat nicht durch eigenes Handeln in der Lage ist, rechtliche und/oder faktische Hindernisse der Rückführung zu beseitigen (vgl. Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.7.2024, § 60b AufenthG Rn. 8). Dieses Ziel ist auch im Wortlaut des § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG selbst angelegt („wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann“). Die rechtliche Schlechterstellung der Inhaber einer Duldung nach § 60b Abs. 1 und 5 AufenthG soll diese zur Beseitigung des tatsächlichen Abschiebungshindernisses anhalten.
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Vor dem Hintergrund dieses Zwecks ist auch der Verweis in § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG auf die besondere Passbeschaffungspflicht des Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 zu lesen. Soweit § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG auf § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG verweist, begründet dieser daher eine Mitwirkungspflicht, die nicht auf eine reine Identitätsklärung und noch nicht einmal notwendigerweise auf die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes beschränkt ist, sondern auch und gerade der Beseitigung von tatsächlichen Abschiebungshindernissen dient (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2025 – 10 CS 24.2008 – juris Rn. 5). Folgerichtig ist die Pflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht ausschließlich auf die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes im engeren Sinn gerichtet. Insbesondere stellt § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 AufenthG klar, dass sich die Pflicht auch auf die Beschaffung eines sonstigen „Reisedokuments“, etwa eines Heimreisescheins oder eines „Laissezpasser“ richten kann. Insgesamt begründet § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine umfassende Pflicht zur Mitwirkung bei der Beseitigung tatsächlicher Abschiebungshindernisse (vgl. auch § 60b Abs. 4 Satz 2 AufenthG: „Verletzung der Mitwirkungspflicht“).
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bb) Aus alledem folgt, dass die besondere Mitwirkungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG – entgegen des missverständlichen Wortlauts des Gesetzes, auf den das Verwaltungsgericht abstellt – nicht nur für Personen gilt, die keinen „gültigen Pass“ haben. Der Sache nach handelt es sich bei § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht um eine bloße „Passbeschaffungspflicht“, sondern um eine umfassende Pflicht zur Beseitigung von tatsächlichen Abschiebungshindernissen (s.o.). Durch die gesetzliche Formulierung, die nicht nur einen gültigen, sondern auch einen im Sinne von § 3 Abs. 1 AufenthG anerkannten Pass meint (vgl. dazu den gleichzeitig eingeführten § 98 Abs. 3 Nr. 5a AufenthG, der es als ordnungswidrig bezeichnet „entgegen § 60b Absatz 2 Satz 1 nicht alle zumutbaren Handlungen vor(zunehmen), um einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz zu erlangen“), wollte der Gesetzgeber lediglich klarstellen, dass die aus § 3 Abs. 1 AufenthG folgende Pflicht, einen Pass oder Passersatz zu besitzen, umfasst, diesen selbst zu erlangen und dazu selbst alle notwendigen zumutbaren Handlungen vorzunehmen (BT-Drs. 19/10047, S. 38). Dabei ging der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass ein Pass und/oder Passersatz – wie im Normalfall – auch tatsächliche Abschiebungshindernisse beseitigen würde. Ist dies – wie vorliegend – ausnahmsweise nicht der Fall, besteht mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers kein Anlass, den Ausländer nicht zu weiteren zumutbaren Handlungen zur Beseitigung von Abschiebungshindernissen zu verpflichten. Denn auch aus der Gesetzesbegründung zu § 60b Abs. 3 AufenthG (BT-Drs. 19/10047 S. 38) folgt, dass bei den Angaben, Erklärungen und sonstigen Handlungen, die der Ausländer machen bzw. vornehmen muss, um tatsächliche Abschiebungshindernisse zu beseitigen, grundsätzlich auf die Rechts- und Verwaltungspraxis des Herkunftsstaates abzustellen ist.
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Dementsprechend kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber einen vollziehbar Ausreisepflichtigen nur deswegen von der Mitwirkungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG und der entsprechenden Sanktion ihrer Verletzung nach § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ausnehmen wollte, weil er zwar einen gültigen, aber gleichwohl das Abschiebungshindernis nicht (allein) beseitigenden Pass besitzt. Die Mitwirkungspflicht nach § 60b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst vielmehr alle vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, bei denen nach der Rechts- und Verwaltungspraxis des Herkunftsstaates nicht alle Voraussetzungen für eine Abschiebung vorliegen.
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Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – auch nicht daraus, dass das Gesetz in § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Wort „weil“ verwendet. Diese Formulierung soll zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit lediglich sicherstellen, dass die mit einer Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG einhergehenden Beschränkungen nur solche Personen treffen, deren Pflichtenverstoß die (alleinige) Ursache für die Unmöglichkeit der Abschiebung ist (näher dazu etwa Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.10.2024, § 60b AufenthG Rn. 16), beschränkt darüber hinaus aber weder den Anwendungsbereich noch den Inhalt der besonderen Mitwirkungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG.
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cc) Diese Auslegung ist dem der Senat auch durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Klägers und den Wesentlichkeitsgrundsatz nicht verwehrt. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist – auch bei Gesetzen, die die allgemeine Handlungsfreiheit beschränken – Sache der Fachgerichte. Verfassungsrechtliche Grenzen im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG sind erst dann überschritten, wenn das Fachgericht bei der Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung nicht mehr respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in nicht mehr vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (stRspr, zusammengefasst etwa bei BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 2738/08 – BVerfGK 16, 449 – juris Rn. 25). Angesichts des sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch in der Norm selbst zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (s.o.) sind diese Grenzen durch die hier vorgenommene Auslegung gewahrt.
21
b) Zu den Mitwirkungspflichten nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG gehört auch die Pflicht zur Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung gegenüber dem Herkunftsstaat. Ob in der vorliegenden Konstellation, in der die Freiwilligkeitserklärung nicht der Erlangung eines Reisedokuments, sondern bei Besitz eines Passes „nur“ unmittelbar der Ermöglichung der Abschiebung dient, die gesetzliche Zumutbarkeitsvermutung nach § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG greift, kann dahinstehen, denn die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung ist im Allgemeinen auch ohne Rückgriff auf § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zumutbar und zwar auch dann, wenn der Betroffene – wie der Kläger – tatsächlich nicht freiwillig ausreisen möchte (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.2009 – 1 C 19/08 – BVerwGE 135, 219 – juris Rn. 14 ff.). Dass im vorliegenden Fall aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls etwas Anderes gelten könnte, ist weder vom Kläger substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
22
Da der Kläger die Abgabe dieser Freiwilligkeitserklärung trotz entsprechender Aufforderung durch den Beklagten (vgl. § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG) verweigert, verletzt er seine Mitwirkungspflicht im Sinne von § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weswegen ihm zu Recht (nur) eine Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG ausgestellt wurde.
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c) Nach alledem kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob – wie der Beklagte meint – der Umstand, dass der Pass des Klägers von den deutschen Behörden nicht anerkannt wird, dazu führt, dass die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt ist, zumal der Beklagte vom Kläger keine Mitwirkungshandlung zur weiteren Identitätsklärung verlangt hat.
24
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
26
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).