Inhalt

OLG München, Endurteil v. 13.03.2024 – 7 U 754/21
Titel:

Anspruch auf "großen" Schadensersatz im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor

Normenketten:
BGB § 31, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; BeckRS 2024, 7118; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; BeckRS 2024, 7526; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufheizstrategie A stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 dar, da sie darauf abzielt, ähnlich wie die bei Motoren der Baureihe EA 189 zum Einsatz gekommene „Schummelsoftware“ das Emissionsverhalten der Fahrzeuge ausschließlich im Prüfstandbetrieb zu verbessern, um die ohne die Abschalteinrichtung zu erwartende Überschreitung des NOx-Grenzwertes bei der Abgasprüfung sicher zu vermeiden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Audi trifft eine sekundäre Darlegungslast, dass und warum der Vorstand in die Entwicklung nicht involviert gewesen sei und von der unzulässigen Abschalteinrichtung nichts gewusst habe. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3-Liter-Dieselmotor BiTurbo EU 6, EA 897evo, EA 896Gen2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Warmlaufmodus, Aufheizstrategie A, verbrieftes Rückgaberecht, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 12.01.2021 – 21 O 2109/19
Fundstelle:
BeckRS 2024, 9624

Tenor

1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 12.01.2021, Az. 21 O 2109/19, in Ziffer 1 seines Tenors dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klagepartei 19.556,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Klagepartei zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei 38%, die Beklagte 62%.
4. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 des Tenors bezeichnete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus dem Kauf eines Pkws im Rahmen des sogenannten Dieselskandals.
A.
2
Die Klagepartei erwarb am 02.09.2016 von der … GmbH & Co KG den gebrauchten von der Beklagten hergestellten Pkw …, 240 kW, 326 PS, FIN: …, Erstzulassung 08.12.2015 mit einem Kilometerstand von 10.999 zum Preis von 65.890,00 € brutto (vgl. Anl. K 1). In dem Fahrzeug war ein 3-Liter-Dieselmotor BiTurbo EU 6 verbaut (wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es sich dabei um einen Motor vom Typ EA 897evo oder EA 896Gen2 handelt). In der Motorsteuerungssoftware kommt ein Thermofenster zur Anwendung. Das Fahrzeug ist mit einer Abgasrückführung und einem SCR-Katalysator ausgestattet.
3
Das Fahrzeug verfügte über einen sogenannten „Warmlaufmodus“, der dafür sorgt, dass sich der SCR-Katalysator nach einem Kaltstart schneller aufheizt, damit die Stickoxidemissionen auch in den ersten Betriebsminuten nach einem Kaltstart effizient reduziert werden.
4
Die Klagepartei und die Verkäuferin vereinbarten eine Anzahlung auf den Kaufpreis von 20.000,00 €. Den restlichen Kaufpreis, die Versicherungsbeiträge für Arbeitsunfähigkeit und Tod (1.536,92 €) sowie die Zinsen (2.435,89 €) in Höhe von insgesamt 49.862,81 € finanzierte die Klagepartei durch ein Darlehen bei der … Bank (vgl. Anl. K 2). Das Darlehen sollte in 36 monatlichen Raten à 317,00 € (Fälligkeit der letzten Rate am 01.08.2019) und einer am 01.08.2019 fällig werden Schlussrate von 38.450,81 € von der Klagepartei zurückbezahlt werden (vgl. Anl. K 2).
5
Die Klagepartei und die Verkäuferin vereinbarten ein „verbrieftes Rückgaberecht“. Für den Fall der vertragsgemäßen Bezahlung der 36 Monatsraten durch die Klagepartei, verpflichtete sich die Verkäuferin das Fahrzeug zum Preis von 38.450,81 € zurückzunehmen.
6
Die Klagepartei gab das streitgegenständliche Fahrzeug am 31.08.2019 mit einem Kilometerstand „so um die 60.000“ an die Verkäuferin zurück. Nach der Rückgabe des Fahrzeugs durch die Klagepartei an die Verkäuferin wurde ein Software-Update aufgespielt (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 05.11.2020, S. 2, Bl. 286 Rs. d.A.).
7
Die Klagepartei behauptete, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über unzulässige Abschalteinrichtungen verfüge. Dadurch erfolge „eine unterschiedliche Emissionsbehandlung je nachdem, ob sich das Fahrzeug in der Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befinde, dort wiederum gestuft nach Temperaturabhängigkeit (Thermofenster)“ (vgl. Klageschrift S. 9). Die Beklagte habe in den 3-Liter-Dieselmotoren vier unterschiedliche Abgasstrategien eingebaut: die Abgasstrategien A, B, C und D. Bei der Abgasstrategie A werde zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft seien, d.h. alle Bedingungen müssten gleichzeitig vorliegen, dann werde die Aufheizstrategie genutzt. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) seien so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirke. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führten zur Abschaltung der Aufheizstrategie (Schriftsatz des Klägervertreters vom 14.04.2020, S. 4 ff, Bl. 225 ff. d.A. und Anl. K 21). Dies diene somit ausschließlich dem Ziel, den NEFZ zu erkennen und die Nox-Grenzwerte von 80 mg/km sicher einzuhalten.
8
Die mit Rückruf des KBA vom Januar 2018 beanstandete „Motoraufwärmfunktion“ sei somit nicht die einzige von … verbaute Abschalteinrichtung, obwohl lediglich diese verpflichtend via Rückruf vom Hersteller entfernt werden sollte (vgl. Klageschrift S. 14).
9
Hinzu komme, dass die Beklagte auch das OBD-System so manipuliert habe, dass dieses bei der Inspektion fälschlicherweise melde, dass die Abgassysteme der Automobile ordnungsgemäß funktionierten.
10
Die Klagepartei beantragte,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger im Wege des Schadensersatzes 31.412,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.08.2019 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 24.08.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.196,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2019 zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragte,
Klageabweisung.
12
Sie erwiderte u.a., dass ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei ausscheide, weil diese bereits im August 2019 von ihrem verbrieften Rückgaberecht Gebrauch gemacht habe, die Beklagte nicht getäuscht habe, die Klagepartei das Fahrzeug bis zu dessen Rückgabe ohne Probleme habe nutzen können, das Emissionsverhalten des Fahrzeugs unter keinen Umständen ein maßgeblicher Faktor für den Kauf des Fahrzeugs gewesen sei und das Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Auch habe die Beklagte weder sittenwidrig noch vorsätzlich die Klagepartei geschädigt.
13
Nach informatorischer Anhörung der Klagepartei wies das Landgericht Ingolstadt mit Endurteil vom 12.01.2021, Az. 21 O 2109/19, die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht u.a. aus, dass die Klagepartei im Rahmen ihrer Anhörung die Kausalität zwischen den behaupteten Täuschungen der Beklagten und dem Kaufentschluss der Klagepartei nicht habe darlegen können. Denn die Klagepartei habe erklärt, dass sie sich über die konkreten Abgaswerte des Fahrzeugs beim Kauf nicht informiert habe, die Technologie habe sie nicht interessiert. Die Angabe der Klagepartei, sie habe ein Fahrzeug mit einem konkreten Image erwartet, vermöge eine Kausalität nicht zu begründen.
14
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
15
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter. Sie rügt insbesondere, dass das Landgericht die Ausführungen der Klagepartei in der informatorischen Anhörung unzutreffend gewürdigt habe.
16
Zum Thermofenster trägt die Klagepartei ergänzend vor, dass die Abgasrückführung bereits bei Temperaturen unter + 20° C sowie über + 30° C zurückgefahren werde, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von + 5° C erfolge.
17
Die Klagepartei beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger im Wege des Schadensersatzes 31.412,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.08.2019 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 24.08.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
Hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz, mindestens jedoch EUR 6.700 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise:
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 21 O 2109/19, verkündet am 12.01.2021 und zugestellt am 18.01.2021, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
18
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
19
Der Senat hat am 13.03.2024 mündlich verhandelt. Er hat Hinweise erteilt. Auf die Hinweise vom 23.11.2023, Bl. 392/395 d.A., das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
20
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist nur im Umfang von 19.556,17 € begründet, da die Klagepartei entgegen der Ansicht des Landgerichts dem Grunde nach gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB auf Rückabwicklung des von ihr geschlossenen Kaufvertrages hat. Der Höhe nach beläuft sich der Schadensersatzanspruch der Klagepartei unter Berücksichtigung der von ihr gezogenen Nutzungen und des Rückgabeerlöses jedoch nur auf 19.556,17 €. Insoweit als die Klagepartei einen höheren Betrag verlangt, bleibt die Berufung ohne Erfolg und war deshalb zurückzuweisen.
21
I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch aus § 826 BGB auf den großen Schadensersatz und damit auf Rückabwicklung des über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossenen Kaufvertrages aufgrund der in dem Fahrzeug unstreitig implementierten „Aufheizstrategie A“.
22
1. Bei der sogenannten Aufheizstrategie A handelt es sich (wie sich zur Überzeugung des Senats aus dem Bescheid des KBA laut Anl. K 21 ergibt) um eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Nr. 3 der Verordnung 715/2007, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befindet. Bei der Aufheizstrategie A werden nämlich zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind, d.h. alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, damit die Aufheizstrategie A genutzt wird. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und in den Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie A. Ist die Aufheizstrategie A aktiviert, wird die Überschreitung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km sicher vermieden. Ist die Aufheizstrategie A dagegen nicht aktiviert, weil nicht alle Schaltbedingungen erfüllt sind, das Fahrzeug sich also nicht auf dem Prüfstand befindet, so verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten.
23
Die Klagepartei behauptete bereits in erster Instanz, dass diese Aufheizstrategie A (neben anderen behauptetermaßen unzulässigen Abschalteinrichtungen) im streitgegenständlichen Fahrzeug implementiert sei.
24
Die Beklagte bestritt zwar, dass eine der im EA 189-Motor verbaut gewesenen Prüfstandserkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug angewendet würde. Der sogenannte „Warmlaufmodus“ des SCR-Katalysators habe nichts mit alternativen Betriebsmodi zu tun. Sie bestritt auch, dass das unstreitig vorhandene Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, dass es während des Durchfahrens des ca. elf Kilometer langen NEFZ zu einer Erhöhung der AdBlue Einspritzung gegenüber der Fahrsituationen außerhalb des Zeit-Strecke-Korridors des NEFZ komme, dass im Getriebe des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Abschalteinrichtung vorhanden sei, dass eine Strategie verbaut sei, die die Motorleistung auf dem Prüfstand reduziere, und dass das OBD-System manipuliert sei. Nicht bestritten hat sie allerdings das Vorhandensein und die Funktionsweise der Aufheizstrategie A.
25
Auch nachdem die Klagepartei mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.04.2020, dort S. 3 bis 5, Bl. 224/226 d.A. unter Bezugnahme auf ein Schreiben des KBA nochmals das Vorhandensein der Aufheizstrategie A im streitgegenständlichen Fahrzeug und deren Funktionsweise vorgetragen hatte, ging die Beklagte nicht darauf ein. In ihrer Duplik vom 05.11.2020 befasste sie sich nur mit dem Thermofenster und führte zu dessen Zulässigkeit aus (Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 05.11.2020, S. 2 und 3, Bl. 286 ff. d.A.).
26
Selbst in der Berufungsinstanz erfolgte kein Bestreiten der Aufheizstrategie A, als die Klagepartei mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.03.2022, dort S. 3, Bl. 373 d.A., vorgetragen hatte, dass die Beklagte einen auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bezogenen sogenannten „Beipackzettel“ (vgl. Anl. BB 3) in Umlauf gebracht habe, in dem auf das Vorhandensein und die Funktionsweise der Aufheizstrategie A ausdrücklich hingewiesen werde. Die Beklagte thematisierte nur noch allgemein die Frage der Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.
27
Nach alledem ist vom Vorhandensein der Aufheizstrategie A, die eine prüfstandserkennende Umschaltlogik beinhaltet, im streitgegenständlichen Fahrzeug auszugehen.
28
2. Eine Motorsteuerungssoftware, die in der beschriebenen Weise konfiguriert ist, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 dar. Denn die Aufwärmstrategie zielt nach den Feststellungen des KBA darauf ab, ähnlich wie die bei Motoren der Baureihe EA 189 zum Einsatz gekommene „Schummelsoftware“ das Emissionsverhalten der Fahrzeuge ausschließlich im Prüfstandbetrieb zu verbessern, um die ohne die Abschalteinrichtung zu erwartende oder von der Beklagten zumindest befürchtete Überschreitung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km bei der Abgasprüfung sicher zu vermeiden. Der Einbau einer solchen Abschalteinrichtung ist von keinem der in Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG aufgeführten Ausnahmetatbestände gedeckt und insbesondere nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
29
3. Der Einbau einer solchen Abschalteinrichtung ist objektiv sittenwidrig, weil er nur zu dem Zweck erfolgte, das KBA über die ohne die Software nicht gewährleistete Einhaltung der Emissionsgrenzwerte in den Fahrzyklen des NEFZ zu täuschen, um die Typgenehmigung für das Fahrzeug zu erlangen. Die bewusste Täuschung des KBA rechtfertigt das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit.
30
4. Die subjektiven Voraussetzungen für den Anspruch aus § 826 BGB liegen ebenfalls vor.
31
Der Einbau der unerlaubten Abschalteinrichtung und der dazu verwendeten Software erfolgte vorsätzlich. Insoweit genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei dieser nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, Urteil vom 13. September 2004 – II ZR 276/02 –, juris Rn. 38 m.w.N.). Die mit der Abschalteinrichtung eingesetzte Software wurde bewusst benutzt, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typgenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nach Überzeugung des Senats nicht. Dabei nahm die Beklagte bewusst in Kauf, dass eine Entdeckung der Abschalteinrichtung dazu führen würde, dass das KBA entweder die Typgenehmigung widerruft oder andere Maßnahmen anordnet, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung drohte. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Endkunden als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen.
32
Die Beklagte muss sich dabei das Handeln und die Kenntnis ihrer Organe analog § 31 BGB zurechnen lassen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Organe der Beklagten an der zumindest konkludenten Täuschung des KBA – die einer Täuschung der Klagepartei gleichsteht – verantwortlich beteiligt waren. Dass die Organe der Beklagten um die unzulässige Abschalteinrichtung wussten und diese billigten, gilt im Streitfall gemäß § 138 Abs. 3 ZPO bereits als zugestanden.
33
Zwar trägt nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2019 – V ZR 244/17, Rdnr. 37; Urteil vom 18.01.2018 – I ZR 150/15, Rdnr. 26). Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft aber eine sekundäre Darlegungslast, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 37).
34
Im Streitfall ist die Beklagte aus vergleichbaren Gründen wie in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs dargelegt ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Die dortigen Grundsätze sind auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Die Klagepartei hat zu den in der Sphäre der Beklagten liegenden Umständen hinreichend konkret vorgetragen. Sie hat im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14.04.2020, dort S. 49 ff., Bl. 271 ff. d.A., behauptet, dass der damalige Entwicklungsvorstand der Beklagten Dr. … von der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt und diese gebilligt hätte. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen trifft die Beklagte ebenso wie die V. AG im Falle der Entscheidung des Bundesgerichtshofs betreffend den Motor EA 189 eine sekundäre Darlegungslast, dass und warum der Vorstand in die Entwicklung nicht involviert gewesen sei und von der unzulässigen Abschalteinrichtung nichts gewusst habe. Dieser ist die Beklagte mit ihrem Vortrag nicht hinreichend nachgekommen. Sie legt nicht plausibel dar, wie eine derartige Software ohne Wissen des Vorstands entwickelt und verbaut worden sein soll, sondern beschränkt sich auf die Aussage, dass die Klägerin zu den subjektiven Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche keinen hinreichend konkreten und einlassungsfähigen Sachvortrag geliefert habe.
35
Der Senat ist zudem in freier Beweiswürdigung davon überzeugt, dass den Organen der Beklagten der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und der dazu implementierten Software nicht verborgen geblieben ist. Immerhin handelt es bei diesem Vorgang um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen zivil-, arbeits- und strafrechtlichen Risiken für die entscheidenden Personen, denen bei den untergeordneten Konstrukteuren kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüberstand. Angesichts dessen ist es nach der Überzeugung des Senats ausgeschlossen, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt sein soll und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte.
36
5. Durch das vorsätzlich sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Klagepartei ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnrn 43 ff.).
37
6. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Senat nach der informatorischen Anhörung der Klagepartei auch der Ansicht, dass diese den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen hätte. Dafür spricht schon der sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 49). Ob sich die Klagepartei beim Kauf über konkrete Abgaswerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs informierte, ist daher ohne Belang.
38
Da somit ein Anspruch der Klagepartei gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte schon allein aufgrund der im streitgegenständlichen Fahrzeug applizierten Aufheizstrategie A besteht, kommt es auf das Thermofenster und etwaige weitere unzulässige Abschalteinrichtungen nicht an.
39
7. Der Inhalt der Schadensersatzpflicht bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. Die Klagepartei ist im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, als hätte sie den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.01.2022 – 8 U 85/20, Rdnrn 26 – 35).
40
Dass der Klagepartei im Zusammenhang mit der Fahrzeugfinanzierung ein verbrieftes Rückgaberecht eingeräumt wurde, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Denn der Schaden der Klagepartei liegt bereits in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnrn 44 ff.; vgl. zuletzt auch BGH, Urteil vom 16.12.2021 – VII ZR 389/21). Das verbriefte Rückgaberecht ermöglichte es dem Kläger nur, das Fahrzeug bei Fälligkeit der Schlussrate zu einem bereits bei Vertragsschluss festgesetzten Kaufpreis an den Händler zurückzugeben. Diese Möglichkeit ließ den mit Eingehung der Verbindlichkeit eingetretenen Schaden nicht entfallen. Durch die Möglichkeit, das Fahrzeug bei Fälligkeit der Schlussrate an den Händler zurückzugeben, wurde der Klägerin lediglich das Vermarktungs- und Restwertrisiko genommen. Sie hatte aber das Risiko der Betriebsuntersagung zu tragen, das wegen der Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtung bis zum Aufspielen des Softwareupdates bestand (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2021 – VII ZR 389/21, Rdnr. 20).
41
Welches Software-Update beim streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführt wurde, kann dahinstehen, da das Update schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten erst nach der Rückgabe des Fahrzeugs durch die Klagepartei erfolgte (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 05.11.2020, S. 2 Bl. 286 Rs. d.A.) und deshalb auf die Schadensentwicklung bei der Klagepartei keinen Einfluss mehr hatte.
42
8. Die Klagepartei muss sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
43
Das Gericht schätzt den von der Klagepartei auszugleichenden Vorteil gemäß § 287 ZPO, indem es den von der Klagepartei entrichteten Bruttokaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt teilt und den sich daraus ergebenden Wert mit den von der Klagepartei seit dem Erwerb bis zur Rückgabe des Fahrzeugs an die Verkäuferin am 31.08.2019 gefahrenen Kilometern multipliziert (vgl. zu dieser Berechnungsweise grundsätzlich BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 80).
44
a. Der Bruttokaufpreis betrug unstreitig 65.890,00 €.
45
b. Die Restlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Erwerbszeitpunkt bemisst der Senat in Anbetracht des unstreitigen Kilometerstands bei Abschluss des Kaufvertrags von 10.999 mit 289.001 Kilometer. Der Senat geht für das streitgegenständliche Fahrzeug entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 Kilometer aus. Der Senat berücksichtigt bei seiner Annahme einer Gesamtlaufleistung von 300.000 Kilometer, dass die Beklagtenpartei selbst eine hervorgehobene Qualität ihrer Fahrzeuge für sich in Anspruch nimmt, was sich auch in gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen anderer Hersteller höheren Kaufpreisen widerspiegelt. Fahrzeuge hervorgehobener Qualität halten aber auch länger. Weiterhin ist bei der Schätzung einzubeziehen, dass es sich um ein Fahrzeug mit einer Erstzulassung im Jahr 2015 handelt, bei dem aufgrund fortschreitender technischer Entwicklung von einer höheren Haltbarkeit ausgegangen werden muss, als das bei älteren Fahrzeugen der Fall ist. Dabei kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass im heutigen Straßenbild eine Vielzahl von Fahrzeugen der Marke … zu sehen sind, die ohne weiteres älter als zehn Jahre sind.
46
c. Nach den Angaben der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 17.11.2020 betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs bei der Rückgabe „so um die 60.000“ (vgl. S. 2 vorletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2020, Bl. 300 d.A.). Da die Beklagte diese Kilometerangabe der Klagepartei in erster Instanz nicht bestritten hat, ist ein Kilometerstand „so um die 60.000“ als Laufleistung bei Rückgabe des Fahrzeugs an die Verkäuferin vom Senat zu Grunde zu legen. Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Berufungserwiderung S. 19, zweiter Absatz, Bl. 367 d.A.) scheidet ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei auch nicht deshalb aus, weil die Klagepartei den Kilometerstand bei Rückgabe nicht vorgetragen habe. Da die Klagepartei allerdings nur eine ungefähre Angabe zum Kilometerstand machte (“so um die 60.000“), war, da es um die Schätzung eines Mindestschadens geht, ein Sicherheitsaufschlag auf den Kilometerstand bei Rückgabe zu machen, den der Senat mit 5% bemisst, sodass von einem Kilometerstand von 63.000 bei Rückgabe auszugehen ist.
47
Damit errechnen sich unter Abzug der bis zum Abschluss des Kaufvertrages bereits mit dem Pkw gefahrenen 10.999 Kilometer 52.001 von der Klagepartei mit dem Fahrzeug zurückgelegte Kilometer.
48
d. Unter Zugrundelegung dieser Parameter resultiert nach dem oben dargelegten Rechenweg ein von der Klagepartei auszugleichender Vorteil von 11.855,83 €, sodass sich der dem Grunde nach gegebene Anspruch der Klagepartei auf Rückzahlung des Kaufpreises von 65.890,00 € um diesen Betrag sowie um den Rückgabeerlös von 38.450,81 € auf 15.583,36 € reduziert.
49
9. Diesem Betrag hinzuzurechnen sind die der Klagepartei entstandenen Finanzierungskosten (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2021 – VI ZR 274/20, Rdnrn 14 ff.) in Höhe von insgesamt 3.972,81 € (Versicherungsbeiträge für Arbeitsunfähigkeit und Tod in Höhe von 1.536,92 € sowie die Zinsen in Höhe von 2.435,89 €), sodass sich der Schadensersatzanspruch der Klagepartei auf insgesamt 19.556,17 € beläuft.
50
II. Da das streitgegenständliche Fahrzeug bereits am 31.08.2019 von der Klagepartei an die Verkäuferin zurückgegeben wurde (die diesbezüglichen Angaben der Klagepartei in erster Instanz hat die Beklagte nicht bestritten), besteht kein Feststellungsinteresse hinsichtlich des Annahmeverzugs und bleibt die Klage insoweit abgewiesen.
51
III. Die Verzinsung der Klageforderung folgt aus §§ 286, 288 BGB.
52
IV. Da die Klagepartei mit ihrem Hauptantrag jedenfalls teilweise durchdringt, war über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
C.
53
I. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen.
54
II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
55
III. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt. Der Senat weicht von kleiner Entscheidung des BGH ab und auch nicht von Entscheidungen anderer Obergerichte. Hinsichtlich der im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 07.02.2024, S. 8 und 9 (Rdnr 17) in Bezug genommenen Entscheidungen und Hinweise anderer Oberlandesgerichte ist schon nicht erkenntlich, was Inhalt dieser Entscheidungen war. Im Übrigen war über den im konkreten Einzelfall erbrachten Vortrag der Klagepartei zu entscheiden. Was andere Klageparteien in anderen Verfahren vorgetragen haben, ist für den streitgegenständlichen Fall ohne Bedeutung.