Titel:
Kein Schadensersatz - auch kein Differenzschaden - wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen (Diesel-Fall)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Ein Verhalten aufgrund einer vertretbaren Gesetzesauslegung, die vom RDW und jedenfalls zeitweise vom KBA gebilligt wurde, kann deshalb nicht nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Herstellerin legt ihren Verbotsirrtum in ausreichender Weise dar, wenn sie vorträgt, es sei Aufgabe der Compliance-Abteilung gewesen, bei der Entwicklung des Motors die Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen zu prüfen, wobei diese der Auffassung der gesamten Industrie und der Behörden entsprochen habe und von der Entwicklungsabteilung zugrunde gelegt worden sei. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Übersteigt die Summe der vom Käufer durch den Kauf gezogenen Vorteile (selbst genutzte Laufleistung und Restwert) den gezahlten Kaufpreis, so ist ein eventueller Schaden des Käufers kompensiert. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, RDW, KBA, vertretbare Gesetzesauslegung, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Compliance-Abteilung, hypothetische Genehmigung, Laufleistung, Restwert
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 12.01.2023 – 33 O 167/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 9485
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 12.01.2023, Az. 33 O 167/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Aschaffenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
(ohne Tatbestand gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO)
1
Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.
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1. Ein Anspruch der Klagepartei aus § 826 BGB ist nicht gegeben.
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Selbst die Einordnung der verwendeten Abschalteinrichtung als unzulässig unterstellt, liegt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags kein sittenwidriges Verhalten vor. Eine Umschaltlogik, die dazu diente, die Typgenehmigung zu erschleichen, ist nicht vorhanden. Daneben sind das RDW und auch das KBA bis zum Dezember 2021 trotz eines Antrages auf Freigabe eines freiwilligen Softwareupdates bereits im Jahr 2017 von der Zulässigkeit der Motorsteuerung ausgegangen. Ein Verhalten aufgrund einer vertretbaren Gesetzesauslegung, die vom RDW und jedenfalls zeitweise vom KBA gebilligt wurde, kann deshalb nicht nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen (OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.2023 – 28 U 117/23, Rn. 35-47; OLG Naumburg, Urteil vom 09.10.2023 – 12 U 59/23, Rn. 6-29).
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2. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist nicht gegeben.
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a) Der Kläger kann nach diesen Vorschriften lediglich den Differenzschaden geltend machen.
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Grundsätzlich trifft die Beklagte eine Haftung aus diesen Vorschriften auch wegen der nur fahrlässigen Verletzung eines Schutzgesetzes. In einem solchen Fall beschränkt sich der Anspruch der Klagepartei auf den sogenannten Differenzschaden, den die Klagepartei geltend zu machen und darzulegen hat (BGH, Urteil vom 18.12.2023, Az.: VIa ZR 1083/22 Rn. 14, 16; BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 23, 29; BGH, Urteil vom 18.09.2023 – VIa ZR 580/21, Rn. 14).
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b) Hieraus folgt zunächst, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag unterliegt. Aber auch den nunmehr hilfsweise geltend gemachten Differenzschaden fordert der Kläger vergeblich.
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aa) Ein Anspruch der Klagepartei scheitert an einem fehlenden Verschulden der Beklagten. Diese unterlag hinsichtlich der streitgegenständlichen Abschalteinrichtung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.
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(1) Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter i.S.d. § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 II VO (EG) 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 62) im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH NJW 2023, 3796 Rn. 14).
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Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass es Aufgabe der Compliance-Abteilung gewesen sei, bei der Entwicklung des Motors die Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen zu prüfen. Diese habe der Auffassung der gesamten Industrie und der Behörden entsprochen und sei von der Entwicklungsabteilung zugrunde gelegt worden. Damit hat die Beklagte ihren Verbotsirrtum in ausreichender Weise dargelegt.
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(2) Dieser Verbotsirrtum war auch unvermeidbar.
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Der Fahrzeughersteller kann zu seiner Entlastung entweder darlegen, dass sich die EG-Typgenehmigung auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstreckt (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 64). Ob dies vorliegend der Fall ist, kann dahinstehen. Die Beklagte kann sich auch durch den Vortrag und gegebenenfalls Nachweis entlasten, dass ihre Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH a.a.O. Rn. 65).
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Im Jahr 2017 wurde der streitgegenständliche Motortyp mit identischem Emissionskontrollsystem einer detaillierten Überprüfung durch das RDW als zuständige Typgenehmigungsbehörde unterzogen. Gegenstand war dabei auch das Emissionskontrollsystem Das RDW hat die Funktionsweise aus Motorschutzgründen als gerechtfertigt und zulässig angesehen. Hieraus ist zu schließen, dass eine Erkundigung zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung nichts anderes erbracht und also die Zulässigkeit des verwendeten Emissionskontrollsystems bestätigt hätte. Dies genügt den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums. Nachdem sich bis zum Fahrzeugkauf im Jahr 2019 keine Änderungen in der Rechtsansicht des RDW ergeben hat, durfte die Beklagte auch noch in diesem Zeitpunkt von der Zulässigkert ausgehen.
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(3) Da es auf die Sachlage bei Inverkehrbringen bzw. (spätestens) beim Erwerb des Fahrzeuges ankommt, spielen spätere Änderungen keine Rolle. Dass das KBA im Dezember 2021 zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt ist und daher mittlerweile eine anderweitige Auskunft nicht mehr erteilen würde, ändert nichts an der (hypothetischen) Auskunft, welche die Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt erhalten hätte, und deren Bedeutung für eine Meinungsbildung bei der Beklagten. Ob sich das RDW dem angeschlossen hat, ist ebenfalls ohne Bedeutung.
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bb) Ein etwaiger Schaden des Klägers ist zudem durch die gezogenen Nutzungen aufgezehrt.
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(1) Nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des OLG Bamberg ist der Nutzungsvorteil anhand der vom Kläger gefahrenen Kilometer im Verhältnis zu einer gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtfahrleistung von 250.000 km vorzunehmen.
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Die Laufleistung bei Kauf am 19.06.2019 betrug 31.000 km, am 06.03.2024 bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz 68.456 km. Damit ist der Nutzungsvorteil mit 3.008,28 € zu beziffern.
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(2) Als weiterer Vorteil ist der Restwert zu berücksichtigen. Dieser beträgt nach dem nicht bestrittenen und im Übrigen auch belegten Vortrag der Beklagten 14.750,00 €.
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(3) In Addition der beiden vorgenannten Faktoren beträgt die Summe der vom Kläger durch den Kauf gezogenen Vorteile 17.758,28 €. Sie übersteigen damit den gezahlten Kaufpreis von 17.589,00 €, so dass der Schaden des Klägers kompensiert ist.
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Damit erweist sich die Berufung des Klägers als unbegründet und ist daher zurückzuweisen.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) liegen nicht vor. Der Senat weicht von der Rechtsprechung des BGH oder anderer Obergerichte nicht ab. Es liegt weder ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.