Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 06.05.2024 – 101 Sch 40/24 e
Titel:

Zur Auslegung der Erledigungserklärung eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs - hier: Antragsrücknahme mit Kostenantrag  

Normenketten:
ZPO § 91a, § 269 Abs. 3 S. 3, § 1054, § 1060, § 1064
BGB § 133, § 157, § 362 Abs. 1
Leitsatz:
Die Erklärung, der Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines auf Zahlung gerichteten Schiedsspruchs werde in der Hauptsache für erledigt erklärt, kann ungeachtet der abweichenden (anwaltlichen) Formulierung als Antragsrücknahme verbunden mit einem Kostenantrag gemäß § 269 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 ZPO auszulegen sein, wenn infolge der ohne Vorbehalt erfolgten Zahlung des Schuldners das Rechtsschutzbedürfnis an der Vollstreckbarerklärung bereits vor Rechtshängigkeit entfallen ist und damit die Feststellung einer Erledigung von vornherein ausscheidet. (Rn. 9 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs, Erledigungserklärung, Kostentragungspflicht, Erledigung vor Rechtshängigkeit, Auslegung von Prozesserklärungen
Fundstellen:
JurBüro 2024, 639
LSK 2024, 9339
BeckRS 2024, 9339

Tenor

1. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.215,21 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien führten ein Schiedsverfahren, in welchem die Antragstellerin als Schiedsklägerin gegen die Antragsgegnerin als Schiedsbeklagte Ansprüche aus Verträgen für Taxiunternehmen über die Nutzung der Taxistandplätze und Taxispeicher am Flughafen München geltend machte. Die Verträge enthielten eine Schiedsvereinbarung, nach der Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit den Verträgen nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) von einem aus einem Einzelrichter bestehenden Schiedsgericht entschieden werden.
2
Am 23. Januar 2024 erging durch einen vom Ernennungsausschuss der DIS bestellten Einzelschiedsrichter am Schiedsort München ein Schiedsspruch. Gemäß Ziffer 1 des Tenors wurde der Antragsgegnerin die Zahlung eines Betrags in Höhe von 3.066,60 € nebst Zinsen aus im Einzelnen bezeichneten Teilbeträgen für bestimmte Zeiträume in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auferlegt. Ziffer 2 des Schiedsspruchs betrifft die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen an die Antragstellerin; Ziffer 3 des Schiedsspruchs bestimmt, dass die Antragsgegnerin die Kosten des Schiedsverfahrens trägt und sie der Antragstellerin Kosten in Höhe von 2.899,04 € zu erstatten hat.
3
Mit Schriftsatz vom 19. März 2024 hat die Antragstellerin beim Oberlandesgericht München beantragt, Ziffer 1 des Tenors des Schiedsspruchs in Höhe eines Betrags von 2.215,21 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17. Februar 2024 für vollstreckbar zu erklären. Auf den an die Antragstellerin gerichteten gerichtlichen Hinweis vom 20. März 2024, dass das Oberlandesgericht München für die Entscheidung nicht zuständig sei, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20. März 2024 die Abgabe des Verfahrens an das Bayerische Oberste Landesgericht beantragt. Mit Beschluss vom 21. März 2024 hat das Oberlandesgericht München das Verfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben, bei dem die Akten am selben Tag eingegangen sind.
4
Nach (erstmaliger) Hinausgabe des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 19. März 2024 an die Antragsgegnerin gemäß Eingangsverfügung des Senats vom 25. März 2024, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26. März 2024, eingegangen am 27. März 2024, die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
5
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Antragsgegnerin habe den offenen Betrag in Höhe von 2.215,21 € am 21. März 2024 bezahlt. Der Antragsgegnerin seien die Kosten des Verfahrens gemäß § 91a ZPO aufzuerlegen. Sie, die Antragstellerin, habe zum Zeitpunkt ihres Antrags nicht davon ausgehen müssen, dass die Ansprüche erfüllt würden. Die Antragsgegnerin sei mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Februar 2024 unter Fristsetzung bis zum 29. Februar 2024 und erneut mit Schreiben vom 4. März 2024 unter Fristsetzung bis zum 14. März 2024 erfolglos aufgefordert worden, den noch offenen Restbetrag in Höhe von 2.215,21 € zu bezahlen. Nachdem die Antragsgegnerin auch der letzten Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei mit Schriftsatz vom 19. März 2024 der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs, zunächst zum Oberlandesgericht München, gestellt worden. Erst nachdem die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20. März 2024 beantragt habe, das Verfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht abzugeben, habe die Antragsgegnerin „mit Valuta vom 21. März 2024“ doch noch die ausstehende Forderung bezahlt.
6
Mit gerichtlicher Verfügung vom 28. März 2024 hat die Antragsgegnerin Gelegenheit erhalten, bis 15. April 2024 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 26. März 2024 Stellung zu nehmen, und mitzuteilen, ob der Erledigungserklärung zugestimmt wird. Die Verfügung und der Schriftsatz der Antragstellerin vom 26. März 2024 sind der Antragsgegnerin am 3. April 2024 zugestellt worden.
7
Eine Stellungnahme der Antragsgegnerin ist nicht eingegangen.
8
Mit Schriftsatz vom 22. April 2024 hat die Antragstellerin um Kostenentscheidung gebeten.
II.
9
Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Antragstellerin ist vorliegend als Antragsrücknahme im Sinne von § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auszulegen. Die Rücknahme hat zur Folge, dass die Verfahrenskosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen sind.
10
1. Die Erledigungserklärung der Antragstellerin, der sich die Antragsgegnerin nicht angeschlossen hat, ist als Antragsrücknahme mit Kostenantrag gegen die Antragsgegnerin gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auszulegen.
11
a) Mit der Gutschrift des Betrags in Höhe von 2.215,21 € auf dem Konto der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 21. März 2024 hat die Antragsgegnerin die in Ziffer 1 des Tenors ausgeurteilte noch offene Zahlungsverpflichtung, die Gegenstand des Antrags auf Vollstreckbarerklärung war, gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllt, da nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin vorprozessual Aufhebungsgründe ins Feld geführt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023, I ZB 14/23, WM 2024, 364 Rn. 19 ff.). Ausweislich des von der Antragstellerin vorgelegten Kontoauszugs ist die Zahlung zudem ohne Vorbehalt geleistet worden. Somit ist davon auszugehen, dass mit der Bezahlung das Rechtsschutzbedürfnis an der Vollstreckbarerklärung entfallen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2023, 102 Sch 115/21, GmbHR 2023, 396 juris Rn. 140 zu einer Konstellation, in der trotz teilweiser Erfüllung das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung weiterhin anzuerkennen war). Die Erledigung ist allerdings vor Rechtshängigkeit des Antrags auf Vollstreckbarerklärung vom 19. März 2024 eingetreten. Dies gilt unabhängig davon, dass die Akte nach Abgabe des Verfahrens erst am 21. März 2024 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist. Eine Feststellung der „Erledigung“ mit einer sich hieran anschließenden Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin scheidet damit von vornherein aus.
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Indes ist bei der Auslegung von Prozesserklärungen der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 16. Mai 2017, XI ZR 586/15, NJW 2017, 2340 Rn. 11). Vorliegend ist gerade die Kostentragungspflicht das erklärte Ziel der „Erledigungserklärung“. Überdies ist die Tatsache der zwischenzeitlichen Erfüllung unstreitig, § 138 Abs. 3 ZPO. Daher erscheint es gerechtfertigt, die Erklärung der Antragstellerin ungeachtet der abweichenden (anwaltlichen) Formulierung im Sinne einer Antragsrücknahme verbunden mit einem Antrag nach § 269 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 ZPO auszulegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 5. Juli 2023, 8 U 158/22, juris Rn. 51 ff.; OLG München, Beschluss vom 7. September 2005, 34 Sch 23/05, juris Rn. 5 m. w. N.). Der Wortlaut der anwaltlichen Erklärung ist nicht allein entscheidend (vgl. OLG Hamm, a. a. O. Rn. 53), zumal die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. April 2024 deutlich gemacht hat, dass sie nur eine Kostenentscheidung erstrebt.
13
§ 269 ZPO ist auch anwendbar. Das Verfahren über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs bestimmt sich nach § 1060, §§ 1062 bis 1065 ZPO. Ergänzend gelten die Allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung, soweit sie mit dem Charakter des Vollstreckbarerklärungsverfahrens als eines Erkenntnisverfahrens eigener Art vereinbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2002, III ZB 43/00, NJW-RR 2002, 933 [juris Rn. 6] m. w. N.). Damit findet auch § 269 ZPO Anwendung, der entsprechend für die Rücknahme aller Anträge gilt, über die mündlich verhandelt werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 2. Juni 2014, 34 SchH 11/12, NJW-RR 2014, 1534 [juris Rn. 2]; Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1063 Rn. 4).
14
Für die Bewertung der Erklärung vom 26. März 2024 als Antragsrücknahme spricht schließlich, dass der Antrag auf Vollstreckbarerklärung auch darauf gerichtet war, Ziffer 1 des Schiedsspruchs insoweit für vollstreckbar zu erklären, als Zinsen aus dem Betrag in Höhe von 2.215,21 € seit dem 17. Februar 2024 ausgeurteilt worden seien. Ein etwaiger noch offener Zinsanspruch ist von der Antragsgegnerin mit der Gutschrift vom 21. März 2024, soweit ersichtlich, nicht erfüllt worden. Dennoch ergibt sich aus der Erklärung der Antragstellerin vom 26. März 2024, dass der Antrag auf Vollstreckbarerklärung auch im Hinblick auf den geltend gemachten Zinsanspruch seit 17. Februar 2024 (aus 2.215,21 €) nicht mehr weiterverfolgt werden soll.
15
2. Es entspricht billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands, der Antragsgegnerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
16
a) Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung war zulässig und auch begründet.
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aa) Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 1025 Abs. 1, § 1043 Abs. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 ZPO i. V. m. § 7 GZVJu zuständig, weil der Schiedsort ausweislich des Schiedsspruchs in Bayern liegt.
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Die formellen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung sind erfüllt, § 1064 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1054 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Schiedsspruch genügt den förmlichen Anforderungen des § 1054 Abs. 3 ZPO. Auf die Vorlage des Schiedsspruchs im Original oder einer anwaltlich beglaubigten Abschrift kam es bereits im Hinblick auf die Erklärung der Antragstellerin vom 26. März 2024 nicht mehr an.
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Rechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags waren auch im Übrigen nicht ersichtlich. Insbesondere war ein rechtlich anzuerkennendes Interesse der Antragstellerin an der Vollstreckbarerklärung gegeben, soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf noch offene Teilforderungen gemäß Ziffer 1 des Schiedsspruchs beschränkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020, I ZB 108/19, SchiedsVZ 2021, 341 Rn. 25; BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2023, 102 Sch 115/21, GmbHR 2023, 396 Rn. 126; Beschluss vom 7. Dezember 2022, 101 Sch 76/22, juris Rn. 66 f.).
20
bb) Der Antrag hätte auch in der Hauptsache Erfolg gehabt. Aufhebungsgründe, die der Vollstreckbarerklärung entgegenstehen könnten (§ 1060 Abs. 2, § 1059 Abs. 2 ZPO), sind weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.
21
b) Der grundsätzlich auch für Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen anwendbare Rechtsgedanke, dass das Kostenrisiko voreilig gestellter Anträge den Antragsteller treffen muss (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Dezember 2020, 101 Sch 126/20, juris Rn. 32 ff. zu einer übereinstimmenden Erledigungserklärung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung; OLG München, Beschluss vom 7. September 2005, 34 Sch 23/05, juris Rn. 7), führt zu keiner anderen Beurteilung.
22
Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist nicht verfrüht gestellt worden. Die Antragsgegnerin hatte innerhalb der zuletzt gesetzten Frist bis 14. März 2024 hinreichend Gelegenheit, die Zahlung ohne Vollstreckungsdruck freiwillig zu leisten. Aus dem Schreiben der Antragstellerin vom 19. Februar 2024 folgt, dass die Antragsgegnerin spätestens seit 16. Februar 2024 Kenntnis von dem Schiedsspruch hatte; damit war bis zur Antragstellung nahezu ein Monat seit diesem Zeitpunkt verstrichen. Innerhalb dieses Zeitraums hätte die Antragsgegnerin den Schiedsspruch prüfen und die Zahlung bewirken können. Somit führt auch der Rechtsgedanke des § 93 ZPO nicht zu einer für die Antragsgegnerin günstigeren Beurteilung.
23
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.
24
In Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen entspricht der Streitwert dem Wert der zu vollstreckenden Forderungen ohne Nebenforderungen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2023, I ZB 31/22, juris Rn. 5, 9; Beschluss vom 16. Mai 2019, I ZB 46/18, SchiedsVZ 2019, 351 Rn. 5; Beschluss vom 29. März 2018, I ZB 12/17, juris Rn. 4).