Titel:
Gerichtsstandsbestimmung bei objektiver Klagenhäufung mit teilweiser Streitgenossenschaft
Normenketten:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 60, § 145 Abs. 1, § 281 Abs. 1 S. 1
EGZPO § 9
Leitsätze:
1. Die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch noch in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage vor demselben Gericht erhoben worden ist (BayObLG BeckRS 2022, 23495, Rn. 17). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Richtet sich nur ein Teil der im Wege der objektiven Anspruchshäufung in einer Klage erhobenen Ansprüche gegen Streitgenossen, kommt eine Bestimmung des zuständigen Gerichts für den Rechtsstreit nur hinsichtlich derjenigen Prozessgegenstände in Betracht, denen eine streitgenössische Inanspruchnahme der Prozessgegner zugrunde liegt (vgl. BayObLG BeckRS 2019, 31311, Rn. 16 ff.). (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bestimmung des für einen Streitgenossen ausschließlich zuständigen Gerichts auch für das Verfahren gegen den anderen Streitgenossen ist meist sachgerecht, weil damit dem Gesichtspunkt der Spezialisierung gerade dieses Gerichts Rechnung getragen wird (vgl. BeckRS 1984, 03261). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird nach bereits erfolgter Klageerhebung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein gemeinsamer Gerichtsstand bei einem anderen Gericht nur für einzelne Streitgegenstände bestimmt, obliegt die Entscheidung darüber, ob der Rechtsstreit, soweit eine Bestimmungsentscheidung getroffen wurde, abgetrennt und verwiesen werden soll (§ 145 Abs. 1, § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder das Verfahren – ohne Abtrennung – auch hinsichtlich der nicht bestimmungsgegenständlichen Forderungen gemäß § 281 ZPO an das sachlich ausschließlich zuständige Gericht verwiesen werden soll, dem Kläger (vgl. BGH BeckRS 2020, 35751, Rn. 65). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeitsbestimmung, objektive Klagenhäufung, teilweise Streitgenossenschaft, Klageerhebung, Mietverhältnis, Wohnungseinbruchdiebstahl, Nebenkostenabrechnung, ausschließliche Zuständigkeit, Abtrennungsantrag, Verweisungsantrag
Vorinstanz:
LG Augsburg vom -- – 92 O 4761/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 9338
Tenor
1. Als sachlich zuständiges Gericht für die Klageanträge zu den Ziffern 1 und 3 sowie den Klageantrag Ziffer 4, soweit mit diesem die Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten gegen die Antragsgegner im Zusammenhang mit den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 verfolgt wird (Eindringen in die Wohnung), wird das Amtsgericht Augsburg bestimmt.
2. Der weitergehende Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen (Klageantrag Ziffer 2 sowie Ziffer 4, soweit mit diesem die Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten im Zusammenhang mit dem Klageantrag Ziffer 2 verfolgt wird) (Kaution/Nebenkostenabrechnung).
Gründe
1
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2024 erhob die Klägerin und hiesige Antragstellerin beim Landgericht Augsburg Klage gegen die Antragsgegner mit folgenden Anträgen:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 5.629,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. September 2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, an die Klägerin 172,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. September 2021 zu zahlen.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts zu stellendes, Schmerzensgeld zu bezahlen, das den Betrag von 8.000,00 € nicht unterschreiten sollte.
4. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. September 2021 zu bezahlen.
2
Zur Begründung brachte sie vor, sie habe im Februar 2020 eine ihr von der Beklagten zu 2) und hiesigen Antragsgegnerin zu 2) vermietete Wohnung in einer Immobilie in … (Amtsgerichtsbezirk Augsburg) bezogen, deren Erdgeschosswohnung die Antragsgegnerin zu 2) gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Beklagten zu 1) und hiesigen Antragsgegner zu 1), bewohnt habe. Ohne Wissen der Antragstellerin habe die Antragsgegnerin zu 2) in ihrer Wohnung einen Wohnungsschlüssel der an die Antragstellerin vermieteten Wohnung aufbewahrt. Der Lebenspartner der Antragsgegnerin zu 2) habe diesen Schlüssel, der von der Antragsgegnerin zu 2) offensichtlich nicht so verwahrt worden sei, dass er für Dritte nicht zugänglich gewesen sei, dazu genutzt, mehrfach in die Wohnung der Antragstellerin einzudringen und dort Geld und Gegenstände zu entwenden. Am 28. Oktober 2020 habe die Antragstellerin mittels einer von ihr in ihrem Schlafzimmer aufgestellten Kamera erkennen können, dass sich der Antragsgegner zu 1) mittels eines Schlüssels Zugang zur Wohnung verschaffte. Sie habe die Wohnung zunächst nicht mehr betreten können, da sie von der Spurensicherung der Polizei verschlossen worden sei; anschließend sei es ihr nicht zumutbar gewesen, die Wohnung weiterhin zu bewohnen, sodass mit anwaltlichem Schreiben vom 11. November 2020 gegenüber der Antragsgegnerin zu 2) die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen worden sei. Die fristlose Kündigung sei von der Antragsgegnerin zu 2) akzeptiert worden; die Antragsgegnerin zu 2) sei zudem damit einverstanden gewesen, dass die Wohnung nicht sofort geräumt werde. Eine Räumung sei dann erst im Februar 2021 endgültig erfolgt.
3
Die mit dem Klageantrag Ziffer 1 gegen die Antragsgegner als Gesamtschuldner geltend gemachte Schadensersatzforderung hat die Antragstellerin damit begründet, dass sie wegen des Eindringens des Antragsgegners zu 1) in ihre Räumlichkeiten habe umziehen müssen. Hierdurch seien ihr Fahrtkosten in Höhe von 2.051,40 € und Umzugskosten in Höhe von insgesamt 2.190,00 € entstanden. Sie habe einen Wertverlust für ein Etagenbett/Spielbett und eine Waschmaschine in Höhe von insgesamt 315,38 € erlitten. Das eigens angeschaffte Etagenbett habe in der neuen Wohnung keinen Platz mehr gehabt; eine Waschmaschine sei bereits vorhanden gewesen. Durch die fristlose Kündigung des Mietvertrags seien der Antragstellerin außerdem Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.072,77 € entstanden, welche die Antragsgegner zu erstatten hätten.
4
Der gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichtete Klageantrag Ziffer 2 beruhe darauf, dass die Antragsgegnerin zu 2) nach ihrem Auszug die Nebenkosten fehlerhaft abgerechnet habe. Unter Berücksichtigung der geleisteten Vorauszahlungen ergebe sich ein Anspruch der Antragstellerin gegen die Beklagte zu 2) auf Erstattung in Höhe eines Betrags von insgesamt 172,93 €. Demgegenüber habe die Antragsgegnerin zu 2) wegen einer vermeintlichen Nebenkostennachzahlungsverpflichtung der Antragstellerin unberechtigt einen Betrag in Höhe von 81,28 € von der Mietkaution einbehalten. Dieser Betrag sei zusammen mit dem restlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 91,65 € von der Antragsgegnerin zu 2) zurückzufordern.
5
Zu dem gegen die Antragsgegner als Gesamtschuldner gerichteten Antrag auf Bezahlung von Schmerzensgeld (Klageantrag Ziffer 3) hat die Antragstellerin vorgebracht, die Antragsgegnerin zu 2) habe für die Vorfälle, die durch den Antragsgegner zu 1) verursacht worden seien, mit einzustehen, auch wenn sie nicht selbst in die Wohnung eingedrungen sei. Aufgrund der Vorfälle sei die Antragstellerin neun Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Das Eindringen in eine Wohnung und insbesondere in ein Schlafzimmer stelle eine immense Verletzung der Privatsphäre des Betroffenen und eine Persönlichkeitsverletzung dar. Es sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 € angemessen.
6
Zum Klageantrag Ziffer 4 hat die Antragstellerin vorgetragen, ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 13.802,48 € (5.629,55 € plus 172,93 € plus 8.000,00 €) seien Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.092,35 € von den Antragsgegnern auszugleichen. Es bestehe ein Anspruch aufgrund unerlaubter Handlungen bzw. wegen Verletzung von Vertragspflichten aus einem Mietvertrag. Sie sei berechtigt gewesen, sich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche anwaltlicher Hilfe zu bedienen.
7
Mit Verfügung vom 4. Januar 2024 hat das Landgericht Augsburg ein schriftliches Vorverfahren angeordnet und die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass zumindest hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 2) eine ausschließliche Zuständigkeit beim Amtsgericht bestehe. Es würden Ansprüche geltend gemacht, die ihren Ursprung in dem zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 2) geschlossenen Mietvertrag hätten.
8
Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. Januar 2024 beim Oberlandesgericht München einen Antrag auf Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts gestellt. Sie hat beantragt, das Landgericht Augsburg, hilfsweise das Amtsgericht Augsburg als das zuständige Gericht zu bestimmen. Die Antragsgegner seien Gesamtschuldner und mithin Streitgenossen im Sinne der §§ 59 ff. ZPO. Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand bestehe nicht. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO finde auch dann Anwendung, wenn für einen Streitgenossen das Amtsgericht und für den anderen das Landgericht zuständig sei. Die Antragstellerin habe sich bei der Einreichung der Klage an die Höhe des Streitwerts gehalten, da der Rechtsstreit überwiegend auf Schadensersatzforderungen und Schmerzensgeld gründe. Es sei aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass es sich bei dem für die Antragsgegnerin zu 2) geltenden Gerichtsstand um einen ausschließlichen handele. Im Hinblick auf die Kompetenz der infrage stehenden Gerichte bestehe keine Vorrangigkeit des einen oder anderen Gerichts, da beide Gerichte regelmäßig sowohl mit Mietrechts- als auch mit Schadensersatzprozessen befasst seien. Die Kompetenz des Amtsgerichts sei innerhalb der hier in Streit stehenden typisch mietrechtlichen Probleme nicht höher als die des Landgerichts. Sollte der Senat das Amtsgericht Augsburg bestimmen wollen, werde angekündigt, dass umgehend ein entsprechender Verweisungsantrag gestellt werde.
9
Das Oberlandesgericht München hat das Verfahren mit Beschluss vom 6. Februar 2024 zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
10
Die Beteiligten sind im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren angehört worden. Die Antragsgegnerin zu 2) hat darauf hingewiesen, dass die gegen sie gerichteten Ansprüche aus dem ehemaligen Mietverhältnis resultierten, sodass das Amtsgericht Augsburg „gemäß § 29a ZPO“ ausschließlich zuständig sei. Der Antragsgegner zu 1) hat keine Stellungnahme abgegeben.
11
Die Voraussetzungen für die Bestimmung des gemeinsam sachlich zuständigen Gerichts liegen zwar nicht für den Rechtsstreit insgesamt, jedoch insoweit vor, als mit der Klage Schadensersatzforderungen gegen beide Antragsgegner wegen des behaupteten unbefugten Eindringens des Antragsgegners zu 1) in die von der Antragstellerin gemietete Wohnung mithilfe eines von der Antragsgegnerin zu 2) zurückbehaltenen Wohnungsschlüssels verfolgt werden. Da der Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorliegend dahin auszulegen ist, dass hilfsweise jedenfalls hinsichtlich dieser Streitgegenstände eine Bestimmungsentscheidung erstrebt wird, kann ihm insoweit ‒ unter Abweisung des Bestimmungsantrags im Übrigen ‒ entsprochen und das sachlich zuständige Gericht wie aus dem Tenor ersichtlich bestimmt werden.
12
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständig, obwohl die beiden in Betracht kommenden Gerichte – das Amtsgericht Augsburg und das Landgericht Augsburg – im Bezirk des Oberlandesgerichts München gelegen sind.
13
a) Der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO unterliegt ‒ zumindest in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ‒ auch die sachliche Zuständigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1984, I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155 [juris Rn. 4 ff.]). Wenn ‒ wie im Streitfall ‒ eine gegen mehrere Streitgenossen zu richtende Klage für einen Teil der Streitgenossen eine zur Zuständigkeit des Amtsgerichts gehörende Mietsache über Wohnraum darstellt, während für den anderen Teil der Streitgenossen die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts begründet ist, so ist auf Antrag das für die Klage insgesamt zuständige Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu bestimmen.
14
b) Zuständig für diese Bestimmung ist grundsätzlich das für die in Betracht kommenden Gerichte gemeinsame im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 36 Abs. 1 ZPO); maßgeblich ist nicht der allgemeine Gerichtsaufbau, sondern die Rechtsmittelzuständigkeit in der jeweiligen Verfahrensart (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1988, I ARZ 388/88, BGHZ 104, 363 [juris Rn. 4]; BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris Rn. 8). Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht gemäß § 36 Abs. 2 ZPO durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Handelt es sich dabei um ein im Bezirk des Bayerischen Obersten Landesgerichts gelegenes Oberlandesgericht, so wird das zuständige Gericht gemäß § 9 EGZPO vom Bayerischen Obersten Landesgericht bestimmt.
15
Im Streitfall ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, denn vom Amtsgericht als Eingangsgericht gemäß § 23 Nr. 2 Buchst. a) GVG geht der Rechtszug zum Landgericht als Berufungsgericht gemäß § 72 Abs. 1 GVG und weiter zum Bundesgerichtshof als Revisionsgericht gemäß § 133 GVG, während vom Landgericht als Eingangsgericht gemäß § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG der Rechtszug zum Oberlandesgericht als Berufungsgericht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG und weiter zum Bundesgerichtshof als Revisionsgericht gemäß § 133 GVG geht.
16
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen ‒ für einen Teil der Klageforderungen ‒ vor und führen zur Bestimmung des Amtsgerichts Augsburg als zuständiges Gericht für die Klageanträge zu den Ziffern 1 und 3 sowie den Klageantrag Ziffer 4, soweit die Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten im Zusammenhang mit den Forderungen gemäß den Klageanträge zu den Ziffern 1 und 3 verfolgt werden.
17
a) Die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift („verklagt werden sollen“) hinaus auch noch in Betracht, wenn gegen einen oder mehrere Beklagte bereits eine Klage vor demselben Gericht erhoben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 17). Eine Fallkonstellation, in der eine Zuständigkeitsbestimmung wegen weit fortgeschrittenen Rechtsstreits gegen die bereits beklagte Partei ausscheidet (vgl. BGH NJW-RR 2020, 1070 Rn. 14 ff.), liegt ersichtlich nicht vor.
18
b) Der Antrag, das Landgericht Augsburg zu bestimmen, wird lediglich als Anregung für die im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vom bestimmenden Gericht vorzunehmende Auswahl verstanden. Denn bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 16. Mai 2017, XI ZR 586/15, NJW 2017, 2340 Rn. 11).
19
c) Nach dem insoweit allein maßgeblichen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 19; Beschluss vom 28. Oktober 1997, 1Z AR 74/97, NJW-RR 1998, 1291 [juris Rn. 4]; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 28) Vorbringen der Antragstellerin sollen die Antragsgegner als Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO in Anspruch genommen werden, soweit Ansprüche wegen des behaupteten unbefugten Eindringens des Antragsgegners zu 1) mit dem von der Antragsgegnerin zu 2) zurückbehaltenen Schlüssel in die von der Antragstellerin gemietete Wohnung verfolgt werden (Klageanträge Ziffern 1 und 3 sowie Klageantrag Ziffer 4, soweit er mit den Klageanträgen Ziffern 1 und 3 im Zusammenhang steht). Im Übrigen (Klageantrag Ziffer 2; Klageantrag Ziffer 4, soweit er mit dem Klageantrag Ziffer 2 im Zusammenhang steht) ist eine Bestimmungsentscheidung nicht möglich, da der allein gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichtete Anspruch auf vollständige Rückzahlung der Kaution sowie auf teilweise Rückerstattung geleisteter Nebenkostenvorauszahlungen nicht in einem für die Annahme von Streitgenossenschaft erforderlichen inneren Zusammenhang zu den wegen des Eindringens in die Wohnung gegen die Antragsgegner verfolgten Ansprüchen steht.
20
aa) Für das Vorliegen einer Streitgenossenschaft erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich aus dem Vortrag des Klägers in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar ableiten lässt, dass die behaupteten Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt; Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der gegen die Streitgenossen erhobenen Ansprüche ist nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, NJW 2018, 2200 Rn. 12; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 20; Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 35/20, juris Rn. 19; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 28). Darauf, ob das tatsächliche Vorbringen zutrifft, kommt es im Verfahren auf Zuständigkeitsbestimmung ebenso wenig an (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 20; Beschluss vom 26. April 2002, 1Z AR 30/02, juris Rn. 9; NJW-RR 1998, 1291 [juris Rn. 4]) wie auf die Schlüssigkeit der Klage (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 AR 112/19, juris Rn. 23 m. w. N.).
21
bb) Streitgenossenschaft beider Antragsgegner im Sinne des § 60 ZPO ist gegeben, soweit sie mit den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 wegen des behaupteten unbefugten Eindringens des Antragsgegners zu 1) in die Wohnung der Antragstellerin in Anspruch genommen werden sollen. Für den Klageantrag Ziffer 4 ist Streitgenossenschaft zu bejahen, soweit die Antragsstellerin die Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten im Hinblick auf die Forderungen gemäß den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 verfolgt (somit aus einem Gegenstandswert in Höhe von 13.629,55 €: 5.629,55 € plus 8.000,00 €).
22
Diese gegen die Antragsgegner gerichteten Ansprüche sind ihrem Inhalt nach gleichartig, weil sie jeweils darauf gerichtet sind, die Antragstellerin von den negativen Folgen des unbefugten Eindringens in die Wohnung zu befreien. Sie werden im Wesentlichen aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet, nämlich dem Eindringen des Antragsgegners zu 1) unter Zuhilfenahme des von der Antragsgegnerin zu 2) zurückbehaltenen Wohnungsschlüssels, für das auch die Antragsgegnerin zu 2) einzutreten habe, da sie als Vermieterin den Wohnungsschlüssel unbefugt im Besitz gehabt und nicht gegen Wegnahme gesichert verwahrt habe. Dass einzelne Sachverhaltselemente nur im Verhältnis zu einzelnen Antragsgegnern von Bedeutung sind, ist unschädlich, denn § 60 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsrelevanten Sachverhalte deckungsgleich sind (vgl. BGH NJW 2018, 2200 Rn. 13).
23
Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, denn nach dem klägerischen Vorbringen werden die mit den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 sowie Ziffer 4 (soweit die Forderungen mit den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 im Zusammenhang stehen) geltend gemachten behaupteten Ansprüche entweder ‒ gegen die Antragsgegnerin zu 2) ‒ direkt aus dem Mietvertrag abgeleitet oder aber die Frage des Gebrauchs des nicht der Antragstellerin als Mieterin überlassenen und ihr nicht bekannten Wohnungsschlüssels beim Eindringen in die Wohnung ist wesentlich auch für die Haftung des Antragsgegners zu 1) (vgl. § 823 Abs. 2 BGB, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB; BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021, 5 StR 219/21, NStZ 2022, 408; RG, Urt. v. 30. Januar 1885, Rep. 76/85, RGSt 11, 436, 437 f.).
24
cc) Dagegen ist Streitgenossenschaft zu verneinen im Hinblick auf den Klageantrag Ziffer 2 sowie die Forderung gemäß Klageantrag Ziffer 4, soweit vorgerichtliche Anwaltskosten bezogen auf den Klageantrag Ziffer 2 geltend gemacht werden.
25
§ 60 ZPO setzt zwar nicht voraus, dass alle Streitgenossen für den gesamten Schaden haften sollen. Vielmehr genügt, dass die Klageansprüche, auch soweit sie nur gegenüber einzelnen Antragsgegnern geltend gemacht werden, in einem hinreichenden inneren sachlichen Zusammenhang mit den übrigen Klageansprüchen stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt.
26
Dies ist im Hinblick auf den Klageantrag Ziffer 2 aber nicht der Fall. Grundlage der Inanspruchnahme der Antragsgegnerin zu 2) gemäß diesem Klageantrag ist ein anderer Lebenssachverhalt. Die Antragstellerin macht geltend, die Antragsgegnerin zu 2) habe einen Teil der Kaution zu Unrecht mit einer angeblichen Forderung auf Nachzahlung verrechnet und die Nebenkosten auch im Übrigen nicht ordnungsgemäß abgerechnet.
27
Zur näheren Begründung führt die Antragstellerin zum einen aus, die Antragsgegnerin zu 2) habe bei der Nebenkostenabrechnung einen Abrechnungsbescheid des Wasserzweckverbands im Hinblick auf die der Abrechnung zugrunde gelegte Höhe von Gebühren fehlerhaft beurteilt. Dies steht in keinerlei Zusammenhang mit den den Antragsgegnern nach den Klageanträgen zu den Ziffern 1 und 3 vorgeworfenen Pflichtverletzungen bzw. deliktischen Handlungen.
28
Entsprechendes gilt im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Antragstellerin zum Klageantrag Ziffer 2, die Antragsgegnerin zu 2) habe bei für den Verbrauch angesetzten Positionen der Nebenkostenabrechnung nicht berücksichtigt, dass die Wohnung nach fristloser Kündigung des Mietvertrags, die die Antragsgegnerin zu 2) akzeptiert habe, bis zur Räumung des Mietobjekts im Februar 2021 im November und Dezember 2020 von der Antragstellerin „nicht genutzt bzw. bewohnt“ und von ihr „lediglich zum Abwenden von Schäden leicht temperiert“ worden sei. Der Klageantrag Ziffer 2 ist auch mit dieser Begründung nicht lediglich eine „Mehrforderung“ gegen die Antragsgegnerin zu 2), beruhend auf demselben Sachverhalt, der auch Grundlage der gegen die Antragsgegner als Streitgenossen gerichteten Ansprüche ist. Die Antragstellerin zielt insoweit nicht darauf ab, etwaige Schäden im Zusammenhang mit dem unbefugten Eindringen des Antragsgegners zu 1) in die vormalig von der Antragstellerin gemietete Wohnung mit dem von der Antragsgegnerin zu 2) zurückbehaltenen Schlüssel abzuwenden. Vielmehr betrifft der Antrag die Phase der wirtschaftlichen Abwicklung des Mietverhältnisses allein im Verhältnis zwischen den Parteien des Mietvertrags (vollständige Rückerstattung der Kaution; Rückerstattung geleisteter Nebenkostenvorauszahlungen auf bereicherungsrechtlicher Grundlage), nachdem sich die Antragsgegnerin zu 2) bereits mit der Kündigung und damit einverstanden erklärt hatte, dass die Wohnung nicht sofort geräumt wird. Der bloße Umstand, dass die Kündigung durch das Eindringen des Antragsgegners zu 1) in die Wohnung veranlasst war, reicht für die Bejahung eines inneren Zusammenhangs zwischen einerseits den Klageanträgen Ziffern 2 und 4 (soweit vorgerichtliche Anwaltskosten im Zusammenhang mit der Kaution und der Rückerstattung von Nebenkostenvorauszahlungen verfolgt werden) und den sonstigen Klageanträgen andererseits nicht aus.
29
dd) Richtet sich nur ein Teil der im Wege der objektiven Anspruchshäufung in einer Klage erhobenen Ansprüche gegen Streitgenossen, kommt eine Bestimmung des zuständigen Gerichts für den Rechtsstreit insgesamt nicht in Betracht (BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 AR 112/19, juris Rn. 16 f.). Eine Bestimmung der Zuständigkeit allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist nicht – auch nicht in analoger Anwendung – zulässig, wenn wie vorliegend nicht hinsichtlich sämtlicher der in objektiver Klagehäufung verfolgten Streitgegenstände die Antragsgegner als Streitgenossen verklagt sind.
30
Indes kann sich eine Bestimmungsentscheidung auf einen Teil der Klageanträge beschränken. Ein hierauf gerichteter Antrag liegt vor, denn der umfassende Antrag kann vorliegend dahin ausgelegt werden, dass eine Zuständigkeitsbestimmung hilfsweise jedenfalls hinsichtlich derjenigen Prozessgegenstände, denen eine streitgenössische Inanspruchnahme der Antragsgegner zu 1) und 2) zugrunde liegt, erfolgen soll, weil vorliegend eine einheitliche Prozessführung beim Amtsgericht im Hinblick auf den gesamten Rechtsstreit – gegebenenfalls nach Verweisung desjenigen Teils der Streitgegenstände, auf die sich die Bestimmungsentscheidung nicht bezieht – ermöglicht ist (siehe die folgenden Ausführungen unter II. 3 und II. 4). Im Übrigen ist eine Teilzurückweisung des Bestimmungsantrags auszusprechen.
31
c) Ein für beide Antragsgegner gemeinsam zuständiges Gericht für die Klageanträge zu den Ziffern 1 und 3 sowie 4, soweit vorgerichtliche Anwaltskosten wegen des unbefugten Eindringens in die gemietete Wohnung verfolgt werden, besteht im Streitfall nicht.
32
Für die Klage der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin zu 2) im Hinblick auf diese Anträge ist gemäß § 23 Nr. 2 Buchst. a) GVG das Amtsgericht ausschließlich zuständig; der Streit dieser Parteien ist eine Streitigkeit über Ansprüche aus einem Wohnraummietverhältnis, weil die Pflichten, die den Gegenstand der Klage bilden, der Antragsgegnerin zu 2) in ihrer Eigenschaft als Vermieterin zugeordnet sind.
33
Demgegenüber ist für die beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner zu 1) im Hinblick auf den Streitwert die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts begründet, weil im Verhältnis zu diesem keine dem Amtsgericht zugewiesene Streitigkeit aus einem Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt. Eine mietvertragliche Beziehung zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zu 1) wird nicht behauptet.
34
3. Der Auswahlentscheidung im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung liegen Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde. Der Senat bestimmt als zuständiges Gericht für die Klageanträge zu den Ziffern 1 und 3 sowie den Klageantrag Ziffer 4, soweit die Antragsgegner aus einem Gegenstandswert in Höhe von 13.629,55 € (5.629,55 € plus 8.000,00 €) auf Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen werden sollen, das Amtsgericht Augsburg, weil diesem die sachliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus einem Mietverhältnis über Wohnraum obliegt und die mietrechtliche Rechtslage auch von Bedeutung für die Klage gegen den Antragsgegner zu 1) sein dürfte. Die Bestimmung des für einen Streitgenossen ausschließlich zuständigen Gerichts auch für das Verfahren gegen den anderen Streitgenossen ist meist sachgerecht, weil damit dem Gesichtspunkt der Spezialisierung gerade dieses Gerichts Rechnung getragen wird (vgl. BGHZ 90, 155 [juris Rn. 9]). Anhaltspunkte, die im Streitfall eine andere Wertung nahelegen könnten, sind nicht ersichtlich.
35
4. Wenn nach bereits erfolgter Klageerhebung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein gemeinsamer Gerichtsstand bei einem anderen Gericht bestimmt wird, hat dies grundsätzlich zur Folge, dass die Rechtshängigkeit ohne Weiteres auf dieses Gericht übergeht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2020, X ARZ 124/20, WM 2021, 40 Rn. 65; BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2020, 1 AR 66/20, NJW-RR 2020, 1006 Rn. 21; Toussaint in BeckOK, ZPO, 52. Ed. Stand: 1. März 2024, § 37 Rn. 14; Schultzky in Zöller, ZPO, § 37 Rn. 7; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 37 Rn. 22). Vorliegend ist jedoch nur für einzelne Streitgegenstände ein Gerichtsstand bestimmt worden. Daher ist die Akte dem Landgericht Augsburg zuzuleiten, bei dem der Rechtsstreit zunächst insgesamt anhängig bleibt. Die Entscheidung darüber, ob der Rechtsstreit, soweit eine Bestimmungsentscheidung getroffen wurde, abgetrennt und verwiesen werden soll (§ 145 Abs. 1, § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO) oder das Verfahren – ohne Abtrennung – auch hinsichtlich derjenigen Forderungen, die die Kaution und die Nebenkostenabrechnung zur Grundlage haben, gemäß § 281 ZPO an das sachlich ausschließlich zuständige Amtsgericht Augsburg, § 23 Nr. 2 Buchst. a) GVG, verwiesen werden soll (§ 281 Abs. 1 ZPO), obliegt der Antragstellerin (vgl. BGH WM 2021, 40 Rn. 65). Die Antragstellerin hat einen entsprechenden Verweisungsantrag im Bestimmungsantrag bereits in Aussicht gestellt.
36
Im Hinblick auf die teilweise Zurückweisung des Bestimmungsantrags ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957).