Inhalt

VG München, Beschluss v. 11.04.2024 – M 26a S 23.4202
Titel:

Teilweise erfolgreicher Eilantrag, Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz bei einem Schüler, Zwangsgeldandrohung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 20 Abs. 12
IfSG § 20 Abs. 9
VwZVG Art. 31
Schlagworte:
Teilweise erfolgreicher Eilantrag, Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz bei einem Schüler, Zwangsgeldandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 9111

Tenor

I. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Antragsteller tragen 9/10, die Antragsgegnerin 1/10 der Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verpflichtung, für ihr am … August 2013 geborenes Kind M. A. (im Folgenden: Kind) einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern bzw. eine medizinische Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung nachzuweisen und gegen die damit verbundene Androhung eines Zwangsgeldes.
2
Ausweislich der Behördenakte erhielt die Antragsgegnerin am … Oktober 2020 von der Grundschule in M., welche das Kind der Antragsteller besuchte, die Meldung, dass für das Kind der Antragsteller noch kein Nachweis gemäß § 20 Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorgelegt wurde.
3
Mit Schreiben vom 7. Juli 2021 forderte die Antragsgegnerin die Antragsteller als Sorgeberechtigte ihres Kindes auf, den Nachweis der zwei erfolgten Masernschutzimpfungen zu erbringen und bot einen unverbindlichen ärztlichen Beratungstermin an. Laut einem Vermerk in der Behördenakte behauptete die Antragstellerin zu 2. am … Juli 2021 in einem Telefonat, den Nachweis der Schule vorgelegt zu haben. Die Antragstellerin zu 2. wollte in dem Telefonat gegenüber der Antragsgegnerin auch keine Auskunft geben, ob das Kind zwei Masernschutzimpfungen habe. Nach telefonischer Auskunft der Grundschule vom 14. Juli 2021 hatte die Grundschule jedoch keinen Nachweis über Masernschutzimpfungen erhalten.
4
Mit weiterem Schreiben vom 19. Oktober 2021 forderte die Antragsgegnerin die Antragsteller erneut auf, diesmal unter Fristsetzung bis spätestens 17. November 2021, den Nachweis der zwei erfolgten Masernschutzimpfungen zu erbringen, und bot wiederum einen unverbindlichen ärztlichen Beratungstermin an. Mit E-Mail vom … Oktober 2021 teilten die Antragsteller mit, dass es ein Kommunikationsproblem gegeben habe. Sie hätten den Nachweis bereits gegenüber dem Betreiber des Tagesheimplatzes für ihr Kind erbracht und seien davon ausgegangen, dass dieser Nachweis vom Tagesheim an die Schule gegeben worden sei. Erst im Nachhinein hätten sie erfahren, dass dies aus Datenschutzgründen nicht so gewesen sei. Sie seien deshalb nochmals am … September 2021 zur Schule gegangen und ihrer Nachweispflicht nachgekommen. Mit E-Mail vom 25. Oktober 2021 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Nachweis gegenüber der Antragsgegnerin zu erbringen sei, weil die Zuständigkeit hierfür mit der Meldung der Schule an das Gesundheitsamt auf die Antragsgegnerin übergegangen sei.
5
Am … Oktober 2021 legte der Antragsteller zu 1. anlässlich eines persönlichen Gesprächs mit einer Mitarbeiterin der Antragsgegnerin ein Attest von Herrn Dr. N. M. (Arzt für Allgemeinmedizin) vom … August 2020 vor. Darin bestätigt der Arzt, dass ihm das Kind der Antragsteller ärztlicherseits bekannt sei. Weiterhin wird bestätigt, dass für das Kind folgende Dokumente vorliegen: „1. eine Impfdokumentation nach § 22 Abs. 1 und 2 oder 2. ein ärztliches Zeugnis, auch in Form einer Dokumentation nach § 26 Abs. 2 Satz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, darüber, dass bei dem Vorgenannten ein nach den Maßgaben von Abs. 8 Satz 2 ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht, oder 3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass bei dem Vorgenannten eine Immunität gegen Masern vorliegt oder er aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann, und damit der erforderliche Nachweis nach dem Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernimpfschutzgesetz) erbracht ist.“
6
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 forderte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf das persönliche Gespräch die Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 26. November 2021 auf, durch Vorlage eines aktuellen aussagekräftigen Attestes nachzuweisen, ob eine medizinische Kontraindikation vorliegt, aufgrund derer eine Masernschutzimpfung nicht gegeben werden darf. Alternativ könne der Nachweis über einen ausreichenden Impfschutz oder eine Immunität mit Vorlage eines Nachweises, eines ärztlichen Zeugnisses über eine Immunität gegen Masern oder einer Bestätigung einer staatlichen Stelle oder eine Einrichtung darüber, dass ein solcher Nachweis bereits vorgelegt wurde, erbracht werden.
7
Am … November 2021 nahmen die Antragsteller an einem Beratungsgespräch mit der Antragsgegnerin zum Thema Masernimpfschutz für ihr Kind teil und legten der Antragsgegnerin lediglich zur Einsichtnahme ein weiteres Attest für ihr Kind vor, in dem ohne weiterführende Angaben eine dauerhafte Kontraindikation gegen eine Masernimpfung attestiert wurde (nicht aktenkundig).
8
Mit Schreiben vom 29. November 2021 wies die Antragsgegnerin das von den Antragstellern vorgelegte ärztliche Attest zurück, weil es keine Angaben zur Art der Kontraindikation enthalte. Die Antragsteller wurden unter Fristsetzung bis zum 31. Januar 2022 aufgefordert, einen ärztlichen Bericht zu der Art der medizinischen Kontraindikationen vorzulegen und den ausstellenden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
9
Mit Schreiben vom … Januar 2022 teilten die Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass sie ihrer Nachweispflicht nach „§ 20 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 12 Satz 2“ IfSG nachgekommen seien. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz habe ihnen auf Anfrage bestätigt, dass ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer Kontraindikation lediglich Angaben zur zeitlichen Dauer von Kontraindikationen, nicht aber Angaben zum medizinischen Grund der Kontraindikation aufweisen müsse. Sie seien daher nicht verpflichtet, die Schweigepflichtsentbindungserklärung zu unterschreiben und ärztliche Befunde zur Art der medizinischen Kontraindikationen vorzulegen.
10
Mit Schreiben vom 3. Februar 2022 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass sie die mit Schreiben vom … Januar 2022 übermittelte Rechtsauffassung der Antragsteller nicht teile und forderte sie erneut auf, den ärztlichen Befundbericht zur Art der Kontraindikation mit Begründung bis zum 21. Februar 2022 vorzulegen.
11
Am … Februar 2022 legten die Antragsteller im Rahmen eines persönlichen Gespräches die schriftliche Auskunft des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz vor (nicht aktenkundig).
12
Mit Schreiben vom 28. Februar 2022 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass der Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 12 Satz 2 IfSG für das Kind der Antragsteller mit Stand … Februar 2022 nicht erbracht sei. Zum aktuellen Zeitpunkt werde von weiteren Maßnahmen zur Nachweispflicht durch die Antragsgegnerin abgesehen. Ein Beratungsgespräch zum Masernschutzgesetz sei am … November 2021 durchgeführt worden.
13
Mit Schreiben vom 9. Mai 2023 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass sie beabsichtige, eine zwangsgeldbewehrte und gebührenpflichtige Anordnung zur Vorlage des erforderlichen Nachweises gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG zu erlassen. Die Antragsteller könnten diese vermeiden, wenn sie bis zum 9. Juni 2023 die entsprechenden Nachweise für ihr Kind nachreichen würden. Gleichzeitig erhielten die Antragsteller gemäß Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) Gelegenheit, sich innerhalb der gleichen Frist zum beabsichtigten Erlass der Anordnung zu äußern.
14
Mit Schreiben vom … Juni 2023 teilten die Antragsteller mit, dass sie das ärztliche Zeugnis mit Erfüllung der geforderten Anforderungen nachträglich bereits am … November 2021 bei dem persönlichen Termin vorgelegt hätten und sie somit der Nachweispflicht nachgekommen seien.
15
Mit Schreiben vom 14. Juni 2023 wies die Antragsgegnerin die Antragsteller darauf hin, dass – wie bereits mitgeteilt – der vorgelegte Nachweis vom … Oktober 2021 nicht die Anforderungen nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG erfülle. Insbesondere sei aufgrund der unspezifischen Formulierung des Nachweises nicht erkennbar, ob ein Impfschutz, eine Immunität oder eine Kontraindikation vorliege. Die Frist zur Vorlage eines Nachweises werde bis zum 30. Juni 2023 verlängert.
16
Mit Schreiben vom … Juni 2023 wiesen die Antragsteller darauf hin, dass sie am … November 2021 beim persönlichen Gespräch einen gegenüber dem Nachweis vom … Oktober 2021 aktualisierten Nachweis vorgelegt hätten und somit ihrer Nachweispflicht nachgekommen seien.
17
Mit Schreiben vom 4. Juli 2023 wies die Antragsgegnerin die Antragsteller erneut darauf hin, dass die von diesen vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht den Anforderungen nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG genügen, und forderte die Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 21. Juli 2023 zur Vorlage eines Nachweises auf.
18
Mit Schreiben vom … Juli 2023 wiesen die Antragsteller daraufhin, dass gemäß § 20 Abs. 9 IfSG ein Nachweis nur vorzulegen sei und dass laut der Datenschutz-Grundverordnung die Einsicht als Nachweis ausreiche. Daher fände die Antragsgegnerin auch keine Kopie des Nachweises in ihrer Akte. Die Vorlage und Einsicht sei der Mitarbeiterin der Antragsgegnerin am … November 2021 in dem persönlichen Termin gewährt worden, sodass die Antragsteller ihrer Nachweispflicht nachgekommen seien.
19
Mit Bescheid vom 24. Juli 2023, zugestellt am 26. Juli 2023, forderte die Antragsgegnerin die Antragsteller unter Ziffer I auf, bis zum 19. September 2023 einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG für ihr Kind vorzulegen. Gemäß Ziffer II des Bescheides sei diese Anordnung unter Ziffer I kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Für den Fall, dass die Antragsteller der Anordnung aus Ziffer I nicht spätestens bis 19. September 2023 nachkommen, wurde unter Ziffer III ein Zwangsgeld in Höhe von 400,00 EUR angedroht und sofort fällig gestellt. Gemäß Ziffer IV des Bescheides haben die Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. In Ziffer V des Bescheides setzte die Antragsgegnerin eine Gebühr in Höhe von 120,00 EUR und Auslagen je Zustellungsauftrag in Höhe von 2,49 EUR fest. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
20
Gegen diesen Bescheid ließen die Antragsteller mit Schreiben ihres Bevollmächtigten am … August 2023 Klage erheben und beantragten zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
21
Mit weiterem Bescheid vom 26. Oktober 2023, Zustelldatum nicht aktenkundig, nahm die Antragsgegnerin die Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des Bescheides vom 24. Juli 2023 zurück (Ziffer I). Die mit der Anforderung zur Nachweisvorlage verbundene Zwangsgeldandrohung sei zum Zeitpunkt des Erlasses aufgrund einer fehlenden Ermessensausübung rechtswidrig gewesen. Da keine Möglichkeit zur Heilung des Verfahrens bestanden habe, habe sich die Antragsgegnerin entschlossen, gemäß Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG Abhilfe zu schaffen. Gleichzeitig erließ die Antragsgegnerin für den Fall, dass die Antragsteller der in Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 festgelegten Nachweispflicht nicht bis spätestens 28. November 2023 nachkommen, erneut eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 400,00 EUR (Ziffer II). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
22
Mit Schriftsatz vom … November 2023 beantragten die Antragsteller auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich Ziffer II des Bescheides vom 26. Oktober 2023. Zudem erklärten die Antragsteller den Eilantrag hinsichtlich der Ziffer III des Bescheids vom 24. Juli 2023 für erledigt.
23
Mit weiterem Bescheid vom 13. Februar 2024, Zustelldatum nicht aktenkundig, nahm die Antragsgegnerin die Zwangsgeldandrohung in Ziffer II des Bescheides vom 26. Oktober 2023 zurück (Ziffer I). Die Zwangsgeldandrohung sei aufgrund einer nicht angemessenen Fristsetzung rechtswidrig gewesen. Da keine Möglichkeit der Heilung des Verfahrens bestanden habe, habe sich die Antragsgegnerin entschlossen, gemäß Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG Abhilfe zu schaffen. Gleichzeitig erließ die Antragsgegnerin für den Fall, dass die Antragsteller der in Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 festgelegten Nachweispflicht nicht bis spätestens 19. April 2024 nachkommen, erneut eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 400,00 EUR (Ziffer II). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom … Februar 2024 erklärten die Antragsteller den Eilantrag hinsichtlich der Ziffer II des Bescheides vom 26. Oktober 2023 für erledigt und beantragen nunmehr
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer I, II, IV und V des Bescheides vom 24. Juli 2023 und gegen Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 anzuordnen.
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Zur Begründung wird in mehreren und zum Teil umfangreichen Schriftsätzen mit einer Vielzahl von Anlagen im Wesentlichen ausgeführt, dass die streitgegenständlichen Bescheide rechtswidrig seien. Bereits die Rechtsgrundlage, nämlich das sog. „Masernschutzgesetz“ (BGBl. 2020, S. 148 ff.) sei verfassungswidrig und verstoße auch gegen die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies gelte ungeachtet der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022 – 1 BvR 469/20 u.a. –, weil sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht vollumfänglich mit sämtlichen Mängeln des Gesetzes auseinandergesetzt habe. Das Masernschutzgesetz sei formell verfassungswidrig. Das Masernschutzgesetz sei ein materiell-rechtliches Zustimmungsgesetz, welches zu Unrecht als Einspruchsgesetz behandelt worden sei. Im Masernschutzgesetz seien das Staatshaftungsrecht und Statusrechte von Beamten geregelt worden, zudem stelle die Durchsetzung einer Impfpflicht eine neue Aufgabe für die Landesbehörden dar und es werde in bestimmten Regelungen ein bestimmtes Verwaltungshandeln der Behörden vorgegeben. Das Masernschutzgesetz hätte daher gemäß Art. 72, 74 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. 74 Abs. 1 Nr. 25 und Nr. 27 GG sowie Art. 84 Abs. 1 GG in toto der Zustimmung des Bundesrats bedurft und sei daher nichtig. Das Masernschutzgesetz verstoße auch gegen das materielle Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, weil Eingriffe in die Grundrechte nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 und Abs. 7 GG vorlägen und diese nicht in § 20 IfSG zitiert würden. Es liege auch ein Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 GG vor, weil wesentliche Teile des Gesetzentwurfs vom nicht-öffentlich tagenden Gesundheitsausschuss des Bundestages stammten und nicht aus der Mitte des Bundestages, nicht vom Bundesrat und nicht von der Bundesregierung, wie von Art. 76 Abs. 1 GG gefordert. Gerade auch die vom Ausschuss vorgenommenen Änderungen seien dafür verantwortlich, dass das Gesetzespaket entgegen dem ursprünglichen Ansinnen der Bundesregierung zustimmungsbedürftig gewesen sei. Des Weiteren sei das Masernschutzgesetz auch materiell verfassungswidrig bzw. konventionswidrig. Insbesondere verstießen das Masernschutzgesetz und auch die erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 21. Juli 2022 gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), nämlich gegen Art. 6 (Fairness des Verfahrens) und Art. 8 EMRK (körperliche Unversehrtheit). Das Masernschutzgesetz benötige eine verfassungskonforme Auslegung, die über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022 hinausgehe. Insbesondere gebe es keine Belege für die These des Bundesverfassungsgerichts und auch des Gesetzgebers, dass es eine Vielzahl von Personen, insbesondere von vulnerablen Personen, gäbe, die sich nicht selbst durch eine Impfung schützen könnten. Es sei ein Skandal, dass diese Daten von den zuständigen Behörden nicht erhoben würden und gleichzeitig aber insbesondere im Rahmen der Gesetzesbegründung zur Rechtfertigung der Impfpflicht entsprechende Behauptungen aufgestellt würden. Insbesondere sei die Behauptung des Gesetzgebers bzw. des Bundesverfassungsgerichts für den Schulbereich bezüglich der Schüler und Lehrkräfte unzutreffend. Das angeblich angemessene Nutzen-Risiko-Verhältnis der Masernimpfpflicht stimme ersichtlich nicht. Angesichts nur weniger hundert jährlich auftretender Masernfälle und insgesamt ca. 83 Millionen zur Impfung verpflichteter Bürger überwiege das Risiko schwerer Impfkomplikationen – anders als vom Gesetzgeber behauptet – das Risiko schwerer Erkrankungskomplikationen deutlich. Massive Grundrechtseingriffe wie Beschulungsverbote (für ältere Schüler), Berufsverbote (für Lehrer und Ärzte) sowie mehrfach verhängbare Bußgeldbescheide oder gar Zwangsgeldbescheide seien bei einem derart ungünstigen negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht ansatzweise vertretbar oder gar angemessen. Beim Nutzen-Risiko-Verhältnis sei zudem zu berücksichtigen, dass die tatsächlichen Impfkomplikationen untererfasst seien, weil laut Studien maximal ca. 5 Prozent der tatsächlichen Impfkomplikationen gemeldet würden. Problematisch sei auch, dass die Masernimpfpflicht faktisch zu einer Masernkombi-Impflicht werde, weil man sein Kind wegen der verfügbaren Kombiimpfstoffe auch noch gegen harmlosere Erkrankungen (Mumps, Röteln) impfen lassen müsse. Es könne im Rahmen von mit Zwangsmitteln durchsetzbaren Impfungen vereinzelt zu Todesfällen kommen, gleichzeitig schränkten jedoch § 20 IfSG und auch Art. 40 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) das Grundrecht auf Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ausdrücklich ein. Dem Gesetzgeber sei ein derart massiver Grundrechtseingriff wie die Masernimpflicht auch aus dem Grund untersagt, weil nicht bekannt sei, ob die angestrebte Immunitätsquote von 95 Prozent bereits erreicht sei. Die Zahl der durch eine Erkrankung mit Masern natürlich immunisierter Personen sei nämlich nicht bekannt; hier gebe es insbesondere bedingt durch die hohe Zuwanderung in den letzten Jahren und durch die Verwendung nicht ausreichend sensitiver Antikörpertests eine völlig mangelhafte Datenlage. Zudem seien die Ausnahmeregelungen erkennbar viel zu restriktiv ausgestaltet, weil ungeimpfte Kinder mit Ablauf der Schulpflicht von jeder Abiturprüfung und damit jeglichem Studium ausgeschlossen würden. Es bestehe außerdem keine öffentliche Notstandslage, beispielsweise eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems, die ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich mache. § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG widerspreche der aktuellen Impfempfehlung der ständigen Kommission (STIKO). Während die STIKO die erste Impfung (MMR) in der Regel im Alter von 11 Monaten und die zweite Impfung im Alter von 15 Monaten, frühestens 4 Wochen nach der ersten Impfung empfehle, verlange § 20 Abs. 8 Satz 2 ab der Vollendung des 1. Lebensjahres mindestens eine Schutzimpfung und ab der Vollendung des 2. Lebensjahres mindestens zwei Schutzimpfungen gegen Masern. Nach der gesetzlichen Regelung müssten alle Personen, die bereits vor ihrem 2. Lebensjahr gemäß STIKO Empfehlung zweimal geimpft wurden, nach Vollendung ihres 2. Lebensjahres sogar noch zweimal geimpft werden, um das Gesetz zu erfüllen. Die streitgegenständlichen Bescheide seien darüber hinaus auch aus einzelfallspezifischen Erwägungen heraus unverhältnismäßig. Die Belange des Kindes der Antragsteller und der Antragsteller selbst würden im Einzelfall den vom Gesetzgeber beabsichtigten Gesundheitsschutz anderer deutlich überwiegen. An der Schule des Kindes der Antragsteller gäbe es nämlich keinen einzigen Lehrer, Schüler oder sonstigen Angestellten, der anerkanntermaßen schulmedizinisch masernimpfunfähig sei. Falls es eine impffähige, aber ungeimpfte Person geben sollte, könne sich diese durch eine Impfung selbst schützen. Mangels schutzbedürftiger Personen seien die negativen Folgen für das Kind der Antragsteller bzw. die Antragsteller (Eingriffe in das Recht auf Leben und Recht auf körperliche Unversehrtheit, Recht auf Beibehaltung des Aufenthaltsortes, Versagung der Abiturprüfung als unverzichtbare Vorstufe der Berufswahl, Eingriffe in das Recht auf Bildung) nicht zu rechtfertigen. Zudem könnten die Antragsteller bzw. ihr Kind nicht auf eine andere Schule ausweichen, weil auch dort das Masernimpfschutzgesetz gelten würde. Die Eingriffsintensität sei im Bereich der Schule bzw. Schulpflicht damit ungleich höher als im Kita-Bereich. Zudem fänden die Antragsteller keinen Arzt, der eine Kontraindikation im Sinne des Robert Koch-Instituts (RKI), der STIKO oder des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) bestätige. Auch die Fristsetzung vom 26. Juli 2023 (Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Juli 2023) bis zum 19. September 2023 sei angesichts der Ferienzeit und des von der STIKO empfohlenen Mindestabstands von vier Wochen zwischen den Impfungen unverhältnismäßig. Die Zwangsgeldandrohung sei rechtswidrig. Die Rechtsgrundlage § 20 IfSG könne bereits nicht dahingehend ausgelegt werden, dass zur Durchsetzung der Nachweispflicht Zwangsgelder eingesetzt werden dürften. Der Gesetzgeber habe keine mit Zwangsmitteln durchsetzbare Impfpflicht gewollt. Des Weiteren lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Zwangsgeldbescheid gegen die Antragsteller nicht vor. Zwangsgelder dürften nämlich nur angedroht werden, wenn die Erfüllung der begehrten Handlung nur und ausschließlich vom Adressaten des Zwangsgeldes abhänge. Hier sei aber noch der Wille des Kindes der Antragsteller zu berücksichtigen, welches die Impfung ablehne, und der Wille des die Impfung vornehmenden Arztes, der gegebenenfalls den körperlichen Widerstand des Kindes der Antragsteller brechen müsste. Die angegriffenen Bescheide enthielten zur Höhe des angedrohten Zwangsgeldes keine Ermessenserwägungen (Ermessensausfall). Zudem sei der Betrag des Zwangsgeldes in Höhe von 400 EUR alles andere als gering. Schließlich sei der Bescheid vom 13. Februar 2024 auch deshalb rechtswidrig, weil das gesetzlich erstmalige und einmalige Aufforderungsrecht, einen sogenannten Nachweis vorzulegen, für die Antragsgegnerin schon längst verbraucht sei. Bereits mit Schreiben vom 7. Juli 2021 seien die Antragsteller zur Nachweisvorlage aufgefordert worden. Ein Attest sei vorgelegt worden. Für eine erneute Nachweisanforderung gemäß Bescheid vom 24. Juli 2023 bestehe kein Raum.
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Die Antragsteller ließen mit Schriftsatz vom … Dezember 2023 insbesondere mitteilen, dass das Kind der Antragsteller nicht an einer von RKI, PEI oder STIKO anerkannten Krankheit, die höchst ausnahmsweise die Annahme einer Kontraindikation rechtfertige, leide. Der „Katalog“ der für eine medizinische Kontraindikation anerkannten Krankheiten sei viel zu eng bemessen. Die Antragsteller hätten daher keine realistische Chance, ein von der Antragsgegnerin anerkanntes Attest vorzulegen, so dass nur die Möglichkeit der Impfung bliebe.
28
Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2023 beantragt die Antragsgegnerin,
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den Antrag abzulehnen.
30
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag zwar zulässig, aber unbegründet sei. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Das sogenannte Masernschutzgesetz sei weder verfassungswidrig noch verstoße es gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK). Die Anordnung zur Nachweisvorlage unter Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 sei rechtmäßig ergangen und insbesondere verhältnismäßig. Die Vorlagefrist sei auf 8 Wochen angesetzt und im Bescheid sei auch der Hinweis enthalten gewesen, dass unter Angabe von zwingenden Gründen eine Fristverlängerung beantragt werden könne. Die Anordnung der Vorlage sei geeignet und auch erforderlich gewesen, um gegenüber den Antragstellern den Impfschutz gegen Masern abzufragen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sei der Nachweispflicht bisher nicht entsprochen. Die Antragsteller hätten wiederholt eine Kontraindikation gegen eine Impfung für ihr Kind geltend gemacht. Aus den bisher vorgelegten Unterlagen habe sich die Art der Kontraindikation jedoch nicht ergeben, sodass keine Plausibilitätsprüfung möglich gewesen sei. Die Klärung des Immunitätsstatus sei auch deshalb geboten, weil das Kind der Antragsteller für eine Tagesheimbetreuung angemeldet sei. Für eine solche Betreuung in einer Einrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG stehe durchaus ein Verbot nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG im Raum. Die Anordnung der Vorlage sei auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Der Gesetzgeber strebe mit den Regelungen des Masernschutzgesetzes auch eine dauerhafte Immunitätsquote in der Gesamtbevölkerung von 95% an. Soweit von den Antragstellern vorgetragen wird, dass aktuell in der Schule des Kindes keine vulnerablen impfunfähigen Personen zu schützen wären, sei zu berücksichtigen, dass es sich bei Schülern und Personal nicht um einen geschlossenen Personenkreis handele und dass das Kind der Antragsteller gegebenenfalls in eine (andere) weiterführende Schule wechsle. Die Antragsgegnerin habe keinerlei Anlass, die von der STIKO, RKI, PEI u.a. zur Verfügung gestellten Bewertungen und Empfehlungen zu den Impfstoffen, deren Wirksamkeit oder die Daten etwa zur deutschlandweiten Immunitätsquote in Zweifel zu ziehen. Das Kind der Antragsteller sei zwar derzeit und auf mittlere Sicht noch schulpflichtig. Es sei jedoch nicht absehbar, ob es nach dem Ende seiner Schulpflicht weiterhin eine Einrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG besuchen wird bzw. ob es tatsächlich zum Erlass eines im behördlichen Ermessen stehenden Betretungsverbots kommen wird. Schließlich sei aus Sicht der Antragsgegnerin kein gewichtiges privates Aufschubinteresse der Antragsteller erkennbar. Es bestehe weder die Möglichkeit, dem Kind den Schulbesuch zu untersagen, noch könne es zu einer Durchsetzung der Nachweisvorlage mittels unmittelbarem Zwang kommen. Auch die Durchsetzung der Nachweispflicht führe nicht zwangsläufig zu einem unumkehrbaren Eingriff in die körperliche Integrität des betroffenen Kindes, da nach Angaben der Antragsteller eine Impfunfähigkeit existiere. Des Weiteren sei die Zwangsgeldandrohung rechtmäßig, die Vollstreckungsvoraussetzungen lägen vor. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Antragsteller darauf beharrten, der Nachweispflicht bereits nachgekommen zu sein. Es dürfte daher davon ausgegangen werden, dass die verpflichtende Nachweisvorlage ohne Zwangsgeldandrohung zu keinerlei Erfolg führen würde. Die Androhung war insbesondere auch erforderlich, da nach der Durchführung des Beratungsgesprächs am … November 2021 weniger belastende Mittel nicht zur Verfügung standen. Das angedrohte Zwangsgeld von 400 EUR bewege sich am unteren Rand des von Art. 31 Abs. 2 VwZVG vorgesehenen Rahmens (bis 50.000 EUR). Auch ohne besondere Kenntnisse der Antragsgegnerin zur Einkommens und Vermögenssituation der Antragsteller sei die Androhung in dieser Höhe angemessen, denn es sei weder dargetan noch ersichtlich, dass damit die Grenze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsteller erreicht oder überschritten werde. Der vorliegende Sachverhalt weiche im Übrigen von dem Sachverhalt ab, der dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) in seinen Beschlüssen vom 15. Januar 2024 (Az. 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935) zugrunde lag. Vorliegend hätten die Antragsteller von Anfang an das Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation geltend gemacht, während der BayVGH über eine Konstellation entschieden habe, in der von den Antragstellern keine medizinische Kontraindikation geltend gemacht, sondern die Impfung abgelehnt wurde. Die streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung sei daher vorrangig auf die Vorlage eines Nachweises über die medizinische Kontraindikation gerichtet gewesen. Den Antragstellern verbleibe ein verfassungsrechtlich relevanter und individuell beeinflussbarer Freiraum, weil sie zur Feststellung der medizinischen Kontraindikation einen Arzt besuchen und das entsprechende Attest vorlegen könnten. Nur gegenüber Betroffenen, die nicht immun seien und die auch von Anfang an keine Kontraindikation geltend machen würden, sei nach dem Beschluss des BayVGH eine Zwangsmittelandrohung unzulässig. Das sei vorliegend aber nicht der Fall. Dass die Antragsteller nunmehr im Laufe des Verfahrens geltend machen, dass doch keine medizinische Kontraindikation vorliege und sie eine Impfung per se ablehnen, sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides vom Juli 2023 nicht zu berücksichtigen.
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Mit Schriftsatz vom 28. März 2024 stimmte die Antragsgegnerin den Teilerledigungserklärungen der Antragsteller zu.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, auch im Klageverfahren M 26a K 23.4176, und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat teilweise Erfolg.
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1. Hinsichtlich der Ziffer III des Bescheides vom 24. Juli 2023 sowie der Ziffer II des Bescheides vom 26. Oktober 2023 ist das Verfahren aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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2. Im Übrigen ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage nur teilweise zulässig. Hinsichtlich der Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 und bezüglich Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig, hinsichtlich der Ziffern II, IV und V des Bescheides vom 24. Juli 2023 hingegen unzulässig.
36
Hinsichtlich der Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023, mit welcher die Antragsteller aufgefordert werden, einen der aufgeführten Nachweise für ihr Kind vorzulegen, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zulässig, insbesondere statthaft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Bei der streitgegenständlichen Aufforderung gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Die Klage gegen diesen Verwaltungsakt hat gemäß § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG keine aufschiebende Wirkung.
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Bezüglich der Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024, mit welcher den Antragstellern ein Zwangsgeld angedroht wird, wenn sie der Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 nicht spätestens bis zum 19. April 2024 nachkommen, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG zulässig und insbesondere statthaft. Bei der Androhung eines Zwangsgeldes handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG (vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 393). Die Androhung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar, die Klage gegen diese Androhung hat keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG). Nach Art. 21a Satz 1 VwZVG haben nämlich Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich – wie vorliegend – gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden.
38
Hinsichtlich der Ziffer II des Bescheides vom 24. Juli 2023 („Die Anordnung unter Ziffer I ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar.“) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hingegen unzulässig. Der Antrag ist nicht statthaft, weil es sich bei Ziffer II dieses Bescheides nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Ziffer II des Bescheides verweist lediglich bezüglich der Ziffer I des Bescheides informatorisch auf die gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG, trifft aber keine Regelung eines Einzelfalls im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG.
39
Auch hinsichtlich der Ziffern IV und V des Bescheides vom 24. Juli 2023 („IV. Sie tragen die Kosten des Verfahrens.“ und „V. Für diese Anordnung wird eine Gebühr in Höhe von 120,- EUR festgesetzt; die Auslagen betragen je Zustellungsauftrag 2,49 EUR. …“) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage unzulässig. Es kann hierbei offenbleiben, ob es sich bei den Ziffern IV und V des Bescheides um eine Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt (vgl. zum Streitstand Schoch/Schneider/Schoch, 44. EL März 2023, VwGO § 80 Rn. 140-143 m.w.N.). Sieht man in den streitgegenständlichen Ziffern IV und V des Bescheides eine Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, wäre der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO unzulässig, weil die Antragsteller nach Aktenlage bei der Antragsgegnerin vorab keinen behördlichen Aussetzungsantrag gestellt haben und auch ein Fall von § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO nicht ersichtlich ist (vgl. HK-VerwR/Achim Bostedt VwGO § 80 Rn. 178-182). Sähe man hingegen in den streitgegenständlichen Ziffern IV und V des Bescheides keinen Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, dann wäre der gestellte Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unstatthaft, weil die eingereichte Anfechtungsklage bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hätte (vgl. BeckOK VwGO/Gersdorf, 68. Ed. 1.1.2024, VwGO § 80 Rn. 158).
40
3. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat hinsichtlich Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 keinen Erfolg (3.2), hinsichtlich Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 ist er jedoch begründet (3.3).
41
3.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für eine sofortige Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
42
3.2. Nach den unter 3.1. dargelegten Maßstäben ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 abzulehnen. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage (Az. M 26a K 23.4176) hat bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die streitgegenständliche Ziffer erweist sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43
a) Die in Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 getroffene Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG i. V. m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG.
44
Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Gemäß § 33 Nr. 3 IfSG gehören zu den Gemeinschaftseinrichtungen in diesem Sinne insbesondere Schulen. Trifft diese Verpflichtung wie im vorliegenden Fall eine minderjährige Person, so hat derjenige für die Einhaltung der diese Person treffenden Verpflichtungen gemäß § 20 Abs. 9 bis Abs. 12 IfSG zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Hierbei handelt es sich um eine vollständige Übertragung der Verpflichtung und nicht um eine bloße Vertretungsregelung des Kindes (BayVGH, B.v. 06.10.2021 – 25 CE 21.2383 -beckonline, Rn. 8). Bei der entsprechenden Aufforderung handelt es sich wie oben bereits ausgeführt um einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG (BayVGH, B.v. 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 – beckonline Rn. 13; BayVGH, B.v. 14.11.2023 – 20 CS 23.1937 – beckonline Rn. 2; BayVGH, B.v. 21.09.2023 – 20 CS 23.1432 – beckonline Rn. 2; BayVGH, B.v. 07.07.2021 – 25 CS 21.1651 – beckonline Rn. 9).
45
b) Das Gericht geht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass die Regelungen in § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG nicht derart offensichtlich verfassungswidrig sind, dass ihre Nichtanwendung im Eilverfahren in Betracht käme (vgl. BayVGH, B.v. 07.07.2021 – 25 CS 21.1651 – beckonline Rn. 10; siehe auch BayVGH, B.v. 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 – beckonline Rn. 26 und BayVGH, B.v. 15.01.2024 – 20 CE 23.1935 – beckonline Rn. 26 jeweils m.w.N.).
46
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind an die Nichtanwendung eines formellen Bundesgesetzes mit Blick auf das in Art. 100 Abs. 1 GG normierte Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts hohe Anforderungen zu stellen. Dieses verpflichtet ein Fachgericht, das ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für grundgesetzwidrig hält, jedenfalls im Hauptsacheverfahren dazu, das bei ihm geführte Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG jedoch kann in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Konflikt mit der Gewährung des durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantierten effektiven Rechtsschutzes geraten. Die Fachgerichte sollen daher nicht gehindert sein, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falls im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Entscheidung in der Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird (BVerfG, B.v. 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 – beckonline). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann indes nur in engen Grenzen ausgegangen werden, wobei die „Selbstermächtigung“ des Gerichts zur Verwerfung und Nichtanwendung einer als verfassungswidrig erkannten Norm im Eilverfahren die Ausnahme und auf die Fälle evidenter Verfassungswidrigkeit beschränkt bleiben muss. Bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm reichen diesbezüglich nicht aus (OVG Lüneburg, B.v. 13.9.2017 – 7 ME 77/17 – beckonline Rn. 5).
47
Das Gericht sieht vor diesem Hintergrund insbesondere keine evidente formelle Verfassungswidrigkeit der Regelungen in § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG, weil die entsprechenden Vorschriften dem Bundesverfassungsgericht bereits zur Prüfung vorlagen und von ihm explizit als formell verfassungsgemäß bewertet wurden. Insbesondere sah das Bundesverfassungsgericht keine Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates und auch keinen Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (B.v. 21.07.2022 – 1 BvR 470/20 – beckonline Rn. 84-91).
48
Das Gericht geht auch nicht von einer evidenten materiellen Verfassungswidrigkeit der Regelungen in § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG aus. Allein aus dem Umstand, dass die oben zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 21.07.2022 – 1 BvR 470/20 – beckonline) sich ausschließlich mit der Frage der Verfassungsgemäßheit der Nachweispflicht für Kinder in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter beschäftigt, kann nicht geschlossen werden, dass die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder offensichtlich verfassungswidrig ist. Zutreffend ist, dass der Nachweispflicht bei schulpflichtigen Kindern nicht wie bei Kindern in Kindertageseinrichtungen dadurch begegnet werden kann, dass die Kinder die Gemeinschaftseinrichtung nicht besuchen. Dennoch ergibt sich daraus nicht offensichtlich, dass die Nachweispflicht verfassungswidrig ist, auch wenn dadurch das Grundrecht der Antragsteller aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen ist (zur Betroffenheit des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vgl. BVerfG, a.a.O, Rn. 66 ff.). Denn es ist nicht offensichtlich, dass aufgrund der Schulpflicht ihres Kindes eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs nicht gegeben ist, da das verfolgte Ziel des Gemeinschaftsschutzes vor Maserninfektionen (vgl. dazu BVerfG, a.a.O., Rn. 106) auch in diesen Fällen mit dem Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Abwägung gebracht werden muss. Nach dem Gesetzentwurf zielen die gegenständlichen Vorschriften des Masernschutzgesetzes darauf ab, durch die Schutzimpfungen eine Infektion mit hochansteckenden Masern sowie die mit schweren Komplikationen bis hin zu Todesfällen verlaufenden Masernerkrankungen zu verhindern (vgl. BT-Drs 19/13452, S. 16). Es ist nicht evident, dass die verfahrensgegenständlichen Regelungen zur Erreichung dieses Zweckes nicht verhältnismäßig wären. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere, dass es sich bei Masern um eine der ansteckendsten Krankheiten des Menschen überhaupt handelt, dass das Masernvirus bei fast allen ungeschützten Infizierten eine klinische Symptomatik auslöst und dass vor Einführung der Masernimpfungen zu Beginn der 1960er Jahre jährlich weltweit geschätzt 2-3 Millionen masernbedingte Todesfälle auftraten (Masern, RKI Ratgeber, https://www.rki.de/‌DE/Content/Infekt/‌EpidBull/‌‌Merkblaetter/‌Ratgeber_Masern.html). Zu berücksichtigen ist hierbei außerdem, dass ungeimpften schulpflichtigen Kindern der Schulbesuch gemäß § 20 Abs. 12 Satz 6 IfSG nicht untersagt werden kann und dass nach der hier vertretenen Auslegung von § 20 Abs. 12 IfSG (siehe unten 3.3) die Masernschutzimpfung nicht mittelbar durch die zwangsweise Durchsetzung der Nachweispflicht erzwungen werden darf, was das Gewicht des Eingriffs in das Grundrecht der Antragsteller aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im Ergebnis deutlich abmildert.
49
c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids ist der Zeitpunkt seines Erlasses (BayVGH, B.v. 07.07.2021 – 25 CS 21.1651 – beckonline Rn. 11 f., BayVGH, B.v. 14.11.2023 – 20 CS 23.1937 – juris Rn. 4). Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung eines Verwaltungsaktes sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht richtet (Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 113 Rn. 55 m.w.N. zur stRspr.). Den hier maßgeblichen § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass es für die gerichtliche Beurteilung einer Aufforderung im Sinne von § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG, einen Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen, auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ankäme. Vielmehr deutet das von § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG vorgesehene Verfahren für den Fall, dass ein Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist nicht vorgelegt wird oder sich aus dem Nachweis ergibt, dass ein Impfschutz gegen Masern erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist oder vervollständigt werden kann, darauf hin, dass ein nach Aufforderung vorgelegter Nachweis die Rechtmäßigkeit der entsprechenden ursprünglichen Aufforderung durch das Gesundheitsamt zwar die weitere Vorgehensweise des Gesundheitsamts bestimmt, die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Aufforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG aber unberührt lässt.
50
d) Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 ist aller Voraussicht nach formell rechtmäßig. Die maßgeblichen Verfahrensvorschriften wurden eingehalten. Insbesondere wurden die Antragsteller vor Erlass des Bescheides vom 24. Juli 2023 mit Schreiben vom … Mai 2023 ordnungsgemäß gemäß Art. 28 BayVwVfG angehört.
51
e) Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 ist aller Voraussicht nach auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anforderung eines Nachweises nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG i. V. m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG sind nach summarischer Prüfung vorliegend erfüllt.
52
Das minderjährige Kind der Antragsteller besuchte am … Juli 2023 eine Schule in M. und wurde daher in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) im Bezirk der Antragsgegnerin betreut. Hieraus ergibt sich die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG.
53
Die Antragsteller haben die Nachweisverpflichtung vor Erlass von Ziffer I des Bescheides vom 24. Juli 2023 nicht erfüllt. Insbesondere haben sie kein den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genügendes ärztliches Zeugnis darüber, dass ihr Kind aufgrund einer medizinischen Kontraindikationen nicht geimpft werden könne, vorgelegt.
54
Die Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine Kontraindikation ergeben sich aus der Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere aus der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck von § 20 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG kann das Gesundheitsamt bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises unter anderem eine ärztliche Untersuchung im Hinblick auf die medizinische Kontraindikation anordnen. Das Attest muss daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Nicht ausreichend ist ein ärztliches Attest, dass lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege (vgl. BayVGH, B.v. 07.07.2021 – 25 CS 21.1651 – beckonline Rn. 14 f. mit Verweis auf SächsOVG, B.v. 05.05.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.; VG Meiningen, B.v. 10.11.2020 – 2 E 1144/20 – beckonline Rn. 21 f.; ebenso VG Regensburg, B.v. 19.07.2023 – RN 5 S 23.1198 – beckonline Rn. 25 f.; VG Ansbach, B.v. 28.05.2021 – AN 18 S 21.00932 – beckonline Rn. 20 f.; Gerhardt, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20 Rn. 55a; Kießling/Gebhard, 3. Aufl. 2022, IfSG § 20 Rn. 50; differenzierend BeckOK InfSchR/Aligbe, 19. Ed. 1.1.2024, IfSG § 20 Rn. 222a). Ein inhaltlich unrichtiges oder nicht plausibles Attest erfüllt daher die Vorlagepflicht nicht.
55
Diesen Anforderungen werden die bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses von den Antragstellern vorgelegten ärztlichen Atteste nicht gerecht. Das von den Antragstellern am … Oktober 2021 vorgelegte Attest von Dr. N. M. vom … August 2020 lässt nicht erkennen, ob ein Impfschutz, eine Immunität oder eine medizinische Kontraindikation beim Kind der Antragsteller vorliegen soll. Die durch die gesetzlichen Regelungen vorgesehene Plausibilitätskontrolle dieses Attestes war der Antragsgegnerin nicht möglich. Auch das von den Antragstellern am … November 2021 vorgelegte, lediglich zur Einsichtnahme der Antragsgegnerin und nicht aktenkundige, weitere – offenbar ebenfalls von Dr. N. M. ausgestellte – Attest ermöglichte der Antragsgegnerin offensichtlich keine solche Plausibilitätskontrolle. Ausweislich des Schreibens der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 bzw. des Entwurfs eines Schreibens der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 an Dr. M. scheint das am … November 2021 vorgelegte Attest lediglich die Angabe zu beinhalten, dass eine medizinische Kontraindikation bestehe, jedoch keine weiteren Angaben zu deren Art. Bereits aus diesem Grunde war der Antragsgegnerin die erforderliche Plausibilitätskontrolle bis zum Bescheiderlass nicht möglich. Des Weiteren war eine Plausibilitätskontrolle dieses zweiten Attests durch die Antragsgegnerin auch deshalb nicht möglich, weil das Attest durch die Antragsteller am … November 2021 nach Aktenlage offensichtlich nur gezeigt, nicht aber zur Prüfung überlassen wurde. Schließlich war der Antragsgegnerin die Plausibilitätskontrolle auch deshalb verwehrt, weil die Antragsteller der von der Antragsgegnerin gewünschten Entbindung von Dr. M. von der ärztlichen Schweigepflicht nicht zustimmten.
56
Die streitgegenständliche Aufforderung leidet auch nicht unter Ermessensfehlern. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG gewährt dem Gesundheitsamt sowohl einen Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen (Gerhardt, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20 Rn. 119), welches sowohl hinsichtlich des Entschließungsermessens als auch hinsichtlich des Auswahlermessens gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich auf Ermessensfehler überprüft werden kann. Nach summarischer Prüfung hat die Antragsgegnerin sowohl ihr Entschließungsermessen („Ob“ einer Anforderung) als auch ihr Auswahlermessen („Wie“ einer Anforderung) ermessensfehlerfrei ausgeübt. Vor dem Hintergrund des vom Gesetzgeber mit der Nachweispflicht verfolgten Ziels, nämlich den Schutz vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung zu verbessern, ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragsteller überhaupt zur Vorlage eines Nachweises zu verpflichten, nicht zu beanstanden, da die Antragsteller trotz vielfacher Aufforderungen der gesetzlichen Nachweispflicht für ihr Kind nicht nachgekommen sind. Die Anforderung ist verhältnismäßig, insbesondere ist sie zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet und sind mildere Mittel nicht ersichtlich. Insbesondere hat sich die Vorlagepflicht nicht durch das Beratungsgespräch vom … November 2021 erledigt, weil die Anforderung eines Masernschutznachweises – auch ohne die Möglichkeit der Androhung eines Zwangsgeldes (siehe unten 3.3) – beispielsweise gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 7d IfSG eine Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes gegen die Antragsteller darstellen kann. Auch die Ausgestaltung der streitgegenständlichen Anforderung ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 24. Juli 2023 (zugestellt am 26. Juli 2023) gesetzte Erfüllungsfrist bis zum 19. September 2023 noch ausreichend. Die den Antragstellern gesetzte Frist betrug ab Zustellung des Bescheides mehr als siebeneinhalb Wochen. Auch unter Berücksichtigung des vom Robert Koch-Institut empfohlenen Mindestabstands zwischen den beiden Impfungen von vier Wochen (siehe zuletzt Robert Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin 4/2024 vom 25. Januar 2024, Seite 48; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/04_24.pdf) und der Ferienzeit vom 31. Juli bis 11. September 2023 ist weder konkret vorgetragen noch sonst für das Gericht ersichtlich, warum die Antragsteller nicht genügend Gelegenheit gehabt haben sollten, die beiden Masernschutzimpfungen ihres Kindes vornehmen zu lassen, falls die behauptete medizinische Kontraindikation nicht bestanden haben sollte bzw. nicht mit einem aussagekräftigen Attest belegt werden konnte.
57
3.3. Nach den unter 3.1. dargelegten Maßstäben ist hingegen die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 anzuordnen.
58
Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 400,00 EUR durch Ziffer II. des Bescheides vom 13. Februar 2024 verstößt bei summarischer Beurteilung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten.
59
Das Gericht verweist insoweit auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 15. Januar 2024 (BayVGH, B.v. 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 – beckonline, Rn. 25 ff.) und macht sich die dortigen Ausführungen zu eigen.
60
Auch die Einwände der Antragsgegnerin rechtfertigen keine andere Entscheidung. Soweit die Antragsgegnerin insbesondere darauf abstellt, dass die streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung vom 13. Februar 2024 vorrangig auf die Vorlage eines Nachweises über die geltend gemachte medizinische Kontraindikation gerichtet gewesen sei, den Antragstellern ein verfassungsrechtlich relevanter Freiheitsraum verbleibe und sich der Sachverhalt insoweit von dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Sachverhalt unterscheide, erachtet das Gericht dies bezüglich der streitgegenständlichen Zwangsgeldandrohung vom 13. Februar 2024 als unzutreffend. Da am 13. Februar 2024 – zwischen den Beteiligten unstreitig – weder eine anerkannte medizinische Kontraindikation gegen eine Masernschutzimpfung noch eine Immunität gegen Masern vorlag, verblieb den Antragstellern bei einem schulpflichtigen Kind im Ergebnis kein verfassungsrechtlich relevanter Freiheitsraum mehr, sich gegen eine Impfung ihres Kindes zu entscheiden. Der streitgegenständliche Sachverhalt ist insoweit mit dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Sachverhalt vergleichbar. Die Antragsteller hatten nämlich bereits mit Schriftsatz vom … Dezember 2023 vorgetragen, dass ihr Kind keine Krankheit aufweise, die von RKI, PEI oder STIKO als Grund für eine medizinische Kontraindikation anerkannt werde und dass sie deshalb keine realistische Chance hätten, ein von der Antragsgegnerin anerkanntes Attest vorzulegen. Spätestens mit diesem Eingeständnis hätte deshalb auch die Antragsgegnerin bei Erlass der (erneuten) Zwangsgeldandrohung am 13. Februar 2024 erkennen müssen, dass sie mit dieser Zwangsgeldandrohung die Antragsteller letztlich entgegen der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung von § 20 Abs. 12 IfSG mittelbar zu einer Impfung des Kindes zwingen würde.
61
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 161 Abs. 2, 154 VwGO.
62
Bei der Festlegung der Quote wurde berücksichtigt, dass die Antragsteller bei einem Gesamtstreitwert in Höhe von 2.500 Euro anteilig in Höhe eines Streitwerts von 300,00 EUR obsiegt haben.
63
Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist über die Kosten des Verfahrens gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies betrifft Ziffer III des Bescheides vom 24. Juli 2023 und Ziffer II des Bescheides vom 26. Oktober 2023. Billigem Ermessen entspricht es, diesbezüglich der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen, weil die beiden Zwangsgeldandrohungen wegen fehlender Ermessensausübung bzw. nicht angemessener Fristsetzung rechtswidrig waren und von der Antragsgegnerin jeweils gemäß Art. 48 BayVwVfG zurückgenommen wurden. Der hierfür (für die Ermittlung der Quotelung) anzusetzende Streitwert beträgt insgesamt 200,00 EUR, da gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.7.1 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei der Androhung von Zwangsmitteln ein Viertel des festzusetzenden Zwangsgeldes beträgt, insgesamt 800,00 Euro Zwangsgelder angedroht wurden und ein Fall der Vorwegnahme der Hauptsache nach Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog nicht ersichtlich ist.
64
Auch hinsichtlich Ziffer II des Bescheides vom 13. Februar 2024 ist die Antragsgegnerin unterlegen. Der diesbezüglich (für die Ermittlung der Quotelung) anzusetzende Streitwert beträgt 100,00 EUR, da gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.7.1 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei der Androhung von Zwangsmitteln ein Viertel des festzusetzenden Zwangsgeldes beträgt und ein Zwangsgeld in Höhe von 400,00 EUR angedroht wurde und ein Fall der Vorwegnahme der Hauptsache nach Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog nicht ersichtlich ist.
65
Hinsichtlich Ziffern I, II, IV und V des Bescheides vom 24. Juli 2023 sind die Antragsteller unterlegen. Hierfür ist der Streitwert gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (für die Ermittlung der Quotelung) auf 2.200 Euro (2.500 Euro abzüglich des Streitwerts der drei Zwangsgeldandrohungen) anzusetzen.
66
5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.3, 1.5 und 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei auf die obigen Ausführungen unter 4. Bezug genommen wird. Im Hinblick darauf, dass die Antragsteller untereinander familiär verbunden sind und die streitgegenständlichen Bescheide, die beide Antragsteller als Adressaten ausweisen, als Rechtsgemeinschaft bekämpfen, ist der für den Streitgegenstand angemessene Streitwert von 2.500,00 EUR nur einmal zu berücksichtigten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 28.10.2021 – 25 CE 21.2628 – juris Rn. 4). Im Hinblick darauf, dass die Zwangsgelder jeweils neben einer Grundverfügung angedroht wurden, bleiben diese bei der Streitwertfestsetzung gemäß Nr. 1.7.2 Streitwertkatalog außer Betracht, erhöhen also den Gesamtstreitwert nicht.