Inhalt

OLG München, Endurteil v. 25.01.2024 – 24 U 2706/19
Titel:

Behandlungsfehler aufgrund Sauerstoffunterversorgung bei einer zahnärztlichen Behandlung

Normenketten:
BGB § 630a Abs. 2
ZPO § 286 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Zur Bedeutung medizinischer Richt- und Leitlinien für die Bestimmung des medizinischen Standards. (Rn. 29 – 41)
2. Nachweis der Schadenskausalität eines ärztlichen Behandlungsfehlers im Wege des Ausschlussverfahrens. (Rn. 56 – 74)
3. Nicht zwingend veranlasstes zweimaliges Hantieren an einem Narkosegerät nach einer Behandlung, während derer es zu einer Sauerstoffunterversorgung der Patientin gekommen war, als Beweisvereitelung. (Rn. 92)
Auch wenn der "grobe Behandlungsfehler" ein Rechtsbegriff ist, darf das Gericht im Arzthaftungsprozess einen solchen Fehler nicht ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Wertung bejahen. Es bedarf also eines Zusammenwirkens zwischen Gericht und Sachverständigem dergestalt, dass das Gericht dem Sachverständigen die begriffliche Bedeutung des Rechtsbegriffs "grober Behandlungsfehler" erläutert und der Sachverständige dann erklärt, ob die Merkmale dieses Begriffs aus seiner fachlichen Sicht erfüllt sind oder nicht. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behandlungsfehler, Schadensersatz, Narkose, Kausalität, Beweisvereitelung
Vorinstanz:
LG Augsburg, Grund- und Teilurteil vom 08.05.2019 – 072 O 69/14
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 58/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 903

Tenor

1. Die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) einerseits und der Beklagten zu 3) andererseits gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Augsburg vom 08.05.2019, Az. 072 O 69/14, werden zurückgewiesen.
2. Die Beklagten zu 1) bis 3) haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
3. Dieses Urteil ist ebenso wie das in Nr. 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin oder die Streithelferin wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin oder die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die am ... 2000 geborene Klägerin begehrt wegen behaupteter Behandlungsfehler im Rahmen einer am 28.04.2007 zum Zweck einer Zahnbehandlung durchgeführten Anästhesie Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass die Beklagten ihr als Gesamtschuldner zum Ersatz aus der Behandlung resultierender künftiger materieller und nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden verpflichtet seien.
2
Nachdem die aufgrund Vertrags mit den Beklagten zu 1) und 2) (Betreibern einer Tagesklinik für Anästhesie) am Behandlungstag in den Räumlichkeiten der Zahnklinik A. in A. tätige Beklagte zu 3) die Narkose der Klägerin eingeleitet hatte, begann die Streithelferin gegen 14:55 Uhr mit der Zahnbehandlung. Etwa 15 Minuten später kam es zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut (im Folgenden auch: Hypoxie) und infolge dessen zu einer bleibenden Hirnschädigung bei der Klägerin; nachdem die Klägerin durch den gegen 15:33 Uhr eingetroffenen Rettungsdienst vom während der Behandlung verwendeten Beatmungsgerät getrennt und an das Gerät des Rettungsdienstes angeschlossen worden war, stabilisierte sich die Situation umgehend und stieg die Sauerstoffsättigung im Blut der Klägerin wieder an.
3
In der Berufungsinstanz ist zwischen den Parteien noch streitig, ob die Aufrechterhaltung der zu niedrigen Sauerstoffsättigung und in der weiteren Folge der aufgetretene Hirnschaden darauf zurückzuführen sind, dass die Beklagte zu 3) es unterlassen hat, die Klägerin nach Eintritt des Abfalls der Sauerstoffsättigung vom Beatmungsgerät zu trennen, und ob in dieser Unterlassung ein Behandlungsfehler zu sehen ist. Die weiteren im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe spielen im Berufungsverfahren keine Rolle mehr.
4
Das Landgericht hat nach
- Beiziehung der Ermittlungsakte 500 Js 116636/07 (ursprüngliches Az. 200 Js 116636/07) der Staatsanwaltschaft Au. (Verfügung vom 12.06.2014, Bl. 63 f. d. A.) mit den Gutachten der anästhesiologischen Sachverständigen
- Professor Dr. Zw. vom 14.12.2007 (Bl. 168/181 der Ermittlungsakte [Band I]) und vom 29.04.2008 (Bl. 253/260 der Ermittlungsakte [Band II]) und
- Professor Dr. Sch vom 11.07.2012 (Bl. 342/402 der Ermittlungsakte [Band II]) und vom 05.02.2013 (Bl. 486/516 der Ermittlungsakte [Band III]);
- mündlichen Verhandlungen vom 08.07.2015 mit informatorischer Anhörung des Beklagten zu 1) (Protokoll Bl. 117/119 d. A.) und vom 15.07.2015 mit informatorischer Anhörung der Beklagten zu 3) (Protokoll Bl. 123/126 d.A.);
- Einholung anästhesiologischer Gutachten des Sachverständigen Dr. St. vom03.07.2016 (Bl. 142/159 d. A.) und vom 26.02.2017 (Bl. 184/196 d. A.) aufgrund Beweisbeschlusses vom 07.08.2015 (Bl. 129/131 d. A.) bzw. Verfügung vom 22.09.2016 (Bl. 179 d. A.);
- mündlicher Anhörung des Sachverständigen Dr. St. und Einvernahme der bei der Behandlung als Narkoseschwester tätig gewordenen Zeugin Ba. in der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2017 (Protokoll Bl. 211/218 d. A.);
- Einholung eines neuropädiatrischen Gutachtens des Sachverständigen P. Dr. St. vom 24.09.2018 (Bl. 281/285 d. A., redaktionell korrigierte Fassung Bl. 300/305 d. A.) aufgrund Beweisbeschlusses vom 31.01.2018 (Bl. 255/256 d. A.; hinsichtlich der Person des Sachverständigen geändert gemäß Beschluss vom 17.04.2018, Bl. 269/269 Rs. d. A.);
- weiterer mündlicher Verhandlung am 27.03.2019 (Protokoll Bl. 314/316 d. A.)
mit Grund- und Teilurteil vom 08.05.2019 (Bl. 319/336 d. A.), der Bevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) zugestellt am 17.05.2019, dem Bevollmächtigten der Beklagten zu 3) zugestellt am 22.05.2019, ausgesprochen, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten dem Grunde nach gerechtfertigt ist, und festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen zukünftigen materiellen Schaden und allen weiteren zukünftigen unvorhersehbaren immateriellen Schaden aus Anlass der streitgegenständlichen Behandlung zu ersetzen, soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet.
5
Dabei hat das Landgericht
- im Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Beatmungsgerät nach Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut der Klägerin einen für den von der Klägerin erlittenen Hirnschaden kausalen Behandlungsfehler gesehen,
- weitere Behandlungsfehlervorwürfe verneint und
- die Frage einer mangelhaften Aufklärung (nur der Mutter und nicht auch des Vaters der Klägerin) mangels Entscheidungsrelevanz unerörtert gelassen.
6
Hinsichtlich des streitgegenständlichen Sachverhalts, der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und des Inhalts der Entscheidung im Einzelnen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
7
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) einerseits (eingegangen am 29.05.2019 und nach gewährter Fristverlängerung bis zum 19.08.2019 begründet mit an diesem Tage eingegangenem Schriftsatz) und der Beklagten zu 3) andererseits (eingegangen am 17.06.2019 und nach gewährter Fristverlängerung bis zum 22.08.2019 begründet mit am 19.08.2019 eingegangenem Schriftsatz). Beide Berufungen erstreben die vollständige Klageabweisung.
8
Die Beklagten zu 1) und 2) und die Beklagte zu 3) richten sich mit ihren Berufungen sowohl gegen die Feststellung des Landgerichts, das Unterlassen der Trennung vom Beatmungsgerät nach eingetretener Hypoxie sei ein Behandlungsfehler, als auch gegen die Annahme, dieses Unterlassen sei ursächlich für die Aufrechterhaltung der Hypoxie und den daraus resultierenden Hirnschaden. Zur Stützung ihres Vorbringens haben die Beklagten zu 1) und 2) mit Schriftsatz vom 13.07.2021 (Bl. 473/480 d. A.) ein anästhesiologisches Gutachten des Ärztlichen Direktors der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des O.-hospitals – Pädiatrisches Zentrum der L. S. –, Professor Dr. Kr., vom 04.03.2021 (Anlage B 3) sowie mit Schriftsatz vom 19.09.2022 (Bl. 565/571 d. A.) ein Ergänzungsgutachten des Professors Dr. Kr. vom 26.08.2022 (Anlage B 4) vorgelegt.
9
Im Einzelnen wird hinsichtlich des Vorbringens der Beklagten zu 1) und 2) im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.08.2019 (Bl. 361/371 d. A.), 10.06.2020 (Bl. 398 e/398 g d. A.), 13.07.2021 (Bl. 473/480 d. A.), 28.12.2021 (Bl. 497/501 d. A.), 19.09.2022 (Bl. 565/570 d. A.), 01.09.2023 (Bl. 600/603 d. A.), gegebenenfalls nebst Anlagen, sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2020 (Bl. 399/411 d. A.) und vom 11.01.2024 (Bl. 607/609 d. A.) Bezug genommen.
10
Bezüglich des Vorbringens der Beklagten zu 3) im Berufungsverfahren wird im Einzelnen auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 19.08.2019 (Bl. 353/360 d. A.), 19.05.2020 (Bl. 396/398 d. A.), 23.06.2021 (Bl. 461/472 d. A.), 07.09.2021 (Bl. 490 d. A.), 28.12.2021 (Bl. 502 f. d. A.), 13.07.2022 (Bl. 554 f. d. A.), 08.08.2023 (Bl. 596 d. A.), gegebenenfalls nebst Anlagen, sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2020 (Bl. 399/411 d. A.) und vom 11.01.2024 (Bl. 607/609 d. A.) Bezug genommen.
11
Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen im Berufungsverfahren:
1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) und 2) wird das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Augsburg vom 08.05.2019 aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
12
Die Beklagte zu 3) beantragt im Berufungsverfahren:
I. Auf die Berufung der Beklagten zu 3) und Berufungsklägerin zu 3) wird das am 08.05.2019 verkündete Endurteil des LG Augsburg – AZ 072 O 69/14 – zugestellt am 22.05.2019 aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
13
Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen jeweils die Zurückweisung der Berufungen.
14
Hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihres bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten vom 31.10.2019 (Bl. 379/385 d. A.), 28.05.2021 (Bl. 457 f. d. A.), 30.11.2021 (Bl. 493 a f. d. A.) und vom 03.08.2023 (Bl. 589 B f. d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2020 (Bl. 399/411 d. A.) und vom 11.01.2024 (Bl. 607/609 d. A.) Bezug genommen.
15
Bezüglich des Vorbringens der nach Streitverkündung sowohl durch die Beklagten zu 1) und 2) als auch die Beklagte zu 3) (Schriftsätze vom 28.12.2021, Bl. 497/501 d. A. bzw. Bl. 502 f. d. A.) gemäß Schriftsatz vom 16.08.2023 (Bl. 598 d. A.) auf Seiten der Klägerin beigetretenen Streithelferin wird auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.02.2022 (Bl. 516/524 d. A.) und vom 16.08.2023 (Bl. 598 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2024 (Bl. 607/609 d. A.) Bezug genommen.
16
Der Senat hat
- nach vorbereitender Verfügung des Vorsitzenden vom 28.04.2020 (Bl. 393/395 d. A.) mit der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin, den Beklagten und den Parteivertretern am 08.10.2020 mündlich verhandelt und in diesem Rahmen die Beklagte zu 3) informatorisch angehört und den Sachverständigen Dr. St. zur Erläuterung seines Gutachtens angehört (Protokoll Bl. 399/411 d. A.);
- gemäß Beweisbeschluss vom 15.10.2020 (Bl. 413/415 d. A.) eine schriftliche Einvernahme der (späteren) Streithelferin als Zeugin gemäß § 377 Abs. 3 ZPO angeordnet, dem die Zeugin mit Schreiben vom 21.10.2020 (Bl. 418/419 Rs. d. A.) nachgekommen ist;
- gemäß Beweisbeschluss vom 11.11.2020 (Bl. 420/422 d. A.) ein allergologisches Gutachten der Sachverständigen P. Dr. We. erholt, welches diese mit Unterstützung des Leitenden Oberarztes Dr. Kr... (vgl. Bl. 435 d. A.) unter dem 04.05.2021 erstellt hat (Bl. 442/456 d. A.);
- gemäß Beweisbeschluss vom 13.08.2021 (Bl. 482/484 d. A.; präzisiert gemäß Beschluss vom 09.12.2021, Bl. 495 f. d. A.) ein ergänzendes anästhesiologisches Gutachten des Sachverständigen Dr. St. erholt, welches dieser unter dem 06.06.2022 erstellt hat (Bl. 533/548 d. A.);
- gemäß Beweisbeschluss vom 17.04.2023 (Bl. 573 f. d. A.) ein kinderradiologisches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. Ro. erholt, welches dieser unter dem 21.07.2023 erstellt hat (Bl. 583/586 d. A.);
- am 11.01.2024 erneut mit der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin, der Beklagten zu 3) und den Parteivertretern einschließlich des Prozessbevollmächtigten der Streithelferin mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 607/609 d. A.).
II.
17
Die ‒ jeweils zulässigen ‒ Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) einerseits und der Beklagten zu 3) andererseits sind unbegründet. Der Senat schließt sich auch in Anbetracht der Ergebnisse der von ihm vorgenommenen weiteren Beweiserhebungen dem angegriffenen landgerichtlichen Urteil sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis an. Auf der Grundlage des gesamten Verfahrensstoffs ist der Senat nach dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ‒ ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. zuletzt BGH vom 10.02.2022 ‒ VII ZR 396/21 ‒ juris Rn. 19) ‒ davon überzeugt, dass im Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Beatmungsgerät trotz eingetretener Hypoxie ein Behandlungsfehler zu sehen ist (s. unten zu Nr. 1), der zunächst für die Aufrechterhaltung der Hypoxie und sodann für den bei der Klägerin eingetretenen Hirnschaden kausal geworden ist (s. unten zu Nr. 2).
18
Daher ist die Beklagte zu 3) der Klägerin gemäß § 823 Abs. 1 i. V. m. § 249 Abs. 2 Satz 1, § 251 Abs. 1 und § 253 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig. Die Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1) und 2) ergibt sich aus § 280 Abs. 1 i. V. m. § 278 Satz 1 BGB sowie § 249 Abs. 2 Satz 1, § 251 Abs. 1 und § 253 Abs. 2 BGB. Die Beklagten zu 1), 2) und 3) haften als Gesamtschuldner (Grüneberg in Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 421 Rn. 11 m. w. N.).
19
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils hat das Landgericht zu Recht angenommen (Seite 17 des angegriffenen Urteils zu Nr. II, Bl. 335 d. A.).
20
1. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts (Seiten 8 f. des angegriffenen Urteils zu (2), Bl. 326 f. d. A.), dass die Beklagte zu 3) behandlungsfehlerhaft agierte, indem sie es trotz Abfalls der Blutsauerstoffkonzentration der Klägerin auf bis zu 40% unter Maskenbeatmung unterließ, die Klägerin vom Beatmungsgerät zu trennen und sie mit einer alternativen Methode zu beatmen.
21
a) Dabei stützt sich der Senat nicht nur auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten anästhesiologischen Sachverständigen Dr. St. im erstinstanzlichen Verfahren (Seiten 8 bis 10 des Gutachtens vom 03.07.2016, Bl. 149/151 d. A.; Seiten 6 f. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2017, Bl. 216 f. d. A.) und im Berufungsverfahren (Seiten 10 bis 12 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2020, Bl. 408/410 d. A.), sondern auch auf die Erläuterungen des im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren mit der Frage eines Behandlungsfehlers beauftragten Sachverständigen Professor Dr. Sch (Seiten 33 bis 37, 52 bis 54 und 61 des Gutachtens vom 11.07.2012, Bl. 374/378, 393/395 und 402 der Ermittlungsakte [Band II]; Seiten 12, 20 und 26 f. des Gutachtens vom 05.02.2013, Bl. 497, 505 und 511 f. der Ermittlungsakte [Band III]) und nicht zuletzt auch auf die Ausführungen des von den Beklagten zu 1) und 2) beauftragten Sachverständigen P. Dr. Kr., die qualifizierten Vortrag der Beklagten zu 1) und 2) darstellen (vgl. BGH vom 11.05.1993 – VI ZR 243/92 – juris Rn. 17) und aus deren Formulierung sich die Fehlerhaftigkeit des den Beklagten zu 1) und 2) gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnenden Unterlassens der Beklagten zu 3) besonders deutlich ergibt, wenn es (Seiten 63 f. des als Anlage B 3 vorgelegten Gutachtens vom 04.03.2021) heißt (Hervorhebung ergänzt): „Dass ein Wechsel auf ein anderes Beatmungsgerät erforderlich war, ist unstrittig […] Die Trennung vom Narkosegerät wäre sinnvoll gewesen, um auszuschließen, dass mit dem Narkosebeatmungsgerät keine Beatmung mit Sauerstoff möglich gewesen wäre. Selbst eine Mund-zu-Tubus-Beatmung wäre möglich gewesen, wenn kein Beatmungsbeutel vorhanden war (der laut Akten jedoch vorhanden war). Der Wechsel des Beatmungsgerätes in einer solchen Notfallsitutation ist ein Reflex, der jedem Anästhesisten antrainiert wird .“
22
Die genannten Ausführungen sämtlicher oben genannter anästhesiologischer Gutachter legen nachvollziehbar und verständlich dar, dass eine probatorische Diskonnektion der Klägerin vom Narkosegerät geboten war, nachdem der Sauerstoffgehalt im Blut der Klägerin auf bis zu 40% abgefallen war, ohne dass eine andere Ursache als ein Defizit im zugeführten Gasgemisch festgestellt werden konnte. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.
23
b) Die hiergegen insbesondere von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) – entgegen dem von ihr selbst vorgelegten Gutachten des Anästhesiologen Professor Dr. Kr. vom 04.03.2021 (Anlage B 3) – vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
24
aa) Zutreffend ist allerdings, dass der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zunächst mit der Begutachtung beauftragte anästhesiologische Sachverständige P. Dr. Zw. (Seiten 11 f. des Gutachtens vom 14.12.2007, Bl. 178 f. der Ermittlungsakte [Band I]) die Frage: „War die Behandlung von S. Y. nach Eintritt des Notfalles ordnungsgemäß (bezüglich aller beteiligten handelnder Personen)?“ auch bezüglich der hiesigen Beklagten zu 3) uneingeschränkt bejahte, ohne die Thematik einer probatorischen Diskonnektion der Klägerin vom Narkosegerät überhaupt anzusprechen (ebenso Seite 8 des Gutachtens vom29.04.2008, Bl. 260 der Ermittlungsakte [Band II]). Der Senat schließt sich dennoch den soeben zu Buchst. a) wiedergegebenen Ausführungen der anderen anästhesiologischen Gutachter an.
25
(1) Im Unterschied zu den Gutachtern Dr. St., Professor Dr. Sch und Professor Dr. Kr. hat sich der Gutachter Professor Dr. Zw. gar nicht explizit mit einer (möglichen, aber unterbliebenen) Trennung der Klägerin vom Narkosegerät befasst. Da er nicht ausgeführt hat, dass und warum eine Trennung vom Narkosegerät nicht erforderlich gewesen sei, sondern zu dieser Problematik gar nichts gesagt hat, liegt insoweit kein direkter Widerspruch zwischen den Aussagen der zu Buchst. a) genannten Gutachter einerseits und Professor Dr. Zw. andererseits vor. Es ist nicht ersichtlich, ob dieser an ein etwaiges schuldhaftes Unterlassen der Beklagten zu 3) insoweit gar nicht gedacht hat, oder ob er – ohne dies auch nur ansatzweise zu diskutieren – der Meinung war, eine Trennung vom Gerät sei nicht nötig gewesen.
26
(2) Selbst wenn man aus dem Ergebnis seiner Begutachtung, die Behandlung sei ordnungsgemäß gewesen, Letzteres schließen möchte, lässt sich dem diesbezüglichen bloßen Schweigen des Gutachters Professor Dr. Zw. keine Argumentation entnehmen, in deren Lichte sich die insoweit übereinstimmenden gegenteiligen Ausführungen der anderen Gutachter diskutieren ließen.
27
(3) Trotz des Problems, dass dem Schweigen des Professors Dr. Zw. keine Argumentation innewohnt, wurde der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. St. in der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020 von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) explizit damit konfrontiert, dass Professor Dr. Zw. in seinem Gutachten „auf die Frage einer Diskonnektion überhaupt nicht eingegangen“ sei, woraufhin der Sachverständige Dr. St. ausführte, er stimme mit Professor Dr. Zw. darin überein, dass eine 100%ige Sauerstoffzufuhr in der zyanotischen Situation sicherzustellen sei; wenn aber trotz Anzeige einer 100%igen Sauerstoffzufuhr eine Oxygenierung nicht eintrete, sei die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Sauerstoffzufuhr durch das Gerät nicht funktionierte (Seiten 11 f. des Protokolls, Bl. 409 f. d. A.). Damit hat der Sachverständige Dr. St. ausdrücklich auch mit Blick auf den Umstand, dass Professor Dr. Zw. die Frage einer Trennung der Klägerin vom Narkosegerät gar nicht angesprochen hat, noch einmal nachvollziehbar bekräftigt, dass und warum er (dennoch) eine solche für erforderlich hielt.
28
bb) Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und 2) macht weiter geltend, ein Behandlungsfehler könne im Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Narkosegerät deshalb nicht gesehen werden, weil die als Anlage B 2 vorgelegte (sowohl von Professor Dr. Sch als auch vom gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. St. in Bezug genommene) Empfehlung „Funktionsprüfung des Narkosegerätes bei geplantem Betriebsbeginn, bei Patientenwechsel im laufenden Betrieb und im Notfall“ der Kommission für Normung und technische Sicherheit der DGAI (vom Engeren Präsidium der DGAI am 10.11.2005 genehmigt) eine Diskonnektion vom Narkosegerät nur unter der Rubrik „Notfall“, nicht aber bei der hier einschlägigen Rubrik „Patientenwechsel“ empfehle. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
29
(1) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der zu einem bestimmten Aspekt zu wahrende medizinische Standard, wie er nunmehr in § 630a Abs. 2 BGB normiert ist, nicht zwingend mit dem Inhalt einer einschlägigen Aussage in einem bestimmten Regelwerk einer Institution aus der medizinischen Wissenschaft gleichzusetzen ist; dem Richter steht es frei, die erforderliche Standardkonkretisierung allein auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens vorzunehmen, ist aber gehalten, ein zur Bestimmung des Standards erholtes Sachverständigengutachten anhand vorgetragener einschlägiger Inhalte von Leitlinien oder anderen Verlautbarungen insbesondere der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (hier der DGAI) zu überprüfen (vgl. Igloffstein, Regelwerke für die humanmedizinische Individualbehandlung, Diss. Gießen 2003, Seiten 77 bis 85). In diesem Zusammenhang ist immer auch die Möglichkeit eines schlichten (redaktionellen) Fehlers der Verlautbarung im Blick zu halten (Igloffstein, a. a. O., Seiten 119 f.).
30
(2) Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. St. hat, im Berufungsverfahren mit der Behauptung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) zum angeblichen Inhalt der Empfehlung konfrontiert, ausgeführt (Seite 11 des Protokolls der Verhandlung vom 08.10.2020, Bl. 409 d. A.): „Der Kernsatz, dass bei einer Zyanose unklarer Ursache, wenn eine andere Erklärungsmöglichkeit nicht gesehen wird, eine Trennung vom Gerät zu erfolgen hat, gilt nach dem hier anzuwendenden Standard allgemein. Er ist nicht lediglich auf die Notfallsituation bezogen, in der eine vorherige Geräteprüfung durch den Anästhesisten nicht erfolgt war.“
31
Auch der im Ermittlungsverfahren tätig gewordene Sachverständige Professor Dr. Sch hat sich für seine Auffassung, eine pro-batorische Diskonnektion vom Gerät sei erforderlich gewesen, ausdrücklich auf die genannte Empfehlung bezogen (Seite 34 des Gutachtens vom 11.07.2012, Bl. 375 der Ermittlungsakte [Band II]).
32
(3) Nach Auffassung des Senats ergibt die textliche und systematische Analyse der von beiden Sachverständigen in Bezug genommenen Empfehlung, dass der von ihnen zitierte Passus schon nach dem Selbstverständnis der Empfehlung (entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) und 2)) nicht nur für den Fall eines Notbetriebs des Geräts (ohne vorherigen „Gerätecheck A“ oder „Gerätecheck W“), sondern allgemein gilt; der Fall, dass ein Sachverständiger geltend macht, der von ihm postulierte medizinische Standard verlange mehr oder anderes als in einem Regelwerk niedergelegt, liegt also gar nicht vor.
33
(a) Zutreffend ist, dass sich die als Anlage B 2 vorgelegte Empfehlung nach der Einleitung in vier Abschnitte gliedert, die mit „Sicherheitstechnische Kontrolle (STK)“, „Prüfung auf ordnungsgemäßen Zustand und Funktionsfähigkeit des Narkosegerätes nach Checkliste vor geplantem Betrieb (Gerätecheck A)“, „Prüfung auf ordnungsgemäßen Zustand und Funktionsfähigkeit des Narkosegerätes beim Patientenwechsel im laufenden Programm (Gerätecheck W)“ und „Funktionsprüfung der Geräte im Notfall (Gerätecheck N)“ überschrieben sind. Diese systematische Gliederung legt zunächst, im Sinne der Argumentation der Beklagten, die Erwartung nahe, dass sich die Ausführungen im zuletzt genannten Abschnitt sämtlich ausschließlich auf diejenigen Fälle beziehen sollen, in denen ein Narkosegerät in Betrieb genommen wird, ohne dass zuvor der A-Check bzw. (zwischen der Behandlung zweier Patienten im laufenden Programm) der W-Check durchgeführt wurde.
34
(b) Die textliche Analyse des Abschnitts bestätigt diese Erwartung jedoch nur teilweise.
35
(aa) Der Systematik entsprechend, wird der Abschnitt mit folgendem Satz eingeleitet: „Wird entsprechend den vorab dargestellten Empfehlungen die Funktion der Narkosegeräte nach Gerätecheck A überprüft, so kann davon ausgegangen werden, dass jedes Narkosegerät in ordnungsgemäßem, funktionsfähigem Zustand bereitgestellt wurde.“
36
(bb) Schon der nächste Satz lässt jedoch unmissverständlich erkennen, dass er sich auch auf den Fall bezieht, dass nach Durchführung des A-Checks ein Notfall auftritt, ein Notfallbetrieb des Geräts ohne vorherige Durchführung des (nach der Empfehlung vor jeder geplanten Inbetriebnahme des Geräts, jedenfalls aber einmal wöchentlich obligaten) A-Checks also nicht gegeben ist; denn es heißt weiter (Hervorhebungen ergänzt): „Dennoch ist nicht auszuschließen, dass zwischenzeitlich unsachgemäß am Gerät manipuliert wurde oder einzelne technische Funktionen ausgefallen sind .“
37
(cc) Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die nun folgenden Sätze – „Bei unmittelbar drohender vitaler Gefährdung eines Patienten stehen zwei Funktionen eines Narkosegerätes ganz im Vordergrund: die gesicherte Zufuhr von Sauerstoff und die sichere Möglichkeit der Beatmung.“ – nicht nur auf den Fall zu beziehen, dass die unmittelbar drohende vitale Gefährdung des Patienten bereits vor (notfallmäßiger) Inbetriebnahme des Narkosegerätes bestand, sondern auch auf den Fall, dass diese Gefährdung während des Gebrauchs des (planmäßig nach Durchführung des A-Checks in Betrieb genommenen) Geräts aufgetreten ist.
38
(dd) Die dieser Vorgabe folgende Formulierung der konkreten Handlungsanweisungen ist allerdings erkennbar auf den Fall der notfallmäßigen Inbetriebnahme des Geräts ohne vorherigen A-Check bezogen: „So muss die Funktionsprüfung im Notfall auf diese beiden Funktionen fokussieren: Nach Herstellung der Verbindung zur Gas- und Stromversorgung sowie Einschalten des Narkosegeräts und der Überwachungsgeräte ist das Sauerstoffventil an der Gasdosiereinrichtung zu öffnen und der Abstrom eines Gasflusses am Y-Stück zu verifizieren: Notüberprüfung der Funktion der Sauerstoffdosier-einrichtung3.“
39
(ee) Bei der am Ende dieses Passus' markierten Fußnote handelt es sich um die von den Sachverständigen Dr. St. und Professor Dr. Sch in Bezug genommene Aussage der Empfehlung: „Bei jeder Zyanose unklarer Ursache ist an die Möglichkeit zu denken, dass dem Patienten ein hypoxisches Gasgemisch zugeführt wird. Eine probatorische Diskonnektion vom Narkosegerät und Beatmung mit dem separaten Handbeatmungsbeutel wird in dieser Situation empfohlen […]“.
40
Aus Sicht des Senats kann diese Aussage – in Übereinstimmung mit der Auffassung der Sachverständigen Dr. St. und Professor Dr. Sch- nur so verstanden werden, dass sie sich auf jedweden Fall des Auftritts einer Zyanose unklarer Ursache unter der Narkosebehandlung bezieht. Die als Zyanose bezeichnete Blauverfärbung der Haut zeigt eine Unterversorgung des Blutes mit Sauerstoff an. Es ist nach dem Text der Fußnote (“Bei jeder Zyanose unklarer Ursache […]“ – Hervorhebung ergänzt) nicht ersichtlich, dass in diesem Fall an die Möglichkeit der Zufuhr eines hypoxischen Gasgemisches nur dann zu denken sei, wenn das Gerät ungeplant in Betrieb genommen wurde. Ein solches Verständnis erschiene dem Senat auch in der Sache unverständlich; wenn durch eine Zyanose eine lebensbedrohliche Sauerstoffunterversorgung des Blutes angezeigt wird, deren Ursache nicht geklärt werden kann (“unklarer Ursache“), während die Empfehlung ausdrücklich die Möglichkeit ausspricht, dass seit dem letzten A-Check an dem Gerät „einzelne technische Funktionen ausgefallen sind“, so ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund bei einer geplanten Inbetriebnahme des Gerätes bei Auftritt einer Zyanose unklarer Ursache an die Möglichkeit der Zufuhr eines hypoxischen Gasgemisches a priori nicht zu denken sein sollte.
41
(4) Die systematische Stellung des zitierten Fußnotentextes steht diesem Verständnis, wie dargelegt, nicht entgegen, wobei auch zu bedenken ist, dass es sich bei der Empfehlung nicht um einen Gesetzestext oder einen notariellen Vertrag, sondern um praktische Handlungsanweisungen für den behandelnden Anästhesisten handelt; der Klarheit der textlichen Aussage (“Bei jeder Zyanose unklarer Ursache“) ist daher der Vorrang zu geben gegenüber etwaigen Unschärfen bezüglich der systematischen Stellung dieser Aussage (im Abschnitt „Funktionsprüfung der Geräte im Notfall (Gerätecheck N)“). Im Übrigen erschiene eine solche Unschärfe als redaktioneller Fehler in der Empfehlung, deren Verfasser erkennbar zum Ausdruck bringen wollten, dass eine probatorische Diskonnektion bei jeder Zyanose unklarer Ursache empfohlen wird. Dass ein solches Vorgehen dem (bereits im Behandlungszeitraum einzuhaltenden) medizinischen Standard entsprach, haben die Sachverständigen Dr. St. und Professor Dr. Sch nachvollziehbar dargelegt.
42
2. Dieser Fehler – Nichttrennung der Klägerin vom Beatmungsgerät, obwohl die Sauerstoffkonzentration in ihrem Blut auf bis zu 40% abgefallen war – war kausal zunächst für die Aufrechterhaltung der Notfallsituation und sodann für den bei der Klägerin eingetretenen bleibenden Hirnschaden.
43
a) Der Senat sieht das Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Beatmungsgerät nicht als einen groben Behandlungsfehler an, der die Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Fehlers für den eingetretenen Primärschaden umkehrt (vgl. BGH vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 – juris Rn. 11; s. jetzt § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB).
44
aa) Ein Behandlungsfehler ist in diesem Sinne grob, „wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. zuletzt BGH vom 24.05.2022 – VI ZR 206/21 – juris Rn. 11), wobei es auf die subjektive Vorwerfbarkeit nicht ankommt (BGH vom 25.11.2011 – VI ZR 139/10 – juris Rn. 11). Auch wenn der „grobe Behandlungsfehler“ ein Rechtsbegriff ist, darf das Gericht im Arzthaftungsprozess einen solchen Fehler nicht „ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen […] aus eigener Wertung […] bejahen“ (BGH vom 29.05.2001 – VI ZR 120/00 – juris Rn. 10). Es bedarf also eines Zusammenwirkens zwischen Gericht und Sachverständigem dergestalt, dass das Gericht dem Sachverständigen die begriffliche Bedeutung des Rechtsbegriffs „grober Behandlungsfehler“ erläutert und der Sachverständige dann erklärt, ob die Merkmale dieses Begriffs aus seiner fachlichen Sicht erfüllt sind oder nicht.
45
bb) Danach ist im Unterlassen des Trennens der Klägerin vom Beatmungsgerät kein grober, sondern nur ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen.
46
(1) Allerdings erwecken die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. St. in seinem Erstgutachten vom 03.07.2016 (Seiten 16 f., Bl. 157 f. d. A.) den Eindruck, als verneine der Sachverständige die Grobheit des von ihm gesehenen Behandlungsfehlers nur mit Blick auf die – nicht maßgebliche – subjektive Notlage der Beklagten zu 3) („absolutes Horrorszenario“; „menschlich jedoch nur nachvollziehbar!“), um dann gleichwohl zu folgern, es könne nicht gesagt werden, dass der Fehler „aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine“.
47
Auch die Ausführungen des im Ermittlungsverfahren tätig gewordenen Sachverständigen Professor Dr. Sch (Seiten 52 bis 54, Bl. 393/395 der Ermittlungsakte [Band II]) erwecken den Eindruck, als seien es lediglich – nicht maßgebliche – subjektive Umstände („,Alptraumsituation'“; „von stressbedingter,Betriebsblindheit' gelähmt“), die ihn zu der Auffassung gelangen lassen, es sei „keinesfalls ein Fehler […] der schlechterdings völlig unverständlich ist“.
48
Schließlich deutet auch eine Formulierung im von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) als Anlage B 3 vorgelegten Gutachten des Ärztlichen Direktors der Klinik für Anästhesiologie am O.-hospital St., Professor Dr. Kr., vom 04.03.2021 (Seite 64) auf einen objektiv schlechterdings nicht mehr verständlichen Behandlungsfehler hin: „Der Wechsel des Beatmungsgerätes in einer solchen Notfallsituation ist ein Reflex, der jedem Anästhesisten antrainiert wird.“
49
(2) Der Senat hat den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. St. vor dem Hintergrund der genannten Formulierungen in seinem Erstgutachten, wie in der Verfügung des Vorsitzenden vom 28.04.2020 (Seiten 1 f., Bl. 393 f. d. A.) angekündigt, in der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020 noch einmal unter Darlegung des allein maßgeblichen objektiven Maßstabs zum Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers befragt. Dabei hat der Sachverständige, nachdem er wieder zunächst auf die Notfallsituation und den auf dem Anästhesisten lastenden Druck verwiesen hatte, weiter ausgeführt, „dass letztlich ja Geräteanzeigen vorliegen, die auf einen ordnungsgemäßen Betrieb des Geräts hinweisen und den Behandler täuschen können“ (Seite 11 des Protokolls, Bl. 409 d. A.). Vor diesem Hintergrund verneinte er die Grobheit des Behandlungsfehlers „nicht lediglich mit Blick auf die subjektive Vorwerfbarkeit, sondern auch in objektiver Beurteilung der an den Behandler zu stellenden Anforderungen“ (a. a. O.).
50
(3) Damit fehlt es letztlich trotz der oben zu (1) wiedergegebenen Äußerungen dreier Sachverständiger an einer Grundlage zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers.
51
b) Der Senat ist jedoch nach dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO davon überzeugt, dass das Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Narkosegerät für das Fortbestehen der (als solcher unstreitigen) Hypoxie und in der Folge für den Eintritt der bleibenden Hirnschädigung kausal geworden ist, so dass die Klägerin der ihr obliegenden Beweislast genügt hat.
52
aa) Eine solche Kausalität schiede allerdings von vornherein aus, wenn die Klägerin in dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte zu 3) sie spätestens vom Beatmungsgerät hätte trennen müssen, in dem ihr Unterlassen also zu einem Behandlungsfehler wurde, bereits irreversibel geschädigt gewesen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.
53
(1) Das Landgericht hat, sachverständig beraten durch Dr. St., festgestellt, die Beklagte zu 3) hätte die Klägerin „spätestens bei der Beatmung mittels Gesichtsmaske, bei der trotz subjektiv effektiver Beatmung die Blutsättigung immer weiter bis auf Werte um 40% (absolut kritischer Bereich) abgefallen war“ (Seite 8 des angegriffenen Urteils, Bl. 326 d. A.), vom Gerät trennen müssen und ist auf der Grundlage des neuropädiatrischen Gutachtens des Sachverständigen P. Dr. St. zu der Überzeugung gelangt, dass zu diesem Zeitpunkt bei der Klägerin ein irreversibler Hirnschaden noch nicht eingetreten ist (Seiten 15 f. des angegriffenen Urteils, Bl. 333 f. d. A.).
54
(2) Gegen diese Feststellung wenden sich die Berufungen nicht. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 3) hat in seiner Berufungsbegründung (Seiten 6 zu Nr. 2.2 und Seite 8 zu Nr. 2.4, Bl. 358 und 360 d. A.) zwar geltend gemacht, das Gutachten des Sachverständigen P. Dr. St. könne zur Frage der Kausalität nichts beitragen, da es auf den – nach Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3) unzutreffenden – Prämissen des landgerichtlichen Beweisbeschlusses vom 31.01.2018 (Bl. 255/256 d. A.) beruhe. Dies betrifft jedoch nur die Frage, ob es bei Erreichen dieser kritischen Blutsauerstoffsättigung geboten war, die Klägerin vom Gerät zu trennen, nicht hingegen die Frage, ob zu diesem Zeitpunkt bereits eine irreversible Hirnschädigung eingetreten ist.
55
bb) Die Kausalität des Behandlungsfehlers setzt weiter voraus, dass die bei der Klägerin eingetretene Hypoxie darauf zurückzuführen ist, dass das ihr mittels des Beatmungsgerätes zugeführte Gasgemisch nicht genügend Sauerstoff enthielt, da nur dann die gebotene Trennung vom Gerät zu einer Besserung der Situation hätte führen können.
56
Auch wenn es nicht möglich war, eine konkrete Fehlfunktion oder Fehlbedienung des Gerätes zu identifizieren, ist der Senat aufgrund des gesamten Verfahrensstoffes im Wege des Ausschlussverfahrens (vgl. dazu etwa BGH [2. Strafsenat] vom 06.07.1990 – 2 StR 549/89 – juris Rn. 27; [2. Strafsenat] vom 30.03.2016 – 2 StR 405/15 – juris Rn. 7; OLG Rostock vom 24.08.2004 – 6 U 138/03 – juris Rn. 7; OLG Koblenz vom 29.05.2006 – 12 U 218/05 – juris Rn. 10; OLG Celle vom 23.03.2017 – 7 U 134/16 – juris Rn. 35) davon überzeugt (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO), dass es eine Insuffizienz des der Klägerin zugeführten Gasgemisches war, die zu der bei ihr aufgetretenen Hypoxie geführt hat.
57
Eine solche Insuffizienz des zugeführten Gasgemisches ist konkret möglich (s. zu (1)), alle anderen in Betracht kommenden Möglichkeiten wurden ausgeschlossen (s. zu (2)), und weitere Aufklärungsansätze sind nicht vorhanden (s. zu (3)).
58
(1) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es konkret möglich, dass der Klägerin durch das Beatmungsgerät ein hinsichtlich des Sauerstoffgehalts insuffizientes Gasgemisch zugeführt wurde. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Urteil (Seiten 11 bis 14, Bl. 329/332 d. A.) Bezug genommen. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
59
(a) Entgegen den Ausführungen der Beklagten hat der Sachverständige Dr. St. nicht lediglich die Möglichkeit eines Gerätedefekts dergestalt gesehen, dass der die Sauerstoffzufuhr anzeigende Schwimmer zu weit oben im Rotameterblock hängen geblieben ist und somit eine höhere Sauerstoffzufuhr als die tatsächlich erfolgte anzeigte. Vielmehr gab er in seinem Erstgutachten vom 03.07.2016 (Seite 8, Bl. 149 d. A.) insoweit als Möglichkeit an: „Defekt des Narkose-/Beatmungsgerätes (Ausfall der Gas-/Stromversorgung, Störungen der Gas-messung/-mischung, Ausfall der mechanischen Beatmung, technischer Defekt der Ventile/Steuerung, Leckagen, Stenosen etc.)“. Zudem hat der Sachverständige neben einem technischen Defekt immer auch die Möglichkeit einer Fehlbedienung gesehen (vgl. auch Seite 6 des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020, Bl. 404 d. A.). Die Möglichkeit eines Hängenbleibens des Schwimmers im Rotameterkörper hatte lediglich für die Frage Bedeutung, wie es sein konnte, dass der Stand des Schwimmers im Rotameterkörper volle Sauerstoffzufuhr anzeigte, obwohl sie tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – nicht (mehr) erfolgte; ein etwaiges Hängenbleiben des Schwimmers betrifft also nicht die Ursache der Zuführung eines insuffizienten Gasgemisches, sondern das Ausbleiben der Anzeige der Insuffizienz. Insoweit hat der Sachverständige Dr. St. in seinem Erstgutachten (Seite 15, Bl. 156 d. A.) erklärt, ihm sei „noch ein lange zurückliegender Fehler beim Einsatz eines Narkosegerätes aus derselben Generation wie dem TRAJAN® in Erinnerung, wo der Schwimmerkörper der entsprechenden Gasdosierröhre für Sauerstoff durch eine Verunreinigung – nur schwer reproduzierbar – fixiert blieb und so eine Sauerstoffzufuhr vorspiegelte“. In der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 402 d. A.) erklärte der Sachverständige Dr. St. insoweit zudem, ihm sei aus seiner Erfahrung „aus dem Umgang mit diesem Gerätetyp […] bekannt, dass sich der in der Glasröhre des Rotameter befindliche Schwimmer auch einmal verhängen kann. Dies ist z. B. möglich, wenn die Röhre an der Innenseite nach längerem Gebrauch aufgeraut ist […]“.
60
(b) Diese Ausführungen werden auch nicht infrage gestellt durch das von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) als Anlage B 3 vorgelegte Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. K.. Zwar hat Professor Dr. Kr. (Seite 65 des Gutachtens) ausgeführt, der hier eingesetzte Gerätetyp „Trajan“ sei in Reaktion auf ein Hängenbleiben des Schwimmers im Vorgängermodell „Sulla“ so konstruiert worden, dass „kein Verkanten des Schwebekörpers im Sauerstoffflussmesser mehr möglich ist“. Diese Aussage bezieht sich jedoch abstrakt auf die Bauart des Gerätetyps, nicht aber konkret auf das tatsächlich verwendete individuelle Gerät. Die Aussage des Sachverständigen Dr. St., es könne sein, dass die Röhre an der Innenseite des Rotameterkörpers nach längerem Gebrauch ‒ das Gerät war im Zeitpunkt seines streitgegenständlichen Einsatzes mindestens 27 Jahre alt ‒ aufgeraut war, kann daher durch die allgemein bauartbedingte Behauptung des Sachverständigen P. Dr. Kr. von vornherein nicht entkräftet werden.
61
Hingegen erklärt gerade auch Professor Dr. Kr., dass es bei der Verwendung eines Narkosegeräts des hier verwendeten Typs durchaus zur Zufuhr eines insuffizienten Gasgemisches kommen kann, wenn er (Seite 60 des als Anlage B 3 vorgelegten Gutachtens) ausführt: „Dem Trajan fehlte nicht nur die mechanische Beatmungsmöglichkeit, er hatte auch keine Sauerstoff-/Lachgasregulation, die verhindert hätte, dass Seda mit reinem Lachgas beatmet werden konnte.“ Diese konkret aufgezeigte Möglichkeit läuft seiner allgemeinen Aussage (Seiten 59 f. des Gutachtens) zuwider, „[d]er alte Trajan“, den er „aufgrund seiner 40-jährigen Tätigkeit als Narkosearzt noch persönlich“ kenne, sei „ein extrem schlichtes Gerät“, das „eigentlich“ nicht kaputt gehen könne.
62
(c) In Übereinstimmung mit dem Landgericht (Seiten 13 f. des angegriffenen Urteils, Bl. 326 f. d. A.) sieht auch der Senat ein starkes Indiz dafür, dass es die Zufuhr eines nicht hinreichend sauerstoffhaltigen Gasgemisches war, die zur Hypoxie der Klägerin geführt hat, darin, dass die Sauerstoffkonzentration im Blut der Klägerin rasch wieder anstieg, nachdem sie nach Eintreffen des Rettungsdienstes vom Gerät getrennt und an das Beatmungsgerät des Rettungsdienstes angeschlossen worden war. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, es hätten Reanimationsmaßnahmen stattgefunden, die ebenfalls grundsätzlich dazu geeignet gewesen seien, „den Kreislauf und konsekutiver die Sauerstoffsättigung wieder herzustellen“ (Seite 3 des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) vom 13.07.2021, Bl. 475 d. A.). Dieser Einwand verkennt nämlich, dass Reanimationsmaßnahmen (Herzdruckmassage, Gabe von Adrenalin) nicht erst durch den herbeigerufenen Rettungsdienst, sondern bereits unmittelbar nach Eintritt der Notsituation unter Mithilfe des Dr. Sä. durchgeführt wurden (vgl. den unstreitigen Tatbestand im landgerichtlichen Urteil [Seite 3, Bl. 321 d. A.]; Aussage der Zeugin Ba. in der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2017 [Seite 4 des Protokolls, Bl. 214 d. A.]). Auf diesen Umstand haben auch der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. St. (Seiten 3 und 6 des Erstgutachtens vom 03.07.2016, Bl. 144 und 147 d. A.; Seiten 8 f. des Ergänzungsgutachtens vom 26.02.2017, Bl. 191 f. d. A.) und der von den Beklagten zu 1) und 2) beauftragte Sachverständige P. Dr. Kr. hingewiesen (Seite 62 unten des als Anlage B 3 vorgelegten Gutachtens).
63
(2) Andere in Betracht kommende Möglichkeiten für die bei der Klägerin eingetretene Hypoxie als die Zufuhr eines nicht hinreichend sauerstoffgesättigten Gasgemisches sind ausgeschlossen. Die Beklagten haben zunächst die Möglichkeit eines allergischen Schocks und sodann (unter Vorlage des Gutachtens Professor Dr. Kr. [Anlage B 3]) eines thromboembolischen Ereignisses als Auslöser der zur Hirnschädigung führenden Hypoxie vorgetragen. Der Senat ist diesem Vortrag nachgegangen durch Einholung eines allergologischen Gutachtens der Sachverständigen P. Dr. We. (vom 04.05.2021, Bl. 442/456 d. A.), eines ergänzenden anästhesiologischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. St. (vom 06.06.2022, Bl. 533/548 d. A.) und eines kinderradiologischen Gutachtens des Sachverständigen PD Dr. Ro. (vom 21.07.2023, Bl. 583/586 d. A.). Auf dieser Grundlage ist der Senat davon überzeugt, dass weder eine allergische Reaktion noch ein thromboembolisches Ereignis Auslöser der bei der Klägerin eingetretenen Hypoxie war; weitere mögliche Auslöser sind nicht ersichtlich.
64
(a) Das auf der Grundlage eines viertägigen stationären Aufenthalts der Klägerin vom 19. bis zum 22.04.2021 erstellte allergologische Gutachten der Sachverständigen P. Dr. We. (Bl. 442/456 d. A.) kommt zu dem Ergebnis, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine allergische Reaktion zur bei der Klägerin aufgetretenen Hypoxie geführt haben könnte. Da weder die Beklagte zu 3) (Seite 1 des Schriftsatzes vom 23.06.2021, Bl. 461 d. A.) noch die Beklagten zu 1) und 2) (vgl. Seiten 1 f. des Schriftsatzes vom 13.07.2021, Bl. 473 f. d. A.) Einwendungen gegen dieses Ergebnis der Begutachtung vorgebracht haben, sind weitere Ausführungen hierzu nicht veranlasst. Das Ergebnis der Begutachtung durch die Sachverständige P. Dr. We. deckt sich im Übrigen mit der Einschätzung des von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) beauftragten Sachverständigen P. Dr. Kr. (vgl. Seiten 61 f. des als Anlage B 3 vorgelegten Gutachtens, das ausweislich des Eingangsstempels am 09.03.2021 bei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) einging).
65
(b) Der von den Beklagten zu 1) und 2) beauftragte Sachverständige P. Dr. Kr. sieht, gestützt auf die Prämisse lediglich einseitiger Lähmungserscheinungen bei der Klägerin, in seinem als Anlage B 3 vorgelegten Gutachten einzig und allein ein während der Behandlung bei der Klägerin aufgetretenes thromboembolisches Ereignis als mögliche Ursache der eingetretenen Hypoxie an; andere Ursachen schließt er aus (vgl. Seiten 61 f. des Gutachtens zu Nr. 7.5).
66
Die nach den Ausführungen des Professors Dr. Kr. in seinem als Anlage B 3 vorgelegten Privatgutachten zum thromboembolischen Ereignis führende Kausalkette hat der mit Blick auf diese Ausführungen beauftragte Sachverständige Dr. St. in seinem Zusatzgutachten vom 06.06.2022 (Seiten 3 f., Bl. 536 f. d. A.) dargelegt und sodann Glied für Glied diskutiert. Der daraufhin von den Beklagten zu 1) und 2) erneut beauftragte Sachverständige P. Dr. Kr. ist in seinem weiteren (als Anlage B 4 vorgelegten) Gutachten vom 26.08.2022 diesen Ausführungen zur für die Entstehung eines thromboembolischen Ereignisses erforderlichen Kausalkette nicht entgegengetreten; vielmehr diskutiert er nur die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. St. zu den einzelnen Gliedern dieser Kette.
67
Vor diesem Hintergrund ist ein thromboembolisches Ereignis als Auslöser der Hypoxie auszuschließen, weil sich zum einen die Prämisse ausschließlich einseitiger Lähmungserscheinungen (Professor Dr. Kr.) als unzutreffend erweist und weil zum anderen und vor allem die am 02.05.2007, vier Tage nach der streitgegenständlichen Behandlung, angefertigte MRT-Befundung ein bildmorphologisches Korrelat zu einem thromboembolischen Ereignis liefern müsste, was jedoch nicht der Fall ist.
68
(aa) Die von Professor Dr. Kr. im Sinne eines stattgehabten thromboembolischen Ereignisses postulierte lediglich rechtsseitige Spastik bei linksseitiger Hemiplegie (vgl. Seite 55 des als Anlage B 3 vorgelegten Gutachtens) lässt sich auf die von Professor Dr. Kr. eingangs seines Gutachtens (Seiten 6 f.) wiedergegebenen Befunde aus der Rehabehandlung der Klägerin nicht stützen. Aus den dort wiedergegebenen Auszügen aus der Behandlung im Therapiezentrum B. ergibt sich vielmehr, wie der Sachverständige Dr. St. in seinem Gutachten vom 06.06.2022 (Seiten 12 f., Bl. 545 f. d. A.) verständlich und nachvollziehbar dargelegt hat, dass es sich „am ehesten um graduelle Seitendifferenzen“ handelt „und nicht um eine vollständige Parese, wie sie bei einem kompletten Verschluss der Hirnarterie zu erwarten wäre[…]“.
69
(bb) Entscheidend ist jedoch, dass ein vier Tage vor der MRT-Untersuchung stattgehabtes thromboembolisches Ereignis ein bildmorphologisches Korrelat hinterlassen haben müsste, was aber nicht der Fall ist.
70
α) Auf diese Notwendigkeit hat der Sachverständige Dr. St. in seinem Gutachten vom 06.06.2022 (Seiten 13 f., Bl. 546 f. d. A.) in nachvollziehbarer und verständlicher Weise hingewiesen. Der daraufhin im Namen der Beklagten zu 1) und 2) erneut tätig gewordene Sachverständige P. Dr. Kr. ist diesem Erfordernis in seinem weiteren Gutachten vom 26.08.2022 (Anlage B 4, Seiten 8 f. und 12) nicht entgegengetreten, sondern hat vielmehr die vom Sachverständigen Dr. St. zur Klärung des Bildbefundes vorgeschlagene kinderradiologische Begutachtung nachdrücklich befürwortet (“Es spricht für die Qualität des Gutachters Dr. St., dass er anregt, die Expertise eines Pädiatrischen Radiologen in Anspruch zu nehmen […]“).
71
β) Zu diesem Zweck hat der Senat gemäß Beweisbeschluss vom 17.04.2023 (Bl. 573 f. d. A.) ein kinderradiologisches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. Ro. erholt, welches dieser, nachdem er die CD mit den MRT-Aufnahmen vom Uniklinikum A. erhalten hatte, unter dem 21.07.2023 erstattet hat (Bl. 583/586 d. A.). Der Sachverständige PD Dr. Ro. gelangt in Befundung der Aufnahmen zu dem Ergebnis (Seite 3 des Gutachtens, Bl. 585 d. A.), dass die Bilder typische Grenzzoneninfarkte beider Großhirnhälften zeigen, „vereinbar mit einem 4 Tage zuvor (28.04.2007) stattgehabten, vorübergehenden Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut. Hingegen finden sich keine Zeichen eines Gefäßverschlusses (z.B. thromboembolisches Ereignis) mit einseitigem Sauerstoffmangel.“
72
γ) Gegen dieses Ergebnis hat die Beklagte zu 3) nichts vorgebracht (vgl. den Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 08.08.2023, Bl. 596 d. A.). Die Beklagten zu 1) und 2) haben hingegen vorgetragen, dem Bildbefund könne auch „ein durch Thromboembolie hervorgerufener Herz-Kreislauf-Stillstand zugrunde liegen mit der Kausalkette einer Thromboembolie im venösen System, einer konsekutiven Lungenembolie, eines Übertritts des Embolus in das arterielle System über das offene Foramen ovale, eines Thrombus im Gehirn und eines hierdurch entstandenen Herz-Kreislauf-Stillstands mit Reanimationssituation“ (Seite 2 des Schriftsatzes vom 01.09.2023, Bl. 601 d. A.). Dass auf den MRT-Aufnahmen vom 02.05.2007 keine Spur von der angeblichen Thromboembolie zu sehen ist, wollen die Beklagten zu 1) und 2) (a. a. O.) darauf zurückführen, dass es „möglich ist“, dass insoweit die körpereigene Lyse zwischenzeitlich zu einer „restitutio ad integrum“ geführt habe, wofür die Einholung eines neuropädiatrischen Sachverständigengutachtens angeboten wird.
73
δ) Diesem Beweisangebot war nicht nachzukommen. Die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) vorgetragene mögliche Kausalkette beinhaltet nämlich und setzt damit voraus, dass es zuerst zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand und erst infolge dessen zu einer Hypoxie im Blut der Klägerin gekommen ist. Nach den verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. St. (Seiten 8 bis 10 des Gutachtens vom 06.06.2022, Bl. 541/543 d. A.) war es jedoch genau umgekehrt: Zuerst kam es zu einer Sauerstoffunterversorgung und erst sodann – und infolge dessen – „zu Herzrhythmusstörungen (Bradycardie) bis hin zum Herz-Kreislaufstillstand“. Schon in der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020 (Seite 6 des Protokolls, Bl. 404 d. A.) hatte der Sachverständige dem Senat erläutert, „dass es nicht so war, dass zunächst ein Herzkreislaufstillstand eingetreten ist und es deshalb zur fehlenden Sauerstoffversorgung des Gehirns kam. Der Weg war vielmehr anders herum. Die Sauerstoffsättigung hat ständig abgenommen und deswegen kam es zum Zusammenbruch des Kreislaufs.“ Diese Reihenfolge der Ereignisse hat der Sachverständige in der Berufungsverhandlung vom 08.10.2020 (Seite 7 des Protokolls, Bl. 405 d. A.) auch verständlich damit begründet, dass die Möglichkeit der Feststellung einer 40%-igen Sauerstoffsättigung im Blut gerade belege, „dass ein Kreislauf des Kindes während des Absinkens der Sauerstoffsättigung vorhanden war. Wäre das Absinken der Sauerstoffsättigung im Blut auf einen Herzstillstand zurückzuführen gewesen, dann hätte dieser Wert von 40% gar nicht mehr gemessen werden können.“ Auch zeigt das als Anlage B 1 vorgelegte Anästhesieprotokoll, dass der Puls der Klägerin über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten (von 15:15 Uhr bis 15:25 Uhr) kontinuierlich von etwas über 100 Schlägen pro Minute auf etwa 70 Schläge pro Minute fiel. Dies deckt sich mit dem vom Sachverständigen Dr. St. geschilderten Ablauf („Herzrhythmusstörungen (Bradycardie) bis hin zum Herz-Kreislaufstillstand“), nicht aber mit dem Geschehen eines plötzlichen Herzstillstands aufgrund eines Gefäßverschlusses. Auch ist dem Anästhesieprotokoll zu entnehmen, dass um 15:30 Uhr in der Tat noch eine Sauerstoffsättigung im Blut von 40% festzustellen war (Eintrag „40“ in der Zeile „Sat O2 unmittelbar vor der Markierung für 15:30 Uhr).
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(c) Wie ausgeführt, sind weitere Alternativursachen – außer eine allergische Reaktion oder ein thromboembolisches Ereignis – weder ersichtlich noch vorgetragen. Das von den Beklagten zu 1) und 2) als Anlage B 3 vorgelegte Parteigutachten fokussiert vielmehr ausschließlich auf ein thromboembolisches Ereignis, das jedoch, wie dargelegt, ausgeschlossen ist.
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(3) Weitere Beweiserhebungen waren nicht veranlasst.
76
(a) Entgegen der Beklagten zu 3) (Seite 2 des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 11.01.2024, Bl. 608 d. A.; Seiten 1 bis 3 des Schriftsatzes vom 23.06.2021, Bl. 461/463 d. A.) war es nicht veranlasst, dem Sachverständigen Dr. St. den Inhalt des als Bl. 218 f. in der Ermittlungsakte (Band II) einpaginierten, mit „Protokoll: 28.4.07, Narkose bei Y., S., geb. … .00“ überschriebenen Berichts als Anknüpfungstatsachen vorzugeben. Das weder datierte noch unterzeichnete „Protokoll“, das seinen Verfasser auch anderweitig nicht benennt, befand sich nicht bei den Behandlungsunterlagen, als diese am 10.05.2007, also 12 Tage nach dem Vorfall, an die Staatsanwaltschaft Au. herausgegeben wurden. Ausweislich des polizeilichen Aktenvermerks vom 10.05.2007 (Bl. 72/74 der Ermittlungsakte [Band I]) wies der Beklagte zu 2) den Polizeibeamten darauf hin, dass das Protokoll bei Übergabe der Behandlungsunterlagen am 10.05.2007 nicht vollständig gewesen sei; das vollständige Narkoseprotokoll habe sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Beklagten zu 3) befunden. Wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 3) zutreffend ausführt, ist das besagte Protokoll als Bl. 218 f. in die Ermittlungsakte (Band II) einpaginiert. Einem Schreiben der Beklagten zu 3) vom 29.08.2007 (Bl. 216 der Ermittlungsakte [Band II]) ist zu entnehmen, dass die Beklagte zu 3) dieses Protokoll an diesem Tag an die Vereinigte I..., zu Händen Herrn C. St., geschickt hat, der es sodann zusammen mit anderen Unterlagen mit Schreiben vom 11.02.2008 (Bl. 191 der Ermittlungsakte [Band II]) an die Staatsanwaltschaft übermittelt hat.
77
Es geht unter diesen Umständen nicht an, dieses Protokoll als Teil der Behandlungsdokumentation anzusehen. Auch die vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3) im Schriftsatz vom 23.06.2021 benannten Anlagen B 3/1 bis B 3/3 lassen nicht erkennen, dass die Beklagte zu 3) das Protokoll unmittelbar nach dem streitgegenständlichen Vorfall gefertigt hätte. Das Schreiben der Beklagten zu 3) an den BDA / Referat für Versicherungsfragen (Anlage B 3/1) trägt das Datum 29.05.2007, die Haftpflicht-Schadenanzeige (Anlage B 3/2) datiert vom 11.05.2007, und das Schreiben der Beklagten zu 3) an ihre damaligen Prozessbevollmächtigten (Anlage B 3/3) vom 15.05.2007. Auch diese Dokumente belegen nicht, dass die Dokumentation im unmittelbaren Nachgang zur streitgegenständlichen Behandlung erfolgt wäre. Sie ist daher nicht Teil der Behandlungsunterlagen, sondern Parteivortrag der Beklagten zu 3).
78
(b) Entgegen den Beklagten war die Einholung eines gerätetechnischen Sachverständigengutachtens nicht möglich, da das bei der streitgegenständlichen Behandlung verwendete Narkosegerät nicht mehr zur Verfügung steht und im Übrigen durch den Beklagten zu 1) nach der streitgegenständlichen Behandlung in seinem Zustand verändert wurde.
79
(aa) Während der Beklagte zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2015 (Seite 3 des Protokolls, Bl. 119 d. A.) erklärte, das Gerät befinde sich seit ca. zwei bis drei Jahren nicht mehr im Besitz der Beklagten zu 1) und 2), sie hätten es „entsorgen lassen“, erklärte ihre Prozessbevollmächtigte in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2024 – insoweit nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich –, das Gerät sei nach weiteren über 90 Einsätzen verkauft worden. Jedenfalls steht es für eine gerätetechnische Begutachtung nicht mehr zur Verfügung.
80
(bb) Selbst wenn es zur Verfügung stünde, wäre die Einholung eines gerätetechnischen Gutachtens nicht möglich, da der Beklagte zu 1) nach dem Vorfall mehrfach Handgriffe an dem Gerät vorgenommen hat, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich danach noch im selben Zustand befand wie während der Behandlung.
81
α) Der Beklagte zu 1) hat im Ermittlungsverfahren (Seite 133 der Ermittlungsakte [Band I]) ausgesagt: „Da ich mir das Ereignis aus der Schilderung des Ablaufs nicht erklären konnte, überprüfte ich – um ein technisches Problem auszuschließen – sofort das Narkosegerät. Dieses erfolgte nach der Maßgabe des Gerätecheck A, kontrollierte die Gasmessung (Vamos-Monitor) und ich setzte mir auch selbst die Maske auf und probierte, ob das Gerät ordnungsgemäß arbeitet und entsprechend die CO₂-Ausscheidung anzeigt […] Dieselbe Prüfung führte ich nochmals zusammen mit [dem Beklagten zu 2) ] […] am 02.05.2007 durch.“
82
β) Wie auch der Sachverständige Dr. St. in seinem Erstgutachten vom 03.07.2016 (Seite 15, Bl. 156 d. A.) ausgeführt hat, kann nicht mehr nachvollzogen werden, welche Handgriffe genau der Beklagte zu 1) an dem Gerät vorgenommen hat. „Selbst wenn es sich um die standardisierten Tests,A' und,W' gehandelt haben sollte, könnten dadurch Hinweise auf eine Störungsursache beseitigt worden sein.“
83
(cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt die Einholung eines „bauarttechnischen“ Sachverständigengutachtens nicht in Betracht. Die Beklagten argumentieren, das verwendete Narkosegerät könne eigentlich gar nicht kaputt gehen, insbesondere sei ein Hängenbleiben des Schwimmers im Rotameterkörper schon bauartbedingt nicht möglich. Dem ist nicht zu folgen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung mindestens 27 Jahre alte Narkosegerät individuelle Fehler (etwa durch Materialermüdung) aufwies (vgl. oben zu (1) (a) und (b)).
84
(c) Der Einholung der weiteren von den Beklagten zu 1) und 2) beantragten Sachverständigengutachten (vgl. Schriftsatz vom 19.09.2022 [Bl. 565/570 d. A.] sowie Schriftsatz vom 01.09.2023 [Bl. 600/603 d. A.] bedurfte es nicht. Die Beweisangebote betreffen die ersten Glieder der Kausalkette hinsichtlich einer durch ein thromboembolisches Ereignis ausgelösten Hypoxie; wie dargelegt, ist jedoch die Verursachung der Hypoxie durch ein thromboembolisches Ereignis ausgeschlossen (vgl. oben zu (2) (b) (aa) und (bb) einschließlich der weiteren Unterpunkte).
85
(d) Entgegen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3) bestand auch mit Blick auf seinen Schriftsatz vom 23.06.2021 (Bl. 461/472 d. A.) kein Anlass, den Sachverständigen Dr. St. erneut anzuhören.
86
(aa) Der Prozessbevollmächtigte selbst macht in diesem Schriftsatz (Seiten 1 bis 3, Bl. 461/463 d. A.) lediglich geltend, der Inhalt des von der Beklagten zu 3) gefertigten Zusatzprotokolls hätte dem Sachverständigen als Anknüpfungstatsachen vorgegeben werden müssen. Dies trifft jedoch, wie oben zu (a) ausgeführt, nicht zu.
87
(bb) Im Übrigen (Seiten 3 bis 12, Bl. 463/472 d. A.) enthält der Schriftsatz nur „Ausführungen der Beklagten zu 3)“ (Seite 3, Bl. 463 d. A.), die keine konkreten Fragen oder Beweisangebote enthalten, und denen der Prozessbevollmächtigte (Seite 12, Bl. 472 d. A.) lediglich nachschiebt: „Diese Ausführungen der Beklagten zu 3) unmittelbar erfordern, wie eingangs bereits beantragt, die ergänzende Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. St., hilfsweise die Erholung eines weiteren Gutachtens.“
88
(cc) Wie diese Art des Vortrags mit dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO) in Einklang zu bringen ist, mag dahinstehen. Der Senat hat nur mit Blick auf die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) im Schriftsatz vom 13.07.2021 (Bl. 462/469 d. A.) ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Dr. St. erholt (Beweisbeschluss Bl. 482/484 d. A.) und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3), nachdem dieser geltend gemacht hatte, der Beweisbeschluss solle mit Blick auf seinen Schriftsatz vom 23.06.2021 ergänzt werden (Schriftsatz vom 07.09.2021, Bl. 491 d. A.), mit Verfügung des Vorsitzenden vom 13.09.2021 (Bl. 491 d. A.) mitgeteilt, dass es bei dem Beweisbeschluss verbleibt. „Sofern nach dessen Abarbeitung noch Fragen offenbleiben, werden diese in einer mündlichen Verhandlung mit dem Sachverständigen geklärt werden können.“
89
(dd) Nach Eingang des ergänzenden Sachverständigengutachtens vom 06.06.2022 (Bl. 533/548 d. A.) gab der Senat den Parteivertretern gemäß Beschluss vom 17.06.2022 (Bl. 549 f. d. A.) Gelegenheit, innerhalb von vier Wochen ihre Einwendungen, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen, und wies auf die Möglichkeit der Zurückweisung nicht fristgerechter Einwände oder Fragen hin. Hierauf reagierte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 3) mit Schriftsatz vom 13.07.2022 (Bl. 554 f. d. A.), in dem er lediglich unter Antritt von Sachverständigenbeweis ausführte, bei dem verwendeten Narkosegerät sei ein Verkanten des Schwebekörpers nicht möglich.
90
Hingegen hat er nicht erklärt, es seien hinsichtlich seines Schriftsatzes vom 23.06.2021 noch irgendwelche Fragen offen. Da dies auch aus Sicht des Senats nicht der Fall war, bestand kein Anlass, den Sachverständigen Dr. St. erneut mündlich anzuhören.
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cc) Schließlich ist der Senat auch im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO davon überzeugt, dass die Trennung der Klägerin vom Gerät und ihre Beatmung mit alternativen Mitteln rechtzeitig zum Wiederanstieg des Sauerstoffgehalts in ihrem Blut geführt hätte. Dafür spricht ganz entscheidend der bereits dargelegte Umstand, dass sich der Sauerstoffgehalt im Blut der Klägerin umgehend normalisierte, nachdem sie vom Rettungsdienst vom Beatmungsgerät genommen und an ein anderes Beatmungsgerät (das des Rettungsdienstes) angeschlossen worden war.
92
c) Abgesehen davon, dass sich der Nachweis der Ursächlichkeit der Nichttrennung der Klägerin vom Beatmungsgerät für die Aufrechterhaltung der Hypoxie und des daraus weiter resultierenden Hirnschadens wie oben zu b) dargelegt im Ausschlussverfahren ergibt, ist bezüglich des Beklagten zu 1) und auch bezüglich des Beklagten zu 2) (vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 425 Rn. 15) der Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zu berücksichtigen, da der Beklagte zu 1) sowohl am 28.04.2007 als auch erneut am 02.05.2007 Handgriffe am Narkosegerät ausgeführt hat, die dazu geführt haben können, dass Hinweise auf eine Störung des Geräts beseitigt wurden (vgl. oben b) bb) (3) (b) (bb) α) und β)). Zwar hat der Sachverständige Dr. St. in seinem Ergänzungsgutachten vom 26.02.2017 (Seite 8, Bl. 191 d. A.) in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, „dass einzelne Handgriffe nicht zu vermeiden sind, wobei hier explizit auf das Abstellen des Sauerstofffluss[es] abgestellt wird, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Gasflaschen seien leer gewesen – weil diese in der Zwischenzeit leergelaufen sind“. Das Hantieren des Beklagten zu 1) nach dem streitgegenständlichen Vorfall ging jedoch, wie beschrieben, weit darüber hinaus; zudem beließ er es nicht bei seinem Eingriff vom 28.04.2007, sondern fühlte sich am 02.05.2007 erneut dazu berufen, den Zustand des Geräts zu verändern, obwohl ihm klar sein musste, dass dieses womöglich aufgrund staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen untersucht werden sollte. Auf diese Problematik wurde der Beklagte zu 1) im Übrigen ausweislich ihrer Dokumentation (Bl. 87 der Ermittlungsakte [Band I]) durch die Streithelferin hingewiesen.
93
Rechtsfolge einer solchen Beweisvereitelung sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast (BGH vom 23.10.2008 – VII ZR 64/07 – juris Rn. 23 m. w. N.). Da den Beklagten zu 1) und 2) infolge der am Gerät vorgenommenen Handgriffe eine (grob fahrlässige) Verunklarung der Beweislage vorzuwerfen ist, hätten sie, um ihrer Schadensersatzpflicht zu entgehen, eine konkrete andere Ursache für die aufgetretene Hypoxie als die Zufuhr eines nicht hinreichend sauerstoffgesättigten Gasgemisches nachweisen müssen, was ihnen aber nicht gelungen ist.
III.
94
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO.
95
2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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3. Ein Grund für die Zulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) war nicht gegeben.