Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 19.04.2024 – AN 14 S 24.50085
Titel:

Dublin-Verfahren (Belgien)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. c
Leitsatz:
Aufgrund der Aufnahmekrise, wonach insbesondere männlichen Asylsuchenden systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem verweigert wird und sie sich auf eine Warteliste setzen lassen müssen, liegt zwar ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen in Belgien vor; dieser jedoch selbst im Falle einer alleinstehenden Dublin-Rückkehrerin nicht zu einer drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK, da die Auswirkungen durch caritative und zivilgesellschaftliche Akteure mit staatlicher Unterstützung abgefedert werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren Belgien, alleinreisende Frau, Aufnahmekrise Belgien, Folgeantrag, Abschiebungsanordnung, Belgien, Dublin-Rückkehrerin, alleinstehende Frau, Aufnahmekrise, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8945

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Anordnung ihrer Abschiebung nach Belgien.
2
Die Antragstellerin ist eigenen Angaben zufolge weißrussische Staatsangehörige. Sie reiste am 12. Dezember 2023 in das Bundesgebiet ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 15. Dezember 2023 durch behördliche Mitteilung Kenntnis erlangt hat. Bei einer am gleichen Tag durchgeführten Eurodac-Recherche wurden Treffer der Kategorie 1 für Belgien (Antragstellung am 29.8.2022), Frankreich (Antragstellung am 12.5.2022) und die Niederlande (Antragstellung am 12.7.2023) festgestellt.
3
Am 8. Januar 2024 hat die Antragstellerin einen förmlichen Asylantrag gestellt. Dabei gab sie ihren Familienstand als verheiratet an. Bei dem am gleichen Tag durchgeführten persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nannte sie als Familienangehörige, die sich in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat aufhielten, ihren „Ehegatten“, Herrn … Nachweise über die verwandtschaftliche Beziehung könne sie nicht vorlegen. Er halte sich ebenfalls in … auf und habe in den Niederlanden Asyl beantragt. Sie habe ein im April 2023 von Polen ausgestelltes Jahresvisum für die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Mitgliedstaat gehabt. Ihr Heimatland habe sie im April 2023 verlassen und sei über unbekannte Länder, Belgien und die Niederlande nach Deutschland gekommen. In Belgien habe sie sich ca. 6 Monate in B. aufgehalten. Asyl habe sie in Belgien beantragt, Fingerabdrücke seien ihr in Belgien und den Niederlanden und zwar Mitte April und im Sommer 2023 genommen worden.
4
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 15. Januar 2024 gab die Antragstellerin an, dass sie sich in Frankreich aufgehalten habe, „wir“ hätten in Frankreich aber keine Wohnung gehabt. In Belgien hätten sie 2 Wochen nach ihrer Ankunft das Camp verlassen müssen. In den Niederlanden hätten sie 14 EUR pro Person bekommen, hätten aber auch nicht arbeiten dürfen. Nach Frankreich sei sie im April 2022 eingereist und sei dort 2 Monate geblieben. Danach sei sie nach Belgien gegangen, das sei etwa im Juli gewesen. In Belgien hätte sie sich 6 Monate in B. aufgehalten. Im August 2023 sei sie in die Niederlande gereist. Dort seien sie 4 Monate gewesen, und zwar in einem Camp auf einem Schiff in A.. Ihre Asylanträge seien in den Ländern jeweils abgelehnt worden. Bescheide seien ihr allerdings nicht ausgehändigt worden, man habe es ihr nur mündlich gesagt. Unterlagen könne sie aus diesen Ländern nicht vorlegen. In jedem dieser Länder sei ihr ein Sprachkurs angeboten worden, eine Arbeitserlaubnis habe sie aber nicht bekommen. Auf die Nachfrage nach staatlichen Unterstützungen in diesen Ländern gab die Antragstellerin an, dass sie in den Niederlanden 14 EUR pro Monat bekommen habe. In B. habe sie 7 EUR pro Woche bekommen, in Frankreich kein Geld. Man warte sehr lange, bis man Geld bekomme. Unter gesundheitlichen Einschränkungen leide sie nicht. Mit ihrem Mann sei sie nicht standesamtlich verheiratet.
5
Das Bundesamt richtete auf der Grundlage des festgestellten Eurodac-Treffers am 17. Januar 2024 ein Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin III-VO an die Niederlande. Dieses wurde von den Niederlanden mit Schreiben vom 18. Januar 2024 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin in den Niederlanden am 12. Juli 2023 Asyl beantragt habe. Am 30. August 2023 sei Belgien aufgefordert worden, die Antragstellerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO zurückzunehmen, was Belgien am 8. September 2023 nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO akzeptiert habe. Die Antragstellerin habe gegen die Ablehnung ihres Asylantrags in den Niederlanden um Rechtsschutz nachgesucht, was vom Gericht am 18. Dezember 2023 abgelehnt worden sei. Die Antragstellerin sei daraufhin am 29. Dezember 2023 verschwunden. Hierüber sei Belgien informiert worden, und die Überstellungsfrist sei bis zum 8. März 2025 verlängert worden. Die entsprechenden Schreiben waren beigefügt.
6
Daraufhin richtete das Bundesamt am 19. Januar 2024 ein auf den festgestellten Eurodac-Treffer gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Belgien, das von den belgischen Behörden mit Schreiben vom 25. Januar 2024 auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO angenommen wurde.
7
Mit Bescheid vom 26. Januar 2024 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung der Antragstellerin nach Belgien an. In Ziffer 4 des Bescheides wurde das Einreise-und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In der Begründung des Bescheids wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin zwar angegeben habe, dass sich ihr Lebenspartner in Deutschland aufhalte. Nach Aktenlage bestehe aber keine zivilrechtlich wirksame Ehe, sodass der angegebene Lebensgefährte kein Familienangehöriger im Sinne von Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO sei. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 31. Januar 2024 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
8
Hiergegen hat die Antragstellerin zu Protokoll der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach am 5. Februar 2024 Klage erhoben (AN 14 K 24.50086) und den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt.
9
Das Gericht hat die Bundesamtsakten des vorgeblichen Ehemanns der Antragstellerin beigezogen. Daraus geht hervor, dass dieser erstmals im März 2019 in das Bundesgebiet eingereist ist und einen Asylantrag gestellt hat. Bei der förmlichen Asylantragstellung am 11. März 2019 gab er seinen Familienstand mit ledig an. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 10. April 2019 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Litauen angeordnet. Grund dafür war ein zuvor von Litauen erteiltes Visum. Die zunächst erhobene Klage mit einstweiligen Rechtsschutzantrag zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (AN 18 K 19.50446 und AN 18 S 19.50445) wurde von ihm am 22. August 2019 zurückgenommen. Ende des Jahres 2023 reiste der vorgebliche Ehemann der Antragstellerin offenbar erneut ins Bundesgebiet ein und stellte am 15. Dezember 2023 einen Folgeantrag. Sein Familienstand wurde dabei wiederum als ledig erfasst. Das entsprechende Formblatt ist von ihm unterschrieben. In der Bundesamtsakte befinden sich insoweit am 15. Dezember 2023 festgestellte Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Deutschland (Antragstellung am 4.3.2019), Frankreich (Antragstellung am 12.5.2022), Belgien (Antragstellung am 29.8.2022) und die Niederlande (Antragstellung am 16.7.2023). In der schriftlichen Folgeantragsbegründung wurde angegeben, dass Grund für den Folgeantrag die zugespitzte Situation in Belarus sei. Grund sei der Krieg in der Ukraine und seine Volkszugehörigkeit als Roma. Ausgereist sei er wegen der zwangsweisen Einziehung zum Krieg. Eine Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags oder ein Wiederaufnahmegesuch an einen anderen Mitgliedstaat sind in der Bundesamtsakte nicht enthalten.
10
Das Gericht hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Februar 2024 um Mitteilung gebeten, ob der (Folge-) Antrag des vorgeblichen Ehemanns der Antragstellerin im nationalen Verfahren geprüft werde oder ein Dublin-Verfahren laufe. Daneben wurde um Stellungnahme zu einem gegebenenfalls bestehenden innerstaatlichen Vollstreckungshindernis für die Abschiebung der Antragstellerin nach Belgien gebeten. Die Antragsgegnerin nahm hierzu mit Schreiben vom gleichen Tag dahingehend Stellung, dass das Asylverfahren des Lebensgefährten der Antragstellerin im nationalen Verfahren entschieden werde. Eine Anhörung oder eine Entscheidung über den Asylantrag sei noch nicht erfolgt. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis bestehe deswegen nicht. Es ergebe sich insbesondere nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, da keine kindlichen und/oder familiären Belange im Sinne von Art. 5 HS 1, Buchst. a) und/oder b) der RL 2008/115/EG i.V.m. Art. 7 oder 24 GRCh, Art. 3 und/oder Art. 9 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes i.V.m. Art. 6 GG und Art. 6 EMRK vorlägen. Die Antragstellerin sei mit Herrn … weder standesamtlich verheiratet noch seien Belege vorgelegt worden, dass es sich um eine dauerhafte nichteheliche Beziehung handeln könnte. Zudem verfüge er nicht über einen dauerhaften legalen Aufenthalt im Bundesgebiet, sodass es sich selbst bei Annahme einer dauerhaften nichtehelichen Beziehung nicht um eine Trennung von Familienangehörigen handeln würde, die berechtigterweise im Bundesgebiet lebten. Daher trete das staatliche Interesse an einer Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung nicht in den Hintergrund.
11
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
12
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
13
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
14
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
15
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 5. Februar 2024 gegen die in Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2024 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Belgien ist zulässig, insbesondere fristgemäß gestellt, aber unbegründet.
16
Die von der Antragstellerin erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
17
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2024 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Demnach ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
19
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
20
1. Vorliegend ist Belgien zur Wiederaufnahme der Antragstellerin verpflichtet.
21
Ausweislich des vom Bundesamt festgestellten Eurodac-Treffers der Kategorie 1 hat die Antragstellerin in Belgien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dass die Antragstellerin in Belgien einen Asylantrag gestellt hat steht aufgrund ihrer Angaben beim Bundesamt und aufgrund des für Belgien vom Bundesamt festgestellten Eurodac-Treffers der Kategorie 1 zur Überzeugung des Gerichts fest.
22
Das Bundesamt hat am 19. Januar 2024 ein Wiederaufnahmegesuch an Belgien gerichtet und damit die sich aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO ergebende zweimonatige Frist seit der Feststellung des Eurodac-Treffers am 15. Dezember 2023 gewahrt, sodass die Bundesrepublik Deutschland nicht nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig geworden ist.
23
Die belgischen Behörden haben dem Gesuch am 25. Januar 2024 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO zugestimmt. Damit ist Belgien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO verpflichtet, die Antragstellerin nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wiederaufzunehmen. Auf die Zuständigkeit Belgiens gemäß den Kriterien von Kapitel III der Dublin III-VO kommt es daher nicht mehr an (vgl. EuGH, U.v. 2.4.19 – C-582/17 und C-583/17 – juris).
24
Es greifen auch nicht die im Wiederaufnahmeverfahren ausnahmsweise im Fall einer Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaats nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO im Einklang mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und dem Schutz von Kindern und des Familienlebens zu prüfenden Art. 8 bis 10 Dublin III-VO (vgl. EuGH, U.v. 2.4.19 – C-582/17 und C-583/17 – juris Rn. 83). Denn Belgien hat dem Wiederaufnahmegesuch gerade nicht nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO zugestimmt, sondern nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO. Dies bedeutet, dass Belgien das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit bereits abgeschlossen und seine eigene Zuständigkeit nach der Dublin III-VO bejaht hat. Weiter bedeutet es, dass die Antragstellerin ihren in Belgien gestellten Asylantrag während der Antragsprüfung zurückgezogen hat. In dieser Fallkonstellation ist nach der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Heranziehung von Art. 8-10 Dublin III-VO nicht vorgesehen.
25
Hinzu kommt, dass kein Familienangehöriger der Antragstellerin im Sinne von Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO sich in Deutschland aufhält, bei dem die Voraussetzungen von Art. 8, Art. 9 oder Art. 10 Dublin III-VO zutreffen. Insbesondere handelt es sich bei dem von der Antragstellerin als ihr „Ehemann“ genannter Herrn … auch nach ihren eigenen Angaben nicht um ihren rechtswirksam verheirateten Ehemann. Eine Eheschließung wurde von der Antragstellerin nicht nachgewiesen, es wurden keine Dokumente über die Eheschließung vorgelegt. Daneben wurden aber auch keine Personenstandsdokumente der Antragstellerin vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass diese überhaupt verheiratet ist (Personalausweis o.ä.). Daneben ergibt sich aus der vom Gericht beigezogenen Bundesamtsakte von Herrn …, dass dieser vom Bundesamt mit dem Personenstand „ledig“ geführt wird, was er auf dem Formular seiner förmlichen Asylantragstellung auch unterschrieben hat. Daher muss davon ausgegangen werden, dass er sich selbst nicht als verheiratet ansieht.
26
Die Bundesrepublik Deutschland ist schließlich nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig geworden, denn diese wurde durch den vorliegenden, fristgerecht gestellten Antrag unterbrochen und läuft erst mit der Ablehnung des Antrags erneut an (vgl. Art. 29 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin III-VO a.E.).
27
2. Der Zuständigkeit Belgiens steht weder Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin-III-VO (hierzu a.) noch eine der Antragstellerin im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Belgien dort drohende, gegen Artikel 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung (hierzu b.) entgegen.
28
a) Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Belgiens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin III-VO entfallen lassen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO führen würden.
29
aa) Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht.
30
Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). An diese Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße der zuständigen Mitgliedstaaten gegen Art. 3 EMRK genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
31
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin-III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
32
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris).
33
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.).
34
bb) Dublin-Rückkehrer, die in Belgien einen neuen Asylantrag stellen müssen, erhalten bei der Ankunft in Belgien von der Grenzpolizei ein Schreiben, mit dem sie sich am nächsten Arbeitstag um 8:30 Uhr bei der Einwanderungsbehörde in B. vorstellen müssen, um einen neuen Antrag zu stellen. Nach der Registrierung des Antrags werden sie an die für die Unterbringung von Asylsuchenden zuständige Agentur F. im Ankunftszentrum K. K1./P. Ch. in B. weitergeleitet. Dublin-Rückkehrer, die im Rahmen eines in Belgien noch anhängigen Asylantrags überstellt werden, bekommen von der Grenzpolizei die Nachricht, dass sie direkt zu F. gehen können (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, Stand: 24.4.2023, S. 2).
35
Die belgische Einwanderungsbehörde und die Asylbehörde (CGRS – Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides | Commissariaatgeneraal voor de vluchtelingen en de staatlozen) betrachten Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Antragsrücknahme im Sinne von Art. 28 der Richtlinie (EU) 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) eingestellt wurde, als Folgeantragsteller. Wenn eine asylsuchende Person u.a. Belgien vor der ersten Befragung verlassen hat, wird das Asylverfahren eingestellt. Wenn die Person nun nach Belgien zurückgeschickt wird im Rahmen des Dublin-Verfahrens und einen neuen Asylantrag stellt, ist die Einwanderungsbehörde gesetzlich verpflichtet, diesen Folgeantrag als zulässig zu betrachten (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, Stand: 24.4.2023, S. 65, 110). Folgeantragsteller haben keinen automatischen Zugang zum Aufnahmesystem, F. hat die Möglichkeit, ihnen diesen Zugang zu verweigern, bis die Asylbehörde den Folgeantrag als zulässig eingestuft hat. Diese Entscheidung soll nach Art. 4 des Belgischen Aufnahmegesetzes zwar auf der Grundlage der individuellen Situation der asylsuchenden Person und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden. In der Praxis verweigert F. jedoch systematisch Folgeantragstellern einen Platz im Aufnahmesystem, bis der Antrag von CGRS als zulässig eingestuft wird (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, Stand: 24.4.2023, S. 107). Nach der gesetzlichen Regelung soll CGRS die Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags innerhalb von 10 Arbeitstagen ab der Mitteilung über den Folgeantrag durch die Einwanderungsbehörde treffen. Diese Frist kann von CGRS derzeit zwar nicht eingehalten werden, allerdings hat die Behandlung von Folgeanträgen dort Priorität (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, Stand: 24.4.2023, S. 84).
36
Das Recht auf Aufnahme und Unterbringung sowie materielle Versorgung besteht in Belgien grundsätzlich ab der Asylantragstellung. Im Ankunftszentrum erfolgt zunächst eine medizinische Untersuchung und es wird überprüft, ob die asylsuchende Person Anspruch auf materielle Leistungen hat, was nur bei ausreichenden finanziellen Mitteln nicht der Fall ist (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, Stand: 24.4.2023, S. 97). Wenn dies bestätigt wird erhält die asylsuchende Person einen vorübergehenden Aufnahmeplatz im Ankunftszentrum oder einem anderen Aufnahmezentrum der ersten Stufe für zwischen drei Tagen und einer Woche. Danach wird sie, sobald ein ihren Bedürfnissen entsprechender Platz gefunden ist, in eines der belgischen Aufnahmezentren der zweiten Stufe übergeleitet, wo sie bis zum Abschluss des Asylverfahrens untergebracht ist (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, Stand: 24.4.2023, S. 2; AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, Stand: 24.4.2023, S. 98).
37
Allerdings besteht in Belgien seit dem Jahr 2021 aufgrund langjähriger Versäumnisse im Zuge der sogenannten „Aufnahmekrise“ (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, S. 7) ein Mangel an Plätzen in den Aufnahmezentren der ersten Stufe. Alleinstehenden männlichen Asylsuchenden wird infolgedessen systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem verweigert und sie müssen sich auf eine Warteliste setzen lassen (BFA, a.a.O., S. 14). Gegenwärtig wird in absteigender Reihenfolge unbegleiteten Minderjährigen und alleinstehenden Frauen, Familien mit Kindern und Familien ohne Kinder bei der Aufnahme Vorrang vor alleinstehenden Männern eingeräumt (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 100 f., S. 36).
38
Belgien verfügt über insgesamt 35.435 Unterbringungsplätze, von denen 33.285 zum Stand 1. Dezember 2023 belegt waren (94%). Diese Plätze verteilen sich auf rund 100 kollektive Zentren, welche etwa 75% der Gesamtkapazität ausmachen. 398 belgische Gemeinden stellen 4633 Unterbringungsplätze in lokalen Unterbringungsinitiativen zur Verfügung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand 19.12.2023, S. 16).
39
Asylsuchende, die einem Platz in einem Aufnahmezentrum der ersten oder zweiten Stufe erhalten haben, haben dort neben der Unterbringung Anspruch auf Verpflegung, Bekleidung, medizinische, soziale und psychologische Unterstützung, Zugang zu Dolmetscherdiensten und rechtliche Vertretung, Zugang zu Training und einem freiwilligen Rückkehrprogramm. Daneben erhalten sie ein kleines wöchentliches Taschengeld in Höhe von 9,50 EUR für Erwachsene und Kinder über 12 Jahren, die die Schule besuchen, von 5,60 EUR für jüngere Kinder und Kinder über 12 Jahren, die nicht die Schule besuchen AIDA, Country Report Belgium 2022 update, S. 114, 116). Die Versorgung in den kollektiven Unterbringungszentren erfolgt vollständig in Form von materieller Hilfe. Asylsuchende in individueller Unterbringung bei Nichtregierungsorganisationen oder lokalen Unterbringungsinitiativen erhalten dagegen einen Geldbetrag oder Essensgutschein, der in der Höhe abhängig ist von der Familiengröße und der Tatsache, ob in der Unterkunft Mahlzeiten ausgegeben werden, ist (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, S.13f).
40
Asylsuchende, die (noch) keinen Platz in einem Aufnahmezentrum haben, sind auf Leistungen caritativer und zivilgesellschaftlicher Organisationen angewiesen, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Es gibt Initiativen zur Unterstützung von Asylsuchenden, die ganz oder teilweise vom belgischen Staat oder einer der Regionen subventioniert werden. Dazu gehören etwa: The Humanitarian Hub (von der Region B. verwaltet und finanziert; wo asylsuchende Personen medizinische und psychologische Hilfe, Kleidung, Hygieneartikel, Unterbringung für Frauen, Toilettenartikel und kostenlose Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr erhalten können); der Refugee Medical Point von Ärzte ohne Grenzen (bietet ähnliche Dienste an, die ebenfalls teilweise von der Regierung finanziert werden); das Tageszentrum des Roten Kreuzes (bietet Essen, Ruheplätze, sanitäre Anlagen und Sicherheit); das Vluchtelingenwerk Vlaanderen (bietet ebenfalls Lebensmittel und Zugang zu kostenlosem Rechtsbeistand) (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, S. 18).
41
Grundsätzlich steht der belgische Arbeitsmarkt Asylsuchenden offen, die innerhalb von vier Monaten nach Asylantragstellung noch keine Erstentscheidung in der Sache erhalten haben. Das Recht auf Arbeit ist direkt auf der befristeten Aufenthaltserlaubnis (orange Karte) vermerkt, sodass keine separate Arbeitserlaubnis erforderlich ist (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, S. 15). Allerdings ist der Zugang zum belgischen Arbeitsmarkt für die Betroffenen der Aufnahmekrise in der Praxis stark eingeschränkt. Denn eine Obdachlosigkeit steht der Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis entgegen, da die ausstellenden Behörden dafür einen festen Wohnsitz verlangen (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 128 f.).
42
Daneben haben Asylsuchende Anspruch auf die medizinische Versorgung, die für ein Leben in Würde notwendig ist. Soweit im Asylzentrum kein Arzt ständig anwesend ist, wird jeweils mit niedergelassenen Ärzten kooperiert (AIDA Country Report Belgium, 2022 update, S. 130). Die medizinische Versorgung umfasst grundsätzlich alle Leistungen, welche die belgische Krankenkasse übernimmt, mit gewissen Ausnahmen bei nicht notwendigen oder sehr teuren Behandlungen (BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, 17). Personen, die wegen der Aufnahmekrise keinen Zugang zu den Aufnahmezentren haben, haben zwar grundsätzlich dennoch Zugang zur medizinischen Versorgung durch F. in den Aufnahmezentren (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, Stand: 24.4.2023, S. 4f.), faktisch haben sie jedoch nur einen eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Zivilstaatliche Akteure versuchen diesen Mangel zwar auszugleichen, die medizinische Versorgung dieser Personen bleibt aber hinter der der Personen in den Aufnahmezentren zurück (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand: 19.12.2023, S. 18).
43
cc) Im Falle der Antragstellerin steht aufgrund der Tatsache, dass Belgien das deutsche Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO angenommen hat, fest, dass die Antragstellerin ihren belgischen Asylantrag entweder ausdrücklich zurückgenommen hat oder dass ihr Asylverfahren eingestellt wurde, weil sie beispielsweise zu dem festgesetzten Termin nicht zur Anhörung erschienen ist (Art. 57/6/5 des belgischen Ausländergesetzes, vgl. AIDA Country Report Belgium, 2022 update, S. 65). Nach der Überstellung nach Belgien müsste sie erneut einen Asylantrag stellen, der in jedem Fall als Folgeantrag behandelt würde. Da die Antragstellerin weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren erklärt hat, dass sie ihren Asylantrag in Belgien zurückgenommen hat, und angesichts der Tatsache, dass sie ausweislich der bei ihr festgestellten Eurodac-Treffer und ihrem Vortrag beim Bundesamt nach ihrem Aufenthalt in Belgien in den Niederlanden einen weiteren Asylantrag gestellt hat, spricht nach Auffassung des Einzelrichters alles dafür, dass die Antragstellerin ihren Anhörungstermin in Belgien nicht wahrgenommen hat und deshalb ihr Verfahren eingestellt wurde. Daher hat sie bei Rücküberstellung nach Belgien einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihr Folgeantrag als zulässig betrachtet und ihr Asylantrag in der Sache geprüft wird. Bis zur Entscheidung der belgischen Asylbehörde CGRS würde sie nach der oben dargestellten belgischen Praxis von F. nicht erneut in das Aufnahmesystem aufgenommen werden. Als alleinreisende Frau würde sie jedoch nach der Entscheidung von CGRS vorrangig ins Aufnahmesystem aufgenommen.
44
Bis zu ihrer Aufnahme in die staatliche Unterbringung müsste die Antragstellerin eine Unterkunft aus eigenen Mitteln beschaffen oder versuchen, in einer der von Nichtregierungsorganisationen betriebenen Projekten oder in einer der informellen Siedlungen in B. Unterkunft zu finden. Zudem würden ihr im Bedarfsfall medizinische Leistungen durch F. oder durch nichtstaatliche Akteure gewährt. Soweit sie ihre Verpflegung nicht selbst sicherstellen könnte bestehen neben Angeboten caritativer und zivilgesellschaftlicher Organisationen auch Angebote von Seiten und/oder mit Unterstützung der Region B..
45
Angesichts der Tatsache, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit von Folgeanträgen im Fall der Antragstellerin nach der Auskunftslage durch die Asylbehörde CGRS innerhalb weniger Tage getroffen wird, ist die Überbrückung dieses Zeitraums für die Antragstellerin möglich und zumutbar. Es steht daher nicht zu erwarten, dass die Antragstellerin in dem Zeitraum bis zu ihrer Aufnahme in das staatliche belgische Unterbringungssystem in eine Lage geraten wird, in der sie ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht wird decken können und in eine extreme materielle Not geraten wird. Ab der Aufnahme in einem Aufnahmezentrum stehen für die Antragstellerin Leistungen bereit, die zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse ausreichen.
46
Aufgrund der Aufnahmekrise liegt zwar ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen in Belgien vor. Allerdings führt dieser nicht zu einer der Antragstellerin als alleinstehender Frau im Falle ihrer Rücküberstellung drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK, da die Auswirkungen durch caritative und zivilgesellschaftliche Akteure mit staatlicher Unterstützung abgefedert werden.
47
b) Der Antragstellerin droht bei einer Rückkehr nach Belgien auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Belgien nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK.
48
aa) Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
49
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
50
Wie oben für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen für anerkannte Schutzberechtigte erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22). Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
51
Im Rahmen der diesbezüglich zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich; die Gefahr einer Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Einzelfalls hinreichend sicher bestehen und nicht nur hypothetisch sein (OVG RhPf, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG – BeckRS 2020, 37249, Rn. 34).
52
bb) Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Dauer von 5 Jahren, Inhaber des subsidiären Schutzstatus mit einer Dauer von einem Jahr, die nach einem Jahr (und anschließend nach zwei Jahren) verlängert wird, wenn die Einwanderungsbehörde nicht der Auffassung ist, dass die Verhältnisse sich geändert haben. Im letzteren Fall wird die zuständige Behörde aufgefordert, den Widerruf des Schutzstatus zu prüfen (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 163).
53
Wenn eine in einem Aufnahmezentrum aufhältige asylsuchende Person eine Entscheidung über die Zuerkennung eines Schutzstatus erhält, kann sie entweder für 2 Monate in eine lokale Unterbringungsinitiative umziehen, wo sie Unterstützung bei der Wohnungssuche erhält, sowie Hilfe beim Übergang zu finanzieller Unterstützung. Diese 2 Monate werden als zu kurz kritisiert, können aber in Ausnahmefällen um bis zu 3 Monate verlängert werden. Wurde der Zeitraum nicht verlängert bzw. wurde dennoch keine Wohnung gefunden, muss die Unterbringung trotzdem verlassen werden (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand 19.12. 2023, S. 20). Problematisch ist dabei, dass allgemeine Wohnungsknappheit herrscht und manche Vermieter nicht an schutzberechtigte Personen vermieten wollen (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 182). Alternativ kann die schutzberechtigte Person die Unterkunft verlassen, um bei Familie oder Freunden zu wohnen. In diesem Fall händigt F. dem Betreffenden Lebensmittelschecks im Wert von 280 EUR pro Erwachsenen bzw. 120 EUR pro Kind aus. Dieser Betrag entspricht dem Gegenwert von Lebensmitteln für einen Monat; innerhalb eines Monats muss das Sozialamt auch über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung entscheiden (BFA; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Stand 13.12.2023, S. 20). International Schutzberechtigte haben ab dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus Zugang zu Sozialleistungen wie belgische Staatsangehörige. Wird ein solcher Antrag beim Sozialamt (Centre public d’action sociale (CPAS) | Openbaar centrum voor maatschappelijk welzijn (OCMW)) gestellt, so hat dieses 30 Tage Zeit, um eine Entscheidung zu treffen (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 187).
54
Anerkannte Flüchtlinge haben Zugang zum Arbeitsmarkt wie belgische Bürger, ohne dass sie eine Arbeitserlaubnis benötigten. Seit 2019 benötigen auch subsidiär Schutzberechtigte keine Arbeitserlaubnis mehr, um als Nichtselbständige zu arbeiten (AIDA, Country Report Belgium, 2022 update, S. 183). Daneben können sie eine Krankenversicherung erhalten, entweder über Berufstätigkeit, als abhängige Person oder über das Aufenthaltsrecht (AIDA, Country Report Belgium 2022 update, S. 188). Bei bedürftigen Personen kann das Sozialamt auch Behandlungskosten übernehmen, wenn keine Möglichkeit, eine Krankenversicherung abzuschließen, besteht und Bedürftigkeit vorliegt (BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, S. 21).
55
cc) Im Fall der Antragstellerin bestehen vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr nach einer Schutzzuerkennung in Belgien eine gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung drohen würde.
56
Die Antragstellerin hat gegenüber dem Bundesamt keine schwerwiegenden Erkrankungen angegeben, geschweige denn nachgewiesen. Sie ist also arbeitsfähig und könnte nach einer Schutzzuerkennung in Belgien dort arbeiten und ihren Lebensunterhalt durch ihre Arbeitskraft erwirtschaften. Nach der Schutzzuerkennung wäre sie wie noch jedenfalls 2 Monate berechtigt, in einer lokalen Unterbringungsinitiative zu wohnen. Diese Zeit könnte gegebenenfalls auch verlängert werden, wenn sie nicht in der Lage ist eine Wohnung zu finden. Trotz der nach der Auskunftslage bestehenden Wohnungsnot ist nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin nicht gelingen könnte, eine Unterkunft zu finden.
57
Insgesamt ist daher nicht zu erwarten, dass die Antragstellerin nach einer Schutzzuerkennung in Belgien dort eine Situation extremer materieller Not geraten würde, die nach dem oben dargestellten Maßstab des EuGH eine drohende unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK darstellen würde.
58
3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich.
59
4. Abschiebungshindernisse sind nicht gegeben. Das gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin bei Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu prüfen hat (vgl. dazu BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris sowie B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4).
60
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der Anwesenheit des von der Antragstellerin beim Bundesamt als ihr „Ehemann“ bezeichneten Herrn … Eine wirksame Eheschließung und eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen ihm und der Antragstellerin besteht nicht (siehe oben). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegen nicht vor, denn wie bereits dargestellt droht der Antragstellerin in Belgien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1, 3 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da bei der Antragstellerin keine entsprechenden Krankheiten vorliegen.
61
Nach alldem war der Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten des gegen die Abschiebungsanordnung gerichteten Rechtsbehelfs in der Hauptsache abzulehnen.
62
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
63
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
64
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).