Inhalt

FG Nürnberg, Beschluss v. 10.04.2024 – 6 K 860/22
Titel:

Voraussetzungen des § 91a FGO

Normenkette:
FGO § 91a Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die Vorsorgepflicht für die Möglichkeit Termine wahrzunehmen besteht bei längerer Krankheit insbesondere für Einzelkanzleien (vgl. BFH II B 74/07, BFH/NV 2014, 1871f, II B 74/07).     (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
mündliche Verhandlung
Fundstellen:
EFG 2024, 1223
StEd 2024, 311
LSK 2024, 8926
BeckRS 2024, 8926

Tenor

Der Antrag der Prozessbevollmächtigten der Kläger, gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO sich während der mündlichen Verhandlung am 11.04.2024 in den eigenen Kanzleiräumen aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen per Videozuschaltung vorzunehmen, wird abgelehnt.

Tatbestand

I.
1
Die Klägervertreterin beantragte mit Schreiben vom 09.04.2024, elektronisch übermittelt in den frühen Morgenstunden des 10.04.2024, an der Verhandlung vom 11.04.2024 per Videoschaltung teilnehmen zu dürfen. Eine Anreise sowohl am Vortag bzw. direkt am Terminstag sei aus aktuellen Überlastungsgründen sowie der persönlichen Betreuungsverpflichtung der am Wohnort ansässigen Mutter, 81 Jahre alt, Pflegegrad 3, nicht vertretbar. Es würde zu einer ganztägigen Ortsabwesenheit führen. Eine Vertretung könne nicht beschafft werden.
2
Zugleich werde auf den krankheitsbedingten Hinderungsgrund in persona hingewiesen. Die Klägervertreterin sei seit dem 30.03.2024 erkrankt. Seit dem 07.04.2024 komme noch die Reise- und Verhandlungsunfähigkeit, attestiert am 08.04.2024, hinzu. Die Klägervertreterin gehe jedoch davon aus, dass bis zum Termin jedenfalls die Verhandlungsfähigkeit wieder gewährleistet wäre. Aktuell habe sich der Zustand soweit gebessert, dass der Antrag auf Gestattung der Videokonferenz abgefasst werden konnte.
3
Die kurzfristige Antragstellung begründet sie mit der aktuellen Erkrankung, die nicht unerheblich sei.
4
Die Klägervertreterin verweist zudem auf durchgeführte Videoverhandlungen mit dem FG X und FG Y. Sie habe einen IT Betreuer ihrer Kanzlei gebeten, sich für den 11.04.2024 zur Verfügung zu halten.
5
Die Klägervertreterin legte dem Antrag ein Attest der Ärztin Dr. Z bei, wonach sie vom 08.04.2024 bis einschließlich 12.04.2024 reise- und verhandlungsunfähig sei.
6
Bereits am 02.04.2024 hatte die Klägervertreterin gegenüber der Geschäftsstelle des Gerichtes telefonisch erklärt, sie sei erkrankt und werde einen Terminverlegungsantrag stellen.
7
Zuvor war das Verfahren bereits zweimal terminiert und der Klägervertreterin jeweils ein Zugang zur Teilnahme über Video eingerichtet worden.
8
Die Verhandlung am 01.02.2024 musste nach wenigen Minuten abgebrochen werden, da die Klägervertreterin mitteilte, sie habe ständige Aussetzer in der Tonübertragung und könne die Sitzung nicht verfolgen. Die Klägervertreterin hatte sich in ihren Privaträumen zugeschaltet. Im Schreiben vom 09.04.2024 begründet sie diese technischen Probleme mit heftigem Sturmwetter und Hagelniederschlägen.
9
Die zweite Verhandlung vom 29.02.2024 wollte die Klägervertreterin in ihren Kanzleiräumen wahrnehmen. Die Übertragung aus dem Gerichtssaal funktionierte, während umgekehrt kein Ton zu hören war. Das Videosystem des Gerichtes meldete ein ausgeschaltetes Mikrofon auf Seiten der Klägervertreterin. Telefonisch erklärte diese, sie wisse nicht, wie man das Mikrofon aktiviere. Im Schreiben vom 09.04.2024 erklärt sie hierzu, ihre Anlage in der Kanzlei habe keine Videokameraausstattung.
10
Mit Beschluss vom 29.02.2024 wurde die Gestattung zur Teilnahme per Videozuschaltung durch den Senat widerrufen.
II.
11
Der Antrag wird abgelehnt, da selbst bei einer Gestattung eine Verhandlung angesichts der attestierten Krankheit nicht sichergestellt ist und zudem die technische Ausstattung und das nötige Wissen der Handhabung auf Seiten der Klägervertreterin nicht gesichert ist.
12
Nach § 91a FGO entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über den Antrag eines Beteiligten zur Gestattung der Teilnahme per Videoschaltung. Für eine Gestattung spricht im Streitfall die Ersparnis der Reiseaufwendungen und die attestierte Reiseunfähigkeit der Klägervertreterin.
13
Diese Argumente können den Senat aber nicht überzeugen, dass mit einer Gestattung eine Verhandlung sicher durchgeführt werden kann. Dagegen spricht das eindeutige Attest der Ärztin, die auch für den Verhandlungstag eine Verhandlungsunfähigkeit belegt. Auch wenn die Klägervertreterin subjektiv meint, sie sei voraussichtlich in der Lage, dem Verfahren zu folgen und eine sachgerechte Unterstützung und Vertretung ihres Mandanten zu gewährleisten, kann das Gericht nicht sicher davon ausgehen. Die medizinische Expertise überwiegt die subjektive Einschätzung der Klägervertreterin, das Gericht ist an das ärztliche Attest gebunden (s. Herbert in Gräber, FGO § 91 R 4 „Erkrankung“ unter Hinweis auf BFH IX B 175/10 in BFH/NV 2012,1995).
14
Dies gilt umso mehr, als die Klägervertreterin bereits seit dem 30.04.2024 erkrankt ist, dies auch schon am 02.04.2024 dem Gericht ankündigte und dennoch keine Vorsorge für die Terminwahrnehmung traf. Diese Vorsorgepflicht besteht aber bei längerer Krankheit auch und gerade für Einzelkanzleien (Herbert aaO. unter Hinweis auf BFH II B 74/07 in BFH/NV 2014, 1871f).
15
Auch wenn die Klägervertreterin verhandlungsfähig wäre, liegen die Voraussetzungen des § 91a FGO nicht vor. Eine Gestattung setzt voraus, dass die Beteiligten über die technisch notwendigen Einrichtungen verfügen (s. Herbert in Gräber, FGO, § 91a R 4).
16
Der Senat sieht als Voraussetzung zudem auch die persönliche Fähigkeit, die Videoanlage zu bedienen. Beides, die technische Sicherheit der Anlage und die persönliche Fähigkeit, ist bei der Klägervertreterin nach Ansicht des Senates aufgrund der beiden Fehlversuche zur mündlichen Verhandlung nicht gewährleistet. Die Klägervertreterin kann nicht mit dem Verweis auf andere Verhandlungen durchdringen. Diese sind nicht näher dargelegt und können vom Gericht nicht überprüft werden. Auch die Ankündigung eines hinzugezogenen IT-Betreuers ist nicht überzeugend, da dazu keinerlei Nachweise geführt werden.