Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 19.03.2024 – W 4 K 22.1925
Titel:

Genehmigungsbedürftigkeit des Einbaus eines Blockheizkraftwerks in Biogasanlage

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
BImSchG § 15 Abs. 2, § 16 Abs. 1 S. 1
4. BImSchV Anhang 1 Nr. 1.2.2.2
Leitsatz:
Der Behörde kommt bei der Prüfung, ob die angezeigte Änderung einer Anlage der Genehmigung bedarf oder nicht, keinerlei Ermessensspielraum zu. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage gegen immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverlangen, Freistellungserklärung, Genehmigungsbedürftigkeit einer angezeigten Anlagenänderung, Einbau eines Blockheizkraftwerks in Biogasanlage, gerätetypenbezogene immissionsschutzrechtliche Genehmigung, Einbau eines nicht typengleichen, leistungsstärkeren Blockheizkraftwerks, Erreichen der Leistungsgrenzen des Anhangs zur 4. BImSchV, Einbau eines nicht typengleichen leistungsstärkeren Blockheizkraftwerks, Ermessensspielraum
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8630

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.  

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Genehmigungsbedürftigkeit eines in eine bestehende Biogasanlage eingebauten Blockheizkraftwerks.
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1. Die Klägerin betreibt auf den Grundstücken Fl.Nrn. …7 und …1 der Gemarkung G* … eine Biogasanlage.
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Mit Bescheid vom 6. Juni 2011 erteilte das Landratsamt Haßberge der Klägerin eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Erweiterung der bestehenden Biogasanlage. Unter den in Ziffer III. des Bescheids genannten Genehmigungsinhaltsbestimmungen sind in den Nrn. 2.3.9. und 2.3.15 als Anlagenteile zwei Blockheizkraftwerke (im Folgenden: BHKW) jeweils des Typs „M** * … … …, Feuerungswärmeleistung: 641 kW, 250 kWel“ (BHKW 1 und 2) aufgeführt.
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Unter dem 20. September 2011 zeigte die Klägerin gegenüber dem Landratsamt Haßberge die Erhöhung der Feuerungswärmeleistung von 641 kW (250 kWel) auf 932 kW (380 kWel) durch den ersatzweisen Einbau des BHKW Typs „M** * … … …“ an Stelle des BHKW 2 an. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2011 teilte das Landratsamt Haßberge mit, dass die angezeigte Änderung nach vorläufiger Prüfung nicht genehmigungspflichtig sei. Daraufhin wurde der angezeigte Motorentyp in Betrieb genommen.
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Mit Bescheid vom 30. November 2016 erteilte das Landratsamt Haßberge der Klägerin eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung zur Erweiterung der bestehenden Biogasanlage durch Erhöhung der Feuerungswärmeleistung auf 2.917 kW und der elektrischen Leistung auf 1.130 kWel, die wiederum in den in Ziffer III. beigefügten Genehmigungsinhaltsbestimmungen als Anlagenbestand das BHKW 1 Typ „M** * … … …, Feuerungswärmeleistung: 641 kW; 250 kWel“ und das BHKW 2 Typ „M** * … … …, Feuerungswärmeleistung: 932 kW, 380 kWel“ angibt (Nr. 2.3.10) und in Nr. 2.3.17 als neue Anlagenteile zwei weitere BHKW jeweils des Typs „M** * … … …, Feuerungswärmeleistung: 657 kW, 250 kWel“ bezeichnet.
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An Stelle der beiden letztgenannten BHKW baute die Klägerin das BHKW Typ „M* …H* …, … * … … …, Feuerungswärmeleistung: 1.355 kW, 530 kWel“ (BHKW 3) ein und nahm dieses in Betrieb.
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Mit Bescheid vom 17. Februar 2022 ordnete das Landratsamt Haßberge die Stilllegung des BHKW 3 an. Hiergegen ließ die Klägerin die unter dem Aktenzeichen W 4 K 22.472 geführte Klage erheben.
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Mit Schreiben vom 17. Oktober 2022, eingegangenen beim Landratsamt Haßberge am 14. November 2022, zeigte die Klägerin die Installation und den Betrieb des BHKW 3 an. Hinsichtlich der Einzelheiten der Anlagenänderung wird auf die mit der Änderungsanzeige eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
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2. Mit Schreiben vom 15. November 2022 teilte das Landratsamt Haßberge der Klägerin mit, dass die angezeigte Änderung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 16 BImSchG bedürfe.
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Der Betrieb des BHKW 3 stelle eine wesentliche Änderung i.S. des § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG dar, da das Anlagenteil mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.355 kW die in Nr 1.2.2.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV bestimmte Leistungsgrenze vom einem Megawatt übersteige und daher bereits für sich genommen genehmigungspflichtig sei.
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Die vorgenannte Mitteilung wurde der Klägerin mit E-Mail vom 15. November 2022 zugesandt.
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3. Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15. Dezember 2022 ließ die Klägerin Klage erheben und zuletzt beantragen,
1.
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Haßberge vom 15. November 2022 – Az. … – eine Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG in Bezug auf die Errichtung und den Betrieb des Blockheizkraftwerks M** * … … … mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.355 kW zu erteilen.
2.
Hilfsweise, den Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 15. November 2022 – Az. … – aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über die Änderungsanzeige der Klägerin vom 17. Oktober 2022 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Klagebegründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Der angezeigte Motorenaustausch führe lediglich zu einer minimalen Erhöhung der Feuerungswärmeleistung. Der tatsächliche Betrieb des alternativ eingebauten BHKW 3 mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.355 kW übersteige die genehmigte Feuerungswärmeleistung der beiden nicht realisierten BHKW um nur 41 kW und die genehmigte Gesamtfeuerungswärmeleistung um 11 kW. Die Leistungsgrenzen in Nr. 1.2.2.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV würden daher nicht erreicht und § 16 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BImSchG sei deshalb nicht einschlägig. Außerdem beeinträchtige der Betrieb des BHKW 3 ausweislich der der Änderungsanzeige beigefügten technischen Daten die immissionsschutzrechtlich relevanten Schutzgüter weniger als die beiden genehmigten BHKW.
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4. Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2023 beantragte das Landratsamt Haßberge für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass hinsichtlich der Genehmigungslage nicht auf die Gesamtleistung sämtlicher Verbrennungsmotorenanlagen, sondern auf jedes in der Genehmigung konkret bezeichnete Aggregat abzustellen sei. In den Bescheiden vom 6. Juni 2011 und 30. November 2016 seien nur die vier konkret bezeichneten Einzelanlagen genehmigt worden. Für das typenverschiedene und leistungsstärkere BHKW 3, das zudem wegen seiner Feuerungswärmeleistung von 1.355 kW eine Genehmigung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BImSchG bedürfe, bestehe daher eine Genehmigungspflicht.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im hiesigen Verfahren und im Verfahren W 4 K 22.472, auf die beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 19. März 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, mit der die Klägerin die Erteilung einer Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG für den angezeigten Einbau und Betrieb des BHKW 3 unter Aufhebung des Genehmigungsverlangens des Landratsamts Haßberge vom 15. November 2022 begehrt, bleibt sowohl in ihrem Haupt- als auch in ihrem Hilfsantrag ohne Erfolg.
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1. Die Mitteilung über die Genehmigungsbedürftigkeit einer angezeigten Änderung (sog. Genehmigungsverlangen oder Genehmigungsbedürftigkeitsentscheidung) stellt als Spiegelbild der Freistellungserklärung einen Verwaltungsakt dar (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 22 CS 17.1702 – juris Rn. 23). Nach Erlass einer solchen Genehmigungsbedürftigkeitsentscheidung steht es dem anzeigenden Betreiber frei, ein Genehmigungsverfahren einzuleiten, auf die Änderung zu verzichten oder die Entscheidung über die Genehmigungsbedürftigkeit mit einer Klage anzugreifen. Uneinheitlich wird bewertet, ob der Anlagenbetreiber gegen das Genehmigungsverlangen, durch das er in seinen Rechten verletzt sein kann, mit einer isolierten Anfechtungsklage vorgehen kann oder eine Verpflichtungsklage statthaft ist, die auf die Erteilung der Äußerung, dass die angezeigte Änderung nicht genehmigungsbedürftig ist, abzielt, d.h. auf die Erteilung der begehrten Freistellungserklärung gerichtet ist (vgl. Jarass in ders. BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 15 Rn. 37: offen; Appel in ders./Ohms/Saurer, BImSchG, Stand: 2021, § 15 Rn. 93: nur Verpflichtungsklage).
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2. Im vorliegenden Verfahren bedarf es jedenfalls keiner abschließenden Klärung der Frage über die statthafte Klageart, da sich die Klage in ihrem Hauptantrag in jedem Fall als unbegründet erweist.
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Denn das Genehmigungsverlangen des Landratsamts Haßberge vom 15. November 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ihr steht demnach auch kein Anspruch gegen den Beklagten auf Erteilung der begehrten Äußerung zu, dass die angezeigte Änderung der Biogasanlage keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf (113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 BImSchG hat die zuständige Behörde, wenn ihr die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage angezeigt wird, unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige und der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BImSchG erforderlichen Unterlagen, zu prüfen, ob die Änderung einer Genehmigung bedarf oder nicht. Der Träger des Vorhabens darf die Änderung vornehmen, sobald die zuständige Behörde ihm mitteilt, dass die Änderung keiner Genehmigung bedarf, oder sich innerhalb der in Satz 1 bestimmten Frist nicht geäußert hat (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG).
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Das Erfordernis einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Anlagenänderung bestimmt sich nach § 16 Abs. 1 BImSchG. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BImSchG bedarf die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage der Genehmigung, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können (wesentliche Änderung). Eine Genehmigung ist stets erforderlich, wenn die Änderung oder Erweiterung des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage für sich genommen Leistungsgrenzen oder Anlagengrößen des Anhangs zur Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen erreichen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2). Eine Genehmigung ist nur dann nicht erforderlich, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen offensichtlich gering sind und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ergebenden Anforderungen sichergestellt ist (§ 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG).
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In Anwendung dieser rechtlichen Maßgaben bedarf die angezeigte Installation und Inbetriebnahme des BHKW 3 Typ „M* …, … … … …“ mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.355 kW und 530 kWel“ an Stelle der beiden mit Bescheid vom 30. November 2016 genehmigten BHKW jeweils des Typs „M** * … … … mit einer Feuerungswärmeleistung von 657 kW und 250 kWel, einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung.
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Denn zum einen erreicht die angezeigte Änderung bereits für sich genommen die Leistungsgrenze von einem Megawatt in Nr. 1.2.2.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSch. Zum anderen können durch den Einbau und die Inbetriebnahme des BHKW 3 nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden, die für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können. Zur diesbezüglichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die Ausführungen unter 1.2.1. in den Entscheidungsgründen des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 19. März 2024 (W 4 K 22.472) Bezug genommen.
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Da die angezeigte Installation des BHKW 3 als eine die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit auslösende wesentliche Anlagenänderung zu werten ist, sich das Genehmigungsverlangen des Landratsamts Haßberge vom 15. November 2022 als rechtmäßig erweist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und der Klägerin damit kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz1 VwGO), ist die Klage in ihrem Hauptantrag unbegründet.
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3. Die Klage hat auch in ihrem hilfsweise gestellten Antrag keinen Erfolg.
27
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf eine erneute (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über die Änderungsanzeige der Klägerin vom 17.Oktober 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Da die angezeigte Änderung genehmigungspflichtig ist (s.o.), liegen bereits die Voraussetzungen für die begehrte Freistellungserklärung nicht vor. Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Behörde bei ihrer Prüfung, ob die angezeigte Änderung einer Genehmigung bedarf oder nicht, keinerlei Ermessensspielraum zukommt (vgl. Czaja in Feldhaus, BImSchR, Stand: 4/ 2023, § 15 Rn. 79). Folglich hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte (nochmalige) fehlerfreie Ermessensausübung.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.