Titel:
Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz beim Einbau des Motors EA 189 und Erwerb des Fahrzeugs im Juli 2016 (hier: Audi Q5 2,0)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; BeckRS 2023, 32835; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; BeckRS 2024, 5589; BeckRS 2024, 6664; BeckRS 2024, 6950; BeckRS 2024, 7525; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; BeckRS 2024, 5526; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verhaltensänderung der VW AG im September 2015 in Form eines nach außen erkennbaren grundlegenden Strategiewechsels, der mit dem Einräumen von Unregelmäßigkeiten und der Erarbeitung von Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzeswidrigen Zustandes verbunden war, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen, lässt auch bei der Audi AG als einer Konzerngesellschaft der VW AG den Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber späteren Käufern nicht mehr gerechtfertigt erscheinen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine vor Abschluss des Kaufvertrags erfolgte Verhaltensänderung nimmt der schädigenden Handlung nur das Gepräge der Sittenwidrigkeit, ändert jedoch nichts am Verschulden hinsichtlich der Implementierung der Umschaltlogik als unzulässiger Abschalteinrichtung, auf dessen Vorliegen es im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ausschließlich ankommt. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Bemessung des Differenzschadens mit 10% des Kaufpreises erscheint sachgerecht, wenn es sich um einen durchschnittlichen Fall handelt. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Differenzschaden, Nachkauf, Verhaltensänderung, Konzerngesellschaft
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 26.03.2020 – 64 O 1281/19
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8552
Tenor
1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.03.2020, Az. 64 O 1281/19, in Ziffer 1 seines Tenors dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klagepartei 4.513,02 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klagepartei 91%, die Beklagte 9%.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klagepartei 88%, die Beklagte 12%.
4. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts Ingolstadt, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis 20.12.2023 auf 33.643,33 € und seither auf 6.769, 53 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrages im sogenannten „V. -Diesel-Skandal“.
2
Die Klagepartei erwarb am 04.07.2016 von privat ein gebrauchtes Fahrzeug Typ Audi Q5, 2,0, Fahrzeugidentifikationsnummer …, Erstzulassung 08.06.2015 bei einem Stand von 17.490 km, das mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, der von der V. AG konstruiert worden war, ausgestattet ist, zum Preis von 45.130,22 € brutto. Die Beklagtenpartei ist die Herstellerin des Fahrzeugs. Für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp wurde durch das Kraftfahrtbundesamt die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
3
Die im Zusammenhang mit dem Motor EA 189 verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
4
Bereits vor Abschluss des Kaufvertrages, nämlich am 22.09.2015, gab die V. AG eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, die auszugsweise lautete:
„… Weitere bisherige interne Prüfungen haben ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des V. Konzerns vorhanden ist. Bei der Mehrheit dieser Motoren hat die Software keinerlei Auswirkungen. Auffällig sind Fahrzeuge mit den Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Fahrzeugtyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. Volkswagen arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt.“
5
Die V. AG startete ferner Anfang Oktober 2015 öffentlichkeitswirksam den Betrieb einer Internetseite, auf der jedermann – folglich auch alle Fahrzeughalter – durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer überprüfen konnten, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Umschaltlogik ausgestattet ist. Die Vertriebspartner – auch von Gebrauchtwagen – wurden informiert und angewiesen, Kunden auf die Umschaltlogik hinzuweisen. Der V.-Abgasskandal fand bundesweit große mediale Beachtung.
6
Die Beklagte trat am 02.10.2015 mit einer entsprechenden Pressemitteilung an die Öffentlichkeit und schaltete Anfang Oktober 2015 eine Webseite mit der Möglichkeit einer FIN-Abfrage zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit von Fahrzeugen der Beklagten.
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Das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagtenpartei auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Mit dem daraufhin entwickelten Software-Update sollte die unzulässige Abschalteinrichtung aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum entfernt werden. Das KBA erteilte ab Ende Januar 2016 Freigaben und bescheinigte in diesen, es seien keine unzulässigen Abschaltvorrichtungen festgestellt, vorhandene Abschalteinrichtungen seien als zulässig eingestuft worden. Die Grenzwerte zu Schadstoffemissionen und die Anforderungen an die Dauerhaltbarkeit von emissionsmindernden Einrichtungen seien eingehalten, auch seien die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchswerte und CO2-Emissionen in Prüfungen von einem technischen Dienst bestätigt worden.
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Zum Zeitpunkt des Kaufes des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei am 04.07.2016 war das Software-Update noch nicht aufgespielt. Dies erfolgte am 13.02.2017. Das in dem Software-Update vom Februar 2017 implementierte Thermofenster bewirkt, dass die Abgasreinigung nur zwischen +15° und +33° C aktiv ist.
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Die Klagepartei verkaufte das streitgegenständliche Fahrzeug am 08.01.2022 bei einem Kilometerstand von „ca. 145.000“ zu einem Preis von 20.000,00 €. Der Kaufvertrag enthielt den Passus „Ggf. noch bestehende Ansprüche gegenüber Dritten aus Sachmängelhaftung werden an den Käufer abgetreten“ (vgl. den Kaufvertrag laut Anl. BB 6).
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Die Klagepartei trägt vor, die Beklagte habe – mit Wissen ihrer jeweiligen Vorstände – das Aggregat im Pkw der Klagepartei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet; ihr stünden daher Schadensersatzansprüche unter anderem aus §§ 826, 31 BGB zu. Im Wissen um die in dem Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung hätte sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
11
Bei dem Software-Update handle es sich um eine erneute vorsätzlich sittenwidrige Schädigungshandlung der Beklagten. Das Software-Update beinhalte neue unzulässige Abschalteinrichtungen.
12
Die Klagepartei beantragte,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 45.130,22 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 22.03.2017 bis 29.05.2019 und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 30.05.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.791,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2019 zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragte,
14
Mit Endurteil vom 26.03.2020, Az. 64 O 1281/19, wies das Landgericht Ingolstadt die Klage ab.
15
Ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus § 826 BGB bestehe nicht, da der streitgegenständliche Kauf erfolgt sei, nachdem die Beklagte die in dem Motor EA 189 implementierte unzulässige Abschalteinrichtung öffentlich eingeräumt und ihren Kunden die Möglichkeit verschafft habe, sich über die individuelle Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu informieren.
16
Das Software-Update mit dem darin enthaltenen Thermofenster stelle keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Klagepartei dar, die einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB begründen würde.
17
Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 EG-FGV sei zu verneinen, da es sich bei §§ 6, 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handle.
18
Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
19
Die Klagepartei verfolgt mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags ihr bisheriges Klageziel grundsätzlich weiter. Hinsichtlich der Deliktszinsen nimmt die Klagepartei ihre Berufung zurück.
20
Sie trägt neu vor, dass in dem im Februar 2017 aufgespielten Software-Update neue unzulässige Abschalteinrichtungen u.a. in Form eines Thermofensters, einer drehmoment- bzwdrehzahlgesteuerten Abschaltung sowie der erneuten Sabotage des OBD-Systems implementiert worden seien (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 20.12.2023, S. 7, Bl. 583 d.A.).
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 4.760,84 nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2019 bis zum 08.01.2022 aus 45.130,22 und seit dem 09.01.2022 aus 4.760,84 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 30.05.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.791,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2019 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz mindestens jedoch EUR 6.769,53 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.05.2019 zu zahlen.
22
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
23
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie trägt vor, dass die Klagepartei schon nicht mehr aktivlegitimiert sei, da sie beim Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs alle Ansprüche gegen Dritte aus Sachmängelhaftung an den Käufer abgetreten habe. Dazu zählten auch die hier streitgegenständlich geltend gemachten Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte.
24
Der Senat hat am 06.03.2024 mündlich verhandelt. Er hat die Klagepartei informatorisch angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2024, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
25
Die zulässige Berufung bleibt im Hauptantrag ohne Erfolg, da der Klagepartei gegen die Beklagte kein Anspruch auf den großen Schadensersatz zusteht. Im Hilfsantrag ist die Berufung nur im Umfang von 4.513,02 € erfolgreich. Im Übrigen ist sie auch bezüglich des Hilfsantrags unbegründet.
26
I. Die Klagepartei ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nach dem Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowohl hinsichtlich des großen Schadensersatzanspruchs als auch bezüglich des Differenzschadensersatzanspruchs aktivlegitimiert, da sich die im Kaufvertrag vom 10.09.2021 erfolgte Abtretung von Ansprüchen an den Erwerber des Fahrzeugs ausweislich des unzweideutigen Wortlauts nur auf „Ansprüche (…) aus Sachmängelhaftung“ bezog. Vorliegend geht es aber nicht um Ansprüche aus Sachmängelhaftung gegen den denjenigen, von dem die Klagepartei ihrerseits das Fahrzeug erworben hatte, sondern um deliktische Ansprüche gegen den Fahrzeughersteller.
27
Für eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Interessengerechtigkeit kein Bedürfnis, da der Erwerber seinerseits einen – wenn auch aufgrund des geringeren Kaufpreises grundsätzlich betragsmäßig geringeren – originären Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegen die Beklagte hat, weshalb eine Abtretung auch der deliktischen Ansprüche der Klagepartei an den Erwerber vor allem im Interesse der Beklagten läge.
28
II. 1. Ein vertraglicher Anspruch der Klagepartei auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug (großer Schadensersatzanspruch) besteht nicht, da die Klagepartei und die Beklagte in keiner vertraglichen Beziehung miteinander stehen.
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2. Auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB scheiden aus. Es fehlt jedenfalls an der Absicht, sich oder einen Dritten stoffgleich zu bereichern. Ziel der Beklagten war es, durch den Einbau einer Schummelsoftware Kosten zu sparen und damit ihren Gewinn zu maximieren. Diesen Gewinn erzielt die Beklagte bereits durch den Erstverkauf des Fahrzeugs als Neuwagen. Von späteren Weiterveräußerungen profitiert sie nicht (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rdnr. 11 ff.).
30
3. In Betracht kommt daher allenfalls ein Anspruch aus § 826 BGB. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, stellt der Vertrieb von Fahrzeugen mit einer unerkannten Manipulationssoftware grundsätzlich eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung dar. Dies gilt jedoch nicht mehr bei Fahrzeugkäufen, die – wie hier – (vorliegend erhebliche Zeit) nach dem 02.10.2015 getätigt wurden.
31
Bereits am 22.09.2015 hatte die V. AG ihr Tun öffentlich gemacht, indem sie in einer Pressemitteilung von „auffälligen Abweichungen“ zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb bei weltweit ca. elf Millionen Fahrzeugen mit dem auch hier streitgegenständlichen Motor EA 189 sprach und weiterhin mitteilte, sie arbeite mit der zuständigen Aufsichtsbehörde an der Beseitigung. Die Beklagte veröffentlichte am 02.10.2015 ebenfalls eine derartige Pressemitteilung. Sie schaltete außerdem – ebenfalls noch im Oktober 2015 – eine entsprechende Webseite frei, bei der Fahrzeuge auf ihre Betroffenheit überprüft werden konnten. Zugleich informierte sie Servicepartner und Vertriebshändler. Über den Skandal wurde ausführlich in den Medien berichtet. Von einem sittenwidrigen Handeln der Beklagten kann daher zum Zeitpunkt des hier maßgeblichen Vertragsschlusses nicht mehr gesprochen werden.
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a. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, aaO, Rn. 29). Da für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln ist, ist ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (BGH, aaO, Rn. 30).
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b. Daran gemessen, war (bereits) die Mitteilung der V. AG vom 22.09.2015 objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit V.-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten Fahrzeugen des VW-Konzerns mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der V. AG nicht mehr gerichtet sein. Aus der Mitteilung vom 22.09.2015 ging weiter hervor, dass „die zuständigen Behörden“ und das KBA bereits involviert waren. Die anschließende Berichterstattung über die Anordnungen des KBA gegenüber der V. AG ließ erwarten, dass ein Misslingen der behördlicherseits geforderten Herstellung eines vorschriftsmäßigen Zustandes – auch für die Fahrzeughalter – nicht folgenlos bleiben würde. Die V. AG hat ihre strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, ersetzt durch die Strategie, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes zu erarbeiten, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Indem die V. AG ihre Vertragshändler über die Verwendung der Abschalteinrichtung informiert hat, hat sie sie zudem in die Lage versetzt, etwaige Kaufinteressenten über die Abgasproblematik der betroffenen Fahrzeuge aufzuklären. Ferner räumte die V. AG jedem, der Kenntnis von der Fahrzeugidentifizierungsnummer des jeweiligen Fahrzeugs hatte, die Möglichkeit ein, sich selbst im Internet Klarheit zu verschaffen, ob das Fahrzeug der Nachrüstung bedurfte. Ihre bislang gleichgültige Gesinnung im Hinblick auf etwaige Folgen und Schäden für Käufer ihrer Fahrzeuge hat sie damit aufgegeben. Ihr nunmehriges Bemühen um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zeugt zudem von der Aufgabe ihrer gleichgültigen und rücksichtslosen Gesinnung im Hinblick auf die die Umwelt und Gesundheit der die Bevölkerung schützenden Rechtsvorschriften.
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Der Senat verkennt nicht, dass sich die V. AG im Herbst 2015 in einer Lage befand, in der die Abgasmanipulation aufgedeckt und sie zu einer Reaktion gezwungen war. Auch ist ihr die umfassende mediale Berichterstattung, mit der die Problematik der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dort über Monate und Jahre in Erinnerung gehalten wurde, nicht als eigene Aufklärungsarbeit zuzurechnen. Die mediale Verbreitung ist aber bei der Beurteilung, welche Anstrengungen von der V. AG zu unternehmen waren, um ihr Verhalten im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung als nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen, zu berücksichtigen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann das Verhalten der V. AG bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages im Juli 2016 einer Täuschung nicht mehr gleichgesetzt werden. Wesentliche Umstände, aufgrund derer ihr Verhalten gegenüber früheren Käufern als verwerflich zu werten war, sind bereits im Herbst 2015 entfallen. Dass die V. AG die Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegengetreten ist, dass sie eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung nicht aus. Insbesondere war ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der V. AG oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Käufern, die sich erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten, wie beschrieben, geändert hatte, wurde – unabhängig von ihren Kenntnissen vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt (BGH, aaO, Rn. 37f.).
35
c. Diese Verhaltensänderung der V. AG im September 2015 in Form eines nach außen erkennbaren grundlegenden Strategiewechsels, der mit dem Einräumen von Unregelmäßigkeiten und der Erarbeitung von Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzeswidrigen Zustandes verbunden war, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen, lassen auch bei der Beklagten als einer Konzerngesellschaft der V. AG den Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber späteren Käufern wie der Klagepartei nicht mehr gerechtfertigt erscheinen. Die dargestellte Verhaltensänderung beschränkte sich nämlich nicht auf die Kernmarke V.wagen. Bereits in der Ad-hoc-Mitteilung der V. AG vom 22. September 2015 wurde darauf hingewiesen, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Dieselfahrzeugen des V.konzerns (und damit auch in von der Beklagten hergestellten Fahrzeugen) vorhanden sei und der Motor EA 189 Auffälligkeiten aufweise. Dabei wurde keine Einschränkung auf eine bestimmte Marke des Konzerns vorgenommen. Mit diesem Schritt an die Öffentlichkeit und der damit verbundenen Mitteilung, mit den zuständigen Behörden und dem KBA bereits in Kontakt zu stehen, hat die V. AG als Muttergesellschaft ihre strategische unternehmerische Entscheidung, das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, auch bezüglich der weiteren Konzernmarken ersetzt durch die Strategie, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten. Auf Grund dieses – beginnend mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 – nach außen erkennbaren Strategiewechsels war das Verhalten des Volkswagenkonzerns generell, das heißt hinsichtlich aller Konzernmarken, nicht mehr darauf angelegt, das KBA und arglose Erwerber zu täuschen (vgl. BGH, Urteil vom 08. 12.2020 – VI ZR 244/20, Rdnr. 17). Demgemäß gab die Beklagte als Tochtergesellschaft der VW AG auch bereits am 2. Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus, in der sie darauf hinwies, dass Kunden auf der am selben Tag freigeschalteten Website überprüfen könnten, ob ihr Fahrzeug mit der auffälligen Abschalteinrichtung versehen und damit von dem „Dieselabgasskandal“ betroffen sei (BGH, Urteil vom 17.02.2022 – III ZR 276/20, Rdnr. 20).
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d. Ein Anspruch aus § 826 BGB könnte sich nur ergeben, wenn die Beklagte tatsächlich – wie von Klageseite geltend gemacht – in dem Software-Update vom Februar 2017 vorsätzlich sittenwidrig eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut hätte. Dann wäre das sittenwidrige Tun der Beklagten nicht entfallen. So liegt der Fall aber nicht:
37
aa. Unstreitig enthält das Software-Update ein Thermofenster, das außerhalb eines Temperaturbereichs von + 15° C bis + 33° C die Abgasreinigung reduziert oder ganz abschaltet.
38
Ein solches Thermofenster ist jedoch für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. Sittenwidrig ist – wie bereits ausgeführt – ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. oben). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, aaO Rn. 29). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, aaO Rn. 29).
39
Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei nach ihrem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Auch wenn das Thermofenster – wie noch zu zeigen sein wird – eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist, ist der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19).
40
Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nämlich nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass es sich bei den durch das Temperaturfenster gezogenen Rahmenbedingungen um eine solch eng definierte Ausnahmesituation handelt, dass diese tatsächlich nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten kann (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 16 ff., und vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rdnr. 27).
41
Hinzu kommt, dass die Gesetzeslage zum Thermofenster weder unzweifelhaft noch eindeutig war. Dies belegt die bekannte kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde etwa in dem gerichtsbekannten Bericht der vom Bundesinnenministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18, 114, 123, ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen kann, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so gering. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar. Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 ist dies gegebenenfalls erneut zu beurteilen. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
42
bb. Die von der Klagepartei erstinstanzlich eingewendeten und streitigen negativen Folgen des Softwareupdates auf den Kraftstoffverbrauch und die Leistung des Fahrzeugs, deren Eintritt die Klagepartei ohnehin nur pauschal behauptet (vgl. S. 2 und 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2020, Bl. 347 und 348 d.A.), sind von vornherein nicht geeignet, den Vorwurf der besonderen Verwerflichkeit im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung zu rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 30). Auch insoweit fehlt es an einem tauglichen Vortrag der Klagepartei, dass die Beklagte die Typgenehmigungsbehörde bewusst getäuscht und objektiv sittenwidrig gehandelt hat.
43
cc. Soweit die Klagepartei eine Nicht-Einhaltung der Grenzwerte durch das Update einwendet, verkennt sie, dass das Update nach den für dieses gültigen Bestimmungen nur die Einhaltung der Grenzwerte auf dem Rollenprüfstand schuldet, nicht im realen Straßenverkehr. Die Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand wird aber vom KBA bescheinigt.
44
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass die vom KBA selbst gemessenen Werte für das streitgegenständliche Fahrzeug im Straßenverkehr die Grenzwerte nur ca. um das Doppelte überschreiten (Bericht des KBA zur Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren Stand: 10.01.2020, S. 52). Das wird sogar nach den neueren Bestimmungen, die auf den realen Straßenverkehr (RDE) abstellen, hingenommen; auch dort wird die 2,1-fache Überschreitung des Grenzwertes hingenommen (vgl. Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18)
45
dd. Hinreichende Anhaltspunkte für in dem Software-Update vom Februar 2017 enthaltene andere unzulässige Abschalteinrichtungen wie bspw. eine drehmoment- bzw. drehzahlgesteuerte Abschaltung sind dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen. Insoweit als die Klagepartei zur Substanziierung ihrer Behauptungen auf einen vom Kraftfahrtbundesamt verfügten Rückruf vom 14.09.2020 abstellt (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 20.12.2023, S. 7, Bl. 583 d.A.), trägt dies nicht, da sich dieser Rückruf nicht auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bezog, sondern auf einen VW EOS.
46
ee. Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe ferner mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems getäuscht, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Nach dem Klägervortrag müsste ein ordnungsgemäß funktionierendes On-Board-Diagnosesystem einen nicht ordnungsgemäßen Betrieb der Abgassysteme melden. Dies entspricht Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, wonach das OBD-System die Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Danach ist es plausibel und deutet nicht auf eine Manipulation hin, wenn eine Fehlermeldung nicht erscheint, wenn und weil die Fahrzeugkomponenten programmgemäß – und also aus der Perspektive der Fahrzeugtechnik ordnungsgemäß und nicht fehlerhaft – arbeiten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2022, 6 U 128/20, Tz. 65). Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit ein manipuliertes Diagnosesystem eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen sollte, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll. Im Ergebnis kann sogar offenbleiben, ob das OBD-System tatsächlich falsch programmiert ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde es sich um einen „schlichten“ Mangel des Fahrzeuges handeln, den ggf. der Verkäufer zu beseitigen hätte. Indes liegt weder eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, noch sind die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs gegen die Beklagte gegeben (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11.01.2022 – 7 U 84/21, Rdnr. 55).
47
ff. Schließlich bilden die von der Klagepartei vorgetragenen Aspekte auch in ihrer Gesamtschau keine hinreichenden Anhaltspunkte im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung.
48
Nach alledem stellte das Software-Update keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Klagepartei durch die Beklagte dar und kann die Klagepartei deshalb daraus keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB herleiten.
49
4. Der mit dem Hauptantrag zu 1) geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags lässt sich auch nicht auf §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV stützen, da – selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen sollte – der Käufer eines solchermaßen ausgestatteten Kraftfahrzeugs vom Hersteller nach diesen Vorschriften nicht die Rückabwicklung des mit dem Verkäufer abgeschlossenen Vertrages verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 23 ff.).
50
Nach alledem kann die Klagepartei von der Beklagten unter keinem Gesichtspunkt die Rückabwicklung des mit dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrags verlangen.
51
III. Da – wie oben unter II dargelegt – ein Rückabwicklungsanspruch der Klagepartei nicht besteht, war auch nicht festzustellen, dass die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Annahmeverzug ist.
52
IV. Erfolg hat die Berufung lediglich mit ihrem Hilfsantrag im Umfang von 4.513,02 €, da die Klagepartei Anspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens in dieser Höhe hat.
53
1. Wie nach der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/21) nunmehr geklärt ist, sind die §§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB und hat deshalb ein Fahrzeugkäufer dem Grunde nach gegen den Hersteller einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen ist, da der Hersteller in diesem Fall eine unzutreffende Übereinstimmungsbestimmung ausgestellt hat und dem Käufer dadurch ein dementsprechender Vermögensschaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 28 ff.).
54
2. Dass die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus, schaltet, in dem eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet, während im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands der Motor in den Abgasrückführungsmodus 0 schaltet, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Dies ist eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007.
55
3. Der Senat hat sich durch die informatorische Anhörung der Klagepartei (auf die von ihr gegenbeweislich beantragte Parteivernehmung hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2024 ausdrücklich verzichtet) die Überzeugung verschafft, dass diese das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn sie vom Minderwert des Fahrzeugs infolge des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hätte (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2024, Bl. 704 d.A.). Die Einlassung erscheint dem Senat glaubhaft und die Klagepartei glaubwürdig, zumal es ohne weiteres nachvollziehbar ist, dass ein Käufer eine bemakelte Sache nicht gekauft hätte, wenn er vom Makel gewusst hätte.
56
4. Hinsichtlich der Implementierung der Umschaltlogik handelte die Beklagte auch schuldhaft. Insoweit die Beklagte zur Verneinung eines Verschuldens der Beklagten auf die Verhaltensänderung der Beklagten seit September/Oktober 2015 abstellt (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 02.02.2024, dort S. 2, Rdnr. 11 aE), so kann sie damit nicht durchdringen. Denn nach der Rechtsprechung des BGH nimmt eine vor Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags erfolgte Verhaltensänderung der schädigenden Handlung nur das Gepräge der Sittenwidrigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rdnrn 31 ff.). Dies ändert jedoch nichts am Verschulden hinsichtlich der Implementierung der Umschaltlogik als unzulässiger Abschalteinrichtung, auf dessen Vorliegen es im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ausschließlich ankommt.
57
Nach alledem hat die Klagepartei gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens nach §§ 823 Abs. 2 BGB iVm. 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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5. Dieser Differenzschaden der Klagepartei beläuft sich auf 4.513,02 €.
59
a. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Differenzschaden vorbehaltlich der im Einzelfall vorzunehmenden Vorteilsausgleichung auf eine Bandbreite zwischen 5 und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt (BGH, Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 73 und vom 20.07.2023 – III ZR 267/20, Rdnr. 34). Für die gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Festlegung des Schadens innerhalb dieser Bandbreite sind die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Betrachtung zu gewichten. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, welches Ausmaß an behördlichen Anordnungen auf Grund der festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtung drohte und wie groß die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Anordnungen war, welches Gewicht dem festgestellten Verstoß des Herstellers bezogen auf das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte zukommt und schließlich mit welchem Verschuldensgrad der Hersteller den Verstoß verwirklicht hat.
60
Hiervon ausgehend erscheint dem Senat die Bemessung des Schadens im vorliegenden Fall mit 10% des Kaufpreises als sachgerecht, da es sich um einen mit Blick auf die genannten Kriterien durchschnittlichen Fall handelt. Besondere Umstände, welche diesen Fall in die eine oder andere Richtung gegenüber anderen Fällen hervorheben würden, sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnrn 125 f.). Daraus folgt, dass der Differenzschaden im Streitfall bei einem unstreitigen Bruttokaufpreis von 45.130,22 € im Ausgangspunkt mit 4.513,02 € zu bemessen ist (§ 287 ZPO) und der Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs (= Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) damit 40.617,20 € betrug.
61
b. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
62
aa. Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind die Nutzungsvorteile und der Erlös aus dem Verkauf des Fahrzeuges durch die Klagepartei insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22).
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Demnach ist nach der vom BGH vorgegebenen Rechnung zunächst die Summe von Verkaufserlös und Nutzungsvorteilen zu bilden. Übersteigt diese Summe den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss, der nach der Formel Kaufpreis abzüglich Differenzschaden zu ermitteln ist, so erfolgt eine Anrechnung des überschießenden Betrages auf den Differenzschaden. Erreicht der überschießende Betrag die Höhe des Differenzschadens, besteht kein auszugleichender Schaden mehr (vgl. Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 80; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnr 128).
64
bb. Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km. Dies ergibt bei einer Restlaufleistung von 282.510 km (= 300.000 km – 17.490 km Stand bei Kauf), 127.490 von der Klagepartei gefahrenen Kilometern (Kilometerstand bei Verkauf 145.000 – 17.490 km Stand bei Kauf) und dem Bruttokaufpreis von 45.130,22 € einen Nutzungsvorteil von 20.369,38 €.
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cc. Der von der Klagepartei aus dem Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs erzielte Erlös lag bei 20.000,00 €.
66
dd. Die Summe aus Verkaufserlös und Nutzungsvorteilen beträgt damit 40.369,38 €.
67
Da demnach die Summe von Verkaufserlös und Nutzungsvorteilen in Höhe von 40.369,38 € den Wert des Fahrzeugs bei Kauf in Höhe von 40.617,20 € nicht übersteigt, war eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen nicht vorzunehmen und verbleibt es bei einem Differenzschaden in Höhe von 4.513,02 €.
68
6. Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 02.02.2024, S. 3, Rdnr. 13) ist der der Klagepartei entstandene Differenzschaden weder durch das im Februar 2017 aufgespielte Softwareupdate noch durch ein seit Ende 2020/Anfang 2021 bereitstehendes weiteres Software-Update entfallen.
69
a. Unstreitig enthielt das im Februar 2017 aufgespielte Software-Update ein Thermofenster, das außerhalb eines Temperaturbereichs von + 15° C bis + 33° C die Abgasreinigung reduziert oder ganz abschaltet, sodass in dem Software-Update erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 enthalten war.
70
Denn unter diesen Umständen erfolgt eine uneingeschränkte Funktion der Abgasrückführung nur im Bereich von + 15° C bis + 33° C. Da aber – wie allgemein bekannt – die im Unionsgebiet herrschenden Temperaturen im Winter, Frühling und Herbst + 15° C ohne weiteres unterschreiten und im Sommer + 33° C bei weitem übersteigen können, wird durch das streitgegenständliche Thermofenster die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems auch unter normalen Fahrbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres verringert, und liegt deshalb grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vor (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 40/47 zu einem Thermofenster, bei dem eine volle Abgasrückführung nur bei einer Umgebungstemperatur von mehr als + 10° C erfolgt).
71
Auch wenn – wie die Beklagte behauptet – das Thermofenster zum Motorschutz erforderlich sein sollte, so würde dies nach der Rechtsprechung des EuGH an der Unzulässigkeit des Thermofensters als Abschalteinrichtung nichts ändern. Denn bei einer vollständigen Wirksamkeit der Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen + 15° C und + 33° C hinaus, würde die Abschalteinrichtung unter normalen Betriebsbedingungen zu allen Jahreszeiten und damit den überwiegenden Teil des Jahres in Funktion sein, was eine Notwendigkeit dieser Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 lit a der Verordnung Nr. 715/2007 ausschließt (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 und 66).
72
b. Soweit die Beklagte im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.02.2024 (dort S. 8 und 9, Bl. 633 und 634 d.A.) vortragen lässt, dass seit Ende 2020/Anfang 2021 ein weiteres Software-Update zur Verfügung stehe, mit dem das Thermofenster aufgeweitet worden sei, so würde auch dieses Software-Update unabhängig davon, ob es im streitgegenständlichen Fahrzeug installiert wurde oder nicht, den Differenzschaden der Klagepartei nicht entfallen lassen, da auch das in dieser Software-Update enthaltene Thermofenster schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten wiederum eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 ist. Denn das darin enthaltene Thermofenster bewirke eine uneingeschränkte Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich von + 10° C bis ca. + 34° C. Außerhalb dieses Temperaturbereichs erfolge im Bereich von – 12° C bis + 145° C eine graduelle Reduzierung der Abgasrückführungsrate. Da es nach der Rechtsprechung des EuGH nur darauf ankommt, in welchem Temperaturbereich die Abgasrückführung uneingeschränkt aktiv ist, ist nur auf den Bereich von + 10° C bis ca. + 34° C abzustellen und nicht auf den weiteren Auframpungsbereich. Temperaturen unter + 10° C bzw. über + 34° C sind jedoch im Unionsgebiet – wie allgemein bekannt – üblich. Auf die Frage der Notwendigkeit des Thermofensters aus Motorschutzgründen kommt es deshalb – wie bereits oben unter a dargelegt – wiederum nicht an.
73
V. Ein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Denn nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein solcher Anspruch neben dem Ersatz des Differenzschadens nur in Betracht, wenn er sich aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB oder § 826 BGB ergäbe (vgl. BGH, Urteile vom 16.10.2023 – VIa ZR 14/22, Rdnr. 13, und vom 18.12.2023 – VIa ZR 1083/22, Rdnr. 16). Zum Zeitpunkt der Beauftragung der Klägervertreter war die Beklagte mit der Schadensersatzleistung jedoch noch nicht in Schuldnerverzug, vielmehr erfolgte die Inverzugsetzung erst mit dem Schreiben der Klägervertreter. Einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB hat die Klagepartei – wie oben unter II dargelegt – schon nicht hinreichend dargelegt.
74
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Da sich die Klagepartei in erster Instanz laut dem von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gestellten Antrag ausdrücklich keine Nutzungsvorteile anrechnen ließ (vgl. S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2020, Bl. 348 d.A.), in zweiter Instanz ausweislich des in der Berufungsbegründung angekündigten Antrags allerdings schon, waren die im Hinblick auf die (auch) geltend gemachten deliktischen Zinsen für die Berechnung der Kosten teilweise fiktiven Streitwerte in den beiden Instanzen unterschiedlich und waren deshalb gesonderte Kostenquoten für die beiden Instanzen festzusetzen.
75
II. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
76
III. Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) nicht vorliegen.
77
Der Streitwert folgt dem in der Berufungsbegründung angekündigten Berufungsantrag der Klagepartei. Die vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsvorteile wurden dabei nach den angegebenen Vorstellungen der Klagepartei (Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 350.000 km) auf der Grundlage des Kilometerstands bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht berechnet. Deliktszinsen blieben unberücksichtigt, da es sich insoweit nicht um eine emanzipierte Nebenforderung handelt.