Titel:
Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers auf Lohnsteuer über den DBA Schweiz
Normenketten:
EStG § 3 Nr. 19 S. 2,§ 38 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 41c, § 49 Abs. 1 Nr. 4 § 50a, § 50c Abs. 3 S. 1,
DBA CHE Art. 15a Abs. 2
AO § 37 Abs. 2, § 168 S. 1, § 169 Abs. 1 S. 1
EStG
FGO § 52d
OECD-Musterabkommens 2003 Art. 15 Abs. 1
Leitsatz:
Bei einem Arbeitnehmer, der nicht während des gesamten Kalenderjahrs in dem anderen Staat beschäftigt ist, sind die für die Grenzgängereigenschaft nicht schädlichen Tage der Nichtrückkehr in der Weise zu berechnen, dass für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen ist. (vgl. FG Baden-Württemberg-Urteil vom 12.09.2012 3 K 632/10, BeckRS 2013, 94589; Hess. FG-Gerichtsbescheid vom 15.12.2021 9 K 133/21, BeckRS 2021, 46959). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers auf Lohnsteuer, DBA Schweiz, Doppelbesteuerung
Fundstellen:
EFG 2024, 1372
BeckRS 2024, 8549
LSK 2024, 8549
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Beigeladenen werden keine Kosten auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Streitig ist die Erstattung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer für 2018.
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Der Kläger wurde seit 2012 als beschränkt steuerpflichtig veranlagt. Er hatte seit 2016 einen Wohnsitz in der Schweiz (…) und erzielte neben Einkünften aus der Vermietung einer Immobilie noch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beim inländischen Arbeitgeber, der … GmbH (nachfolgend: die Beigeladene), mit Dienstsitz in … . Er war dort als Leitender Angestellter (…) beschäftigt und unterlag keiner Arbeitszeitregelung. Es erfolgte auch keine Festlegung von Arbeitstagen. Dazu wird im Einzelnen auf das mit Schriftsatz des Klägers vom ...2024 vorgelegte Schreiben der Beigeladenen vom ...2016, die Vertragsbedingungen … vom ...2010 sowie die Stellenbeschreibung (…) verwiesen.
3
Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen wurde mit Aufhebungsvertrag vom....05.2018 (…) mit Wirkung zum 31.12.2018 aus betrieblichen Gründen beendet. Ab dem....05.2018 war der Kläger unter Fortzahlung des monatlichen Fixeinkommens (und Fortführung der von der Beigeladenen abgeschlossenen privaten Haftpflichtversicherung […]) von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt worden …). Etwaiger Resturlaub war … durch die Freistellung erfüllt. Erzielter Nebenverdienst konnte angerechnet werden (…). Firmen-, Parkausweis, Laptop und Handlungsvollmacht waren am....05.2018 abzugeben (…). Nach § … des Aufhebungsvertrags war dem Kläger die „Aufnahme einer Tätigkeit für ein Wettbewerbsunternehmen der … [Anm.: Beigeladenen] – auch bei einer Freistellung von der Arbeitspflicht – bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses untersagt.“ Dem Kläger stand eine in 2019 fällige Abfindung in Höhe von (i.H.v.) ……. € brutto „für den Verlust des Arbeitsplatzes“ zu, die „mit Bezug auf die Besteuerung während des gesamten Beschäftigungszeitraums nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Steuerrechts unter Berücksichtigung der zutreffenden Doppelbesteuerungsabkommen“ aufgeteilt werden sollte (…), was nach den Angaben des Klägers … nicht erfolgte. Ferner war nach § … des Aufhebungsvertrags eine ebenfalls erst in 2019 fällige Zahlung eines „… Bonus“ für das Geschäftsjahr 2018 von ... € brutto vereinbart, deren Höhe sich … auf Basis des Durchschnitts der tatsächlichen Erreichung der schriftlich vereinbarten Ziele der letzten drei Jahre bestimmte. Ausweislich einer Bestätigung der Beigeladenen vom … hatte der Kläger zum Zeitpunkt seiner Freistellung noch x Resturlaubstage aus 2017 und den vollen Urlaubsanspruch aus 2018 von... Tagen, während in den … Verdienstbescheinigungen für 2018 nur... Urlaubstage für 2018 ausgewiesen waren. Überstunden waren mangels Zeiterfassung nicht vorhanden.
4
Eine neue Erwerbstätigkeit nahm der Kläger nach eigenen Angaben …erst wieder ab Mitte 2019 (in der Schweiz) auf.
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Ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung für 2018 … und der im Einspruchsverfahren vorgelegten Verdienstübersichten (…) erhielt der Kläger 2018 einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. ... € (davon ... € laufende Zahlungen und ... € Einmalzahlungen, davon wiederum ... € für 2017 als „… Bonus“ und insgesamt ... € in Zusammenhang mit der Outplacement-Beratung gemäß §…Aufhebungsvertrag), wovon ... € Lohnsteuer und ... € Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer einbehalten wurden. Der Vorbehalt der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen wurde zwischenzeitlich mit bestandskräftigem Bescheid vom ...2023 aufgehoben (…).
6
Mit Bescheid vom ...2020, …, veranlagte das Finanzamt den Kläger nur wegen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) zur Einkommensteuer für 2018 i.H.v. x €. Die vom Kläger beantragte Einbeziehung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die Einkommensteuerveranlagung lehnte das Finanzamt unter Verweis auf § 50 Abs. 2 Sätze 1 und 7 Einkommensteuergesetz [EStG]) mit Bescheid vom ...2021 (…) ab.
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Der Kläger beantragte daraufhin mit Schreiben vom ...2021 (…) unter Verweis auf § 15 Satz 4 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung vom 20.12.2010 (BGBl. I S. 2187), zuletzt durch Artikel 10 der Verordnung vom 25.06.2020 (BGBl. I S. 1495) geändert (nachfolgend: KonsVerCHEV), die Erstattung der für 2018 einbehaltenen Lohnsteuer, da er als Grenzgänger im Sinne des Art. 15a Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971, zuletzt geändert durch Art. 5 des Protokolls vom 27.10.2010 (BGBl. 2011 II S. 1090, 1093, BStBl. I 2012, S. 512, 514 – nachfolgend: DBA CHE) mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur, mit Ausnahme eines Quellensteuereinbehalts für Deutschland von 4,5%, in der Schweiz zu besteuern sei. Dem Schreiben war eine Aufstellung des Klägers über die im Inland verbrachten Arbeitstage für Januar bis Mai 2018 beigefügt (…). Darin gab der Kläger 35 Arbeitstage als Tage ohne Rückkehr in die Schweiz an. In der Zeit vom ... bis ...2018 sowie ... bis einschließlich ...2018 war er in Elternzeit (…). An den weiteren Werktagen (bis zum Beginn der Freistellung am....05.2018) war er entweder in Urlaub (xx Tage), in Home-Office in der Schweiz (xx Tage) oder ohne weitere Angaben in der Schweiz (x Tage). Auf die Aufstellung wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom ...2021 (…) lehnte das Finanzamt die Erstattung ab. Der dagegen gerichtete Einspruch vom ...2021 wurde mit Einspruchsentscheidung vom ...2023 als unbegründet zurückgewiesen.
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Der Kläger verfolgt nunmehr sein Erstattungsbegehren im Klagewege. Für die Frage des Vorliegens der Grenzgängereigenschaft sei hier, unabhängig von einer Freistellung ab dem....05.2018, von einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis bis zum 31.12.2018 auszugehen. Darauf bezogen überschreite er mit nur 35 arbeitsbedingten Nichtrückkehrtagen die für die Grenzgängereigenschaft nach Art. 15a Abs. 2 DBA CHE schädliche Grenze von 60 Tagen nicht, wie sich aus der vorgelegten Aufstellung (…) ergebe. Eine Kürzung der auf eine 5-Tage-Woche bezogenen Arbeitstage sei in seinem Fall nicht vereinbart worden. Auch habe er fortlaufend seine Vergütung erhalten. Nach § 9 Abs. 1 KonsVerCHEV sei eine Kürzung der 60-Tages-Grenze vorgesehen gewesen, wenn innerhalb eines Kalenderjahres im Tätigkeitsstaat ein Arbeitgeberwechsel stattfinde. Die Grundsätze dieser Vorschrift könnten vorliegend auch nicht entsprechend herangezogen werden, da die Regelung seit dem 01.01.2015 außer Kraft gesetzt sei. Er habe seine Tätigkeit zum Teil in Deutschland und zum Teil, v.a. an Homeoffice-Tagen – Die Erlaubnis zum Home-Office habe ihm sein direkter Vorgesetzter ohne weitere Vorgaben dazu mündlich erteilt (…). –, in der Schweiz ausgeübt. Auch dies spreche für einen stärkeren Bezug zur Schweiz und demnach für ein Besteuerungsrecht der Schweiz. Zur Beschreibung der Tagesabläufe verweise er im Übrigen auf die … vorgelegte, insbesondere für Vorjahre erstellte Übersicht, aus der ersichtlich sei, welche Schwerpunkte er im Schweizer Home-Office bzw. im Office in … und auf Dienstreisen gesetzt habe. In 2018 seien seine Aufenthalte in … dadurch gekennzeichnet gewesen, dass er funktional seine Aufgaben übergeben bzw. Verhandlungen über die Vertragsaufhebung mit der Beigeladenen geführt habe. Die geregelten Arbeitsabläufe der Vorjahre seien auf Grund der Vertragsaufhebung in 2018 daher hinfällig gewesen. Generell habe er als leitender Angestellter eigenverantwortlich entscheiden können, wann und wo er seine Arbeit erledige. Aufgrund der auch dadurch bedingten stärkeren Bezüge zur Schweiz habe Deutschland kein Besteuerungsrecht. In analoger Anwendung des § 50c Abs. 3 Satz 1 EStG in der Fassung (i.d.F.) des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes vom 02.06.2021 bestehe ein Erstattungsanspruch, wenn der Lohnsteuerabzug abkommenswidrig erfolge. Sollte zwischen der aktiven Phase und der Freistellungsphase zu unterscheiden sein, werde hilfsweise beantragt, den Arbeitslohn aufzuteilen. Ein Besteuerungsrecht Deutschlands bestehe dann nur, soweit Arbeitslohn auf tatsächlich in Deutschland verbrachte Arbeitstage entfalle. Grundlage für die Berechnung sei die Zahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage pro Kalenderjahr abzüglich der Tage, an denen keine Verpflichtung zur Arbeit bestanden habe (Elternzeit, Urlaub sowie arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage). Den vereinbarten Arbeitstagen sei das für die entsprechende Zeit vereinbarte Arbeitsentgelt gegenüberzustellen und schließlich in Beziehung zu setzen. Unzutreffend stelle das Finanzamt auf § … des Aufhebungsvertrags ab. Er habe tatsächlich ab....05.2018 nicht mehr in Deutschland gearbeitet und sei auch nicht mehr dazu verpflichtet gewesen. Auf Vergütungen, die für die Einhaltung des Konkurrenzverbots gezahlt worden seien, könne auch nicht § 24 KonsVerCHEV, der Abfindungen regele, entsprechend angewandt werden. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 DBA CHE kein Besteuerungsrecht Deutschlands für eine Abfindungszahlung, die eine in der Schweiz ansässige Person von ihrem bisherigen Arbeitgeber anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhalte, begründen könne und davon abweichende Regelungen in der KonsVerCHEV für das Gericht nicht bindend seien bzw. auch nicht im Wege der Auslegung berücksichtigt werden könnten (BFH-Urteile vom 10.06.2015 I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326; vom 30.09.2020 I R 37/17, BFHE 271, 120; vom 30.09.2020 I R 60/17, BFHE 271, 128, BStBl II 2023, 629; ferner: Finanzgericht [FG] Baden-Württemberg-Urteil vom 12.09.2012 3 K 632/10, juris; FG München-Urteil vom 25.04.2019 10 K 1883/17, juris). Entsprechendes müsse hier mit Bezug auf die Vergütungen für die Einhaltung des Konkurrenzverbots gelten. Zur Bezifferung des hilfsweise gestellten Antrags verweise man im Einzelnen auf die Ausführungen im Schriftsatz vom ...2024, …, korrigiert in der mündlichen Verhandlung auf den Ansatz von... Arbeitstagen statt bisher... Arbeitstagen in Deutschland.
- unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom ...2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ...2023 das Finanzamt zu verpflichten, die für das Kalenderjahr 2018 einbehaltene Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer mit Ausnahme der Quellensteuer in Höhe von 4,5% zu erstatten,
- hilfsweise unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom ...2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ...2023 das Finanzamt zu verpflichten, die für das Kalenderjahr 2018 einbehaltene Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer zu erstatten, soweit diese auf Arbeitslohn entfallen, der den auf die Tätigkeit in Deutschland entfallenden Arbeitslohn für... Tage in Höhe von ... € übersteigt, sowie
- die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Das Finanzamt beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Für die Grenzgängereigenschaft sei hier nur das aktive Beschäftigungsverhältnis bis zur Freistellung am....05.2018 maßgeblich, da der Kläger ab der Freistellung tatsächlich weder seinen Arbeitsort im Inland aufgesucht habe noch von dort regelmäßig an seinen Wohnort zurückkehren habe können. Die in Art. 15a Abs. 2 DBA CHE vorgesehene 60-Tages-Grenze sei daher zu kürzen. Es sei hier eine Grenze von 22 Nichtrückkehrtagen (5 Tage jeweils für Januar bis April und 2 Tage für die ersten zwei Maiwochen) maßgeblich. Diese Grenze habe der Kläger nach der von ihm vorgelegten Übersicht von 35 Nichtrückkehrtagen überschritten, weswegen hier ein Besteuerungsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE bestehe. Letzteres gelte aufgrund des vereinbarten Wettbewerbsverbots, das eine Nebenpflicht aus dem bisherigen aktiven Arbeitsverhältnis sei, auch für die Zeit der Freistellung. Der Ort der „passiven Tätigkeit“ liege insoweit dort, wo die vorangegangene Tätigkeit ausgeübt worden sei.
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Mit Beschluss vom ...2023 wurde die … GmbH zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sache eingelassen.
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Zu den Aufklärungsanordnungen vom ...2023 und vom ...2024 nahm der Kläger mit Schriftsätzen vom ...2023 und vom ...2024 bzw. das Finanzamt mit Schriftsatz vom ...2024 Stellung. Auf die Anordnungen sowie die Schriftsätze mit Anlagen wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Finanzamts, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 15.03.2024 Bezug genommen.
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Die Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Das Finanzamt hat zu Recht die Erstattung der Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags zur Lohnsteuer für 2018 abgelehnt.
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1. Es fehlt hier bereits an einer einschlägigen Anspruchsgrundlage für einen Erstattungsanspruch des Klägers.
a) § 50c Abs. 3 Satz 1 EStG i.d.F. vom 02.06.2021, der im Wesentlichen die bisherigen Regelungen des § 50d Abs. 1 Sätze 2, 3 EStG a.F. fortführt (BT-Drucksache 19/27632, S. 48 f.), findet keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift wird einem beschränkt steuerpflichtigen Gläubiger von Kapitalerträgen oder Vergütungen, die der Kapitalertragsteuer oder dem Steuerabzug nach § 50a EStG im Sinne des Abs. 1 Satz 1 unterliegen, auf seinen fristgemäßen Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern (Erstattungsantrag) auf der Grundlage eines Freistellungsbescheides die gemäß Abs. 1 Satz 1 einbehaltene und abgeführte oder auf Grund eines Haftungs- oder Nachforderungsbescheids entrichtete Steuer erstattet, wenn die Steuer nicht nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die Einkommen- oder die Körperschaftsteuer des Gläubigers angerechnet werden kann. Im Streitfall geht es jedoch um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die weder den Vorschriften über die Kapitalertragssteuer noch dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 EStG unterliegen. Es fehlt auch ausweislich der vorgelegten Unterlagen zum Arbeitsverhältnis (…) sowie der Stellenbeschreibung (…) an einer inländischen Verwertung einer inländischen Darbietung i.S.d. § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG, d.h. an einem (zusätzlichen) Vorgang (neben der Erbringung der Arbeitsleistung), bei dem der Darbietende oder Dritte sich die Ergebnisse der Darbietung durch eine zusätzliche Handlung nutzbar macht (vgl. dazu BMF-Schreiben vom 25.11.2010, BStBl I 2010, 1350 Tz. 19; Strunk, in: Korn, EStG, 148. Ergänzungslieferung, September 2023, § 50a EStG, Rn. 42).
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b) Eine Erstattung kann auch nicht auf § 37 Abs. 2 Sätze 1, 2 Abgabenordnung (AO) gestützt werden. Nach § 37 Abs. 2 Sätze 1, 2 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, dann, wenn eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden ist bzw. der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt, einen Anspruch auf Erstattung. Hier fehlt es an einer rechtsgrundlosen Zahlung i.S.d. § 37 Abs. 1 Sätze 1, 2 AO. Rechtsgrund ist, auch im Verhältnis zum Kläger, der als Arbeitnehmer Steuerschuldner ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStG) und auf dessen Rechnung somit der Steuereinbehalt erfolgte, mangels Einkommensteuerbescheid, der die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einbezieht, (mit insoweit die Einkommensteuer bzw. den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer abgeltender Wirkung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 [SolzG]; vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 20.07.2005 VI R 165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005, 890, Rn. 15), die monatliche Lohnsteueranmeldung nach § 41a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG (i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 SolzG). Die Lohnsteueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO, § 218 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO). Ein Arbeitnehmer kann die Lohnsteueranmeldung des Arbeitgebers, soweit sie ihn betrifft, auch aus eigenem Recht anfechten oder aber eine Änderung dieser nach § 164 Abs. 2 AO begehren (z.B. BFH-Urteile vom 12.10.1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87; vom 20.07.2005 VI R 165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005, 890; vom 21.10.2009 I R 70/08, BFHE 226, 529, BStBl II 2012, 493 Rn. 9 f.). Dies ist im Streitfall jedoch nicht erfolgt. Der Vorbehalt der Nachprüfung ist zwischenzeitlich nach Auskunft des Finanzamts im Schriftsatz vom ...2024 aufgehoben worden, und die Lohnsteuer-Anmeldungen sind in Bestandskraft erwachsen. Wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung (auch für Dezember 2018 mit Ablauf des 31.12.2023) können die Lohnsteueranmeldungen auch nicht mehr aus anderen Gründen geändert werden (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 41a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Lohnsteuereinbehalt ist somit nicht rechtsgrundlos i.S.d. § 37 Abs. 2 Sätze 1, 2 AO erfolgt.
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c) Es fehlt auch anderweitig an einer (eigenständigen) Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus § 15 Satz 4 KonsVerCHEV. Danach kann in den Fällen, in denen der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug nicht mehr korrigieren kann (§ 41c EStG) und erst nachträglich festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der Grenzgängereigenschaft vorgelegen haben, der schweizerische Grenzgänger zu viel einbehaltene Lohnsteuer beim jeweiligen Betriebstättenfinanzamt (nur) noch durch einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach den Vorschriften der Abgabenordnung (§ 37 Abs. 2 AO) geltend machen. § 15 Satz 4 KonsVerCHEV begründet damit nach seinem eindeutigen Wortlaut keinen eigenständigen Anspruch, sondern verweist auf § 37 Abs. 2 AO. Überdies kann durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende KonsVerCHEV keine Regelung getroffen werden, die der im Rang eines Gesetzes stehenden AO widerspricht oder dessen Lücken ergänzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 01.06.2022 I R 32/19, BFHE 277, 279, Rn. 29; vom 28.06.2022 I R 24/21, BFHE 277, 347, Rn. 28). Auch fehlt es hier an einem Freistellungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 1 AO i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO, der einen eigenständigen Rechtsgrund für eine Erstattung bilden kann (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28.06.2005 I R 33/04, BFHE 212, 37, BStBl II 2006, 489, Rn. 14, 16).
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2. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob, ungeachtet der vorstehenden Ausführungen zur verfahrensrechtlichen Situation und ungeachtet der Abgeltungswirkung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Bezug auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ein Erstattungsanspruch in analoger Anwendung des § 50c Abs. 3 Satz 1 EStG (bzw. des § 50d Abs. 1 Sätze 2, 3 EStG a.F.), auch als Ausfluss eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs, in den Fällen besteht, in denen ein Lohnsteuerabzug materiell-rechtlich zu Unrecht erfolgte, etwa weil das Besteuerungsrecht ganz oder teilweise nach DBA nicht Deutschland zusteht (vgl. dazu auch Sternberg in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 340. Lieferung, 11/2023, 1. Gegenstand des Erstattungsanspruches nach § 50c Abs. 3 Satz 1, Rn. D 16 ff., D 32 f. mit weiteren Nachweisen [m.w.N.]; einen Erstattungsanspruch in analoger Anwendung bejahend bei Abgeltungswirkung nach § 50 Abs. 5 EStG: BFH-Urteile vom 12.10.1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87, Rn. 10; vom 21.10.2009 I R 70/08, BFHE 226, 529, BStBl II 2012, 493, Rn. 13). Gerade aufgrund des Verweises in § 15 Satz 4 KonsVerCHE auf § 37 Abs. 2 AO dürfte es hier bereits an der für eine analoge Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (vgl. dazu allgemein etwa BFH-Urteil vom 03.12.2019 VIII R 34/16, BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836 Rn. 36) fehlen. Selbst wenn man aber grundsätzlich einen Erstattungsanspruch in analoger Anwendung bejaht, ist dieser hier nicht begründet. Im Streitfall wurde der Lohnsteuerabzug materiell-rechtlich zutreffend durchgeführt. Das Besteuerungsrecht stand nach Art. 15, 15a DBA CHE Deutschland zu.
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a) Der für 2018 von der Beigeladenen an den Kläger gezahlte Bruttoarbeitslohn i.H.v. ... € unterfällt den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 Abs. 1 EStG, was zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH werden Vorteile „für eine Beschäftigung“ gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlasst sind. Das ist der Fall, wenn, wie hier, der Vorteil nur mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und wenn die Einnahme als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit anzusehen ist, d.h. wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 70/08, BFHE 226, 529, BStBl II 2012, 493, Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt hier auch für die nach den Verdienstübersichten für … 2018 gezahlten geldwerten Vorteile i.H.v. insgesamt ... € (…) bei denen es sich nach Angaben des Klägers im Schriftsatz vom ...2024 (…) bzw. der Bestätigung der Beigeladenen vom ...2024 (…) um Zahlungen für die Outplacement-Beratung nach §… des Aufhebungsvertrags handelt. Eine Steuerfreiheit dieser Zahlungen nach § 3 Nr. 19 Satz 2 EStG, wonach Beratungsleistungen des Arbeitgebers oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten zur beruflichen Neuorientierung bei Beendigung des Dienstverhältnisses erbrachte Beratungsleistungen steuerfrei sein können, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 des Jahressteuergesetzes 2020 (BGBl. II 2020, S. 3096), findet im Streitjahr keine Anwendung.
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b) Der Kläger ist mit diesen Zahlungen in 2018 beschränkt steuerpflichtig i.S. des § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 a) EStG. Die Zahlungen an eine i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 a) EStG beschränkt steuerpflichtige Person unterliegen grundsätzlich dem Lohnsteuerabzug. Über den Umfang des Einbehalts besteht (der Höhe nach) zwischen den Beteiligten kein Streit.
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c) Ein Lohnsteuerabzug war im Streitfall auch nicht nach Art. 15, 15a DBA CHE ausgeschlossen.
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aa) Nach dem gegenüber Art. 15 DBA CHE vorrangigen Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA CHE sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Der Tätigkeitsstaat kann allenfalls eine Quellensteuer maximal i.H.v. 4,5% des Bruttobetrags der Vergütungen erheben (Art. 15a Abs. 1 Sätze 2, 3 DBA CHE). Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA CHE). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA CHE). Dabei sind nach Nr. II.2. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929), das nach ständiger Rechtsprechung des BFH (siehe dazu z.B. BFH-Urteil vom 01.06.2022 I R 32/19, BFHE 277, 279, Rn. 12 f.; ferner: BFH-Beschluss vom 16.03.1994 I B 186/93, BFHE 174, 338, BStBl II 1994, 696, Rn. 18 ff.), der sich das Gericht anschließt, eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA CHE enthält, Arbeitstage i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA CHE die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Insoweit sieht Nr. II.3. des Verhandlungsprotokolls ferner vor, dass bei einem Arbeitnehmer, der nicht während des gesamten Kalenderjahrs in dem anderen Staat beschäftigt ist, die für die Grenzgängereigenschaft nicht schädlichen Tage der Nichtrückkehr in der Weise zu berechnen sind, dass für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen ist (siehe dazu auch FG Baden-Württemberg-Urteil vom 12.09.2012 3 K 632/10, Rn. 52, juris; Hess. FG-Gerichtsbescheid vom 15.12.2021 9 K 133/21, Rn. 38 f., juris).
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Auf den Streitfall übertragen hat das Finanzamt die Anzahl der maßgeblichen Nichtrückkehrtage zutreffend mit 22 Tagen für den Zeitraum bis....05.2018 bestimmt und wird diese Grenze mit 35 Nichtrückkehrtagen überschritten. Die Anzahl der Nichtrückkehrtage ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Verweis des Klägers auf... Arbeitstage in Deutschland bezieht auch die angegebenen Tage der Fahrt zurück in die Schweiz mit ein, die keine Nichtrückkehrtage darstellen (vgl. dazu auch § 8 Abs. 4 Satz 2 KonsVerCHEV). Von einer berufsbedingten Nichtrückkehr an den vom Kläger in der mit Schriftsatz vom ...2023 … vorgelegten Aufstellung mit „CH/DE (…)“, „DE (…)“ bzw. „DE …“ angegebenen Tagen ist hier bereits deswegen auszugehen, weil aufgrund der Entfernung zwischen dem Sitz des Arbeitgebers, der Beigeladenen, …, und dem Wohnsitz des Klägers … von mit dem KfZ laut google maps ca. 4,25 Stunden bzw. ca. 343 km einfach eine arbeitstägliche Rückkehr nicht zumutbar gewesen ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 01.06.2022 I R 32/19, BFHE 277, 279, Rn. 18; Kempermann, in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA-Schweiz, Art. 15a Rn. 35 m.w.N.). Offen bleiben kann hier, ob die Elternzeit bei der Berechnung der maßgeblichen Anzahl der Nichtrückkehrtage als Beschäftigungszeitraum einbezogen werden kann. Würde man diese hier unberücksichtigt lassen, wäre die Anzahl der maßgeblichen Nichtrückkehrtage mit 16 anzusetzen (4,25 Monate abzgl. 1 Monat, dabei aus Vereinfachungsgründen die Zeit vom ...-...2018 zugrunde legend, d.h. 3,25 Monate) und gleichermaßen überschritten. Damit scheidet eine Grenzgängereigenschaft des Klägers und somit ein Besteuerungsrecht der Schweiz nach Art. 15a DBA CHE aus.
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bb) Im Streitfall scheidet aber auch ein Besteuerungsrecht der Schweiz nach Art. 15 DBA CHE aus. Vielmehr steht dieses Deutschland nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE zu. Darauf, ob der Kläger als leitender Angestellter und Inhaber einer Handlungsvollmacht (jedenfalls bis....05.2018) ggf. Art. 15 Abs. 4 DBA CHE unterfällt (dies ohnehin verneinend BFH-Beschluss vom 19.04.1999 I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317, Rn. 21-23; vgl. dazu auch § 19 Abs. 2 KonsVerCHEV) und sich somit auch danach ein Besteuerungsrecht Deutschlands ergibt, kommt es somit nicht an. Entsprechendes gilt auch für die sogenannte „überdachende Besteuerung“ nach Art. 4 Abs. 4 DBA CHE oder aber eine Anwendung des § 2 Außensteuergesetz.
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aaa) Nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden. Danach hat hier Deutschland das Besteuerungsrecht für den gesamten Bruttoarbeitslohn.
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(1) Unstreitig hat der Kläger jedenfalls an den von ihm selbst angegebenen... Arbeitstagen in der Zeit von 01.01.-xx.05.2018 seine Arbeit für die Beigeladene in Deutschland ausgeübt. Darunter fallen auch Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für die weiteren Arbeitstage bis zur Freistellung ab....05.2018 hat der Kläger entweder Urlaub, Elternzeit oder die Schweiz angegeben, letztere (nur) an... Arbeitstagen mit dem Zusatz „Home-Office“. Nur für ein Wochenende (…) wurde auf einen Termin in … (Österreich) verwiesen, bei dem es sich aber nach den Angaben des Klägers um einen privaten Termin handelte. Urlaub und Elternzeit stellen dabei keine Arbeitsausübung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 DBA CHE dar, zumal während der Elternzeit, auch ausweislich der … vorgelegten Genehmigung der Elternzeit, von der Beigeladenen keine laufenden Bezüge bezahlt worden sind. Eine Anwesenheit des Klägers in dieser Zeit in der Schweiz vermag daher insoweit nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE kein Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates Schweiz zu begründen.
29
(2) Soweit der Kläger vorträgt, an... Tagen im Home-Office in der Schweiz für die Beigeladene tätig gewesen zu sein, ist dies nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen worden. Der Verweis auf eine E-Mail vom ...2020 …mit zeitlichem Bezug nur auf 2016 und dem Verweis auf eine mündliche Vereinbarung von Home-Office stellt keinen hinreichenden Nachweis dar, umso mehr als – trotz gerichtlicher Aufforderung – keine entsprechende Bestätigung der Beigeladenen, der Arbeitgeberin, weder generell noch konkret für 2018 vorliegt. In dem Schreiben der Beigeladenen vom ...2024 (…) findet sich dazu keine Aussage. Letzteres, d.h. Fehlen eines hinreichenden Nachweises, gilt umso mehr für die weiter vorgetragene Anwesenheit des Klägers in der Schweiz an den weiteren x Arbeitstagen bis zur Freistellung ab dem....05.2018 ohne den Zusatz „Home-Office“ oder sonstige Angaben. Ist, wie hier mit Bezug auf eine Tätigkeit des Klägers im Streitjahr für die Beigeladene in der Schweiz, ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bezieht, sind nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO die Beteiligten verpflichtet, diesen Sachverhalt aufzuklären, etwa auch umfassende Angaben zu machen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 02.12.2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483, Rn. 26), und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Das Gericht muss hier weder selbst den Sachverhalt im Ausland ermitteln noch (hier) den Kläger zur Vorlage von Beweismitteln auffordern (BFH-Beschluss vom 13.06.2023 VIII B 39/22, BFH/NV 2023, 979 Rn. 14). Erfüllt der Kläger die nach § 90 Abs. 2 AO bestehende Verpflichtung verschuldet oder unverschuldet nicht, darf das Gericht den ihm vorliegenden Sachverhalt nach seiner freien Überzeugung würdigen. Es kann in diesem Fall auch zum Nachteil des Klägers von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Klägers und seiner Verantwortung für die Aufklärung des ausländischen Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12.02.2019 VIII B 89/18, BFH/NV 2019, 578, Rn. 5-7; vom 13.06.2023 VIII B 39/22, BFH/NV 2023, 979, Rn. 13 m.w.N.).
30
Im Streitfall mag sich der Kläger zwar an den vorstehend genannten Tagen in der Schweiz aufgehalten haben. In Würdigung der Gesamtumstände des Verfahrens, insbesondere des Vortrags des Klägers im Schriftsatz vom ...2024 …, sieht es das Gericht aber als unwahrscheinlich an, dass der Kläger bis zu seiner Freistellung ab dem....05.2018 in der Schweiz noch in einem erheblichen Umfang für die Beigeladene tätig gewesen ist. Nachdem die Tätigkeit des Klägers in … an... Arbeitstagen im Zeitraum vom 01.01.2018-xx.05.2018 nach eigenen Angaben in der Übergabe der Aufgaben des Klägers und der Verhandlung der Vertragsaufhebung bestand und damit von den … als die „geregelten Arbeitsabläufe der Vorjahre“ (…) beschriebenen Tätigkeiten im „… Office“ (…) abweicht, erschließt sich nicht, warum die geregelten Arbeitsabläufe im „Home Office“ in der Schweiz (…) weiterhin unverändert stattfinden hätten sollen. Zwar unterlag der Kläger als leitender Angestellter keiner Zeiterfassung und war ihm dadurch ein konkreter Nachweis einer Tätigkeit für die Beigeladene generell erschwert, aber gleichwohl nicht unmöglich, etwa durch substantiierte Angaben zu virtuellen Meetings (ggf. mit Protokoll und Angaben zu den Teilnehmern und Art der Teilnahme [in Präsenz oder zugeschaltet]), überhaupt noch erstellte Präsentationen etc.). Trotz gerichtlicher Aufforderung in der Anordnung vom ...2024 zu einem Vortrag zu den für die Beigeladene erbrachten (Arbeits-) Leistungen und dem regelmäßigen Ort der (Arbeits-) Leistungen (…) bzw. der Aufforderung zur Vorlage einer Bestätigung der Beigeladenen dazu, wann und wo der Kläger in 2018 in der Schweiz für die Beigeladene tätig war (…), machte der rechtlich vertretene Kläger im Schriftsatz vom ...2024, …, nur allgemeine Angaben. Da damit eine relevante Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene in der Schweiz in 2018 unwahrscheinlich ist, kommt auch eine Schätzung von auf die Schweiz entfallenden Arbeitstagen nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO nicht in Betracht. Dies gilt hier trotz § … des Aufhebungsvertrags, da dieser in Zusammenhang mit Abfindungen nur pauschal und ohne konkreten Bezug zum Streitjahr eine Aufteilung des Besteuerungsrechts auf Deutschland und die Schweiz enthält, möglicherweise nur die Rechtslage des ab dem 01.01.2017 geltenden § 50d Abs. 12 EStG bzw. des § 24 KonsVerCHEV abbildend, und im Streitfall zudem auch tatsächlich nicht vollzogen worden ist.
31
(3) Ein Besteuerungsrechts Deutschlands besteht nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE aber auch für die nach der Arbeitsfreistellung gezahlten Vergütungen. Unmaßgeblich ist, dass der Kläger nach Rückgabe u.a. des Firmenausweises und des Laptops gemäß § … des Aufhebungsvertrags vom ...2018 keinen Zugang mehr zu seinem Arbeitsplatz bei der Beigeladenen hatte und nach dem insoweit, aufgrund des vorgelegten Aufhebungsvertrags auch glaubhaften, schlüssigen Vortrag ab Freistellung nicht mehr für die Beigeladene in Deutschland tatsächlich aktiv tätig war. Es war jedoch für die Zeit der Freistellung nach § …des Aufhebungsvertrags ein Wettbewerbsverbot vereinbart, das eine einer Pflicht zur aktiven Tätigkeit vergleichbare Unterlassungspflicht begründet (vgl. dazu BFH-Urteile vom 09.09.1970 I R 19/69, BFHE 100, 194, BStBl II 1970, 867, Rn. 18 ff.; vom 09.11.1977 I R 254/75, BStBl II 1978, 195-196, BFHE 124, 35-38, Rn. 15 ff.; Kempermann, in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA-Schweiz, Art. 15 Rn. 43), dem auch die Eröffnung der Möglichkeit (lediglich) eines Nebenverdienstes in § … des Aufhebungsvertrags nicht entgegensteht. Zudem partizipierte der Kläger auch noch nach § … des Aufhebungsvertrags vom ...2018 in Form eines – mit ... € brutto dem für das Vorjahr 2017 in 2018 i.H.v. ... € brutto bereits ausgezahlten Bonus annähernd gleich großen – Bonus für das gesamte Geschäftsjahr 2018 an den erzielten Ergebnissen. Dass sich dieser, worauf der Kläger in seinem Schriftsatz vom ...2024, …, verweist, der Höhe nach mangels ganzjähriger tatsächlicher Arbeitsleistung an dem Durchschnitt der letzten drei Jahre orientiert, ändert nichts daran, dass der Kläger ganzjährig auch in 2018 an der unternehmerischen Entwicklung partizipierte. Auch nahm der Kläger nach § … des Aufhebungsvertrags bis zum 31.12.2018 an der betrieblichen Altersversorgung teil und war gemäß § … des Aufhebungsvertrags über die von der Beigeladenen abgeschlossene Haftpflichtversicherung weiterhin privat versichert. Der Kläger wird damit trotz Freistellung im Ergebnis einem aktiv Beschäftigten gleichgestellt, zumal gesondert in § … des Aufhebungsvertrags vom ...2018 eine erst in 2019 fällige Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes i.H.v. ……. € brutto vereinbart worden ist. Dies insgesamt begründet trotz Freistellung einen hinreichend fortbestehenden Bezug zu Deutschland als Tätigkeitsstaat, was auch Ziffer 2.6 des OECD-Musterkommentars (OECD-MK) zu Art. 15 entspricht. Wenn auch der OECD-MK keinen verbindlichen Charakter hat (so etwa BFH-Urteil vom 11.07.2018 I R 44/16, BFHE 262, 354, BStBl II 2023, 430, Rn. 24), so kann darin doch eine allgemeine Wertung gesehen werden, zumal, wenn, wie hier, Art. 15 Abs. 1 DBA CHE fast wortgleich ist mit Art. 15 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens 2003 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (vgl. dazu BMF-Schreiben vom 18.02.2004, BStBl I 2004, 286). Es ist hier zudem zu berücksichtigen, dass § 24 KonsVerCHE eine Sonderregelung zu Abfindungszahlungen beinhaltet, wonach (jeweils) auf den Charakter einer entsprechenden Abfindungsvereinbarung abzustellen ist. Ungeachtet der Frage einer Gesetzeswirkung kommt der Regelung (mindestens) Bedeutung für die Auslegung des DBA CHE zu (vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 10.06.2015 I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326, Rn. 16). Zudem ist hier auch auf die seit dem 01.01.2017 geltende Regelung des § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG zu verweisen, wonach das Besteuerungsrecht für Abfindungen ebenfalls regelmäßig dem früheren Tätigkeitsstaat zugewiesen wird. Diese für Abfindungen geltenden Grundsätze – Maßgeblichkeit der jeweiligen Vereinbarung und nicht notwendigerweise unmittelbarer Zusammenhang mit einer aktiven Tätigkeit – können dann aber, mangels wesentlicher Unterschiede, gleichermaßen für Vergütungen für ein Wettbewerbsverbot bzw. für eine Karenzentschädigung zu einer Zuweisung des Besteuerungsrechts zum (bisherigen) Tätigkeitsstaat führen (so auch BMF-Schreiben vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 369). Zudem ist hier noch zu berücksichtigen, dass mit der Freistellungsphase Urlaubsansprüche, die ebenfalls der aktiven Phase der Beschäftigung zuzuordnen sind, abgegolten worden sind (§ … des Aufhebungsvertrags vom ...2018). Dabei wird hier zugunsten des Klägers von einem zum Freistellungszeitpunkt noch bestehenden Urlaubsumfang von (nur)... Tagen (= x Tage Resturlaub aus 2017 und – laut den Verdienstbescheinigungen für 2018 […] –... Urlaubstage für 2018 statt der in dem Schreiben der Beigeladenen vom ...2024 […] genannten... Urlaubstage) bzw., ausgehend von einer 5-Tage-Woche, von ca. x,x Wochen ausgegangen.
32
bbb) Eine Zuweisung des Besteuerungsrechts ungeachtet des Art. 15 Abs. 1 DBA CHE zum Wohnsitzstaat nach Art. 15 Abs. 2 DBA CHE kommt hier nicht in Betracht. Eine Anwendung des Art. 15 Abs. 2 DBA CHE scheidet aus, weil die Arbeitgeberin des Klägers, die Beigeladene, in 2018 in der Schweiz nicht ansässig war (Art. 15 Abs. 2 Buchs. b) DBA CHE) und die Vergütungen auch nicht von einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung der Beigeladenen in der Schweiz nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. c DBA CHE getragen worden sind.
33
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Mangels Anträgen der Beigeladenen kommt eine Kostentragung durch diese nach § 135 Abs. 3 FGO nicht in Betracht. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind ferner nicht nach § 139 Abs. 4 FGO erstattungsfähig. Mangels Sachvortrag und eigener Anträge hat die Beigeladene weder das Verfahren gefördert noch sich im Verfahren (unter Übernahme eines Kostenrisikos, § 135 Abs. 3 FGO) positioniert, so dass eine Kostenerstattung nicht der Billigkeit entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 07.03.2018 I R 12/16, BFHE 261, 251, Rn. 20). Mangels Kostentragung durch andere Beteiligte als den Kläger ist eine Entscheidung über dessen Antrag nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht geboten.
34
4. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Zur Frage eines Besteuerungsrechts Deutschlands nach Art. 15 Abs. 1 DBA CHE für die Vergütung, die dem Kläger ab Beginn der Freistellung gezahlt wurde, gibt es, soweit ersichtlich, keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der für das Streitjahr gültigen Fassung des DBA CHE bzw. gibt es von der hier zugrunde gelegten Rechtsauffassung abweichende Entscheidungen anderer Finanzgerichte, zu denen teilweise Revisionsverfahren anhängig sind (etwa Hessisches FG-Gerichtsbescheid vom 15.12.2021, Az. 9 K 133/21, juris, mit unter dem Az. VI R 23/22 an-hängiger Revision; FG Köln-Urteil vom 25.02.2014 8 K 2555/11, Rn. 38 ff. [rechtskräftig]).