Inhalt

LG Würzburg, Beschluss v. 11.03.2024 – 3 T 314/24
Titel:

Vollzug der Abschiebungshaft in der Abschiebungshafteinrichtung Hof 

Normenketten:
AufenthG § 62, § 62a
Rückführungs-RL Art. 16 Abs. 1
Leitsätze:
1. Nicht jede Haftbedingung, welche für den Zweck der Abschiebungshaft nicht erforderlich oder unverhältnismäßig ist, führt zur Versagung der Anerkennung einer Hafteinrichtung als spezielle Hafteinrichtung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unterbringung in der Abschiebungshafteinrichtung Hof unterscheidet sich erkennbar und maßgeblich von einer solchen in einer gewöhnlichen Gefängnisumgebung, wie sie für Strafhaft kennzeichnend ist. (Rn. 37 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anforderungen an eine Abschiebehafteinrichtung, hier: Abschiebehafteinrichtung H., Abschiebungshaft, Hafteinrichtung, Vollzug, RL 2008/115/EG
Vorinstanz:
AG Würzburg, Beschluss vom 31.01.2024 – 13 S XIV 12/24 (B)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8112

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 31.01.2024, Az. 13 S XIV 12/24 (B), wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zu deren Vollzug, längstens jedoch bis zum 12.03.2024 angeordnet wird.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger.
2
Durch Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 31.01.2024 wurde gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zu deren Vollzug, längstens jedoch bis zum 31.03.2024 angeordnet. Durch Schriftsatz seiner ihm beigeordneten Rechtsanwältin vom 07.02.2024, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, legte der Betroffene dagegen Beschwerde ein.
3
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Würzburg als zuständigem Beschwerdegericht vorgelegt.
II.
4
Die zulässige Beschwerde erweist sich in der Sache als unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft liegen vor.
5
Im Einzelnen:
6
1. Der Betroffene wurde vom Amtsgericht Würzburg – Ermittlungsrichter – zu dem Haftantrag der Regierung von Unterfranken am 31.01.2024 angehört. Dabei wurde ihm der Antrag in Kopie ausgehändigt (Seite 2 des Protokolls, Bl. 10 d. A.).
7
2. Der Haftantrag der Regierung von Unterfranken vom 31.01.2024 entspricht den Voraussetzungen des § 417 Abs. 2 FamFG.
8
Der Antrag enthält Angaben zur Identität des Betroffenen, zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt, zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung, zur Verlassenspflicht des Betroffenen sowie zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung.
9
Insbesondere genügen entgegen dem Beschwerdevorbringen die Ausführungen zur Durchführbarkeit der Abschiebung den gesetzlichen Anforderungen. Es ist nicht zu beanstanden, dass der allgemeine Verfahrensablauf geschildert und der übliche Zeitrahmen für dieses Verfahren genannt wird. Angesichts der Ungewissheit, wie lange die Vorbereitungen für die Abschiebung im konkreten Fall exakt dauern, war die Ausländerbehörde gehalten, den erfahrungsgemäß erforderlichen Zeitrahmen zu nennen.
10
3. Der Betroffene ist zur Ausreise verpflichtet.
11
Die Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der abschlägigen Entscheidung über den Asylantrag vom 18.04.2017 ist abgelaufen. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 31.01.2018 vollziehbar. Dies ergibt sich aus der Abschlussmitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.03.2018 (Bl. 262, 263 der Ausländerakte).
12
Der Betroffene ist seiner Ausreiseverpflichtung bisher nicht nachgekommen.
13
4. a) Die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft im Sinne des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG liegen vor. Danach ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn Fluchtgefahr besteht.
14
aa) Fluchtgefahr wird in den Fällen des § 62 Abs. 3a AufenthG widerlediglich vermutet. Bei dem Betroffenen greifen die Vermutungen der Nummern 3 und 6 des § 62 Abs. 3a AufenthG.
15
(1) Gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG wird Fluchtgefahr widerleglich vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist.
16
(a) Die Ausreisefrist ist bei dem Betroffenen seit 18.04.2017 abgelaufen.
17
(b) Am 10.04.2018 wurde der Betroffene über die Pflicht zur Anzeige eines Wohnortwechsels oder eines Verlassens des Bezirkes der Ausländerbehörde für länger als drei Tage gemäß § 50 Abs. 4 AufenthG belehrt (Bl. 275 ff. der Ausländerakte).
18
Dennoch konnte der Betroffene bei den Abschiebeversuchen vom 29.03.2019 und 12.06.2019 nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft angetroffen werden (Bl. 412, 413; Bl. 467, 468 der Ausländerakte). Am 19.06.2019 wurde der Betroffene von der Unterkunft abgemeldet, weil er seit 05.06.2019 nicht mehr in der zugewiesenen Unterkunft wohnte (Bl. 471 ff. der Ausländerakte).
19
Die Voraussetzungen der Vermutung des § 62 Absatz 3a Nr. 3 AufenthG liegen somit vor.
20
(2) Doch auch § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG greift zum Nachteil des Betroffenen vorliegend ein. Danach gilt die widerlegliche Vermutung der Fluchtgefahr, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.
21
Eine solche Erklärung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (BGH, Beschluss vom 20.10.2016 – V ZB 13/16 –, Rn. 5, juris). Eine verbale Äußerung ist hierfür nicht zwingend erforderlich (BGH, Beschluss vom 20.07.2017, – V ZB 5/17 –, Rn. 6, juris).
22
Im Verhalten des Betroffenen bei den Abschiebungsversuchen vom 29.03.2019 und 12.06.2019 ist konkludent eine Erklärung der Entziehungsabsicht zu sehen, da der Betroffene nicht in seinem zugewiesenen Zimmer angetroffen werden konnte. Der Betroffene ist offensichtlich nicht bereit, seiner Ausreisepflicht freiwillig nachzukommen,
23
bb) Darüber hinaus liegen bei dem Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 4 AufenthG vor. Danach kann es ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
24
Der Betroffene wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt vom 22.11.2017 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung wegen Diebstahl verurteilt (Bl. 188 der Ausländerakte). Zuvor wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Schweinfurt vom 31.08.2017 zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 5 € verurteilt (Bl. 159 der Ausländerakte).
25
cc) Umstände, die die widerlegliche Vermutung der Fluchtgefahr gemäß aa) oder die konkreten Anhaltspunkte gemäß bb) entkräften würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Angaben des Betroffenen in der ermittlungsrichterlichen Anhörung, er könne bei der Frau wohnen, mit der er nach islamischem Recht verheiratet sei, vermögen die Fluchtgefahr nicht zu entkräften, da der Betroffene dort offenbar auch in der Vergangenheit trotz Bestehens der Beziehung nicht gewohnt hat.
26
Damit liegt bei dem Betroffenen Fluchtgefahr vor.
27
b) Der Betroffene hat nach Ansicht der Kammer nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will, § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Diesbezüglich wird auf die unmittelbar vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
28
c) Die Abschiebung soll am 12.03.2024 erfolgen. Damit steht fest, dass die Sicherungshaft nicht wegen § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG unzulässig ist.
29
5. Die Anordnung von Sicherungshaft ist verhältnismäßig. Ein milderes Mittel, das ebenfalls ausreichen würde, den Zweck der Haft zu erreichen (§ 62 Abs. 1 AufenthG), ist nicht ersichtlich. Der Betroffene war seit 2019 unbekannten Aufenthalts.
30
6. Die bis 31.03.2024 angeordnete Haft war vorliegend erforderlich. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zur Zulässigkeit des Haftantrages (oben 2.) Bezug genommen.
31
Da die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 23.02.2024 mitgeteilt hat, dass der Betroffene am 12.03.2024 nach Algerien abgeschoben werden soll, war die Anordnung der Haft allerdings auf diesen Zeitraum zu beschränken.
32
7. Erkenntnisse zu anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen den Betroffenen liegen nicht vor, so dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) – welches in den Fällen des § 72 Abs. 4 S. 3, 4 AufenthG ohnehin entbehrlich wäre – nicht erforderlich ist.
33
8. Die Sicherungshaft ist nicht wegen dessen Vollzugs in der Abschiebehafteinrichtung H. rechtswidrig.
34
Gemäß § 62a Abs. 1 Satz 1 AufenthG sowie Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115/EG hat die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Abschiebehafteinrichtungen zu erfolgen. Dabei hat eine getrennte Unterbringung von gewöhnlichen Strafgefangenen zu erfolgen, § 62a Abs. 1 Satz 1 a. E. AufenthG. Die Haftbedingungen in diesen Einrichtungen müssen gewisse Besonderheiten gegenüber normalen Bedingungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen in gewöhnlichen Haftanstalten aufweisen (EuGH 10.03.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 36). Da die Unterbringung gleichwohl in einer Hafteinrichtung erfolgen darf – wenngleich in einer „speziellen“ – darf der illegal Aufhältige durch die Gestaltung und Ausstattung der Räumlichkeiten sowie durch die vorhandenen Organisations- und Funktionsmodalitäten gezwungen werden, ständig in einem eingegrenzten, geschlossenen Bereich zu verbleiben; im Übrigen müssen die in einer solchen Einrichtung geltenden Haftbedingungen jedoch so gestaltet sein, dass mit ihnen so weit wie möglich verhindert wird, dass die Unterbringung in der Abschiebehafteinrichtung einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist (EuGH 10.03.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 45). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jede Haftbedingung, welche für den Zweck der Abschiebungshaft nicht erforderlich oder unverhältnismäßig ist, zur Versagung der Anerkennung einer Hafteinrichtung als spezielle Hafteinrichtung führen darf. Vielmehr geht es darum, ob sich die spezielle Hafteinrichtung aufgrund der Haftbedingungen in hinreichendem Maße von gewöhnlichen Hafteinrichtungen unterscheidet. Ob es sich um eine „spezielle“ Hafteinrichtung in diesem Sinne handelt, ist im Wege einer Gesamtwürdigung zu entscheiden (EuGH 10.03.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 48).
35
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt bei der Abschiebehafteinrichtung H. eine spezielle Hafteinrichtung vor. Die Kammer hat hierzu eine Stellungnahme der Ausländerbehörde eingeholt, die ausführlich die Besonderheiten der Einrichtung in H. gegenüber einer normalen Justizvollzugsanstalt dargelegt hat. Die Kammer nimmt daher in vollem Umfang auf die Stellungnahme der Regierung von U. vom 23.02.2024 Bezug. Ergänzend ist lediglich auf die Einwände des Betroffenen im Beschwerdeverfahren, die gegen diese Einstufung vorgebracht werden, einzugehen.
36
Im Einzelnen:
37
Die Abschiebehafteinrichtung H. ist im Gegensatz zur benachbarten Justizvollzugsanstalt H. nicht mit einer Mauer, sondern mit einem ca. 5 m hohen Zaun gesichert. Die Kammer teilt die Auffassung der Ausländerbehörde, dass hiermit lediglich das zur Fluchtverhinderung notwendige Maß umgesetzt wurde.
38
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Fenster der Einrichtung mit horizontal verlaufenden Stäben gesichert sind. Die Verhinderung von Fensterstürzen in Suizidabsicht ist zwingend geboten, zumal sich nicht wenige Inhaftierte in einer subjektiv ausweglosen Situation befinden.
39
Die Besuchsregelungen unterscheiden sich deutlich von denen einer Justizvollzugsanstalt. Sie betragen werktags mehrere Stunden. Eine monatliche Obergrenze besteht nicht. Dass am Wochenende und an Feiertagen lediglich eine Stunde pro Tag zur Verfügung steht, ist aus organisatorischen Gründen nachvollziehbar, da an diesen Tagen weniger Personal Dienst hat.
40
Dass den Inhaftierten die Nutzung privater Laptops und Smartphones untersagt ist, wird nachvollziehbar mit Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt begründet. Im Übrigen würde dieser Aspekt, selbst wenn man ihn beanstanden würde, nicht dazu beitragen, dass sich bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Einordnung als spezielle Hafteinrichtung ändern würde.
41
Im Ergebnis ist die Kammer nach Durchführung einer Würdigung aller Umstände somit der Überzeugung, dass die Unterbringung in der Abschiebehafteinrichtung H. sich erkennbar und maßgeblich von einer solchen in einer gewöhnlichen Gefängnisumgebung, wie sie für Strafhaft kennzeichnend ist, unterscheidet.
42
9. Der Betroffene wurde im Beschwerdeverfahren nicht erneut angehört. Eine Anhörung ist auch nicht geboten, nachdem der Betroffene erst am 31.01.2024 ausführlich und verfahrensfehlerfrei durch das Amtsgericht Würzburg – Ermittlungsrichter – angehört worden ist.
43
Zur Überzeugung der Kammer konnte vor diesem Hintergrund gemäß § 420 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG mangels erwartbarer zusätzlicher Erkenntnisse durch eine nochmalige persönliche Anhörung des Betroffenen abgesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2017 – XII ZB 350/16 –, juris, Rn. 19; BGH, Beschluss vom 07.12.2016 – XII ZB 136/16 –, juris, Rn. 4), zumal dem Betroffenen eine Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet wurde, die die Beschwerde eingelegt und begründet hat, ohne dass dies Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme hätte. Das dortige Vorbringen zeigt vielmehr, dass der Betroffene nicht bereit ist, Deutschland zu verlassen.
44
Die Ehe des Betroffenen nach islamischem Recht genießt nicht den Schutz des Art. 6 GG. Das ferner vorgetragene Verlöbnis erscheint wenig glaubhaft, wenn der Betroffenen weder in der Anhörung vor dem Ermittlungsrichter noch in der Beschwerdebegründung die Hausnummer seiner Verlobten nennen kann, obwohl er angibt, dort Wohnung nehmen zu wollen.
45
Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich, dass der angefochtene Beschluss rechtmäßig ergangen ist. Die Beschwerde war somit als unbegründet zurückzuweisen.
III.
46
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren auf § 36 Abs. 3 GNotKG.