Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 26.02.2024 – Au 9 K 22.30645
Titel:

unzulässiger Asylfolgeantrag 

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Zwar können die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region Tigray und angrenzenden Gebieten die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG erfüllen; allerdings besteht jedenfalls mit der Hauptstadt-Region Addis Abeba, in der derzeit erhebliche Sicherheitsgefahren nicht beachtlich wahrscheinlich sind, eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 52 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Oromo liegen nicht vor.  (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Äthiopien, oromische Volkszugehörige, Asylfolgeantrag, kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Äthiopiens aufgrund teilweise defizitärer Nahrungsmittelversorgung, Covid-19 und Konflikten u.a. in der Tigray-Region, Genitalverstümmelung, innerstaatliche Fluchtalternative, Gruppenverfolgung, Oromo, Abschiebungsverbot, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8088

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und begehrt die erneute Durchführung eines Asylverfahrens bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Äthiopiens.
2
Die am ... 1998 geborene Klägerin ist die Tochter äthiopischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Oromo, welche vor dem Verwaltungsgericht Augsburg erfolglos ein Parallelverfahren betrieben haben. Die Klägerin hat eine am ... 2016 geborene Schwester, deren Asylverfahren ebenfalls erfolglos geblieben ist.
3
Im Einzelnen wurden die Klagen der Mutter sowie der Schwester der Klägerin durch Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Februar 2019 (Az.: Au 1 K 17.33650) abgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des ... vom 1. April 2019 abgelehnt (Az.: ...).
4
Auch das Asylfolgeverfahren betreffend die Mutter sowie die am ... 2016 geborene Schwester der Klägerin blieb erfolglos. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 21. Oktober 2021 wurde die diesbezügliche Klage im Verfahren Au 1 K 21.30614 abgewiesen.
5
Ebenfalls erfolglos blieb das Asylverfahren des Vaters der Klägerin. Die gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Februar 2019 abgewiesen (Az.: Au 1 K 17.34385). Auch das Asylfolgeverfahren des Vaters der Klägerin war erfolglos; die diesbezügliche Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. November 2021 abgewiesen (Az.: Au 1 K 21.30517).
6
Im Verfahren Au 1 K 17.33650 führte die Mutter der Klägerin gegenüber dem Bundesamt u.a. sinngemäß aus, ihre Familie sei aufgrund einer behaupteten Unterstützung der Oromo in Äthiopien verfolgt worden. Auch die Mutter der Klägerin selbst sei von den Sicherheitsleuten bedroht worden. Der unmittelbare Grund für ihre Ausreise sei die Wahrscheinlichkeit gewesen, als alleinstehende Frau vergewaltigt zu werden. Außerdem sei sie in Äthiopien selbst gesucht worden. Im Übrigen wurde angemerkt, hinsichtlich der Mutter der Klägerin bestehe im Falle der Rückkehr eine erhebliche Gefahr der Beschneidung. Der soziale Druck der Familie und der nahen Verwandten wäre so groß, dass bei der Mutter der Klägerin in Äthiopien eine Beschneidung durchgeführt werden würde.
7
In der mündlichen Verhandlung trug die Mutter der Klägerin (wie auch bereits gegenüber dem Bundesamt) vor, sie habe vor dem Verlassen Äthiopiens bei ihrer Mutter im Bezirk Arsi, Kreis Jeju im Dorf ... gelebt. Vor ihrer Ausreise habe sie (entsprechend den Angaben in der mündlichen Verhandlung) bei ihrem Onkel in ... für ungefähr einen halben bis einen Monat gelebt. Das sei von ... ungefähr 30 Minuten zu Fuß entfernt. Die Mutter der Klägerin nehme an, dass in Äthiopien noch ihre Mutter, ihre Geschwister sowie die Großfamilie leben würden.
8
Im Verfahren Au 1 K 17.34385 führte der Vater der Klägerin gegenüber dem Bundesamt bzw. in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen aus, er habe Äthiopien verlassen, weil sein Vater ein Kämpfer der OLF gewesen sei. Deswegen sei die ganze Familie automatisch verfolgt worden, beide Brüder seien inhaftiert worden. Danach habe der Vater der Klägerin in der Schule Probleme bekommen und sei suspendiert worden. Auch er selbst habe gegen die Regierung protestiert. In Äthiopien habe der Vater der Klägerin im Dorf ... im Kreis Adama im Bezirk Shawa Baha (West) mit seiner Familie (seiner Mutter und seinen Geschwistern) gelebt; dies sei bis vor seiner Ausreise so gewesen. Der Ort befinde sich in der Region Oromia. In Äthiopien würden noch sein Vater, seine zwei Brüder und die Großfamilie (mütterlicherseits) leben.
9
Am 21. Januar 2019 zeigte das Landratsamt ...- (Bundesamt) die Geburt der Klägerin an. Das Bundesamt sah aufgrund der Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 AsylG einen Asylantrag als gestellt an.
10
Am 4. Februar 2019 forderte das Bundesamt die Eltern der Klägerin zur Stellungnahme auf. Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 gab die damalige Bevollmächtigte der Klägerin an, dass die Klägerin bei einer Rückkehr aufgrund des sozialen Drucks der Familie und der nahen Verwandten in Äthiopien beschnitten werden würde. Die Eltern der Klägerin könnten sich dagegen nicht durchsetzen, da bei den Oromo der gesellschaftliche Druck besonders groß sei. Es bestehe eine konkrete Gefahr der Beschneidung der Klägerin.
11
Mit Bescheid vom 2. April 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab. In Ziffer 4 stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. In Ziffer 5 wurde der Klägerin die Abschiebung nach Äthiopien angedroht und in Ziffer 6 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
12
Zur Begründung des Bescheids wurde u.a. ausgeführt, es könne unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage und der persönlichen Situation der Klägerin ausgeschlossen werden, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien befürchten müsse, Opfer einer Genitalverstümmelung (FGM) zu werden. Da weder die Mutter noch die Schwester der Klägerin beschnitten seien, sei nicht ersichtlich, weshalb der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien die Beschneidung drohen solle. Die Begründung des Bevollmächtigten, dass der gesellschaftliche Druck hoch sei, überzeuge nicht. Im Übrigen sei mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Februar 2019 (Az. Au 1 K 17.33650) die Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung hinsichtlich der Mutter und der Schwester der Klägerin verneint worden, da Genitalverstümmelung zum einen in Äthiopien strafbar sei und von der Mutter der Klägerin erwartet werden könne, dass sie die Klägerin hinreichend schütze. Die Mutter habe sich schließlich selbst vor der Zwangsbeschneidung schützen können. Eine konkret drohende individuelle und begründete Furcht vor Verfolgung sei für die Klägerin nicht geltend gemacht worden. Hinsichtlich der Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wurde ausgeführt, dass Äthiopien zwar zu einem der ärmsten Länder gehöre. Allerdings sei die Klägerin nicht alleine ausreisepflichtig, sondern gemeinsam mit ihren Eltern. Ihre Eltern seien jung, gesund und arbeitsfähig und somit in der Lage, das notwendige Existenzminimum zu erwirtschaften. Darüber hinaus würden die Eltern der Klägerin noch über verwandtschaftliche Beziehungen in Äthiopien verfügen, so dass auf ein sicherndes soziales Netzwerk zurückgegriffen werden könne.
13
Gegen diesen Bescheid wurde am 4. April 2019 Klage erhoben (Az. Au 1 K 19.30492). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Eltern die Klägerin aufgrund des familiären und gesellschaftlichen Drucks nicht imstande wären, eine Zwangsbeschneidung bei der Klägerin zu unterbinden. Nicht beschnittene Frauen würden in ländlichen Gebieten als „unrein“ betrachtet und geächtet. Der äthiopische Staat sei nicht in der Lage, das Verbot der Genitalverstümmelung zu kontrollieren und zu verfolgen. Es bestehe daher die beachtliche Gefahr einer geschlechterspezifischen Verfolgung. Im weiteren Fortgang des Verfahrens wurde die Besorgnis bzgl. Körperstrafen, welche nach dem klägerischen Vorbringen in Äthiopien nach wie vor üblich seien, geäußert. Im Übrigen sei die Lage in Äthiopien aufgrund der Covid 19-Pandemie und der Heuschreckenplage besonders prekär. Die Heuschreckenplage habe zu einer Hungersnot geführt.
14
Die Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Januar 2021 abgewiesen, der beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung (Az.: ...) wurde mit Beschluss vom 10. März 2021 abgelehnt. Im Berufungszulassungsverfahren wurde u.a. vorgebracht, dass es für die Klägerin im Falle einer Abschiebung nach Äthiopien gesellschaftlich problematisch sei, dass ihr deutscher Geburtsort in sämtlichen ihrer Identitätsdokumente vermerkt sei.
15
Mit Schreiben vom 10. Juni 2021 stellte die Klägerin einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerseite berufe sich auch auf die katastrophalen Lebensbedingungen, die aktuell in Äthiopien gegeben seien. Aufgrund der enormen Heuschreckenplage drohe eine enorme Hungersnot bzw. diese sei schon gegeben. Auch gebe es im Falle einer Corona-Erkrankung praktisch keine ärztliche Versorgung in Äthiopien. Im Übrigen gebe es eine neue Eskalation der Sicherheitslage in Äthiopien. Nach dem Tod eines Sängers und Aktivisten, der in Addis Abeba erschossen worden sei, werde das Land von erheblichen Unruhen erschüttert. Nach Medienberichten seien weit über 200 Menschen bei Protesten in Äthiopien bereits getötet worden. Inzwischen sei fast jeder Landesteil vom Bürgerkrieg umfasst, nicht nur Tigray bzw. die Oromo-Region.
16
Im Übrigen sei die Klägerin in Deutschland geboren, daher sei ihr schon deswegen ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zuzuerkennen. Im Falle einer Abschiebung würde die Klägerin stets gefragt werden, warum sie denn nicht in Deutschland lebe, wo sie geboren sei. Überall auf der Welt, auch in Deutschland, werde von den meisten Menschen ein Mensch dem Land zugeordnet, in dem er geboren sei. Im Falle einer Abschiebung wäre in sämtlichen Identitätsdokumenten Erlangen/Deutschland als Geburtsort verzeichnet. Die Klägerin würde womöglich von der Umwelt als Deutsche angesehen werden, die jedoch Deutschland nicht betreten dürfe. Im schlimmsten Falle wäre sie Diskriminierungen ausgesetzt.
17
Im Übrigen werde hinsichtlich der Fluchtgründe auf die Anhörungsprotokolle der beiden Elternteile verwiesen. Die Fluchtgründe würden auch für die Klägerin gelten. Für die Klägerin wäre es nicht gut, wenn ihr in der Heimat die Eltern weggenommen würden und sie womöglich in ein Waisenhaus käme, jedenfalls elternlos aufwachsen müsste. Deshalb seien für sie die Fluchtgründe ihrer Eltern genauso relevant.
18
Als ergänzende Folgeantragsbegründung wurde ein – wohl vom Vater der Klägerin verfasstes – auf den 20. April 2021 datiertes Schreiben vorgelegt. Zur Begründung wird dort sinngemäß ausgeführt, die aktuelle Lage Äthiopiens sei sehr furchterregend. Dort habe man Angst vor willkürlicher Ermordung. Die Klägerin könne nicht nach Äthiopien zurückkehren, da dort Frauen insbesondere durch Verfolgung und andere ähnlich brutale Maßnahmen leiden würden. Der Vater der Klägerin habe große Angst, dass die Klägerin das nächste Opfer sein könne. In Äthiopien würden die Grundrechte von Frauen und Kindern nicht ansatzweise respektiert. Die Klägerin würde – wie ihr Vater sinngemäß ausführt – aufgrund ihres Geschlechts und der Tatsache, dass sie noch ein Kind sei, zu einer vulnerablen Personengruppe gehören. Ferner sei sie noch nicht volljährig und selbstständig. Im Falle von Schwierigkeiten käme in Äthiopien die Hilfe der Eltern nicht rechtzeitig. Zudem fände die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr keine Bleibe; der Vater der Klägerin vertritt dabei die Ansicht, die äthiopische Regierung würde Nacht für Nacht die Wohnhäuser in Brand stecken. Es bestehe Nahrungsmittelmangel, ebenso ein Mangel an Gegenständen der Grundausstattung. Zudem würden an verschiedenen Orten in Äthiopien Sofortmaßnahmen begangen. Aus Sicht des Vaters der Klägerin habe es durch jene Maßnahmen in Äthiopien auch viele Tote gegeben. Des Weiteren seien aus Sicht des Vaters der Klägerin die meisten Gefangenen in Äthiopien aufgrund regimekritischer Äußerungen festgenommen worden. Viele seien bei der Verfolgung ermordet worden. Nach einer Festnahme sei es auch schwer, ein Gerichtsurteil zu erhalten. Die Misshandlung der Mitmenschen hinterlasse bei den heranwachsenden Jugendlichen unvergessliche Spuren. Die Folgen jener Spuren könnten aus Sicht des Vaters der Klägerin großen Einfluss auf das künftige Zusammenleben haben. Keiner profitiere davon. Insgesamt befürchte der Vater der Klägerin, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien ein solches Schicksal treffen werde. Zudem sei aktuell die ganze Welt von Covid 19 betroffen. Dadurch seien die Kontakte der Menschen eingeschränkt und die Wirtschaft lahmgelegt. Auch daher sei das Leben in Äthiopien beängstigend. Äthiopien sei nicht so hoch wie die Industriestaaten entwickelt. Im Übrigen sei es für den Vater der Klägerin schwer vorstellbar, wieweit sich die Regierung Äthiopiens bemühe, die Epidemie einzudämmen bzw. zu kontrollieren. Dies bereite dem Vater der Klägerin große Sorgen um die Klägerin.
19
Mit Bescheid des Bundesamts vom 25. Mai 2022 wurde der Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheids). Ebenso wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 2. April 2019 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abgelehnt.
20
Zur Begründung werde ausgeführt, der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen.
21
Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien, mithin Wiederaufgreifensgründe vorlägen.
22
Der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die nunmehr von der Klägerseite vorgetragenen Aspekte stellten keine geänderte Sachlage dar. Aus den vorliegenden Schriftstücken ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine erneute Prüfung im Rahmen eines neuen Asylverfahrens notwendig wäre. Sie seien entweder bereits Gegenstand des vorangegangenen Asylverfahrens gewesen oder seien zu oberflächlich, um eine geänderte Sachlage zu substantiieren.
23
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG seien nicht erfüllt. Das Verfahren könne jedoch – wie das Bundesamt sinngemäß ausführt – auch im Ermessenswege wiedereröffnet werden (Wiederaufgreifen im weiteren Sinn); insoweit bestehe ein Anspruch der Klägerin auf fehlerfreie Ermessensausübung. Jedoch lägen Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gem. § 49 VwVfG rechtfertigen würden, ebenfalls nicht vor. Bei der Rückkehr nach Äthiopien könne im Allgemeinen von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden. Es könne davon ausgegangen werden, dass zumindest in den meisten Regionen, in jedem Fall aber in Addis Abeba, eine – wenn auch sehr bescheidene – Existenzsicherung gewährleistet sei. Dass sich die Situation aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage sowie Überschwemmung verschärft haben könnte, sei im Ergebnis nicht anzunehmen. Auch vor dem Hintergrund der pandemischen Lage drohe der Klägerin in Äthiopien keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Es bestehe keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Klägerin aus individuellen Gründen. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, auch nicht im Hinblick das mit der Corona-Pandemie verbundene allgemeine Erkrankungsrisiko. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht. Die erlassene Abschiebungsandrohung sei weiter gültig und vollziehbar.
24
Der Bescheid wurde entsprechend eines Aktenvermerks gemäß § 4 Abs. 2 VwZG am 2. Juni 2022 als Einschreiben zur Post gegeben.
25
Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2022 ließ die Klägerin gegen den Bescheid vom 25. Mai 2022 Klage erheben, welche (zunächst) nicht begründet wurde.
26
Die Klägerin lässt beantragen,
I.
27
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.05.2022, Az., wird aufgehoben.
II.
28
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Äthiopien vorliegen.
29
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 23. Juni 2022,
30
die Klage abzuweisen.
31
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
32
Mit Beschluss vom 28. September 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
33
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 führte der Klägerbevollmächtigte ergänzend aus, dass aufgrund der sich immer weiter zuspitzenden Verhältnisse in Äthiopien nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden könne. Zudem sei die Klägerin ein kleines Mädchen, dass sich im Falle einer Abschiebung nach Äthiopien einer Genitalverstümmelung nicht entziehen könnte. Die vielen schlimmen Vorkommnisse stellten nach Ansicht des Klägerbevollmächtigten neue Tatsachen dar, weshalb ein neues Asylverfahren durchzuführen sei. Hierzu gehörten sowohl der Hunger als auch die vielen Auseinandersetzungen und scheinbar der Verfall bzw. Zerfall des Staates Äthiopien in seiner bisherigen Form. Weder die politische Lage noch die Lebensbedingungen in Äthiopien hätten sich zum Positiven verändert. Die Sicherheitslage in Äthiopien habe sich verschlechtert. Es komme praktisch überall im Land zu Unruhen und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen und den Sicherheitskräften. Hinsichtlich der Militäraktionen sei eine weitere Ausweitung über die Regionen Tigray, Amhara und Afar hinaus nicht ausgeschlossen. In den Grenzgebieten des Landes komme es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen. In den Regionen Tigray, Amhara und Afar fänden Kämpfe statt. In der Somali-Region und im Grenzgebiet zu Somalia stelle der bewaffnete Konflikt einen erheblichen Risikofaktor dar. In der Oromia-Region komme es regelmäßig zu teils gewalttätigen Demonstrationen, Straßensperren etc. Das Risiko von Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze sei weiterhin hoch. Es gebe erhebliche Kriminalität. Die gesundheitliche Versorgung in Äthiopien sei besorgniserregend, da in Äthiopien viele Krankheiten existieren würden. Das alles sei vom Auswärtigen Amt festgestellt worden und betreffe zahlreiche Menschen. Auch jetzt habe sich trotz möglicherweise anderslautender Stimmen die Lage in Äthiopien nicht verbessert. Vielmehr habe sich die Lage in Äthiopien nochmals qualitativ verschlechtert. Aufgrund der enormen Heuschreckenplage drohe eine enorme Hungersnot bzw. es gebe diese wahrscheinlich schon. Hinsichtlich Corona gebe es in Äthiopien praktisch keine ärztliche Versorgung. Inzwischen sei fast jeder Landesteil vom Bürgerkrieg umfasst, nicht nur Tigray, die Oromo-Region etc. So warne das Auswärtige Amt in seinen aktuell gültigen Sicherheitshinweisen vor Reisen in die Regionen Tigray, Afar und Amhara sowie in bestimmte Gebiete u.a. der Region Oromia. Grundsätzlich werde vor nicht notwendigen Reisen in die übrigen Regionen Äthiopiens abgeraten. In den Medien sei im Januar 2022 von einem seit nunmehr 14 Monaten tobenden Bürgerkrieg in Äthiopien berichtet worden, ebenso, dass seit Anfang Januar 2022 mindestens 108 Menschen durch Luftangriffe getötet worden seien. Die Kämpfe hätten sich längst auch auf andere Regionen als Tigray ausgebreitet. Mehr als 6,8 Millionen Menschen im äthiopischen Tiefland würden in den kommenden Monaten zudem dringende humanitäre Hilfe benötigen. Grund hierfür sei laut den UN eine schwere Dürre in sechs Regionen des Landes. Vor allem im Süden des Landes in den Regionen Oromia und Somalia seien laut UNICEF rund 225.000 Kinder unterernährt und 100.000 schwangere oder stillende Frauen auf dringende Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Ob die Betroffenen die dringend benötigte Hilfe bekämen, sei angesichts der äußerst kritischen und instabilen Lage in Äthiopien höchst fraglich. Aktuell werde im Fernsehen davon berichtet, dass tausende Menschen bei einer konzertierten Aktion verhaftet worden, allein davon 4.500 Personen in Amhara. Den Festgenommenen werde die allgemeine unbestimmte Bezeichnung „Gesetzlosigkeit“ vorgeworfen. Des Weiteren hätten verschiedene Medien im Juni/Juli 2022 von zahlreichen Toten bei Massakern bzw. Anschlägen in Äthiopien berichtet. Auch hätten sich dabei Massaker im Gebiet Oromia ereignet. Im Übrigen gebe es seit weit mehr als 18 Monaten keinen Regen in Äthiopien, es bestehe nach wie vor Dürre. Der Krieg in der Ukraine verschärfe die Hungersnot. Ebenso würden UNO-Experten Verstöße gegen die Menschlichkeit sehen, hinter welchen die dortige Regierung stehe. Hinsichtlich der Dürre wird ergänzend ausgeführt, es handle sich um die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Inzwischen litten bereits mehr als 20 Millionen Menschen an Hunger. Zu allem Überfluss sei auch noch Eritrea in Äthiopien einmarschiert. Dies alles seien neue Dinge. Abschiebungen nach Äthiopien könnten nicht stattfinden, da die Klägerin damit unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre. Es liege jedenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
34
Mit Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. Oktober 2022 wurde die Klage der Klägerin abgewiesen. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Der Gerichtsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. November 2022 zugestellt.
35
Mit Schriftsatz vom 21. November 2022 beantragte die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigter die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
36
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2024, auf den verwiesen wird, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sein Vorbringen ergänzt und vertieft.
37
Am 26. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der der Vater der Klägerin als deren gesetzlicher Vertreter informatorisch angehört wurde, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
38
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch in den Verfahren Au 1 K 19.30492 (Asylerstverfahren der Klägerin), den Verfahren Au 1 K 17.33650 und Au 1 K 21.30614 (Asylerst- und Asylfolgeverfahren der Mutter sowie der Schwester der Klägerin) sowie den Verfahren Au 1 K 17.34385 und Au 1 K 21.30517 (Asylerst- und Asylfolgeverfahren des Vaters der Klägerin), und der jeweils beigezogenen Behördenakten des Bundesamts.

Entscheidungsgründe

39
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2024 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2024 form- und fristgerecht geladen worden.
40
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 25. Mai 2022 ist rechtmäßig und nicht geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen. Das Bundesamt hat den von der Klägerin gestellten Asylfolgeantrag (§ 71 AsylG) zurecht als unzulässig abgelehnt und weiter festgestellt, dass die Klägerin auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf das Vorliegen von (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz AufenthG hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
41
1. Die von der Klägerin erhobene Klage ist zulässig.
42
Statthafte Klageart gegen eine Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Anfechtungsklage (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 16 ff.). Im Falle eines Asylfolgeantrags, welcher als unzulässig abgelehnt wurde, ist damit der Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags zu beschränken und die bisher verweigerte sachliche Prüfung im Falle eines stattgebenden Urteils vom Bundesamt selbst nachzuholen (BVerwG, a.a.O., Rn. 17 ff).
43
Dagegen kann das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, weiterhin (hilfsweise) mit der Verpflichtungsklage geltend gemacht werden, da das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 AsylG diesbezüglich eine Feststellung zu treffen hatte und sich somit bereits sachlich mit diesem Schutzbegehren befasst hat (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 20).
44
2. Die Klage ist in der Sache jedoch nicht begründet. Die Unzulässigkeitsentscheidung im Bescheid des Bundesamts vom 25. Mai 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zudem steht ihr der geltend gemachte Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von nationalen Abschiebungsverboten nicht zu. Die Klage war deshalb nach § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO abzuweisen.
45
3. Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Bundesamts in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids, mit welcher der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt wurde, ist § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
46
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts vom 25. Mai 2022 ist nach den vorgenannten Maßstäben rechtmäßig. Auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheids des Bundesamts wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
47
a) Soweit die Klägerseite Ausführungen zur Heuschreckenplage in Äthiopien sowie zur Corona-Pandemie gemacht hat, ist anzumerken, dass diese Umstände bereits vollumfänglich Gegenstand des Asylerstverfahrens der Klägerin (Verfahren Au 1 K 19.30492) waren; der Sachvortrag bzgl. der Heuschreckenplage und der Corona-Pandemie wurde erstmals durch Schriftsatz vom 30. November 2020 in das Asylerstverfahren eingebracht. Sie können daher dem Asylfolgeantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Im Übrigen sind diese Aspekte allenfalls im Zusammenhang mit etwaigen Abschiebungsverboten zu prüfen.
48
Die Berücksichtigung der vorgenannten Umstände ist unter den Randnummern 21 ff. des Urteils im Verfahren Au 1 K 19.30492 auch erfolgt.
49
Ebenso beinhaltet der Sachvortrag im Schreiben des Vaters der Klägerin, wonach die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien keine Bleibe finde bzw. von Nahrungsmittelmangel bzw. Mangel an sonstigen Dingen des täglichen Bedarfs betroffen sei (Nr. 3 der Folgeantragsbegründung vom 20.4.2021), einzig Umstände, die bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots zu berücksichtigen sind. Dasselbe gilt für den mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 erfolgten ergänzenden Sachvortrag zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und erheblicher Dürre.
50
b) Auch die nunmehr verstärkt auftretenden Konflikte innerhalb Äthiopiens, welche insbesondere in der Region Tigray zu größeren Kämpfen führen, erfüllen im individuellen Einzelfall der Klägerin nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Hiernach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG unter anderem eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris Rn. 19). Hiernach ist ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt dadurch geprägt, dass er zwischen staatlichen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter verantwortlicher Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des staatlichen Hoheitsgebiets haben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt dann nicht vor, wenn es sich nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vorne herein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakriegen zu finden sind (BVerwG, U.v. 24.6.2008, a.a.O., Rn. 22). Ein solch innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt auch vor, wenn er sich nur auf einen Teil des Staatsgebiets erstreckt. Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-4657 – juris).
51
aa) Zunächst wird darauf hingewiesen, dass sich aus der Ermordung des Sängers und Oromo-Aktivisten Hachalu Hundessa und den sich anschließenden Protesten keine dauerhafte gewaltsame Auseinandersetzung in Äthiopien ergeben hat, vielmehr sind die Unruhen lokal und zeitlich eingrenzbar geblieben (vgl. VG Bremen, U.v. 15.6.2021 – 7 K 1859/20 – juris Rn. 34). Damit kann aus diesen – mittlerweile wohl jedenfalls stark an Intensität verlorenen – Unruhen keine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leben oder Unbeteiligter mehr hergeleitet werden (vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 16.6.2021 – B 7 K 21.30337 – juris Rn. 30).
52
bb) Zwar mag manches dafürsprechen, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region Tigray und angrenzenden Gebieten (zusammenfassend: Länderbericht Nr. 33, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur allgemeinen politischen Lage in Äthiopien, Stand 5/2021 – im Folgenden: Länderbericht – S. 26 ff.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen.
53
cc) Allerdings sind erhebliche Sicherheitsgefahren für die Klägerin in der Hauptstadt- bzw. Oromia-Region derzeit nicht beachtlich wahrscheinlich. Insbesondere gilt dies für die Hauptstadt-Region Addis Abeba.
54
(1) Zwar kommt es im Süden und Westen von Oromia zwar regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Milizen und äthiopischen Sicherheitskräften. Hiervon ist einerseits die im Osten befindliche Heimatregion der Mutter der Klägerin (Dorf ... im Bezirk Arsi) jedoch nicht betroffen, andererseits richten sich die Angriffe überwiegend gegen Amharen und somit nicht gegen oromische Volkszugehörige (Länderbericht, S. 21 ff.). Bestätigt wird dies durch die aktuelle Reisewarnung des Auswärtigen Amts, welches hinsichtlich der Oromia-Region vor Reisen in die Zonen Kelem Wollega, West Wollega, Ost Wollega, Horo Gulu Wollega, die Zonen Guji und West Guji sowie das unmittelbare Grenzgebiet zu Kenia warnt (vgl. auch Seite 2 des Schriftsatzes des Klägerbevollmächtigten vom 17.10.2022). Sämtliche soeben angesprochenen Zonen befinden sich im Süden und Westen der Region Oromia und somit in einiger Entfernung zu einem Ort, hinsichtlich dessen eine Rückkehr der Klägerin als durchaus wahrscheinlich erscheint (Dorf ... im Bezirk Arsi als dem Herkunftsort der Mutter der Klägerin).
55
Soweit der Klägerbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 bzw. 18. Januar 2024 auf die Sicherheitslage in anderen Regionen in Äthiopien (z.B. Tigray-Region) eingeht, kann dies hingegen nicht zum Erfolg der Klage führen; dieses Vorbringen begründet vielmehr keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für erhebliche Sicherheitsgefahren für die Klägerin in der Hauptstadt- bzw. Oromia-Region. Das vorgenannte gilt ebenfalls für die (in dem Artikel der Tagesschau vom 15.1.2022 erfolgte und eher allgemein gehaltene) Anmerkung, wonach sich die Kämpfe in Äthiopien längst auch auf andere Regionen als die Tigray-Region ausgebreitet hätten.
56
Das Abraten (nicht: Reisewarnung) des Auswärtigen Amts vor nicht notwendigen Reisen nach Äthiopien liefert ebenfalls keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin gerade in Oromia- bzw. in der Hauptstadt-Region mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erhebliche Sicherheitsgefahren drohen würden. Selbst einer Reisewarnung käme keine Indizwirkung für das Asylverfahren zu (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris; BayVGH, B.v.17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris Rn. 10).
57
Soweit der Klägerbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 auf ein am 5. Juli 2022 in der Oromia-Region geschehenes mutmaßliches Massaker an Zivilisten Bezug nimmt, spricht nach der von der Klägerseite zitierten Internetseite vieles dafür, dass vor allem Zivilisten der Volksgruppe der Amhara (und nicht oromische Volkszugehörige) angegriffen wurden. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für erhebliche Sicherheitsgefahren, welche der Klägerin in der Oromia- bzw. in der Hauptstadtregion drohen würden, lässt sich für diese als oromische Volkszugehörige daraus ebenfalls nicht herleiten.
58
Soweit der Klägerbevollmächtigte in dem vorgenannten Schriftsatz (auf S. 6) anmerkt, dass zwischenzeitlich auch noch Eritrea in Äthiopien einmarschiert sei, stellt auch dieser Umstand keine für die Klägerin bedeutsame Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die diesbezüglich in Tigray gegebenen Kämpfe bereits die Oromia-Region erfasst hätten bzw. dass dies unmittelbar bevorstehe.
59
Insgesamt geht das Gericht zum Zeitpunkt der maßgeblichen mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) davon aus, dass jedenfalls in der Heimatregion der Mutter der Klägerin (und der Oromia-Region in ihrer Gesamtheit) noch nicht das vorgenannte Ausmaß eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erreicht ist. Damit ist schon keine Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zugunsten der Klägerin anzunehmen.
60
(2) Im Übrigen ergibt sich auch für die vom Vater der Klägerin als „Shawa Baha West“ bezeichnete eigene Heimat (wohl West-Shewa) keine im Wesentlichen andere Einschätzung der Sicherheitslage als in Bezug auf Arsi (s.o.). Insbesondere handelt es sich auch hier um eine Zone innerhalb der Oromia-Region, welche nicht von der aktuellen Reisewarnung des Auswärtigen Amts betroffen ist.
61
(3) Selbst bei der (hypothetischen) Annahme einer Sachlagenänderung bestehen – worauf das Gericht ergänzend hinweist – keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin zusammen mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester nicht jedenfalls die Wahrnehmung einer inländischen Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG) möglich und zumutbar ist. Sofern der Klägerbevollmächtigte ausführt, ganz Äthiopien scheine vor einer Spaltung zu stehen, so handelt es sich – bereits nach seiner eigenen Formulierung – um eine subjektive Einschätzung der Sicherheitslage in Äthiopien. Im Übrigen geht selbst der Klägerbevollmächtigte nicht davon aus, dass die Sicherheitslage in Äthiopien nicht in jedem Landesteil gleich problematisch ist; schließlich führt er aus, dass (aus seiner Sicht) inzwischen fast jeder Landesteil Äthiopiens vom Bürgerkrieg erfasst sei.
62
c) Soweit die Klägerseite in ihrem Schriftsatz vom 14. Juni 2021 ferner anmerkt, dass es für die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nachteilig sei, dass in ihren Identitätsdokumenten ihr deutscher Geburtsort verzeichnet ist, stellt dies ein Vorbringen dar, das bereits Gegenstand des Asylerstverfahrens der Klägerin (Az.: Au 1 K 19.30492) war; immerhin enthält die Berufungszulassungsschrift vom 25. Februar 2021 umfangreiche Ausführungen dazu.
63
Im Übrigen handelt es sich bei diesem Vorbringen aus Sicht des Gerichts allein um pauschale Aussagen ohne nähere Begründung. Es bestehen darüber hinaus keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Personen, bei welchen ein deutscher Wohnort in den Identitätsdokumenten verzeichnet ist, deswegen in Äthiopien systematisch diskriminiert würden. Jedenfalls folgt aus dem Vorbringen keine derart gravierende individuelle Betroffenheit der Klägerin, welcher asylrechtliche Relevanz zukäme.
64
Auch nach den Erkenntnismitteln sind bisher keine Fälle bekannt, in den zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen oder gar Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt waren (vgl. Auswärtiges Amt, Adhoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 18.1.2022; Stand: Dezember 2021 – im Folgenden: Lagebericht – S. 24).
65
d) Soweit die Klägerseite im Verfahren der Klägerin auf die Asylgründe ihrer Eltern Bezug nimmt, sind dies bereits nicht die eigenen Asylgründe der Klägerin. Im Übrigen handelt es sich dabei um Sachverhalte, welche vollumfänglich Gegenstand in den Asylverfahren der Eltern der Klägerin waren und auch vor diesem Hintergrund ersichtlich keine neuen Aspekte darstellen, welche eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 51 VwVfG rechtfertigen könnten.
66
e) Des Weiteren merkt die Klägerseite im Rahmen der Folgeantragsbegründung vom 20. April 2021 zwar an, die aktuelle Lage Äthiopiens sei furchterregend, ebenso, dass in Äthiopien eine Angst vor willkürlicher Ermordung bestehe (vgl. Ausführungen vor Ziffer 1 der Folgeantragsbegründung vom 20.4.2021). Allerdings handelt es sich hierbei ebenfalls um einen pauschalen Sachvortrag ohne jeden Anhaltspunkt zur konkreten Situation der Klägerin.
67
Soweit der Klägerbevollmächtigte damit (sinngemäß) auf eine von ihm angenommene Gruppenverfolgung der Oromo Bezug nimmt, weist das Gericht auf Folgendes hin:
68
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung gibt es nach wie vor keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Oromo. Denn eine gezielte Verfolgung sämtlicher oppositioneller Oromo kann den jüngsten Ereignissen nicht entnommen werden (BayVGH, B.v. 1.4.2021 – 23 ZB 20.32507 – BeckRS 2021, 3799 Rn. 37 m.w.N.). Die Klägerin hat daneben nicht dargelegt, inwieweit sie durch die in ihrem Folgeantrag geschilderten Umstände konkret individuell betroffen sein könnte. Da die Klägerin in Deutschland geboren wurde, ist ausgeschlossen, dass sie in den Personenkreis fällt, der vor der Ausreise ernsthaft im Fokus staatlicher Stellen im Heimatland stand.
69
Auch der allgemeine Verweis auf staatliche Repressionsmaßnahmen gegen oromische Regierungskritiker kann vor diesem Hintergrund nicht dazu führen, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgung der Klägerin möglich erscheint. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vom Klägerbevollmächtigten in seinem Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 zitierten Internetseite, wonach in Äthiopien 4.500 Personen wegen des Vorwurfs der „Gesetzlosigkeit“ verhaftet worden seien.
70
Soweit (unter Ziffer 5 der Folgeantragsbegründung vom 20.4.2021) vorgebracht wird, dass eine Misshandlung von regimekritischen Menschen auch Spuren bei der heranwachsenden Bevölkerung hinterlasse, ist dieses Vorbringen zu pauschal und lässt einen konkreten rechtserheblichen Bezug zur Klägerin vermissen. Insbesondere wird nicht näher substantiiert, dass die von Klägerseite vorgebrachte Misshandlung von – von der Klägerin personenverschiedenen – regimekritischen Menschen gerade für die Klägerin selbst asylrechtliche Relevanz hat.
71
f) Soweit die Klägerseite (unter Nrn. 1, 2, 3 der Folgeantragsbegründung vom 20.4.2021) sinngemäß vorbringen lässt, der Klägerin drohe in Äthiopien eine geschlechtsspezifische Verfolgung, kann auch dieser Sachvortrag dem Asylfolgeantrag nicht zum Erfolg verhelfen.
72
aa) Zum einen ist der Sachvortrag in weiten Teilen bereits nicht hinreichend konkret. So ist für das Gericht nicht erkennbar, was aus Sicht des Vaters der Klägerin unter “ähnlich brutalen Maßnahmen, die aktuell in aller Munde sind“ gemeint ist.
73
Ebenso wird allein allgemein ausgeführt, dass in Äthiopien das Respektieren der Grundrechte von Frauen und Kindern nicht mal im Gange sei. Zwar ist zutreffend, dass sich die Menschenrechtslage in Äthiopien seit 2020 erheblich verschlechtert hat (vgl. Auswärtiges Amt, Adhoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 18.1.2022; Stand: Dezember 2021 – im Folgenden: Lagebericht – S. 20). Allerdings enthalten die Ausführungen der Klägerseite keinen konkreten Bezug zur Situation der Klägerin. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Gruppenverfolgung wegen des Geschlechts lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln ebenfalls nicht entnehmen (vgl. Lagebericht Seite 16, 20).
74
Insoweit ist schon vor diesem Hintergrund die Annahme einer Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG zu verneinen.
75
bb) Soweit der Vater der Klägerin mit seinem Vorbringen jedoch zum Ausdruck bringen wolle, er fürchte eine aus seiner Sicht der Klägerin in Äthiopien drohende Beschneidung, so kann auch dieses Vorbringen nicht zur Annahme einer Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG führen.
76
Schließlich war dieses Vorbringen bereits vollumfänglich Gegenstand des mittlerweile rechtskräftigen Asylerstverfahrens (Az. Au 1 K 19.30492). Im dortigen Urteil wurde nachvollziehbar angenommen, dass der Klägerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Beschneidung in Äthiopien droht (Rn. 18 ff. des Urteils vom 18.1.2021).
77
g) Auch bei der (unter Nrn. 3 und 4 der Folgeantragsbegründung vom 20.4.2021) vorgetragenen besonderen Betroffenheit der Klägerin aufgrund ihrer Minderjährigkeit handelt es sich um allgemeine Aussagen, welche keinen konkreten Bezug zur Situation der Klägerin erkennen lassen. Insbesondere wird nicht näher substantiiert, dass gerade die Klägerin aufgrund ihrer Minderjährigkeit besonders durch (asylrechtlich relevante) Verfolgung in Äthiopien betroffen sein soll. Der Vater der Klägerin schildert keinerlei konkrete Ereignisse in Bezug auf die Klägerin, hinsichtlich derer er den Eintritt befürchtet.
78
Ebenso lässt sich aus dem Vorbringen im Verfahren nicht zwingend ableiten, dass die Klägerseite der Ansicht sei, die Gruppe der Minderjährigen werde allgemein in Äthiopien verstärkt verfolgt. Jedenfalls lässt sich den Erkenntnismitteln eine Gruppenverfolgung von Minderjährigen in Äthiopien nicht entnehmen (vgl. insbesondere Lagebericht Seite 15 f.).
79
Insgesamt ist dieses Vorbringen daher nicht geeignet, der Klägerin zur Möglichkeit einer für sie günstigeren Entscheidung bezüglich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verhelfen.
80
h) Soweit vom Vater der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wird, die äthiopische Regierung stecke Nacht für Nacht die Wohnhäuser in Brand, handelt es sich dabei um eine nicht substantiierte Behauptung, die im Übrigen keinen Bezug zur Lebenssituation der Klägerin erkennen lässt.
81
Zwar lässt sich den Erkenntnismitteln (Lagebericht, Seite 21) entnehmen, dass in den meisten westlichen Gebieten von Oromia und Guju seit Anfang 2019 der Ausnahmezustand bestehe. Die Sicherheitskräfte hätten außergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Folter und andere Formen der Misshandlung, Zwangsräumungen und Zerstörung von Eigentum durchgeführt. Allerdings handelt es sich bei der Region Arsi, in welche die Klägerin mit ihrer Familie wohl zurückkehren würde, schon um kein westliches Gebiet von Oromia; die Region Arsi liegt etwa im Zentrum von Oromia. Damit ist nicht davon auszugehen, dass sich in der Region Arsi derartige von den Sicherheitskräften ausgehende Vorfälle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ereignen und zugleich auch die Klägerin und deren Familie treffen würden.
82
Insgesamt lässt sich dem vorgenannten Vorbringen der Klägerseite nicht die objektivierbare Besorgnis folgern, dass gerade die Klägerin mit ihrer Familie in Äthiopien in ihrem Zuhause mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht sicher wäre bzw. aufgrund bestimmter Merkmale verstärkt verfolgt würde.
83
Selbst wenn man dies anders sähe, wird jedenfalls auf die vorgenannten Ausführungen zur inländischen Fluchtalternative Bezug genommen.
84
i) Sofern die Klägerin (unter Nrn. 3 und 4 der Folgeantragsbegründung) ausführen lässt, in Äthiopien würden an verschiedenen Orten „Sofortmaßnahmen“ begangen, ist dieses Vorbringen bereits zu pauschal und unbestimmt. Für das Gericht wird bereits nicht erkennbar, was unter „Sofortmaßnahmen“ zu verstehen sein soll. Ferner fehlt ein konkreter Zusammenhang zur Situation der Klägerin. Letzteres gilt auch für den vorgetragenen Umstand, wonach es durch die äthiopischen „Sofortmaßnahmen“ viele Tote gegeben habe.
85
Auch der Vortrag des gesetzlichen Vertreters der Klägerin (Vater) in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2024 rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Auch insoweit erschöpft sich der Vortrag des gesetzlichen Vertreters der Klägerin im Wesentlichen mit einer subjektiven Schilderung der allgemeinen Lebensumstände in Äthiopien. Ein individueller Bezug zur Klägerin selbst wird durchgehend vermisst. Insoweit liegen aber bereits die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugunsten der Klägerin offensichtlich nicht vor.
86
4. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 49, 48 VwVfG liegen ebenfalls nicht vor. Eine Behörde kann ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren, auch wenn es durch ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigt ist, nach § 51 Abs. 5 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen wiederaufnehmen, um sodann im Falle einer Entscheidung für ein Wiederaufgreifen eine neue Sachentscheidung zu treffen, wobei sie den ursprünglichen Verwaltungsakt zurücknehmen, widerrufen oder aber auch durch Zweitbescheid bestätigen kann. Der behördlichen Befugnis zum Wiederaufgreifen im Ermessenswege entspricht ein subjektiver Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Dieses Ermessen verdichtet sich auf einen Anspruch auf Wiederaufgreifen, wenn die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Entscheidung etwa wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit oder drohender Verletzung elementarer Grundrechte des Betroffenen schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15.08 – juris Rn. 24 ff.). Für einen derartigen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehen keine Anhaltspunkte.
87
5. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Das Bundesamt hat die Voraussetzungen dieser Vorschriften anhand der aktuellen Auskunftslage zur Covid-19-Pandemie und der Heuschreckenplage sowie des in einigen Regionen Äthiopiens bestehenden Nahrungsmittelmangels geprüft und zu Recht abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2022 verwiesen, denen das Gericht folgt und von einer eigenen Darstellung der Entscheidungsgründe absieht (§ 77 Abs. 3 AsylG). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
88
a) Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG können weiterhin nicht festgestellt werden. Demnach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem ihm unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 25; vgl. auch U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien – Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU, C.K. u.a. – Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – Rn. 89 ff. und – C-163/17, Jawo – Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“.
89
Nach diesen Maßstäben ist eine Verletzung des Art. 3 EMRK hinsichtlich der Klägerin nicht beachtlich wahrscheinlich. Diesbezüglich wird auf die ausführlichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid in vollem Umfang Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und lediglich ergänzend ausgeführt:
90
aa) Es wird nicht verkannt, dass die Lebensumstände in Äthiopien äußerst schwierig sind. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o.ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen (Auswärtiges Amt, Adhoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 18.1.2022; Stand: Dezember 2021 – im Folgenden: Lagebericht – S. 20). Die wirtschaftliche und humanitäre Lage hat sich im Jahr 2020 sowohl wegen der Heuschreckenplage als auch innerstaatlichen Unruhen und Kämpfen deutlich verschlechtert. Über 20 Mio. Menschen benötigen nach Schätzungen der äthiopischen Regierung humanitäre Hilfsleistungen (Lagebericht – S. 23). Die Existenzbedingungen in Äthiopien sind für große Teile der Bevölkerung, insbesondere auf dem Land, äußerst hart und schwierig. Für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wäre jedoch notwendig, dass die Klägerin durch eine Rückführung in ihr Heimatland einer erheblichen Gefahr ausgesetzt würde. Dies kann nur angenommen werden, wenn sie im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324; v. 19.11.1996, BVerwGE 102, 249 sowie v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1).
91
bb) Doch für eine solche erhebliche Gefahr besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) ungeachtet den schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Bedingungen in Äthiopien keine ausreichenden Anhaltspunkte. Es liegen keine zwingenden Gründe gegen eine Abschiebung der Klägerin nach Äthiopien vor. Dies gilt ungeachtet der in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2024 vorgetragenen zwischenzeitlichen Trennung der Eltern der Klägerin seit dem Jahr 2020. Unabhängig von der Frage, wem letztlich das Sorgerecht für die Klägerin und deren Schwester zusteht, ist eine Rückkehr mit dem jeweils sorgeberechtigten Elternteil nach Äthiopien möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der jeweilige Elternteil, der in sein Heimatland zurückkehrt, dort nicht in der Lage wäre, ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Asylerstanträge und Asylfolgeanträge sämtlicher Familienangehöriger der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland rechtskräftig abgelehnt sind. Die gesamte Familie der Klägerin ist nach den Erkenntnissen des Gerichts vollziehbar ausreisepflichtig.
92
Die Frage des Vorliegens der Gefahr einer menschenunwürdigen Verelendung der Familie bei der Rückkehr nach Äthiopien wurde in jüngster Zeit vom Gericht bereits in den Urteilen vom 18. Januar 2021 (Asylerstverfahren der Klägerin – Au 1 K 19.30492 – Rn. 22 ff.) und vom 21. Oktober 2021 (Verfahren der älteren Schwester der Klägerin und deren Mutter – Au 1 K 21.30614 – Rn. 22 ff.) geprüft und verneint, ebenso im Urteil vom 10. November 2021 (Verfahren des Vaters der Klägerin – Au 1 K 21.30517 – Rn. 25). Entscheidend war dabei, dass der Vater der Klägerin jung, gesund und arbeitsfähig ist, so dass er für seine Familie sorgen kann. Ebenso ist die Mutter der Klägerin arbeitsfähig und ohne Erkrankungen, welche mit einer den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechenden Bescheinigung nachgewiesen worden wären.
93
Schließlich sind bei der Gefahrenprognose zu § 60 Abs. 5 AufenthG zu erwartende Rückkehrhilfen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – NVwZ 2022, 1561 ff.).
94
Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der vom Vater der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2024 erfolgte Vortrag der allgemeinen Situation in Äthiopien nicht geeignet ist, ein abweichendes rechtliches Ergebnis zu begründen. Die vom gesetzlichen Vertreter der Klägerin geschilderten Umstände wären allenfalls Anlass zu einer allgemeinen Aussetzung einer Abschiebung gem. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, an der es vorliegend für den Zielstaat Äthiopien fehlt. Die vom Vater der Klägerin geschilderten Lebensumstände in Äthiopien auch im Hinblick auf das Bestehen kriegerischer Auseinandersetzungen sind Umstände, die für alle äthiopischen Staatsangehörigen in gleicher Weise gelten und keine Sondersituation zugunsten der Klägerin begründen können.
95
cc) Auch die u.a. durch den Vater der Klägerin angesprochene defizitäre Versorgung mit Nahrungsmitteln bzw. sonstigen Gegenständen des täglichen Bedarfs in Äthiopien (s.o.) vermag diese Einschätzung nicht zu ändern, ebenso die in Äthiopien grassierende Heuschreckenplage sowie die dort aktuell bestehende Dürresituation.
Da für die Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, Rn. 85 zu § 60 AufenthG; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18), bedarf es auch für allgemeine Gefahren, welche die gesamte Bevölkerung eines Landes oder Teile hierzu betrifft, der Geltendmachung individueller Umstände, welche dafürsprechen, dass der konkret betroffene Ausländer sich seinen existentiellen Unterhalt im Zielland nicht wird sichern können. Eine solche individuelle Gefahr der Klägerin wurde nicht geltend gemacht, sie ergibt sich auch nicht aus den übrigen Akten und Erkenntnismitteln. Es besteht – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Dürresituation in Äthiopien sowie steigender Getreidepreise – keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die vorgenannte Gesamtfamilie in Äthiopien sich nicht versorgen wird können. Nach eigenen Schätzungen der äthiopischen Regierung benötigten 20 Millionen Menschen in Äthiopien humanitäre Hilfe (Lagebericht – S. 23). Aus dem WFP Country Brief Ethiopia, Juni 2022, lässt sich entnehmen, dass in den Regionen Tigray, Afar, Amhara und Somali eine akute Versorgung mit Nahrungsmitteln benötigt wird, welche – soweit möglich – auch durch das WFP erfolgt (vgl. WFP Country Brief Ethiopia, Juni 2022). Weitergehende aktuelle Berichte über eine akute Mangelversorgung der Bevölkerung in anderen Regionen sind nicht ersichtlich, sodass die Klägerin, sofern sie mit ihrer Familie in die Region Oromia – beispielsweise nach Arsi – zurückkehren wird, von einer akuten Mangelversorgung nicht betroffen sein wird.
96
Zu keiner anderen Betrachtung führt das mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 erfolgte Vorbringen des Klägerbevollmächtigten, wonach vor allem im Süden des Landes in den Regionen Oromia und Somali laut UNICEF rund 225.000 Kinder unterernährt und 100.000 schwangere oder stillende Frauen auf dringende Nahrungsmittelhilfe angewiesen seien. Auch hieraus ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass gerade der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein akuter Nahrungsmittelmangel in Äthiopien droht. Zum einen gibt die vom Kläger zitierte Internetseite den Erkenntnisstand von vor ca. neun Monaten wieder. Zum anderen ist zu sehen, dass eine Rückkehr der Klägerin gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester erfolgen wird. Im Übrigen verfügt jedenfalls die Mutter der Klägerin über einen aufnahmebereiten Familienverbund in Äthiopien, welcher wohl ebenfalls zur Unterstützung der Klägerin in der Lage ist (s.o.). Vor diesem Hintergrund ist auch nicht anzunehmen, dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien von Obdachlosigkeit betroffen wäre.
97
dd) Auch die nunmehr wieder auftretenden Konflikte innerhalb Äthiopiens, welche insbesondere in der Region Tigray zu teils größeren Kämpfen führen (zusammenfassend: Länderbericht S. 26 ff.), erfüllen im individuellen Einzelfall der Klägerin den Tatbestand des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht, da erhebliche Sicherheitsgefahren für die Klägerin in der Oromia-Region nicht hinreichend beachtlich wahrscheinlich sind.
98
ee) Die vom Bevollmächtigten der Klägerin angesprochene COVID 19-Pandemie ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) überwunden und ohne weitere aktuelle Relevanz, sodass sich aus der geltend gemachten lediglich abstrakten Gefahr kein Abschiebungsverbot zugunsten der Klägerin begründen lässt.
99
ff) Auch die Kumulation der in Äthiopien gegebenen Umstände ergibt keine Gefahr, wonach die Klägerin beachtlich wahrscheinlich gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde.
100
Wenngleich die derzeit in Äthiopien vorzufindenden Umstände besonders herausfordernd sein werden, so liegt nach Überzeugung des Gerichts im individuellen Einzelfall der Klägerin keine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit vor, da das zur Feststellung dieser Gefahr erforderliche Mindestmaß an Schwere nicht erreicht ist (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – Rn. 11). Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin gemeinsam mit dem sorgeberechtigten Elternteil und ihrer älteren Schwester in ihr Heimatland zurückkehren wird (s.o.). Dabei ist insgesamt anzunehmen, dass die Klägerin mit dem sorgeberechtigten Elternteil ihren Lebensunterhalt dort sicherstellen kann.
101
b) Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Demnach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
102
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin gesundheitlich eingeschränkt ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Vater der Klägerin auf ausdrückliche Nachfrage erklärt, dass bei der Klägerin keine gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen und sie auch nicht in ärztlicher Behandlung ist.
103
c) Das Verfahren war schließlich auch nicht gemäß Art. 267 AEUV auszusetzen. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2022 (Az. 1 C 24/21) ist hier bereits tatbestandlich nicht einschlägig, da im hier zu entscheidenden Fall beide Elternteile der Klägerin nach Aktenlage vollziehbar ausreisepflichtig sind und über keinen Schutzanspruch in der Bundesrepublik Deutschland verfügen. Damit können aber dem Grunde nach beide Elternteile der Klägerin in ein in Art. 3 Nr. 3 der RL 2008/115/EG bezeichnetes Land rückgeführt werden.
104
6. Nach allem war die Klage damit aus der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
105
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.