Titel:
unzulässiger Asylfolgeantrag (Nigeria)
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Neue Elemente oder Erkenntnisse im Asylverfahren liegen nur dann vor, wenn die sie begründenden Tatsachen und Umstände erst nach der Entscheidung im früheren Asylverfahren eingetreten sind, etwa, weil sich die Lage im Herkunftsland oder die persönliche Situation geändert hat, sowie Tatsachen und Umstände, die bereits im früheren Asylverfahren vorlagen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber nicht zur Kenntnis gebracht und daher nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten, sofern der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, sie bereits im Asylerstverfahren geltend zu machen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn auch die humanitäre Situation in Nigeria angespannt ist und ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung in prekären Verhältnissen lebt, ist die Versorgungslage jedoch nicht so desolat, dass mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass jeder Rückkehrer in Nigeria alsbald in existenzielle Gefahr gerät. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Nigeria, Folgeantrag, keine Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt, wenn ein Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt und keine neue Abschiebungsandrohung erlassen wird, Notwendigkeit eines (isolierten) Wiederaufgreifensantrags hinsichtlich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung, Asyl, Nigeria, Boko Haram, Existenzgrundlage
Fundstelle:
BeckRS 2024, 8052
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Weiteren: Bundesamt) vom 22.12.2023, mit dem sein zweiter Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt wurde.
2
Der am … 1978 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger vom Volk der Ibo und der Pfingstbewegung religiös zugehörig. Er reiste erstmals am 17.09.2016 über Dubai auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 29.09.2016 beim Bundesamt seine Anerkennung als Asylberechtigter.
3
Zur Begründung seines Asylantrags gab der Kläger bei seiner Anhörung am 06.10.2016 an, er habe in Lagos gelebt und als Lkw-Fahrer gearbeitet. Eines Tages habe er für seinen Chef eine Ladung von einem defekten Lkw in K. übernehmen und zum Zielort fahren sollen. Die Ladung habe aus Kartons bestanden, die mit Waffen gefüllt gewesen seien. Auf dem Weg nach K. sei er vom Militär angehalten und die Ladung kontrolliert worden. Ein Soldat sei zu ihm in den Lkw gestiegen und habe ihn mit der Waffe bedroht und ihn gezwungen, nach M. zu fahren. Sie seien ca. 20 Stunden gefahren und kurz vor dem Ziel habe man ihm die Augen verbunden. Er sei dann in ein Camp der Boko Haram gebracht worden, in dem er für drei Monate bleiben habe müssen und insbesondere in der Bedienung von Waffen trainiert worden sei. Am 27.01.2016 sei er aufgefordert worden, in das christlich bevölkerte Dorf Ch. zu gehen, um die Bewohner dort umzubringen. Er habe eine mit Bomben versehene Jacke anziehen müssen, die er in der dortigen Kirche hätte ablegen sollen. Er habe in der Kirche den Pfarrer getroffen und diesem erzählt, dass in seiner Jacke eine Bombe versteckt sei und die Bombe in der Kirche detonieren solle. Er habe die Jacke in der Kirche sehr vorsichtig ausgezogen und in einer Ecke abgelegt, wo sie nach ca. 20 Minuten explodiert sei. Der Pfarrer sei ihm sehr dankbar gewesen und habe ihm bei der Flucht geholfen. Er habe ihm einen Nachtbus in das Dorf seines Bruders organisiert und ihm die Telefonnummer eines Freundes gegeben. Sein Chef habe ihn dann dort ausfindig gemacht. Als er sich gerade einmal bei Nachbarn versteckt habe, sei sein Bruder entführt worden und seither verschollen. Ein Geschäftsmann habe ihm dann bei der Ausreise geholfen und ihm ein Visum für zwei Wochen organisiert.
4
Mit Bescheid vom 31.05.2017 (Az. …) lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 bis 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Androhung seiner Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen zu seiner Aufnahme bereiten oder zu seiner Rückübernahme verpflichteten Staat forderte das Bundesamt den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5). Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger eine begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft machen habe können.
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Eine gegen den Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 08.10.2018 (RO 14 K 17.33502) abgewiesen. Zur Begründung wurde der Kläger unter anderem auf die Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative verwiesen.
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Am 25.03.2019 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag. Zur Begründung trug der Kläger vor, er habe sich seit dem Abschluss des vorherigen Asylverfahrens nicht in seinem Heimatland aufgehalten. Er könne hinsichtlich seines Asylfolgeantrags neue Gründe nennen, die erst nach Abschluss des Erstverfahrens entstanden seien. Neben der erneuten Schilderung des Fluchtgeschehens verwies der Kläger auf Unterlagen, die ihm im Dezember 2018 von einem Freund zugesandt worden sein sollen. Er legte insoweit zwei Zeitungsausschnitte im Original vom 02.12.2018 und 15.02.2019, eine polizeiliche Anzeige vom 15.03.2016 und eine eidesstattliche Erklärung vor einem Gericht in Lagos vom 15.03.2016 vor. In einem der Artikel stehe, dass er von seinen Verfolgern überall in Nigeria gefunden werde. Sie hätten auch überall Spione. Es seien auch einige seiner Kollegen aufgehalten und nach ihm befragt worden. Bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte er, zu sterben.
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Mit Bescheid vom 12.04.2019 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab (Ziffer 1). Ferner lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 31.05.2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Ziffer 2). Ein neues Asylverfahren sei nicht durchzuführen, da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger habe sich im Erstverfahren auf durch Boko Haram drohende Gefahren berufen, welche er nun erneut geltend gemacht habe. Das Bundesamt habe mit Bescheid vom 31.05.2017 und das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 08.10.2018 diese Umstände einer ausführlichen Würdigung unterzogen. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage sei daher nicht gegeben. Der Kläger habe einzig neue Beweismittel beigebracht, welche aber nicht zu einer günstigeren Entscheidung für den Kläger führen könnten. Sämtliche vorgelegten Dokumente beruhten ausweislich deren Inhalts nur auf den Aussagen des Klägers selbst. Eine etwaige Gefährdung des Klägers aufgrund von Erkenntnissen Dritter ergäbe sich daraus nicht. Beide Zeitungsartikel seien zudem unwahren Inhalts, da sie suggerierten, dass der Kläger die Erklärungen in Nigeria/Lagos vor Veröffentlichung abgegeben habe und somit zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich in Deutschland aufgehalten habe. Mit seinem jetzigen Vorbringen, eine Anzeige bei der Polizei erstattet zu haben, widerspreche er zudem seinen Angaben im Erstverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Zudem seien diese Beweismittel nicht im Ansatz geeignet, die entscheidungstragenden Ausführungen des Gerichts zum Schutz- und Verfolgungsakteur nach § 3c und § 3d AsylG sowie zur inländischen Fluchtalternative nach § 3e AsylG anzugreifen. Mangels Änderung der Beweislage sei der Antrag auf Durchführung eines erneuten Asylverfahrens (Folgeantrag) nicht zulässig. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen der Prüfung, ob Abschiebungsverbote vorliegen, seien ebenfalls nicht gegeben. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, die zu einem vom Erstverfahren differierenden Ergebnis führen würden. Derartige Umstände seien dem Bundesamt auch nicht bekannt, sodass der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 31.05.2017 abzulehnen sei.
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Eine gegen den Bescheid erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 05.06.2019 (RO 14 K 19.30956) im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger keine neuen Gründe vorgetragen habe und außerdem auf die Inanspruchnahme einer inländische Fluchtalternative verwiesen werden könne.
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Am 09.11.2023 stellt der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) beim Bundesamt in M1.. Zur Begründung machte der Kläger geltend, dass es neue Gründe für eine Gefahr im Herkunftsland gebe. Sein Leben sei aufgrund dessen, was mit Boko Haram passiert sei, nach wie vor in Gefahr. Solange Boko Haram weiter ihr Unwesen treibe, sei er in Nigeria in Gefahr. Er habe außerdem mittlerweile in Deutschland eine Tochter und wolle für diese da sein.
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Der Kläger legte außerdem eine Bestätigung über die Anerkennung der Vaterschaft für seine am ....2022 geborene Tochter … sowie einen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 08.11.2023 vor. In dem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten wird ausgeführt, dass der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, ihm jedoch zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, da ihm eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Hilfsweise sei ihm ein Abschiebungsverbot zuzusprechen. Weiter machte die Klägerbevollmächtigte geltend, dass nach der Entscheidung des EuGH vom 15.02.2023 Art. 5 der Rückführungsrichtlinie verlange, dass das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen im Rahmen eines zum Erlass einer Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen seien und es nicht genüge, wenn dieses Interesse in einem nachfolgenden Verfahren betreffend den Vollzug der Rückkehrentscheidung geltend gemacht werden könne, um ggf. eine Aussetzung des Verfahrens zu erwirken. Der Kläger habe am ....2022 eine Tochter bekommen, zu der er kontinuierlich und regelmäßig Kontakt habe. Seine Tochter habe einen Aufenthaltstitel und sei nicht ausreisewillig. Eine freiwillige Ausreise sei demnach nicht denkbar, zudem lebe der Kläger nicht mit seiner Tochter zusammen. Damit bestehe ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, zumindest hätten die familiäre Beziehung und das Kindeswohl im Rahmen der Rückführungsentscheidung berücksichtigt und der Ausgangsbescheid in den Nummern 5 und 6 aufgehoben werden müssen.
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Laut einem Vermerk in der Behördenakte verfügt die Tochter des Klägers über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 33 AufenthG. Ihre Mutter habe außerdem zwei weitere Kinder. Die Kindsmutter und ihre beiden weiteren Kinder verfügten aufgrund eines Abschiebungsverbots jeweils über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
12
Mit vorliegend verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 22.12.2023 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab (Ziffer 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 31.05.2017 (Az. …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes wurde ebenfalls abgelehnt (Ziffer 2). Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass der Kläger vorgetragen habe, dass seine Gründe aus dem Erstverfahren weiterhin gelten. Diese seien bereits im Erstverfahren einer Würdigung unterzogen und im ersten Folgeverfahren unter Vorlage von Beweismitteln noch einmal gewürdigt worden. Der Kläger habe auch keine neuen Gründe vorgetragen, die die entscheidungstragenden Feststellungen der vorangegangenen Verfahren entkräften könnten. Die vom Kläger nunmehr geltend gemachte Vaterschaft zu seiner in Deutschland geborenen Tochter sei nicht geeignet, sich hinsichtlich der im Folgeverfahren zu prüfenden Art. 16a GG und §§ 3, 4 AsylG zugunsten des Klägers auszuwirken. Hierfür sei in der Begründung nichts vorgetragen worden und die Tochter des Klägers verfüge auch nicht über einen asylrechtlichen Schutztitel. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG seien nicht erfüllt, da mit der Geburt der Tochter des Klägers zwar eine Änderung der Sachlage gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eingetreten sei, ein Wiederaufgreifensantrag jedoch nicht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG innerhalb von drei Monaten gestellt worden sei. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Es seien keine Umstände vorgetragen worden, die zu einem vom Erstverfahren differierenden Ergebnis der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen würden. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Selbst bei unterstellter Rückkehr des Klägers gemeinsam mit seiner Tochter, der Kindsmutter und deren weiteren Kindern sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger in eine existenzgefährdende Situation geraten würde, weil er keine erwerbsfähigkeitsmindernden Umstände geltend gemacht habe und über ausreichend Erwerbspotenzial verfüge, um sich selbst ein existenzsicherndes Arbeitseinkommen zu generieren. Der Kläger könne für die Gesamtfamilie ein existenzsicherndes Einkommen generieren. Der Kläger habe auch keine Umstände geltend gemacht, die auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG hindeuten würden. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht. Die Berücksichtigung des Kindeswohls könne im vorliegenden Fall nicht durch das Bundesamt erfolgen, da die Berücksichtigung inländischer Vollstreckungshindernisse durch das Bundesamt im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsandrohung erfolge und vorliegend jedoch keine Abschiebungsandrohung erlassen werde, sodass auf die Zuständigkeit der maßgeblichen Ausländerbehörde zu verweisen sei.
13
Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
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Der von der Beklagten vorgelegte Behördenakt enthält keine Postzustellungsurkunde. Der Bescheid dürfte laut einem Aktenvermerk am 28.12.2023 versandt worden sein.
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Mit bei Gericht am 15.01.2024 eingegangenem Schreiben vom 10.01.2024 hat der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen, die schriftsätzlich auf Aufhebung des Bescheides und hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtet war. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.03.2024 hat die Klägervertreterin geltend gemacht, dass mit dem Folgeantrag auch eine Abänderung des Ausgangsbescheides hinsichtlich der Abschiebungsandrohung begehrt werde und den schriftsätzlich angekündigten Klageantrag um eine nach ihrer Auffassung klarstellend zu verstehende, auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 31.05.2017 gerichtete Ziffer 3 erweitert.
16
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22.12.2023, zugestellt am 04.01.2024, Geschäftszeichen: …, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird hilfsweise verpflichtet festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
3. Die Beklagte wird verpflichtet, Ziffer 5 und 6 des Bescheides vom 31.05.2017 aufzuheben.
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Im gerichtlichen Verfahren wurde eine am 13.02.2024 abgegebene Sorgerechtserklärung des Klägers für seine Tochter vorgelegt. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hätte das im Ursprungsbescheid in Ziffer 5 und 6 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot und die entsprechende Abschiebungsandrohung aufheben müssen. Aufgrund der familiären Bindungen des Klägers zu seiner Tochter, der ein Abschiebungsverbot zuerkannt worden sei, hätte die Beklagte im Rahmen des Folgeantrags auch hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 des Ausgangsbescheids prüfen müssen, ob diese nach wie vor im Sinne der EuGH-Rechtsprechung rechtmäßig seien. Dies ergebe sich zunächst daraus, dass nach dem Wortlaut des § 34 AsylG bei einer Sachentscheidung stets eine Abschiebungsandrohung zu erlassen sei, sowie aus der Gesetzessystematik, weil § 34 AsylG im Unterabschnitt 4 des Abschnitts 4 („Asylverfahren“) geregelt sei, sodass allein der Standort der Norm dafür spreche, dass die Abschiebungsandrohung Teil des Asylverfahrens sei. Außerdem sei in § 71 AsylG ein vollumfänglicher Verweis auf § 51 VwVfG enthalten, in dessen Abs. 5 wiederum auf § 48 VwVfG verwiesen werde, wonach rechtswidrige Verwaltungsakte aufgehoben werden könnten. Außerdem handle es sich um einen vollumfänglichen Folgeantrag. Hierbei sei denknotwendig als Minus die Aufhebung der Abschiebungsandrohung enthalten. Zudem sei vorliegend eine Änderung der Sachlage gegeben. Demnach sei gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG über die Aufhebung oder Änderung des unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden. Dies umfasse eben gerade auch die verfügte Abschiebungsandrohung. Das Bundesverwaltungsgericht habe zudem unter dem Aktenzeichen 1 C 15.08 entschieden, dass die Behörde jederzeit die Möglichkeit habe, ein erneutes Verfahren auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung durchzuführen. Dabei handle es sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Vorliegend sei aber gar keine Ermessensausübung erkennbar, sondern die Beklagte habe lediglich auf die Ausländerbehörde verwiesen. Nach alledem hätte die Beklage die Abschiebungsandrohung im Ausgangsbescheid aufheben müssen. Außerdem komme es für das Wohl des Kindes nicht darauf an, dass sich die Abschiebungsandrohung nicht gegen das minderjährige Kind selbst, sondern gegen den Vater richte.
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Für die Beklagte hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 19.01.2024 beantragt,
19
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Im vorliegenden Folgeantragsverfahren habe das Bundesamt zu Recht keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen. Mit Bestandkraft bzw. Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung im Erstverfahren ende das Asylverfahren und erlösche die Aufenthaltsgestattung. Der Ausländer werde dadurch vollziehbar ausreisepflichtig. Für die weiteren aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen sei die Ausländerbehörde zuständig, die im Hinblick auf die berücksichtigungsfähigen Umstände nach bestands- oder rechtskräftiger Asylentscheidung sachnäher sei. Die von der Klägerbevollmächtigten zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe außerdem eine Ausweisungsverfügung in einem ausländerrechtlichen Verfahren und sei im vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar.
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Mit Beschluss vom 02.02.2024 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
21
In der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2024 wurde der Kläger zu seinen Fluchtgründen sowie zu seiner persönlichen und familiären Situation angehört. Dabei gab er an, dass sich im Hinblick auf die Situation in Nigeria seit seinem letzten Asylverfahren nichts geändert habe und er bei seinen bereits vorgetragenen Gründen bleibe. Er wolle aber bei seiner Tochter hier in Deutschland bleiben. Diese besuche er fast täglich und bringe sie zur Kinderkrippe. Auch am Wochenende besuche er sie. Bei seiner Tochter bestehe der Verdacht einer Tumorerkrankung am Auge, welcher derzeit abgeklärt werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 14.03.2024 und auf die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie auf die Behörden- und die Gerichtsakte im Erstverfahren (Az. … und ...) und im ersten Folgeverfahren des Klägers (Az. … und ...), die das Gericht beigezogen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
24
Die Klage hat keinen Erfolg. Soweit sie auf Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.12.2023 (Az. …) und hilfsweise auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtet ist, ist die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO. Das Bundesamt hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt. Auch die Entscheidung, den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 31.05.2017 (Az. …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abzulehnen, begegnet keinen Bedenken. Soweit – bei verständiger Würdigung des klägerischen Begehrens weiter hilfsweise – die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Abschiebungsandrohung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots in den Ziffern 5 und 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31.05.2017 begehrt wird, ist die Klage bereits unzulässig.
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1. Soweit die Klage auf Aufhebung der Entscheidung des Bundesamtes gerichtet ist, den Asylfolgeantrag als unzulässig abzulehnen, ist die Klage nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids, den Asylfolgeantrag als unzulässig abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
27
§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 30 ff. = DVBl 2000, 1048). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wiederaufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind (BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97 – juris = BVerwGE 106, 171). Dafür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vornherein nach jeglicher vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder der Zuerkennung internationalen Schutzes zu führen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 13.3.1993 – 2 BvR 1988/92 – juris Rn. 23 = InfAuslR 1993, 229). Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Ausländers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt. Eine Pflicht des Bundesamtes bzw. der Gerichte, den Sachverhalt insofern umfassend aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG), besteht erst in dem wiederaufgenommenen Asylverfahren. Lediglich wenn das Vorbringen nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt bzw. die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden (vgl. zum Ganzen auch BeckOK AuslR/Dickten, 37. Ed. 1.4.2023, AsylG § 71 Rn. 13b m.w.N.)
28
Liegen die genannten Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Folgeantragsteller steht – weil § 71 Abs. 1 AsylG die Voraussetzungen abschließend regelt – auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG; U.v. 15.12.1987 – 9 C 285.86 – juris Rn. 21 = BVerwGE 78, 332). In diesem Fall ist der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
29
Um dem Bundesamt den ersten Prüfungsschritt zu ermöglichen, bestimmt § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG, dass der Ausländer im Folgeantrag seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben hat, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergibt.
30
Davon ausgehend liegen im Fall des Klägers keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor, die zu einer für ihn günstigeren Entscheidung hinsichtlich seines Schutzgesuchs beitragen könnten. Neue Elemente oder Erkenntnisse liegen nämlich nur vor, wenn die sie begründenden Tatsachen und Umstände erst nach der Entscheidung im früheren Asylverfahren eingetreten sind, etwa, weil sich die Lage im Herkunftsland oder die persönliche Situation geändert hat. Elemente und Erkenntnisse sind auch neu im Sinne von § 71 Absatz 1 Satz 1 AsylG, wenn die Tatsachen und Umstände bereits im früheren Asylverfahren vorlagen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber nicht zur Kenntnis gebracht und daher nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten. Diese Elemente und Erkenntnisse werden jedoch nur berücksichtigt, wenn der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, sie bereits im Asylerstverfahren geltend zu machen (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 20/9463, S. 59).
31
Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die vom Kläger geltend gemachten Umstände – nämlich seine Furcht, von Boko Haram getötet zu werden – keine neuen Umstände darstellen, sondern bereits Gegenstand der früheren Asylverfahren waren und die geltend gemachte Vaterschaft des Klägers von vornherein für die im Asylfolgeverfahren im Hinblick auf einen möglichen Anspruch auf Zuerkennung eines Schutzstatus zu prüfenden Gesichtspunkte nicht von Relevanz ist. Für das Gericht besteht deshalb kein Anlass, von der Einschätzung des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid zum Nichtvorliegen relevanter neuer Gründe abzuweichen. Auf die entsprechenden Ausführungen im Bescheid, denen sich das Gericht anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird daher gemäß § 77 Abs. 3 AsylG insoweit abgesehen. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch noch einmal selbst bestätigt, dass sich im Hinblick auf die Situation in Nigeria nichts verändert habe und er bei seinen bereits vorgetragenen Gründen bleibe. Neue Aspekte hat er nicht vorgebracht.
32
2. Soweit die Klage hilfsweise auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtet ist, erweist sie sich ebenfalls als unbegründet.
33
Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen oder nicht und die Beklagte unter Umständen schon deshalb zu Recht gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 AsylG von einem Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgesehen hat. Denn unabhängig von einem Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen sind unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben.
34
a. Es besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
35
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Betracht kommt im Zusammenhang mit einer Abschiebung insbesondere eine Verletzung von Art. 3 EMRK. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
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Für die Annahme einer entsprechenden von Boko Haram ausgehende Gefahr für den Kläger besteht nach den Feststellungen in den bisherigen Asylverfahren keine Grundlage.
37
Auch mit Blick auf die Sicherheitslage in Nigeria ist diese Annahme nicht gerechtfertigt. Es gibt in Nigeria zwar mehrere örtlich begrenzte Regionen, in denen die Sicherheitslage angespannt ist. Gleichwohl liegen keine Berichte vor, aufgrund derer die Annahme gerechtfertigt wäre, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt zu sein (so auch EASO, Country Guidance: Nigeria, Oktober 2021, S. 30 f.). Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es in Nigeria zahlreiche Regionen gibt, in denen die Sicherheitslage stabil ist. Dorthin könnte der Kläger sich begeben, was die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG ausschließt.
38
Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kann weiter in Betracht kommen bei der Abschiebung in ein Aufnahmeland, in dem so schlechte humanitäre Bedingungen bestehen, dass der Aufenthalt dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt (EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/06 – juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff.; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26). Dies gilt aber nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42/18 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10 – juris Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42/18 – juris Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 89 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“.
39
Ein derartiger extremer Ausnahmefall liegt bei einer Gesamtschau der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht vor. Dem Kläger droht aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen und seiner konkret zu erwartenden Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage aufgrund der humanitären Lage in Nigeria.
40
Nigeria ist mit geschätzt mehr als 230 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas und neben Ägypten und Südafrika eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents. Durch in den 1950er bzw. 1970er Jahren entdeckte umfangreiche Öl- und Gasvorkommen, weitreichend unerschlossene Bodenschätze, eine ausreichende Agrarbasis, ein relativ günstiges Klima und fruchtbare Böden, eine vergleichsweise gut ausgebaute, jedoch unzureichend instandgehaltene Infrastruktur und einen Binnenmarkt von mehr als 200 Millionen Menschen verfügt Nigeria über deutlich bessere Entwicklungschancen als die meisten anderen Staaten Westafrikas (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 58 f.; Österreichische Botschaft A., Asylländerbericht Nigeria, Stand: Oktober 2023, S. 5 f.). Neben Öl und Gas spielen der Handel und vermehrt der Konsumgüterbereich eine Rolle (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 58). Der Fokus auf den Erdölsektor, der über 95% der Exporteinnahmen und über 60% der Staatseinnahmen Nigerias erwirtschaftet, hat aber zur Vernachlässigung anderer Wirtschaftszweige geführt und die Importabhängigkeit in vielen Bereichen des Landes groß werden lassen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 58 f.; Österreichische Botschaft A., Asylländerbericht Nigeria, Stand: Oktober 2023, S. 5 f.). Die große Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas im Bereich des Exports und damit der Einnahme von Devisen war die grundlegende Ursache der nigerianischen Wirtschaftskrisen der Jahre 2016, 2017 und 2020, die nach einem breit angelegten und nachhaltigen Wachstum zwischen 2000 und 2014 zu einem Rückgang der Wachstumsraten und einer Abflachung des Pro-Kopf-BIP seit 2015 führten, was auf geld- und wechselkurspolitische Verzerrungen, steigende Haushaltsdefizite aufgrund der geringeren Ölproduktion und eines kostspieligen Kraftstoffsubventionsprogramms, zunehmenden Handelsprotektionismus und externe Schocks wie die COVID-19-Pandemie zurückzuführen war. Zwar wird zwischen 2023 und 2025 wieder mit einem Wirtschaftswachstum gerechnet, das aber unter dem geschätzten Bevölkerungswachstum bleiben wird. Die anhaltende Inflation, Treibstoffkrisen und steigende Lebensmittelpreise verschärfen die Lage für viele Bürger und stürzen diese in Armut (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 18; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 58 f.).
41
Rückkehrer treffen in Nigeria auf eine zunehmend prekäre sozioökonomische Situation, die von weiterhin hoher Arbeitslosigkeit und Ungleichheit bei der Einkommensverteilung geprägt ist. Extreme Armut (weniger als 1,90 USD/Tag) betrifft ca. 40-45% der Bevölkerung, etwa 60% leben am Existenzminium. Langsames Wirtschaftswachstum, geringes Humankapital, hohe Lebensmittelpreise, ein schwacher Arbeitsmarkt und Anfälligkeit für Schocks stehen der nachhaltigen Armutsbekämpfung entgegen (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 18; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 60 f.). Laut dem National Bureau of Statistics betrug die Arbeitslosigkeit im zweiten Quartal 2023 zwar nur 5,3%, wobei dieser Statistik aber eine zweifelhafte Methodik zugrunde liegt, laut der jene Personen als erwerbstätig gelten, die innerhalb der letzten Woche zumindest eine Stunde einer bezahlten Arbeit nachgingen. Tatsächlich dürfte die Arbeitslosigkeit deutlich höher liegen, laut den letzten offiziellen Zahlen vor Änderung der Methodik waren Ende 2020 56,1% der arbeitsfähigen nigerianischen Bevölkerung entweder arbeitslos (33,3%) oder unterbeschäftigt (22,8%). Damit hat sich die Arbeitslosigkeit laut offiziellen Daten innerhalb von fünf Jahren mehr als vervierfacht (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 61). Die Lebenshaltungskosten differieren zwar stark, der gesetzlich vorgesehene Mindestlohn kann den Mindestnahrungsbedarf einer erwachsenen Person aber in der Regel nicht decken (Österreichische Botschaft A., Asylländerbericht Nigeria, Stand: Oktober 2023, S. 27, S. 29). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 22.11.2023, S. 61). Der nigerianische Staat leistet keinerlei flächendeckende, verlässlich verfügbare Unterstützung für notleidende Bevölkerungsteile (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 18).
42
Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert, liegt aber in der Regel unter dem europäischen Standard. Insbesondere für Privatzahler ist eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 19). Auf dem Land ist die Gesundheitsversorgung mangelhaft. Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die Rentenversicherung ist ebenfalls auf den formellen Sektor beschränkt, wobei abzuwarten bleibt, ob die Beitragszahlungen tatsächlich dauerhaft zu Leistungen an die Berechtigten führen werden (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 19). Die Kosten medizinischer Behandlung und Medikamente müssen daher im Regelfall selbst getragen werden; die Kosten für Medikamente sind hoch und für die meisten Nigerianer unerschwinglich. Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler konsultiert. Der unerlaubte Verkauf von Medikamenten und die die schlechte Qualität von gefälschten Arzneimitteln sind weitere große Herausforderungen (AA, Lagebericht, Stand: November 2023, S. 19 f; Österreichische Botschaft A., Asylländerbericht Nigeria, Stand: Oktober 2023, S. 29).
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In einer Gesamtschau der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ergibt sich damit zwar, dass die humanitäre Situation in Nigeria angespannt ist und ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung in prekären Verhältnissen lebt. Die Versorgungslage ist aus Sicht des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters jedoch nicht so desolat, dass mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass jeder Rückkehrer in Nigeria alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Sie begründet insbesondere auch im Fall des Klägers nicht die Annahme eines außergewöhnlichen Falles, in dem den Kläger bei einer Rückkehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine humanitäre Situation erwartet, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK führt.
44
Bei der anzustellenden Rückkehrprognose, im Rahmen derer zu prüfen ist, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische aber doch – realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris Rn. 14 f.; BVerwG, U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris Rn. 10). Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Art. 6 GG gewährt zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12), enthält aber als wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und gebietet die Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen bei staatlichen Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/ Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr – grundrechtlich geschütztes – familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen. Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (ausführlich dazu: BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 16 ff.).
45
Davon ausgehend ist im Fall des Klägers hypothetisch von einer Rückkehr gemeinsam mit seiner Tochter auszugehen. Der Kläger hat für diese die Vaterschaft anerkannt und hat gemeinsam mit der Kindsmutter das Sorgerecht inne. Nach den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnissen hat er nahezu täglich Kontakt mit seiner Tochter, bringt sich in Entscheidungen betreffend seine Tochter ein und übernimmt in einem Maße Verantwortung und leistet einen Beitrag für das Wohl und die Fürsorge für seine Tochter, dass nach Auffassung des Gerichts trotz getrennter Wohnungen von einer Erziehungs- und Beistandsgemeinschaft auszugehen ist, welche die Annahme rechtfertigt, dass zwischen dem Kläger und seiner Tochter eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht. Keine familiäre Lebensgemeinschaft des Klägers besteht hingegen mit der Mutter seiner Tochter, mit welcher der Kläger nach eigenen Angaben keine Beziehung führt, sondern nur Kontakt hat, soweit dies im Hinblick auf die gemeinsame Sorge für die Tochter erforderlich ist, und mit den weiteren Kindern der Kindsmutter, da der Kläger nicht auch der Vater dieser Kinder ist.
46
Der Kläger verfügt nach Auffassung des Gerichts über ausreichend Erwerbspotenzial, um auch bei einer gemeinsamen Rückkehr nach Nigeria mit seiner Tochter ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, um sein und das Existenzminium seiner Tochter zu sichern. Er ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann und hat eine zumindest grundlegende Schulbildung erhalten sowie bereits vor seiner Ausreise aus Nigeria Arbeitserfahrung gesammelt. Bei dieser Ausgangslage ist nach den soeben dargestellten Maßstäben davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr ausreichende Möglichkeiten hat, durch eigene Erwerbsarbeit – auch neben der Betreuung seiner Tochter – sein und das Existenzminimum seiner Tochter zumindest so weit zu sichern, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten ist. Besondere, individuell erschwerende Umstände, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würden, sind nicht ersichtlich. Auch eine etwaige Augenerkrankung seiner Tochter steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegt noch keine gesicherte Diagnose oder Erkenntnis über das tatsächliche Bestehen einer Erkrankung der Tochter vor und es sind zunächst noch weitere Untersuchungen geplant. Damit steht nicht fest, ob sich der Verdacht einer Erkrankung erhärten wird und die Tochter des Klägers weiterer Behandlung bedarf, sodass gegenwärtig für die vorgenommene Prognose hinsichtlich der Möglichkeit des Klägers zur Existenzsicherung bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht erschwerend zu berücksichtigen ist, dass der Kläger finanzielle Mittel für eine medizinische Behandlung seiner Tochter aufbringen müsste oder diese einen besonderen Betreuungsbedarf hätte.
47
Die familiäre Bindung des Klägers zu seiner Tochter kann auch als solche von vornherein nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen. Zwar unterfallen familiäre Bindungen dem Schutzbereich des Art. 8 EMRK. § 60 Abs. 5 AufenthG ist jedoch zielstaatsbezogen und gewährt Abschiebungsschutz im Hinblick auf Verhältnisse, die im Zielstaat einer Abschiebung, d.h. im Herkunftsland drohen. Familiäre Bindungen im Inland können ein solches Abschiebungsverbot daher nicht begründen.
48
b. Es besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
49
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
50
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind (VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17- juris Rn. 515 m.w.N.).
51
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, d.h. im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden zu berücksichtigen. Derartige allgemeine Gefahren, insbesondere also die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen oder die allgemeine Sicherheitslage, können daher grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden (BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 15). Letztlich bedarf es damit einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage in einem Maße, wie sie wohl auch zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würde. Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage aber keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen – über welches unabhängig vom möglicherweise für den Ausländer positiven Ergebnis einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG entschieden wird, die neben der hier streitgegenständlichen Einzelfallentscheidung des Bundesamts ergeht – nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus. Dahinstehen kann vorliegend, ob vor diesem Hintergrund eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dahingehend, dass bei extremen Gefahrenlagen die genannte Ausschlusswirkung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entfällt, überhaupt weiterhin geboten ist. Denn jedenfalls wären die Voraussetzungen hierfür, wie sich aus den obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt, deshalb im Fall des Klägers nicht gegeben.
52
Individuelle Gründe, die die Feststellung eines nationalen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen könnten, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger gesundheitliche Einschränkungen noch nicht einmal geltend gemacht.
53
3. Soweit weiter hilfsweise begehrt wird, die Beklagte zu verpflichten, Ziffern 5 und 6 des Bescheides des Bundesamtes im Asylerstverfahren vom 31.05.2017 aufzuheben, ist die Klage bereits unzulässig.
54
In Ziffer 5 des Bescheides vom 31.05.2017 wurde der Kläger zur Ausreise aufgefordert und es wurde ihm die Abschiebung nach Nigeria angedroht, in Ziffer 6 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet. Da der Bescheid vom 31.05.2017 bestandskräftig ist, wird mit der begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Ziffern 5 und 6 des Bescheids vom Kläger in der Sache das Bestehen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich dieser Entscheidungen nach § 51 VwVfG geltend gemacht.
55
Zwar erscheint es aus Sicht des Gerichts nicht ausgeschlossen, im Wege eines solchen Wiederaufgreifensantrages mit Blick auf die seit dem 27.02.2024 geltende Neuregelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, mit welcher im Wesentlichen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung getragen wird, dass die in Art. 5 der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über die gemeinsamen Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98 ff.) – Rückführungsrichtlinie (RRL) genannten Belange (bereits) im Rahmen eines zum Erlass einer Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen sind und es zu deren Wahrung nicht genügt, wenn diese geschützten Interessen (erst) im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug der Rückkehrentscheidung geltend gemacht werden können, um gegebenenfalls eine Aussetzung des Vollzugs zu erwirken (EuGH, B.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 28), eine Korrektur einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung zu erreichen, die nach altem Recht und damit unter Außerachtlassung der inlandsbezogenen Belange gemäß Art. 5 RRL erlassen wurde (vgl. zu dieser Möglichkeit ausführlich VG München, G.v. 6.3.2024 – M 10 K 24.30366 – juris Rn. 23 ff.). Einen solchen Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots in den Ziffern 5 und 6 des Bescheids der Beklagten vom 31.05.2017 hat der Kläger vorliegend (und anders als in dem der soeben erwähnten Entscheidung des VG München zugrundeliegenden Sachverhalt) vorgerichtlich beim Bundesamt jedoch nicht gestellt. Da eine Verpflichtungsklage nur zulässig ist, wenn zuvor bei der zuständigen Behörde ein entsprechender Antrag gestellt wurde und die Behörde den begehrten Verwaltungsakt nicht erlassen hat (Eyermann/Wöckel, VwGO, 16. Aufl. 2022, Vor § 40 Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Vorb § 40 Rn. 51), ist die Klage deshalb, soweit sie hilfsweise auf die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Ziffern 5 und 6 des Bescheids vom 31.05.2017 gerichtet ist, vorliegend mangels eines entsprechenden vorherigen (Wiederaufgreifens) Antrags bei der Behörde unzulässig.
56
Der Kläger hat vorliegend einen solchen Wiederaufgreifensantrag beim Bundesamt weder ausdrücklich noch durch seinen am 09.11.2023 gestellten, vorliegend gegenständlichen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Asylfolgeantrag) gestellt. Dass ein solcher Wiederaufgreifensantrag nicht gestellt wurde, wird seitens des Klägers in seinen schriftlichen Ausführungen im Klageverfahren auch noch einmal selbst bestätigt, da auch dort nicht dargelegt wird, dass ein solcher Wiederaufgreifensantrag gestellt worden sei, sondern argumentiert wird, die Prüfung der Ziffern 5 und 6 des Ausgangsbescheides hätte „im Rahmen des Folgeantrags“ erfolgen müssen und sei im Folgeantrag „denknotwendig als Minus“ enthalten. Diese Auffassung teilt das Gericht jedoch nicht. Von einem Asylfolgeantrag ist nämlich gerade nicht auch ein Antrag auf eine Entscheidung über ein Wiederaufgreifen hinsichtlich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung umfasst, die im Rahmen eines früheren Asylverfahren ergangen ist. Wird – wie hier – ein Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt, bedarf es nämlich gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ausdrücklich keiner Neuentscheidung über die bereits erlassene und vollziehbare Abschiebungsandrohung. Auch aus § 34 AsylG oder anderen Vorschriften ergibt sich für das Bundesamt keine Veranlassung, in diesen Fällen über eine etwaige Aufhebung der in einem früheren Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung zu entscheiden, sofern nicht auch diesbezüglich ein Wiederaufgreifensantrag gestellt wurde. Die Klägerbevollmächtigte hat zwar schriftsätzlich zutreffend darauf verwiesen, dass § 34 AsylG im Abschnitt über das „Asylverfahren“ steht. Allerdings wird in Fällen, in denen ein Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt wird, gerade kein (weiteres) Asylverfahren durchgeführt, sodass auch systematische Gründe nicht für eine Anwendbarkeit des § 34 AsylG in solchen Konstellationen sprechen. Andere Vorschriften des Asylgesetzes, welche die Notwendigkeit einer Überprüfung einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung bei Ablehnung eines Asylfolgeantrags als unzulässig vorschreiben könnten, wurden klägerseits nicht genannt und sind auch anderweitig nicht ersichtlich.
57
Es handelt sich auch um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, die nicht etwa im Lichte der oben genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union oder aus anderen Gründen im Wege der Auslegung zu modifizieren wäre. Während der Gesetzgeber mit dem am 27.02.2024 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21.02.2024 (BGBl 2024 I.Nr. 54) nämlich etwa durch die Einfügung des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union reagiert und geregelt hat, dass auch bei Erlass einer Abschiebungsandrohung im Rahmen eines Asylverfahrens nunmehr – entgegen der bisherigen Differenzierung zwischen ausländer- und asylrechtlicher Prüfzuständigkeit – mit dem Kindeswohl, familiären Bindungen und dem Gesundheitszustand eines Schutzsuchenden auch bestimmte inlandsbezogene Abschiebungshindernisse Berücksichtigung finden müssen, hat er – obwohl dies in Stellungnahmen der Anwaltschaft zum Referentenentwurf angeregt wurde (vgl. DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Migrationsrecht zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), S. 8 f.) – davon abgesehen, zugleich eine vergleichbare Regelung auch für die Prüfung von Asylfolgeanträgen zu schaffen. Das Vorliegen inlandsbezogener Einwände gegen eine Abschiebung ist nach der gesetzlichen Regelung daher vom Bundesamt – etwa im Wege einer Neuentscheidung über eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung – nicht zu prüfen, wenn ein Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt und gemäß § 71 Abs. 5 AsylG vom Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung abgesehen wird. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum sog. Rückführungsverbesserungsgesetz soll die Prüfung und Berücksichtigung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse nach einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung des Bundesamtes über den Erlass einer Abschiebungsandrohung durch die sachnähere Ausländerbehörde erfolgen und die Ausländerbehörde prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach Abschluss des Asylverfahrens im Hinblick auf solche inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vorliegen oder entfallen sind (BT-Drs. 20/9463, S. 58). Das Bundesamt ist, jedenfalls wenn, wie hier, nicht auch ein Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung sondern lediglich ein Asylfolgeantrag gestellt wird, der gemäß § 71 Abs. 1 AsylG als unzulässig abzulehnen ist, folglich nicht zu einer Prüfung verpflichtet, ob seit Abschluss des früheren Asylverfahrens, in dem eine Abschiebungsandrohung erlassen wurde, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse neu entstanden sind und deshalb die bestandskräftige Abschiebungsandrohung aus einem früheren Asylverfahren aufzuheben sein könnte.
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Diese bewusste gesetzgeberische Entscheidung, dass damit dem Bundesamt die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse – anders als in Asylerstverfahren oder anderen Verfahrenskonstellationen, in denen nach § 34 AsylG durch das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung zu erlassen ist – nicht obliegt, wenn ein Asylfolgeantrag gemäß § 71 Abs. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt wird, begegnet keinen Bedenken. Es steht insbesondere auch die o.g. Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach die in Art. 5 RRL genannten Belange (bereits) im Rahmen eines zum Erlass einer Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen sind und es zu deren Wahrung nicht genügt, wenn diese geschützten Interessen (erst) im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug der Rückkehrentscheidung geltend gemacht werden können, um gegebenenfalls eine Aussetzung des Vollzugs zu erwirken (EuGH, B.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 28) nicht entgegen, weil nach der Regelung des § 71 Abs. 5 AsylG, welche auch ihrerseits keinen europarechtlichen Bedenken begegnet (vgl. hierzu VG Minden, B.v. 28.4.2021 – 1 L 741/20.A –, juris Rn. 71 ff m.w.N.), in diesen Fällen keine Abschiebungsandrohung und damit gerade keine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4, Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 RRL ergeht. Eine Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse durch das Bundesamt bei Stellung eines Asylfolgeantrags, der als unzulässig abgelehnt wird, ist auch nicht zum Schutz der entsprechenden Rechte des Antragstellers geboten. Diesem steht es offen, sich – der gesetzgeberischen Vorstellung entsprechend – zur Geltendmachung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse an die Ausländerbehörde zu wenden und etwa die Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu beantragen oder – was der Kläger vorliegend gerade nicht getan hat – wohl auch beim Bundesamt einen Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach § 51 VwVfG zu stellen.
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Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass vorliegend der Kläger beim Bundesamt im Zuge der Asylfolgeantragstellung auch einen gesonderten Wiederaufgreifensantrag gemäß § 51 VwVfG hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 des Bescheids im Erstverfahren vom 31.05.2017 gestellt hätte, wäre die Klage, soweit sie darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verpflichten, Ziffern 5 und 6 des Bescheides des Bundesamtes im Asylerstverfahren vom 31.05.2017 aufzuheben, jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Klage insoweit nicht innerhalb der Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 AsylG erhoben wurde. Aus dem bei Gericht am 15.01.2024 eingegangenen Klageschriftsatz vom 10.01.2024 geht nicht in einem den Anforderungen des § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügendem Maße hervor, dass zum Gegenstand des Verfahrens auch gemacht werden sollte, dass die Beklagte es zu Unrecht unterlassen habe, Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 31.05.2017 aufzuheben, und deshalb im Klagewege begehrt werde, die Beklagte hierzu zu verpflichten. Vielmehr enthielt der Klageschriftsatz ohne weitere Ausführungen oder Begründung lediglich einen Klageantrag, der allein auf die Aufhebung des verfahrensgegenständlichen Bescheids vom 22.12.2023 und Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gerichtet war. Dafür, dass mit der Klage auch die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 31.05.2017 begehrt werden sollte, enthielt die Klageschrift keine Anhaltspunkte. Diese wurde vielmehr klägerseits erst mit Schriftsatz vom 23.02.2024 sowie durch entsprechende Erweiterung des mit der Klageschrift angekündigten Klageantrags in der mündlichen Verhandlung am 14.03.2024 zum Ausdruck gebracht. Es handelte sich dabei – mangels Anhaltspunkten in der Klageschrift vom 10.01.2024 – auch nicht lediglich um eine Präzisierung des Klagebegehrens, sondern um eine Klageerweiterung, die zwar sachdienlich und damit nach § 91 VwGO zulässig sein mag, allerdings nicht innerhalb von zwei Wochen nach der laut Klageschriftsatz am 04.01.2024 erfolgten Zustellung des angegriffenen Bescheides und damit nicht innerhalb der Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 AsylG erfolgt ist. Da bei einer Klageerweiterung die Klagefrist auch für den erweiterten Teil eingehalten sein muss (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 74 Rn. 7, § 91 Rn. 32), ist diese vorliegend daher nicht fristgemäß erfolgt und wäre die Klage insoweit verfristet und auch deshalb unzulässig.
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Die Klage war demnach mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).