Titel:
Erfolglose Klage der Nachbarn gegen isolierte Befreiung für Swimmingpool
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO 1977 § 14 Abs. 1 S. 1, S. 3
Leitsätze:
1. Eine Gemeinde hat die Möglichkeit, bestimmte Arten von Nebenanlagen für unzulässig zu erklären oder durch einen Ausnahmevorbehalt einzuschränken. Für einen vollständigen Ausschluss von Nebenanlagen fehlen hingegen in aller Regel hinreichende städtebauliche Motive. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO vermittelt als Vorschrift zur Art der baulichen Nutzung grundsätzlich einen Gebietsgewährleistungsanspruch und gewährt gegen die rechtswidrige Zulassung einer vermeintlichen Nebenanlage in gleicher Weise Nachbarschutz wie die Baugebietsvorschriften. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer die Zulässigkeit von Nebenanlagen einschränkenden oder ausschließenden Festsetzung im Bebauungsplan nach § 14 Abs. 1 S. 3 BauNVO 1977 kommt – nur – dann Nachbarschutz zu, wenn dies vom Plangeber beabsichtigt worden ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Von einer neben deren Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung eines Bebauungsplans ist ausnahmsweise erst dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden planerischen Willen erkennbar sind. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
baurechtliche Nachbarklage, isolierte Befreiung, Errichtung eines Swimmingpools, untergeordnete Nebenanlage, Zulassung einer untergeordneten Nebenanlage die im Bebauungsplan ausgeschlossen wurde, im Wege einer Befreiung, Unwirksamkeit einer Festsetzung, vollständiger Ausschluss untergeordneter Nebenanlagen im Bebauungsplan, Drittschutz von Festsetzungen, Gebietserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7913
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich als Eigentümer des mit einem Einfamilienwohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. …9/1 der Gemarkung W., W. in Würzburg, gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 30. Januar 2023 erteilte isolierte Befreiung zur Errichtung eines Pools auf dem Grundstück Fl.Nr. …1/1 der Gemarkung W., Weg … in Würzburg (Baugrundstück).
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1. Das in östlicher Richtung an das Grundstück Fl.Nr. …9/1 der Kläger angrenzende Grundstück ist mit einem Einfamilienwohnhaus bebaut. Das Baugrundstück wie auch das klägerische Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ der Stadt Würzburg vom 17. Dezember 1979/2. Juli 1980/11. März 1981, der für den fraglichen Bereich ein Allgemeines Wohngebiet ausweist und u.a. folgende textliche Festsetzung enthält: „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“.
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Mit Antrag vom 13. Dezember 2022, eingegangen bei der Beklagten am 19. Dezember 2022, beantragte der Beigeladene die Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für einen Pool. Ausweislich der Planzeichnungen soll der Pool mit einem Grundmaß von 3 m auf 6 m im nordöstlichen Bereich des Baugrundstücks, unmittelbar an das Wohnhaus angrenzend und innerhalb der Baugrenzen liegend, errichtet werden. Zur Begründung des Antrags wurde angeführt, dass mit dem Bau des Pools keine öffentlichen Belange verletzt würden und er auch mit der Würdigung nachbarrechtlicher Interessen vereinbar sei und diese berücksichtige, da er die Abstandsflächen von mindestens 3 Metern zu jedem Nachbarn einhalte. Der Pool diene zur Erholung und zu therapeutischen Zwecken. Aufgrund der sitzenden Tätigkeiten der Familie des Beigeladenen diene das regelmäßige Schwimmen als Therapie und Vorbeugung gegen Bandscheibenvorfälle.
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2. Mit Bescheid vom 30. Januar 2023 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte isolierte Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans über die Unzulässigkeit von Nebenanlagen nach § 14 BauNVO nach den Plänen vom 24. Oktober 2022.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem Bauvorhaben um ein gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a) BayBO verfahrensfreies Vorhaben handele, welches gegen die Festsetzung des Bebauungsplans, dass Nebenanlagen unzulässig sind, verstoße. Von der Festsetzung des Bebauungsplans könne nach pflichtgemäßem Ermessen hinsichtlich der Unzulässigkeit von Nebenanlagen (hier: geplante Errichtung eines Pools) befreit werden, da die Grundzüge der Planung nicht berührt würden und die Abweichung städtebaulich vertretbar sei. Die Befreiung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
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3. Gegen den Bescheid vom 30. Januar 2023 ließen die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 8. Februar 2023 Klage erheben mit dem
den Bescheid der Stadt Würzburg vom 30. Januar 2023 (Az.: …) aufzuheben.
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Zur Begründung der Klage wurde durch den Klägerbevollmächtigten vorgetragen: Auf die zulässige und begründete Klage sei die streitgegenständliche isolierte Befreiung aufzuheben. Die Klage sei begründet, da die erteilte isolierte Befreiung rechtswidrig sei und die Kläger in ihren Rechten verletze. Letzteres sei hier der Fall, denn es seien Normen verletzt, die zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dienten, mithin drittschützenden Charakter hätten. Die isolierte Befreiung sei rechtswidrig, da die Grundzüge der Planung berührt würden, die Abweichung städtebaulich nicht vertretbar sei und die Befreiung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar sei. Der geplante Pool sei eine Nebenanlage, dessen Zulässigkeit sich nach § 14 BauNVO richte. Diese Vorschrift gewähre Nachbarschutz und das unabhängig von nachbarlichen Beeinträchtigungen. Es stelle gerade einen Grundzug der Planung als planerische Konzeption dar, dass Nebenanlagen unzulässig seien. Städtebaulich sei eine solche Abweichung auch nicht vertretbar. Im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot und die nachbarlichen Interessen sei eine Befreiung nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar. Nach seiner Kenntnis seien alle damals bestehenden Bebauungspläne der Beklagten entsprechend § 233 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit entsprechendem Hinweis auf die einjährige Frist zur Geltendmachung von Mängeln ausgestattet worden und damit führe der Fristablauf zur Heilung etwaiger Mängel, insb. aller materieller Abwägungsmängel.
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4. Die Beklagte beantragte,
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Zur Begründung wurde vorgetragen: Es sei beabsichtigt, im Rahmen des Wiederaufgreifens des Verfahrens eine neue Entscheidung im Hinblick auf den Pool zu treffen. Im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids sei von der Festsetzung des Bebauungsplans, wonach Nebenanlagen nach § 14 BauNVO unzulässig seien, befreit worden. Die Verwaltungsbehörde besitze keine Normverwerfungskompetenz. Es komme maßgeblich darauf an, ob durch das Verwaltungsgericht Würzburg die og. Festsetzung als unwirksam angesehen werde. Insoweit sei bereits fraglich, ob diese funktionslos und damit unwirksam geworden sei. In diesem Zusammenhang könne nicht nur auf die tatsächlichen Verhältnisse im Bebauungsplangebiet selbst, sondern insb. auf ein Schreiben der Stadt Würzburg an einen Dritten vom 10. August 2000 verwiesen werden, in welchem geäußert werde, dass die FA Bauleitplanung einer Bebauungsplanänderung im Hinblick auf die Festsetzung über Nebenanlagen grundsätzlich offen gegenüberstehe. Darüber hinaus erscheine die gegenständliche Regelung im Rahmen des Vollzugs baurechtlicher Vorschriften als „nicht besonders sinnvoll/sachgerecht“. Die Frage der Funktionslosigkeit könne dahinstehen, wenn die og. Festsetzung aus anderen Gründen als unwirksam erscheine. Bei der vorliegenden (unvollständigen) Aktenlage habe in Bezug auf die og. Festsetzung keine ordnungsgemäße Abwägung festgestellt werden können. Es sei nicht ersichtlich, wieso in genereller Weise und in Bezug auf sämtliche Arten von Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO eine Regelung im og. Bebauungsplan getroffen worden sei, welche Nebenanlagen im gesamten Bebauungsplangebiet als unzulässig ansehe. Es bestünden in der Sache erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Festsetzung. Es stelle sich insb. als äußerst fraglich dar, ob dem Eigentumsrecht (Art. 14 GG) als gewichtiger (privater) Belang in Bezug auf die og. Festsetzung ausreichend Rechnung getragen worden sei. Aus den vorstehenden Gründen müsse damit gerechnet werden, dass die og. Festsetzung als unwirksam durch das Verwaltungsgericht angesehen werde. Unabhängig von dem konkreten Grund der Unwirksamkeit der Festsetzung müsse von einer unwirksamen Festsetzung nicht befreit werden. Die Stadt Würzburg beabsichtige, eine Befreiung hinsichtlich des Pools in Form eines Zweitbescheids zu erlassen. Im Hinblick auf die Klagebegründung werde angeführt, dass seitens der Kläger keine substantiierten Ausführungen vorgenommen worden seien.
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5. Der Beigeladene äußerte sich, ohne einen Antrag zu stellen und brachte im Wesentlichen vor, dass er gegenüber den Klägern Kompromissbereitschaft gezeigt habe, die Kläger aber nicht hierauf eingegangen seien. Der Pool werde in Richtung Ostseite, zu einem anderen Nachbarn hin gebaut; dieser habe zugestimmt. Die Kläger hätten keinerlei Sicht auf den Pool. Er könne nicht nachvollziehen, was gegen den Pool spreche.
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6. In der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2024 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der angegriffene Bescheid über die dem Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Nachbar eines Vorhabens kann eine isolierte Befreiung bzw. die Zulassung einer isolierten Abweichung wie eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332; B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
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Im Streit steht hier eine durch die Stadt Würzburg erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. Art. 63 Abs. 2 und 3 BayBO. Für die Erteilung der vorliegenden (isolierten) Befreiung war die Beklagte nach Art. 63 Abs. 3 BayBO zuständig. Nach Art. 63 Abs. 3 BayBO entscheidet über Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans bei verfahrensfreien Vorhaben die Gemeinde, im Übrigen ist die Bauaufsichtsbehörde zuständig. Schwimmbecken mit einem Beckeninhalt bis zu 100 m³ in Gärten und zur Freizeitgestaltung sind, außer im Außenbereich, nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a) BayBO verfahrensfrei. Vorliegend plant der Beigeladene die Errichtung eines Swimmingpools mit den Grundmaßen von 3 m auf 6 m im Garten seines Wohnanwesens, so dass dieses Vorhaben unter die vg. Vorschrift fällt.
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Der Vortrag der Klägerseite, die Beklagte habe in rechtswidriger Weise dem Beigeladenen die Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“ erteilt und dadurch die Kläger in ihren Rechten verletzt, kann nicht zum Erfolg der Klage führen.
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Es spricht vieles dafür, dass eine Rechtsverletzung der Kläger bereits deshalb auszuscheiden hat, weil das streitgegenständliche Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1977) nicht widerspricht, da sich die entgegenstehende Festsetzung als unwirksam erweist (siehe unten 1.). Für den Fall der Wirksamkeit der Festsetzung wäre eine Rechtsverletzung der Kläger jedenfalls deshalb zu verneinen, weil die Festsetzung, von der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung erteilt wurde, sich nicht als drittschützend darstellt und eine Verletzung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots nicht vorliegt (siehe unten 2.). Sonstige Verstöße gegen drittschützende Vorschriften sind nicht erkennbar (siehe unten 3.).
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1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB. Denn das Vorhaben liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ der Stadt Würzburg, der für den fraglichen Bereich ein Allgemeines Wohngebiet ausweist. Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben (allgemein) zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht.
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1.1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977, der gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1977 Bestandteil des Bebauungsplans wird, sind außer den in §§ 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Dass es sich bei dem streitgegenständlichen baulich selbständigen, privat genutzten und der eigenen Freizeitgestaltung der Bewohner dienenden Swimmingpool mit den Grundmaßen von ca. 3 m auf ca. 6 m um eine derartige untergeordnete Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 handelt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; hieran bestehen keinerlei ernsthafte rechtliche Bedenken (vgl. hierzu Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 50 und Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 13. Aufl. 2019, § 14 Rn. 6, jeweils m.w.N.). Diese untergeordneten Nebenanlagen gelten als im Bebauungsplan mitfestgesetzt, wenn die Gemeinde eine Festsetzung i.S.d. § 1 Abs. 2 BauNVO getroffen hat, § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1993 – 4 C 27/91 – NVwZ 1993, 983).
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Hier enthält allerdings der vg. Bebauungsplan u.a. folgende textliche Festsetzung: „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“. Eine derartige Festsetzung, mit der in einem Bebauungsplan die Zulässigkeit von Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann, war nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ grundsätzlich möglich.
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1.2. Allerdings hat die Kammer bereits erhebliche Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Festsetzung „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“, so dass das streitgegenständliche Vorhaben des Beigeladenen nicht den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ der Beklagten widersprechen würde und damit gemäß § 30 Abs. 1 BauGB zulässig wäre.
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Einschränkungen oder Ausschluss von Nebenanlagen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 können sachlich und räumlich vorgenommen werden. Ein Ausschluss im Sinn der vg. Vorschrift ist eine Nutzungsartregelung und betrifft, wenn nicht noch Detailregelungen hinzukommen, das Baugebiet als Ganzes, also überbaubare und nichtüberbaubare Flächen. Sachlich muss sich die Einschränkung oder der Ausschluss auf bestimmte Nebenanlagen beziehen (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 13. Aufl. 2019, § 14 Rn. 8). Eine auf § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 gestützte Festsetzung ermöglicht in erster Linie eine Feingliederung verschiedener (Unter-)Arten von untergeordneten Nebenanlagen oder anknüpfend an die Größe der zulässigen Nebenanlagen. Die Gemeinde hat mit anderen Worten also die Möglichkeit, bestimmte Arten von Nebenanlagen für unzulässig zu erklären oder durch einen Ausnahmevorbehalt einzuschränken (vgl. Henkel in BeckOK BauNVO, 36. Ed. Jan. 2024, § 14 Rn. 39; Arnold in Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2024, § 14 Rn. 40).
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Festsetzungen nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 müssen – wie alle bauleitplanerischen Festsetzungen und wie auch die Festsetzungen auf Grundlage von § 1 Abs. 4 ff. BauNVO – den Grundsätzen der Bauleitplanung entsprechen, also insbesondere städtebaulich gerechtfertigt sein und darüber hinaus dem Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB entsprechen (vgl. Arnold in Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2024, § 14 Rn. 39; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 67 f.).
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Für einen vollständigen Ausschluss von Nebenanlagen – wie hier – fehlen in aller Regel hingegen hinreichende städtebauliche Motive. Derartigen Festsetzungen dürfte es mithin an der städtebaulichen Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 BauGB fehlen, jedenfalls dürften sie aber nicht mit dem Gebot gerechter Abwägung aus § 1 Abs. 7 BauGB zu vereinbaren sein (vgl. BayVGH, U.v. 17.12.2003 – 25 N 99.2264 – BayVBl 2004, 726; OVG Lüneburg, U.v. 20.10.2011 – 1 LC 116/09 – BeckRS 2013, 51344; VG München, U.v. 4.12.2014 – M 11 K 14.186 – BeckRS 2015, 47338; Henkel in BeckOK BauNVO, 36. Ed. Jan. 2024, § 14 Rn. 39 f.; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 68; Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 8.1). Als städtebaulicher Grund, der geeignet sein muss, den Ausschluss der Zulässigkeit von Nebenanlagen zu rechtfertigen, kann die Gemeinde bspw. anführen, dass sie die städtebauliche Eigenart des Baugebiets normativ in bestimmte Bahnen lenken will (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 67).
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Vorliegend sind in der konkreten Situation keinerlei Gründe für einen kompletten Ausschluss von untergeordneten Nebenanlagen – zumindest als Hauptzweck müsste es sich dabei um städtebauliche Gründe handeln – erkennbar. So ergibt sich nichts entsprechendes aus dem Bebauungsplan der Beklagten einschließlich der Begründung sowie aus der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Verfahrensakte (Auszug) selbst, noch hat die Beklagte anderweitig entsprechende städtebauliche Erwägungen, die einen vollständigen Ausschluss im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 ausnahmsweise rechtfertigen könnten, dargetan. Sie hat vielmehr in ihrer Klageerwiderung selbst vorgebracht, dass nicht ersichtlich sei, wieso in genereller Weise und in Bezug auf sämtliche Arten von Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO eine Regelung im Bebauungsplan getroffen worden sei, welche Nebenanlagen im gesamten Bebauungsplangebiet als unzulässig ansehe. Es bestünden – so die Beklagte selbst – in der Sache erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Festsetzung. Es stelle sich insbesondere als äußerst fraglich dar, ob dem Eigentumsrecht (Art. 14 GG) als gewichtiger (privater) Belang in Bezug auf die og. Festsetzung ausreichend Rechnung getragen worden sei.
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Nach Auffassung der Kammer fehlt es vorliegend an der städtebaulichen Rechtfertigung für die streitgegenständliche Festsetzung. Des Weiteren steht das Abwägungsgebot hier dem vollständigen Ausschluss aller Nebenanlagen im Baugebiet entgegen, weil der Verordnungsgeber selbst jedenfalls einen nicht unwesentlichen Teil der Nebenanlagen für erforderlich hält und dies auch der städtebaulichen Situation im Regelfall entspricht (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 68).
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Soweit der Klägerbevollmächtigte vorbringt, dass nach seiner Kenntnis alle damals bestehenden Bebauungspläne der Beklagten entsprechend § 233 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit entsprechendem Hinweis auf die einjährige Frist zur Geltendmachung von Mängeln ausgestattet worden seien und damit der Fristablauf zur Heilung etwaiger Mängel, insb. aller materieller Abwägungsmängel führe, dürfte dies hier nicht zur Unbeachtlichkeit führen. Denn zum einen lässt sich der durch die Beklagte vorgelegten Bebauungsplanakte gerade kein Hinweis darauf entnehmen, dass der Bebauungsplan „W. – L. – S. – St.“ der Stadt Würzburg entsprechend der Überleitungsvorschrift des § 244 Abs. 2 BauGB 1987 ortsüblich bekanntgemacht worden wäre. Zum anderen fällt der materielle Mangel der fehlenden städtebaulichen Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 BauGB nicht unter die Unbeachtlichkeitsregelung des § 233 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB.
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2. Letztlich kann die Frage der Rechtswirksamkeit der streitgegenständlichen Festsetzung offenbleiben, weil eine Rechtsverletzung der Kläger auch im Falle einer wirksamen Festsetzung zu verneinen ist. Denn die Festsetzung, von der hier gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung erteilt wurde, stellt sich nicht als drittschützend dar und eine Verletzung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots liegt nicht vor.
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2.1. Für das gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a) BayBO verfahrensfreie Bauvorhaben wurde von der Beklagten gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB eine isolierte Befreiung von der Festsetzung „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“ des Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ erteilt. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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2.2. Hinsichtlich des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) muss unterschieden werden, ob die Festsetzung, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dient oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Im zweiten Fall fehlt es an einer solchen Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift aufgrund unzutreffender Annahme der Befreiungsvoraussetzungen. Der Nachbarschutz richtet sich dann nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das aufgrund der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2020 – 9 CS 19.1514 – juris Rn. 14).
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2.3. Die Kläger können vorliegend nicht umfassend die Einhaltung der Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB rügen, weil die Festsetzung „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“ des streitgegenständlichen Bebauungsplans nicht nachbarschützend ist.
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2.3.1. Nach Auffassung der Kammer kommt der auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 getroffenen Festsetzung „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“ keine drittschützende Wirkung unter dem Gesichtspunkt des Gebietserhaltungsanspruchs zu. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein Nachbar im Plangebiet gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151).
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Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 sind außer den in den §§ 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
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Zwar betrifft die Vorschrift des § 14 BauNVO, wie schon ihre Stellung im Ersten Abschnitt der BauNVO deutlich macht, allein die Art der zulässigen Nutzung. So ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als Vorschrift zur Art der baulichen Nutzung grundsätzlich einen Gebietsgewährleistungsanspruch vermittelt und gegen die rechtswidrige Zulassung einer vermeintlichen Nebenanlage in gleicher Weise Nachbarschutz gewährt wie die Baugebietsvorschriften und § 12 BauNVO (BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10/03 – juris Rn. 26, 28; BayVGH, B.v. 10.2.2022 – 15 ZB 21.2428 – BeckRS 2022, 3133; Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 14 Rn. 2.1). Dies führt dazu, dass der Nachbar unabhängig von tatsächlichen oder unzumutbaren Beeinträchtigungen ein subjektiv öffentliches Recht hat (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 29.91 – juris Rn. 12 ff.). Dies gilt jedenfalls für solche nicht mehr das Merkmal der Unterordnung erfüllende Nebenanlagen, die wegen ihrer Eigenart für die Bewahrung des Gebietscharakters von Bedeutung sind (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – juris Rn. 28; OVG NRW, B.v. 6.6.2007 – 7 B 695/07 – juris Rn. 17 ff.).
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Die Kammer ist mit dem Verwaltungsgericht München (U.v. 4.12.2014 – M 11 K 14.186 – BeckRS 2015, 47338) und der h.M. in der Literatur der Auffassung, dass Drittschutz nicht vermittelt wird, wenn – wie hier – eine untergeordnete Nebenanlage (im Wege der Befreiung) zugelassen wird, obwohl eine solche im Bebauungsplan durch eine auf § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO basierende Regelung ausgeschlossen wurde. Einer die Zulässigkeit von Nebenanlagen einschränkenden oder ausschließenden Festsetzung im Bebauungsplan nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 kommt richtigerweise – nur – dann Nachbarschutz zu, wenn dies vom Plangeber entsprechend beabsichtigt worden ist (Henkel in BeckOK BauNVO Spannowsky/Hornmann/Kämper, 35. Ed. Stand: 15.10.2023, § 14 Rn. 20; Ziegler in Brügelmann, Baugesetzbuch, § 14 BauNVO Rn. 98; a.A. wohl Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 112).
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Hierfür spricht nach Auffassung der Kammer zunächst, dass für die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 eine Vergleichbarkeit mit §§ 12 und 13 BauNVO oder auch mit den grundsätzlich Nachbarschutz vermittelnden Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung der jeweiligen Baugebietstypen in §§ 2 ff. BauNVO nicht gegeben ist. Denn es handelt sich bei § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 – anders als bei § 14 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 2 und §§ 2 – 13 BauNVO 1977 – nicht um eine Regelung, mit der (über § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1977) bestimmte Arten bzw. Unterarten von baulichen Nutzungen im Bebauungsplan für zulässig erklärt werden, sondern um eine Regelung, die – wie § 1 Abs. 5 BauNVO 1977 – bestimmte Arten bzw. Unterarten von Nutzungen, die zulässig sind, ausschließt bzw. einschränkt. Zu verstehen ist § 1 Abs. 5 BauNVO 1977 als eine feinsteuernde Regelung, eine selbständige Sonderregelung für Nebenanlagen, die die modifizierenden Festsetzungsermächtigungen des § 1 Abs. 5 ff. BauNVO ergänzt (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand 151. EL Aug. 2023, § 14 BauNVO Rn. 63) oder sie ist mit dem Bundesverwaltungsgericht nur als bloße „Erinnerung an den Ortsgesetzgeber, dass dieser die Möglichkeit der bauplanerischen Abwahl” besitzt (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1993 – 4 C 27/91 – NVwZ 1993, 983), zu verstehen. Eine drittschützende Wirkung kann einer derartigen Regelung aber nicht zukommen.
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Gegen einen allgemeinen Nachbarschutz spricht aus Sicht der Kammer des Weiteren, dass die auf Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 festgesetzten Modifizierungen der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 zulässigen Nebenanlagen nicht kraft Bundesrecht Nachbarschutz in Form eines Gebietserhaltungsanspruchs vermitteln. Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung haben allgemein drittschützenden Charakter, da durch solche Festsetzungen ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Grundstückseigentümern des Satzungsgebiets begründet wird. Durch Festsetzungen wie die hier streitgegenständliche wird aber gerade nicht in das bundesrechtlich durch die Gebietstypisierung vorgegebene nachbarliche Austauschverhältnis eingegriffen, zumal damit keine nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 unzulässigen Nebenanlagen zugelassen werden können, vielmehr die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen mithin lediglich eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann. Es wird gerade keine „gebietswidrige Nutzung“ zugelassen, sondern eine solche, die grundsätzlich mit dem Baugebietstyp vereinbar ist. Nach allem spricht gegen einen Nachbarschutz im Sinne eines Gebietserhaltungsanspruchs für den hier streitgegenständlichen Swimmingpool der Umstand, dass es sich um eine Nebenanlage handelt, die wegen ihrer Eigenart für die Bebauung des Gebietscharakters und damit für die rechtliche Verbundenheit der Eigentümer im Gebiet ohne jede Bedeutung ist (so auch das VG München, U.v. 4.12.2014 – M 11 K 14.186; vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – juris Rn. 28). Damit ist dem Grundsatz nach davon auszugehen, dass auf § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO 1977 beruhende Festsetzungen allein im öffentlichen Interesse ergehen und aus ihnen kein Drittschutz abgeleitet werden kann.
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2.3.2. Auch unter dem Gesichtspunkt des Planungswillens des Satzungsgebers kommt der streitgegenständlichen Festsetzung keine drittschützende Wirkung zu.
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Ob und inwieweit eine Norm des Bauplanungsrechts betroffenen Nachbarn Abwehrrechte einräumt, ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln. Dies gilt auch für die Festsetzungen eines Bebauungsplans, die gemäß § 10 Abs. 1 BauGB normativen Charakter haben (OVG Hamburg, U.v. 14.7.2008 – 2 Bf 277/03 – juris Rn. 22 m.w.N.). Ob der Plangeber eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, darf er regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 11; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 17). Dabei dient ein Bebauungsplan mit Rücksicht auf seine städtebauliche Ordnungsfunktion für das Plangebiet zunächst öffentlichen Interessen (OVG Hamburg, U.v. 17.1.2002 – 2 Bf 359/98 – juris Rn. 46), weshalb seine Festsetzungen in erster Linie aus städtebaulichen Gründen getroffen werden.
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Von einer neben diese Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung ist daher ausnahmsweise erst dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden planerischen Willen erkennbar sind. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 CS 21.817 – BeckRS 2021, 16356 Rn. 18; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23; zusammenfassend BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris Rn. 11; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3; B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14; B.v. 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 17).
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Die Auslegung des Bebauungsplans „W. – L. – S. – St.“ der Stadt Würzburg ergibt, dass sich diesem kein Wille der plangebenden Gemeinde, der Festsetzung „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind unzulässig“, von der im Rahmen der streitgegenständlichen Entscheidung eine Befreiung erteilt worden ist, nachbarschützende Wirkung zukommen zu lassen, entnehmen lässt. Dem Bebauungsplan, genauer weder der Planzeichnung noch den textlichen Festsetzungen und auch nicht der Begründung oder den sonst vorgelegten Verfahrensunterlagen, kann ein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass die Stadt Würzburg beabsichtigt hätte, sämtliche untergeordnete Nebenanlagen im Interesse der Nachbarn auszuschließen, mithin dieser vorgenannten Festsetzung eine nachbarschützende Funktion zuzuweisen.
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2.3.3. Mangels Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans kommt es auf die Frage, ob bei der Erteilung der (isolierten) Befreiung alle Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorlagen und insgesamt hierbei eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen wurde, daher vorliegend nicht an. Die Rechtmäßigkeit der Befreiungserteilung kann daher insoweit dahinstehen. Der Nachbarschutz richtet sich lediglich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots aus § 31 Abs. 2 BauGB („unter Würdigung nachbarlicher Interessen“).
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2.4. Schließlich wird auch das Gebot der Rücksichtnahme durch die erteilte Befreiung nicht verletzt.
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Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von – wie hier – nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechte des Nachbarn verletzen kann, ist im Rahmen der Würdigung nachbarlicher Belange nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO entwickelt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Wird von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt, so hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5). Drittschutz im Falle einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung besteht vielmehr nur dann, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind.
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Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Ihm kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Klägern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 80; BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris m.w.N.).
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Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben des Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Grundstück der Kläger im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Die erteilte isolierte Befreiung hat für die Kläger keine unzumutbaren Störungen und Belästigungen zur Folge, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Der streitgegenständliche Pool liegt ca. 11 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Es ist nicht das Geringste dafür ersichtlich, dass die Kläger durch den Swimmingpool bzw. dessen Nutzung unzumutbar beeinträchtigt würden. Wenn in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite vorgebracht wurde, dass die Nutzung des Pools zu Geräuscheinwirkungen auf ihr Grundstück führen würde, bleibt lediglich darauf hinzuweisen, dass Geräuschimmissionen, die von einer Freizeitnutzung auf den Wohngrundstücken herrühren, grundsätzlich in einem Wohngebiet hinzunehmen sind. Auch sonst ist nichts ersichtlich, was insoweit für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots sprechen würde.
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Insgesamt ist daher festzuhalten, dass keinerlei rechtliche Gesichtspunkte zu erkennen sind, aufgrund derer die Kläger einen für sie unzumutbaren und damit das Rücksichtnahmegebot verletzenden Zustand der genehmigten Bebauung herleiten könnten. Dies gilt – wie oben ausführlich dargelegt – sowohl im Rahmen der erteilten Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB als auch im Hinblick auf sonstige Auswirkungen des Bauvorhabens, die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu bewerten sind.
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3. Da weitere, die Kläger schützende und im Rahmen der Erteilung der isolierten Befreiung zu prüfende Normen, die verletzt sein könnten, nicht ersichtlich sind, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 i.V.m. 159 Satz 2 VwGO. Demnach tragen die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Da sich die Beigeladenenseite nicht durch eigene Antragstellung am Prozessrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie die ihr entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat (vgl. § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.