Inhalt

VG München, Urteil v. 30.01.2024 – M 13 K 21.5706
Titel:

Rettungsdienstrecht, Genehmigung zur Durchführung von Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes, Verträglichkeitsprüfung fehlerhaft, Schwellenwert der Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen-Vorhaltung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 Satz 2
BayRDG Art. 24 Abs. 4
Schlagworte:
Rettungsdienstrecht, Genehmigung zur Durchführung von Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes, Verträglichkeitsprüfung fehlerhaft, Schwellenwert der Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen-Vorhaltung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7863

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Erding vom 20. September 2021 verpflichtet, die Anträge der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Neubescheidung ihres Antrages auf Erteilung von insgesamt sechs Genehmigungen für (bodengebundenen) Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes für die Bedarfsregionen E. und F. im Rettungsdienstbereich E.
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Mit Schreiben vom 3. November 2020 übersandte die Klägerin dem Landratsamt Erding (Landratsamt) ein undatiert ausgefülltes Formular „Antrag auf Erteilung/Verlängerung der Genehmigung zur/zum Krankentransport mit Krankenkraftwagen“ mit weiteren Unterlagen (Anm.: Eingang des Schreibens aus der Behördenakte nicht ersichtlich). Blatt 32 der Behördenakte des Landratsamts enthält eine tabellarische Übersicht, in der unter „Angaben über die verwendeten Fahrzeuge“ jeweils drei „KTW“ für die Standorte F. und E. eingetragen sind. Unter „Raum für weitere Angaben“ ist vermerkt: „Fahrzeuge werden nach Genehmigung neu beschafft!“
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 teilte der „Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung E.“ (ZRF E.) dem Landratsamt mit, dass darum gebeten werde, den Antrag der Klägerin abzulehnen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass im Rettungsdienstbereich E. nach Erhöhung der Krankentransportvorhaltung ab 1. Januar 2021 eine flächendeckende Versorgung sichergestellt sei. Es sei zu erwarten, dass bei der Genehmigung von Krankentransporten außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes das für eine effektive und wirtschaftliche Auslastung notwendige Einsatzaufkommen des im öffentlichen Rettungsdienst durchgeführten Krankentransports unterschritten werde.
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Mit Schreiben vom 12. Februar 2021 teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass ihr Antrag auf Erteilung der Genehmigung zur Durchführung von Krankentransport außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes abgelehnt werden müsse. Dies wurde im Wesentlichen unter auszugsweiser Wiedergabe der Stellungnahme des ZRF E. mit der flächendeckenden Versorgung im Rettungsdienstbereich E. begründet. Eine für die Klägerin kostenpflichtige Verträglichkeitsprüfung durch das „… … … … … … sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll. Es müssten erst Erfahrungen mit der Erhöhung der Stunden für die Krankentransportvorhaltung gemacht werden. Man gehe davon aus, dass eine belastbare Auswertung frühestens im 1. Quartal 2022 sinnvoll sei, sobald Daten für mindestens ein Jahr vorliegen würden. Durch die umfangreiche Erhöhung gehe man davon aus, dass sich auch in einem Jahr keine bessere Ausgangslage ergeben werde.
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Mit Schriftsatz vom 4. März 2021 bat der Bevollmächtigte der Klägerin um erneute Prüfung der Anträge der Klägerin unter Berücksichtigung von ihm umfangreich dargestellter rechtlicher Erwägungen. Sollte dann weiterhin eine Ablehnung in Erwägung gezogen werden, sehe er einem rechtsmittelfähigen Entscheid zur gerichtlichen Prüfung entgegen.
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Mit E-Mail vom 30. Juli 2021 teilte das Landratsamt dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, dass die Beantragung nochmals geprüft werde. Hierzu müsse ein Formblatt zur Beantragung von der Klägerin ausgefüllt werden, welches als Anhang mitübersandt wurde.
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Mit Schreiben vom 9. August 2021 (Anm.: vorab per Telefax übermittelt am 10.8.2021) übersandte der Bevollmächtigte der Klägerin vier jeweils auf den 3. August 2021 datierte ausgefüllte Formblätter „Antrag auf Genehmigung für den bodengebundenen Betrieb von Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes (Art. 21 und 25 BayRDG)“ jeweils mit einem handschriftlichen Vermerk „Ergänzung zum Antrag vom 3.11.2020“. Mit den Anträgen „1“ und „2“ wurden jeweils drei Krankenkraftwagen (KTW) für die Bedarfsregionen E. (Antrag 1) und F. (Antrag 2) mit beabsichtigten wochentäglichen Betriebszeiten von 8 bzw. 12 bzw. 10 Stunden beantragt. Mit den im Übrigen inhaltsgleichen Anträgen „3“ (E.) und „4“ (F.) wurden jeweils beabsichtigte wochentägliche Betriebszeiten von 6 Stunden beantragt. Aus einer vorangegangenen E-Mail der Klägerin an das Landratsamt vom 27. Oktober 2020 geht hervor, dass die konkreten wochentäglichen Betriebszeiten abhängig vom Ergebnis der … Prüfung jeweils vorgesehen seien wie folgt:
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Fahrzeug 1: Mo-So 8 Stunden
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Fahrzeug 2: Mo-Fr 12 Stunden
10
Fahrzeug 3: Mo-Fr 10 Stunden
11
Mit Bescheid vom 20. September 2021, dem Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbestätigung zugestellt am 1. Oktober 2021, lehnte das Landratsamt den Antrag der Klägerin auf Genehmigung zum Krankentransport mit Krankenkraftwagen außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes im Einsatzbereich E. und F. ab (Nr. 1 des Bescheids). Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 2). Für den Bescheid wurde eine Gebühr von 180 EUR festgesetzt (Nr. 3).“
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass nach Zusendung der Formblätter eine Verträglichkeitsprüfung nach den Vorgaben des … (Stand: Januar 2019) durchgeführt worden sei. Die Verträglichkeitsprüfung umfasse neben den verwaltungsrechtlichen Bestimmungen ein mehrstufiges Prüfungsverfahren, dessen Einzelschritte konsekutiv aufeinander aufbauten:
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Schritt 1: Prüfung der Auslastung der bestehenden öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung
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Schritt 2: Prüfung der Wartezeitensituation im öffentlich-rechtlichen Krankentransport
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Schritt 3: Prüfung der zu erwartenden Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW bei einer angenommenen Auslastung eines zusätzlich genehmigten privaten KTW
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Für jeden Schritt existiere ein von der obersten Rettungsdienstbehörde festgelegter Schwellenwert, bei dessen Unterschreitung die Erteilung einer Genehmigung zu verweigern sei. Die einzelnen Schwellenwerte seien im IMS vom 11. Januar 2019 und im IMS vom 13. August 2013 konkretisiert worden. Die Schritte 1 und 2 könnten daher durch die Genehmigungsbehörde für standardisierte Zeitintervalle selbstständig eingesehen werden. Sofern eine Durchführung von Schritt 3 erforderlich sei, werde dieser aufgrund seiner Komplexität durch das … kostenpflichtig durchgeführt.
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Mit Antragseingang bei der Genehmigungsbehörde seien von dieser die zur Prüfungsdurchführung benötigten Eingangsparameter festzulegen. Erforderliche Eingangsparameter seien Bedarfsregion, Beobachtungszeitraum und Betriebszeiten.
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Die Auslastung von Rettungsmitteln beschreibe das Verhältnis von Einsatzstunden zu Vorhaltungsstunden. Der Schwellenwert zum Grad der Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen liege entsprechend dem IMS vom 11. Januar 2019 bei 75%. Liege der Grad der Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW einer Bedarfsregion in den festgelegten Betriebszeiten während des Beobachtungszeitraums unter dem vorgegebenen Schwellenwert von 75%, bestehe grundsätzlich kein Bedarf an zusätzlichen Transportkapazitäten. Die Genehmigung würde in diesem Fall zu versagen sein. Würde der Schwellenwert für die Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW erreicht oder überschritten, so sei mit Schritt 2 fortzufahren.
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Die Auswertung der Online-Dienste für den Beobachtungszeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 (Anm.: Quartal des Antragseingangs am 3.11.2020 sowie die drei vorherigen Quartale) für die Bedarfsregionen E. und F. habe ergeben, dass der Schwellenwert von 75% Auslastung zu keinem Zeitpunkt überschritten worden sei. Daher sei die Genehmigung zum Krankentransport mit Krankenkraftwagen außerhalb der öffentlich-rechtlichen Vorhaltung abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 2. November 2021, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 2. November 2021, hat der Bevollmächtigte der Klägerin für diese dagegen Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 20. September 2021 aufzuheben und dem Beklagten aufzuerlegen, über die Anträge der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Dies begründete er nachfolgend mit weiteren Schriftsätzen im Kern damit, dass der Klägerin eine Genehmigung für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes bedarfs- und verträglichkeitsunabhängig zu erteilen sei, weil es im Rettungsdienstbereich E. an einem wirtschaftlichen öffentlichen Rettungsdienst fehle und deswegen das öffentliche Interesse nicht beeinträchtigt sein könne.
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Die Verträglichkeitsprüfung sei zudem fehlerhaft durchgeführt worden, weil sie weder nachvollziehbar noch nachprüfbar sei. Neben der Intransparenz hinsichtlich der verwendeten Daten sei insbesondere der Schwellenwert von 75% bei der Prüfungsstufe 1 hinsichtlich der Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung zu rügen, der willkürlich festgesetzt worden sei. Dieser Schwellenwert sei nicht gesetzlich vorgegeben und daher gerichtlich voll überprüfbar. Es sei nicht vorgetragen, wie die Schwelle von 75% ermittelt worden sei und weshalb diese auf sämtliche Rettungsdienstbereiche einheitlich Anwendung finden könne. Unklar bleibe, weshalb ab einer Unterschreitung von 75% der Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes keine weitere Verträglichkeit zu prüfen sei. Es gebe verschiedene Standortfaktoren, die zu einer geringeren Auslastung führen könnten, die aber bei der bisher vorgenommenen Art der Verträglichkeitsprüfung nicht als relevant einfließen würden. Insoweit bleibe eine einzelfallbezogene Prüfung in jedem Fall erforderlich (Schriftsatz vom 18.1.2024).
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Sollte der Schwellenwert rechtmäßig sein, würde der Beklagte zur Vermeidung einer unwirtschaftlichen öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung eine Reduzierung seiner Beauftragung in Betracht ziehen müssen. Er würde zu prüfen haben, inwieweit die Durchführung des Krankentransports durch die Klägerin den Bedarf reduzieren könne. Das ergebe sich in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit Urteil vom 26. Juni 2020 (29 K 15294/17).
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Mit Schriftsatz vom 9. August 2022 hat das Landratsamt Erding für den Beklagten beantragt,
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die Klage abzuweisen.
27
Dies begründete es im Kern damit, dass die Wirtschaftlichkeit des ZRF E. durch verschiedene Maßnahmen sichergestellt sei. Es erfolgten jährliche Prüfungen durch das Kreisrevisionsamt und regelmäßige Prüfungen durch den Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband, letztmals am 10. März 2021 über den Zeitraum 2015-2019. Diese Prüfungsberichte würden von der Regierung von Oberbayern geprüft. Die Erhöhung der Krankentransportstunden sei unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Vorgaben durchgeführt worden.
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Die Verträglichkeitsprüfung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die vorgelegten Tabellen und Zahlen seien Ausschnitte aus der Datenbank des … und für den ZRF E. bindend. Sie seien als Grundlage genutzt worden, um die Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration zur Verträglichkeitsprüfung seien für das Landratsamt bindend.
29
Der Behauptung der Klägerin, die Zweckverbände müssten im Falle eines neuen Antrags auch den Abbau eigener Kapazitäten in Erwägung ziehen, werde widersprochen. Das Bayerische Rettungsdienstgesetz ziehe ein solches Vorgehen nicht in Betracht.
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Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2024 teilte das Landratsamt dem Verwaltungsgericht unter anderem und insbesondere mit, dass die zum heutigen Zeitpunkt verfügbaren Daten mit dem 3. Quartal 2023 beginnen würden. Damit würde sich ein Beobachtungszeitraum vom 4. Quartal 2022 bis zum 3. Quartal 2023 ergeben. Der rechnerische Grad der Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW der Bedarfsregion E. in den festgelegten Betriebszeiten während des Beobachtungszeitraums liege unter dem vorgegebenen Schwellenwert von 75%. Demnach bestehe grundsätzlich kein Bedarf an zusätzlichen Transportkapazitäten, eine weitere Prüfung erübrige sich.
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Am 30. Januar 2024 wurde zur Sache mündlich verhandelt. Der Bevollmächtigte der Klägerin wies unter anderem noch einmal darauf hin, dass er die vom Beklagten festgestellten Schwellenwerte für die Prüfschritte 1 und 2 grundsätzlich infrage stelle. Fixe Schwellenwerte würden nämlich individuellen örtlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden können. Der Vertreter des Beklagten erwiderte hierauf, dass die untere Rettungsdienstbehörde ihre Weisungslage nach den einschlägigen IMS des Innenministeriums habe. Möglicherweise könnte man hinsichtlich der Schwellenwerte Diskussionsbedarf sehen, das sei aber auf höherer Ebene zu entscheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichtsakte mit den umfangreichen Schriftsätzen, die vom Landratsamt vorgelegte Behördenakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
34
Die Klägerin hat in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BayVGH, U.v. 30.5.2017 – 21 BV 16.1731 – BeckRS 2017, 128947 [Rn. 40] – BayVBl 2018, 454) einen Anspruch darauf, dass ihre Anträge vom 3. November 2020 – ergänzt durch die Formblätter vom 3. August 2021 – vom Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu beschieden werden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
35
Die vom Beklagten auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG) durchgeführte Verträglichkeitsprüfung ist rechtsfehlerhaft und trägt deshalb die Ablehnung der beantragten Genehmigung nicht.
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Nach Art. 1 Satz 4 BayRDG kann der bodengebundene Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes erfolgen, soweit dies durch dieses Gesetz zugelassen ist. Nach Art. 21 Abs. 1 BayRDG bedarf u.a. der Genehmigung, wer Krankentransport betreibt. Nach Art. 24 Abs. 4 Satz 1 BayRDG ist die Genehmigung für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinn dieses Gesetzes beeinträchtigt wird. Hierbei sind nach Art. 24 Abs. 4 Satz 2 BayRDG die flächendeckende Vorhaltung und die Auslastung innerhalb des Rettungsdienstbereichs, insbesondere das Einsatzaufkommen, dessen Verteilung im Rettungsdienstbereich, die Anzahl der betriebsbereit vorgehaltenen Krankenkraftwagen sowie die Entwicklung der Kosten zu berücksichtigen. Die Funktionsfähigkeit ist nach Art. 24 Abs. 4 Satz 3 BayRDG insbesondere dann beeinträchtigt, wenn das für eine effektive und wirtschaftliche Auslastung notwendige Einsatzaufkommen des im öffentlichen Rettungsdienst durchgeführten Krankentransports unterschritten wird.
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Für den Krankentransport wird also durch Art. 24 Abs. 4 BayRDG – im Gegensatz zur Notfallrettung – das bisherige Separationsmodell, d. h. ein mögliches Nebeneinander von öffentlichem Rettungsdienst und privaten Krankentransportunternehmen weiterhin beibehalten. Art. 24 Abs. 4 BayRDG verlangt keine Bedarfsprüfung, sondern nur eine Prüfung der Systemverträglichkeit, also eine Beeinträchtigungsprüfung (Anm.: mittlerweile üblicherweise Verträglichkeitsprüfung genannt). Er stellt dadurch grundsätzlich eine objektive Zulassungsschranke dar, die in das durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz – GG) garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit des Antragstellers eingreift. Solche Eingriffe sind nur zulässig, wenn sie zur Abwehr schwerer und nachweislicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zwingend erforderlich sind (Oehler/Schulz/Schnelzer/Reindl, Rettungsdienst in Bayern – RDBay, Kommentar, 5. Lieferung der 2. Auflage, Stand: Dezember 2020, Art. 24 Rn. 27). Nachdem die ordnungsgemäße Abwicklung des qualifizierten Krankentransports ein außerordentlich wichtiges Gemeinschaftsgut ist, erweist sich die in Art. 24 Abs. 4 BayRDG geregelte Beeinträchtigungsprüfung als verfassungskonform, woran auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2012 (Vf. 1-VII-10 – VerfGHE BY 65, 88-112 – NVwZ-RR 2012, 665-671 – beck-online und juris) keine Zweifel geäußert hat (Oehler/Schulz/Schnelzer/Reindl, RDBay, a.a.O., Art. 24 Rn. 35 f.).
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Bei der Verträglichkeitsprüfung handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, die gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin zu überprüfen ist, ob die Genehmigungsbehörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, die maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und den möglichen Verlauf der Entwicklung nicht offensichtlich fehlerhaft eingeschätzt hat (BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 21 ZB 17.1909 – BeckRS 2019, 9765 [Rn. 9]). Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die auf der Prognose beruhende Entscheidung fehlerhaft. Die Ersetzung einer fehlerhaften durch eine gerichtliche Prognose kommt nicht in Betracht (BayVGH, U.v. 30.5.2017 – 21 BV 16.1731 – BeckRS 2017, 128947 [Rn. 41] – BayVBl 2018, 454).
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Die hier gegenständliche Prognoseentscheidung des Beklagten hält einer solchermaßen eingeschränkten Überprüfung nicht stand, weil der ihr zugrundeliegende entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend ermittelt wurde und auch maßgebliche Gesichtspunkte nicht erkannt wurden. Das ergibt sich aus Folgendem:
40
Mit dem Gesetz zur Regelung des Rettungsdienstes und zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung und den Betrieb Integrierter Leitstellen vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 429; Inkrafttreten am 1.1.2009) wurde die Verträglichkeitsprüfung in Art. 24 Abs. 4 BayRDG verortet.
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In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/10391 S. 46 f.) heißt es hierzu: „In Abs. 4 bleibt es bei dem zwingenden Versagungsgrund für Genehmigungen außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes, wenn zu erwarten ist, dass die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes durch die Genehmigung beeinträchtigt wird. Dabei ist grundsätzlich auf die Verhältnisse im Rettungsdienstbereich, der nach Art. 39 gleichzeitig der Einsatzbereich des Krankenkraftwagens ist, abzustellen. Beantragt der Unternehmer eine Ausnahme nach Art. 39 Abs. 3, sind die von der Ausnahme erfassten Bereiche in die Verträglichkeitsprüfung einzubeziehen. Die sog. Verträglichkeitsprüfung wird allerdings künftig leichter vollziehbar sein, wenn die für die Finanzierung des Rettungsdienstes relevanten Vorschriften greifen und eine schnellere und unkomplizierte Beurteilung der Kosten- und Ertragslage möglich wird.“
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Nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 24. Mai 2012 (a.a.O.) zur Verfassungswidrigkeit der Vorrangstellung der Hilfsorganisationen in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BayRDG in der bis zum 31. März 2013 gültigen Fassung wurde durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes vom 22. März 2013 (GVBl S. 71) in Art. 24 Abs. 4 BayRDG dem Satz 2 die heutige Fassung gegeben und der heutige Satz 3 eingefügt.
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In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/14915 S. 14) heißt es hierzu: „Im Krankentransport bleibt es wie bisher beim Trennungsmodell, d. h. dem Nebeneinander von öffentlichem Rettungsdienst und privaten Unternehmern. Die Zulassung zum Krankentransport wird weiterhin durch eine Verträglichkeits- bzw. Unbedenklichkeitsprüfung begrenzt. Da diese Prüfung in der Verwaltungspraxis kaum umsetzbar ist, wird mit der Neuregelung den Anwendern die Handhabung der Zulassungskriterien erleichtert. Eine nähere Ausgestaltung konkreter Kriterien für die Genehmigungsprüfung wird in der Ausführungsverordnung vorgenommen. Schon das BayRDG stellt aber nunmehr klar, dass im Rahmen der Prüfung einer möglichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes auch ein (relevanter) Anteil des öffentlichen Krankentransports im Verhältnis zum Gesamtaufkommen der Krankentransportfahrten zu sichern ist.“
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Ergänzend wurde in den damaligen „Art. 53 Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften“ in Abs. 1 („Die oberste Rettungsdienstbehörde kann durch Rechtsverordnung“) eine „Nr. 19 Einzelheiten zur Versagung der Genehmigung für den Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 regeln,“ eingefügt.
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Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/14915 S. 16): „In Nr. 19 wird eine Ermächtigung zur näheren Regelung der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 24 Abs. 4 Satz 1 bis 3 geschaffen.“
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Durch Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes (AVBayRDG) vom 22. Mai 2013 (GVBl S. 354) wurde „im Ersten Teil Abschnitt 4 folgender neuer § 31 angefügt“ (Inkrafttreten am 18.6.2013):
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§ 31
Versagung der Genehmigung für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes
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(1) Eine mögliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst ist im Genehmigungsverfahren gemäß Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BayRDG anhand der Zahl und Dauer der öffentlichen Krankentransporte während der letzten zwölf Monate unter Berücksichtigung der tageszeitlichen Schwankungen jeweils für eine Bedarfsregion festzustellen.
49
(2) 1Die zusätzliche Genehmigung für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes ist nur zulässig, wenn dies zur Bewältigung des festgestellten Bedarfs für Krankentransporte neben der vorhandenen oder geplanten öffentlichen Vorhaltung im Rettungsdienst unschädlich ist. 2Davon ist auszugehen, wenn nicht zu befürchten ist, dass sich durch eine zusätzliche Genehmigung die Auslastung des öffentlichen Krankentransports in einer Weise reduziert, die seine Wirtschaftlichkeit in Frage stellt.
50
(3) Nähere Einzelheiten zur Festlegung der Bedarfsregionen, zur Berechnung des Bedarfs für Krankentransporte sowie zu Wirtschaftlichkeitsgrenzen bei der Auslastung des Krankentransports werden durch die oberste Rettungsdienstbehörde festgelegt.
51
Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr gab mit Schreiben (IMS) vom 13. August 2013 mit dem Betreff „Genehmigungsverfahren für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes; Verträglichkeitsprüfung“ „zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben bei der Prüfung der Voraussetzungen der Genehmigung nach Art. 24 Abs. 4 BayRDG gemäß § 31 Abs. 3 AVBayRDG“ Anwendungshinweise.
52
In einem „Anhang zum IMS vom 13.08.2013 Methodik der Verträglichkeitsprüfung“ wird unter „1. Grundsätzliche Struktur“ unter anderem ausgeführt:
53
„Die Verträglichkeitsprüfung besteht auf der Grundlage der Eingangsparameter auf einem mehrstufigen Prüfverfahren, dessen Einzelschritte konsekutiv aufeinander aufbauen.
54
Schritt 1: Prüfung der Auslastung der bestehenden öffentlich-rechtlichen KTW (Anm.: Krankentransportwagen) -Vorhaltung
55
Schritt 2: Prüfung der Wartezeitensituation im öffentlich-rechtlichen Krankentransport (WTZoVB)
56
Schritt 3: Prüfung der zu erwartenden Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW bei unterstellter Genehmigung eines zusätzlich genehmigten privaten KTW“.
57
Unter „2. Ausführung der Prüfschritte“ wird unter „2.1 Prüfschritt 1“ dargelegt, dass die Genehmigungsbehörde nach Festlegung der Eingangsparameter unter Zuhilfenahme der Online-Dienste im „Rettungsdienstportal Bayern“ (www.rd-bayern.de) die Auslastung der bestehenden öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung anhand bereits vorberechneter Tabellen überprüfen könne. Die Auslastung von Rettungsmitteln beschreibe das Verhältnis von Einsatzstunden zu Vorhaltungsstunden. Liege der Grad der Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen (KTW) einer Bedarfsregion in den festgelegten Krankentransport-Betriebszeiten des Beobachtungszeitraumes unter dem mit IMS vom 13. August 2013 vorgegebenen Schwellenwert, so bestehe grundsätzlich kein Bedarf an zusätzlichen Transportkapazitäten. Werde der Schwellenwert für die Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW überschritten, so sei mit Schritt 2 fortzufahren.
58
Unter „2.3 Prüfschritt 3“ wird dargelegt, dass in Prüfschritt 3 ein mehrstufiges Analyseverfahren angewendet werde, an dessen Ende Aussagen über die zu erwartende zukünftige Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW nach Zulassung eines zusätzlichen KTW außerhalb der öffentlich-rechtlichen Vorhaltung getroffen werden (Seite 4). Bereits in Schritt 1 werde für das Verhältnis aus Einsatz- und Vorhaltungsstunden ein Schwellenwert festgelegt, der eine gewünschte Mindestauslastung der öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung vorgebe. Sei zu erwarten, dass durch den Betrieb eines zusätzlichen KTW diese Auslastung unter den genannten Schwellenwerte sinke, so sei die Genehmigung eines weiteren Fahrzeugs zu versagen. Bleibe die zu erwartende Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW hingegen oberhalb des festgesetzten Schwellenwertes, so sei der Betrieb eines zusätzlichen Fahrzeugs ohne gravierende negative Auswirkungen auf die öffentlich-rechtliche Vorhaltung möglich (Seite 10).
59
Hieraus und aus den zum Prüfschritt 1 und zum Prüfschritt 3 abgebildeten Ablaufschemata (Abbildung 1: Ablaufschema für Prüfschritt 1, Seite 3; Abbildung 9: Ablaufschema für Prüfschritt 3, Seite 10) mit jeweils der „Auslastung <XX%“ ergibt sich, dass der den Grad der Auslastung betreffende Schwellenwert Bedeutung sowohl für Prüfschritt 1 als auch für Prüfschritt 3 hat.
60
Das IMS vom 13. August 2013 selbst führt zum Schwellenwert der Auslastung folgendes aus (Seiten 4 und 5):
61
„Liegt die Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW unterhalb des in Tabelle 1 für die jeweiligen Genehmigungszeiten festgelegten Schwellenwertes, ist davon auszugehen, dass kein zusätzlicher Krankentransportbedarf über die freien Kapazitäten der öffentlich-rechtlichen KTW hinaus besteht. Die Genehmigung eines weiteren KTW außerhalb der öffentlich-rechtlichen Vorhaltung würde die bereits geringe Auslastung weiter reduzieren und damit die Wirtschaftlichkeit des öffentlich-rechtlichen Krankentransports schädigen. Die Bestimmung des Schwellenwerts in Tabelle 1 für die jeweiligen Betriebszeiten leitet sich aus einer Betrachtung der bayernweiten Auslastungszahlen des Jahres 2012 ab. Diese weisen für die 74 untersuchten Bedarfsregionen für die einsatzstärksten Zeitintervalle von 6 und 8 Stunden einen Medianwert von (aufgerundet auf volle 5%) einen Wert von 60% auf. Verlängert man das Zeitintervall auf 10 bzw. 12 Stunden, so fällt der Medianwert der Auslastung (aufgerundet auf volle 5%) auf den Wert von 55%.

Betriebszeit in h

6

8

10

12

Auslastung in Prozent

60

60

55

55

62
Tabelle 1“
63
Unter „4. Hypothetische Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW Vorhaltung nach zusätzlicher Genehmigung“ (Seite 6) wird ausgeführt:
64
„Wird einer der Schwellenwerte für die Auslastung nach Tabelle 1 oder die WTZoVB nach Tabelle 2 unterschritten, ist die weitere Prüfung abzubrechen und die Genehmigung wegen einer zu befürchtenden Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst zu versagen. Nur wenn für den Genehmigungsantrag beide Schwellenwerte für die öffentlich-rechtliche Vorhaltung überschritten sind, kann in einem weiteren Prüfungsschritt die konkrete Auswirkung der Genehmigung eines zusätzlichen KTW auf die öffentliche Vorhaltung ermittelt werden.
65
Die Überprüfung der Auswirkungen des zusätzlichen KTW innerhalb der beantragten Betriebszeiten für die konkrete Bedarfsregion ist durch ein mehrstufiges Analyseverfahren im Rahmen einer Begutachtung des mit den TRUST-Untersuchungen beauftragten wissenschaftlichen Instituts (. [Anm.: … … … … …]) vorzunehmen. Dieses Analyseverfahren wird standardisiert im Auftrag der Genehmigungsbehörde durchgeführt; die dabei entstehenden Auslagen sind als Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen.“
66
Durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes und der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes vom 8. März 2016 (GVBl S. 30) wurde in Art. 53 Abs. 1 BayRDG die Verordnungsermächtigung in Nr. 19 zur neuen Nr. 18 (LT-Drs. 17/8893 S. 17: redaktionelle Folgeänderung). Durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 27. März 2017 (GVBl S. 46) wurde die Nr. 18 in Art. 53 Abs. 1 BayRDG aufgehoben (Inkrafttreten am 1.4.2017). Der Gesetzentwurf (LT-Drs. 17/13793) sah diese Änderung noch nicht vor und enthält dementsprechend keine Begründung hierfür.
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Durch Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes vom 20. Juni 2017 (GVBl S. 311) wurde der bisherige § 31 aufgehoben (S. 314; Inkrafttreten am 1.8.2017). Seitdem wird die Methodik der Verträglichkeitsprüfung nur noch durch IMS geregelt.
68
Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat mit IMS vom 11. Januar 2019 mit dem Betreff „Überarbeitung der Methodik zur Verträglichkeitsprüfung im Krankentransport“ unter „3. Auslastungsschwellenwerte“ (Seite 3) folgendes ausgeführt:
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„Das IMS vom 13. August 2013 enthielt unter der Ziffer 2. auf S. 5 bestimmte Schwellenwerte der Auslastung. Diese werden nun einheitlich und für jede Betriebszeit auf 75% erhöht. Der Grund dafür liegt in den mittlerweile nahezu vollständig bayernweit durchgeführten Maßnahmen zum Krankentransportmanagement. Durch diese Maßnahmen wurde es möglich, im öffentlichen Krankentransport höhere Auslastungen zu erzielen, als sie noch dem IMS vom 13. August 2013 zugrunde lagen. Diese zu begrüßende Steigerung der Wirtschaftlichkeit des öffentlichen Krankentransportes würde konterkariert, wenn bereits ab den niedrigeren alten Schwellenwerten private Anbieter zugelassen würden.“
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Im IMS vom 24. Februar 2023 mit dem Betreff „Überarbeitung der Methodik zur Verträglichkeitsprüfung im Krankentransport“ wird unter „1. Aktuelle Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung“ (Seite 2) sowie unter „3. Hypothetische Auslastung der öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung nach zusätzlicher Genehmigung“ (Seite 3) ausgeführt, dass der Schwellenwert für eine Zulassung unverändert bei einer Auslastung der öffentlich-rechtlichen Vorhaltung bzw. bei einer erwarteten Auslastung der öffentlich-rechtlichen Vorhaltung von mindestens 75% bleibe.
71
Aus alldem ergibt sich, dass gegenwärtig bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes keine Verträglichkeitsprüfung im Sinne einer Beeinträchtigungsprüfung durchgeführt wird, die im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben des Art. 24 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BayRDG steht.
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Die mit IMS vom 13. August 2013 festgelegten Schwellenwerte betreffend die Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen-Vorhaltung mit maßgeblicher Bedeutung sowohl für den Prüfschritt 1 als auch für den Prüfschritt 3 sollen – so ausdrücklich im „Anhang zum IMS vom 13.08.2013 Methodik der Verträglichkeitsprüfung“ – eine „gewünschte Mindestauslastung der öffentlich-rechtlichen KTW-Vorhaltung“ vorgeben. Sie wurden aus einer bloßen Betrachtung des damaligen Ist-Zustandes der bayernweiten Auslastungszahlen des Jahres 2012 unter nachfolgender Bildung mathematischer Medianwert abgeleitet anstatt einen Soll-Wert anhand der im Gesetz benannten Kriterien zu ermitteln (u.a. Entwicklung der Kosten), obwohl dies nach Art. 24 Abs. 4 Satz 4 BayRDG möglich und geboten gewesen wäre. Es wurde somit nicht substantiiert dargelegt, warum bei einer Unterschreitung dieser pauschalierten Schwellenwerte für jede der 74 untersuchten Bedarfsregionen unabhängig von der konkreten Situation vor Ort durch den Gebrauch einer Genehmigung für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes sogleich eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst vorliegen sollte.
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Noch weiter gehend wurden die zuvor noch nach Betriebszeiten differenzierten Schwellenwerte hinsichtlich der Auslastung durch IMS vom 11. Januar 2019 vereinheitlicht und für jede Betriebszeit auf 75% erhöht. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, dass mittlerweile im öffentlichen Krankentransport höhere Auslastungen hätten erzielt werden können, als sie noch dem IMS vom 13. August 2013 zugrunde gelegen hätten. Wörtlich heißt es: „Diese zu begrüßende Steigerung der Wirtschaftlichkeit des öffentlichen Krankentransportes würde konterkariert, wenn bereits ab den niedrigeren alten Schwellenwerten weitere private Anbieter zugelassen würden“. Hierdurch genügt die durch IMS vorgegebene Verträglichkeitsprüfung – perpetuiert durch das IMS vom 24. Februar 2023 – erneut nicht dem in Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BayRDG gesetzlich vorgegebenen Maßstab, wird doch wiederholt – bei einer Erhöhung des Schwellenwertes von zuvor 55-60% auf nunmehr 75% und somit um mindestens ein Viertel in einem von niedriger Inflation geprägten Zeitraum von sechs Jahren – lediglich der Ist-Zustand als neuer Schwellenwert festgeschrieben. Dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG der Klägerin wird durch dieses Vorgehen nicht mehr ausreichend Rechnung getragen.
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Die Auffassung der Klägerin, dass ihr die beantragten Genehmigungen für Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes ohne jegliche Verträglichkeitsprüfung zu erteilen seien, weil es im Rettungsdienstbereich E. an einem „wirtschaftlichen“ öffentlichen Rettungsdienst fehle, ist wiederum zu weitgehend. Sie findet im Gesetz keine Stütze, nach dem es um die Prüfung einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem „funktionsfähigen“ Rettungsdienst geht, Art. 24 Abs. 4 Satz 1 BayRDG. Die Argumentation hinsichtlich der angenommenen Unwirtschaftlichkeit ist im Übrigen pauschal und unsubstantiiert.
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Auch die Auffassung der Klägerin, dass bei negativem Ausgang einer – ordnungsgemäß durchgeführten – Verträglichkeitsprüfung eine Reduzierung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen-Vorhaltung vorzunehmen bzw. zumindest zu prüfen sei, um ihr die Erteilung einer oder gar mehrerer Genehmigungen zu ermöglichen, geht fehl. Sie fußt auf dem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 26. Juni 2020 (29 K 15294/17 -BeckRS 2020, 18032) zu einer nicht vergleichbaren Rechtslage nach dem Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmen (Rettungsgesetz NRW – RettG NRW) vom 24. November 1992, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2015, des Landes Nordrhein-Westfalen. Die dort in § 12 RettG NRW normierten „Bedarfspläne“, bei deren Aufstellung bei der Ermittlung der Zahl der von den Trägern des Rettungsdienstes vorzuhaltenden Fahrzeuge auch Fahrzeuge von Unternehmen mit einer Genehmigung außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes rechnerisch berücksichtigt werden können, sind im BayRDG nicht vorgesehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Frage der Rechtmäßigkeit der gegenwärtigen Methodik der Verträglichkeitsprüfung unter Anwendung des Schwellenwertes von 75% hinsichtlich der Auslastung der öffentlich-rechtlichen Krankentransportwagen-Vorhaltung betrifft bayernweit potenziell eine Vielzahl vergleichbarer Genehmigungsverfahren.