Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 28.03.2024 – AN 17 S 23.2679, AN 17 S 23.2680, AN 17 S 23.2681, AN 17 S 23.2682
Titel:

Erfolgloses Eilverfahren einer Standortgemeinde gegen die Baugenehmigung von vier Doppelhaushälften unter Berufung auf die Spielplatzpflicht

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BayBO Art. 7 S. 3, Art. 63 Abs. 1 S. 1
GG Art. 28 Abs. 2
BV Art. 11 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Spielplatzpflicht aus Art. 7 Abs. 3 BayBO dient dem Allgemeininteresse und nicht dem Individualinteresse der jeweiligen Standortgemeinde. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht zum Zeitpunkt der Baugenehmigung eine Spielplatzpflicht nach Art. 7 Abs. 3 BayBO, ist aber bereits sicher absehbar, dass die Spielplatzpflicht zukünftig entfallen wird, weil eine Teilung des Grundstücks beabsichtigt ist und für die neu entstehenden Grundstücke die Spielplatzpflicht nicht greift, ist eine Abweichung hinsichtlich Art. 7 Abs. 3 S. 1 BayBO zuzulassen, solange keine dem Sinn und Zweck der Norm entgegenstehende Umgehung der Spielplatzpflicht beabsichtigt ist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eine Standortgemeinde kann sich als Dritte im Verfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn sie sich auf die Verletzung einer Norm berufen kann, die gerade ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist., Die Spielplatzpflicht aus Art. 7 Abs. 3 BayBO dient damit dem Allgemeininteresse und nicht dem Individualinteresse der jeweiligen Standortgemeinde., Besteht zum Zeitpunkt der Baugenehmigung eine Spielplatzpflicht nach Art. 7 Abs. 3 BayBO, ist aber bereits sicher absehbar, dass die Spielplatzpflicht zukünftig entfallen wird, weil eine Teilung des Grundstücks beabsichtigt ist und für die neu entstehenden Grundstücke die Spielplatzpflicht nicht greift, ist eine Abweichung hinsichtlich Art. 7 Abs. 3 Satz 1 BayBO zuzulassen, solange keine dem Sinn und Zweck der Norm entgegenstehende Umgehung der Spielplatzpflicht beabsichtigt ist., Standortgemeinde, Spielplatzpflicht, kein Individualinteresse, Baugenehmigung, Atypik, Grundstücksteilung, Abweichung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7657

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Anträge werden abgelehnt.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten der Verfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
4. Der Streitwert wird bis zur Verbindung der Verfahren auf je 7.500 EUR und ab der Verbindung der Verfahren auf 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich als Standortgemeinde im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Baugenehmigung von vier Doppelhaushälften.
2
Die Antragstellerin ist Mitgliedsgemeinde der Verwaltungsgemeinschaft … Die Beigeladene plant die Errichtung von insgesamt acht Doppelhaushälften mit Carports, Abstellräumen und Stellplätzen auf dem Grundstück mit der FlNr. 1493/2 der Gemarkung …, … Bislang sind vier dieser Doppelhaushälften genehmigt und streitgegenständlich. Das Vorhabengrundstück befindet sich im Hoheitsgebiet der Antragstellerin und hat eine Fläche von 2.170 m². Die vier Doppelhäuser sollen auf dem Grundstück so angeordnet werden, dass sich zwei Doppelhäuser nebeneinander im Norden des Grundstücks und die anderen beiden Doppelhäuser jeweils südlich hiervon befinden. Die vier im Norden entstehenden verfahrensgegenständlichen Doppelhaushälften sind die so von Westen nach Osten bezeichneten Häuser 1, 2, 3 und 4. Die vier südlich in Planung befindlichen, nicht verfahrensgegenständlichen Doppelhaushälften sind von Westen nach Osten die Häuser 5, 6, 7 und 8. Für zwei der südlichen Doppelhaushälften hat die Beigeladene bereits einen Bauantrag gestellt, über den bislang noch nicht entscheiden worden ist. Für die Doppelhaushälften 1 bis 4 legte der Beigeladene am 30. März 2023 vier getrennte Bauanträge vor und beantragte jeweils mit Schreiben vom 5. September 2023 eine Abweichung von der Verpflichtung zur Errichtung einer Kinderspielplatzfläche. Im Osten des Grundstücks sollen entlang der angrenzenden Straße insgesamt acht Stellplätze errichtet werden. Für die vier verfahrensgegenständlichen Doppelhaushälften ist in den genehmigten Planunterlagen jeweils einer der acht Stellplätze im Osten farbig und damit als zu der jeweiligen Doppelhaushälfte zugehörig markiert.
3
Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „…“ der Antragstellerin, der den Gebietstyp als allgemeines Wohngebiet festsetzt (Planzeichnung und textliche Festsetzungen im Internet abrufbar unter https://www. … und https://www. ...).
4
Die Antragstellerin erließ eine am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Satzung über die Herstellung und Ablösung von Kinderspielplätzen (Spielplatzsatzung). Die Satzung gilt gemäß § 1 Abs. 2 Spielplatzsatzung für Kinderspielplätze und deren Nachweis und dient der Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Art. 7 Abs. 3 BayBO. Nach § 3 Abs. 1 der Satzung sei die nach Art. 7 Abs. 3 BayBO herzustellende Kinderspielplätze anhand der Gesamtwohnfläche zu ermitteln und je angefangenen 25 m² Wohnfläche seien 1,5 m² Kinderspielplatzfläche nachzuweisen. Die Mindestgröße des Kinderspielplatzes betrage 60 m². Gemäß § 7 der Satzung gelte für die Abweichung von Vorschriften der Satzung Art. 63 BayBO in der jeweiligen gültigen Fassung.
5
Weiter hat die Antragstellerin am 15. November 2021 eine Garagen- und Stellplatzsatzung (Stellplatzsatzung) erlassen (im Internet abrufbar unter https://www. ...). Nach § 3 Abs. 1 Stellplatzsatzung ergibt sich die Anzahl der erforderlichen Garagen und Stellplätze aus der Anlage 1 der Satzung. Nach Nr. 1.1 der Anlage 1 müssen je Doppelhauhälfte mit einer Wohneinheit zwei Stellplätze vorhanden sein.
6
In ihrer Stellungnahme als Gemeinde vom 26. Juni 2023 teilte die Antragstellerin dem Landratsamt … mit, dass das Bauvorhaben im Geltungsbereich ihrer Kinderspielplatzsatzung und ihrer Stellplatzsatzung liege. Es werde kein Einvernehmen für Abweichungen erteilt. Hinsichtlich der Stellplatzsatzung führte die Antragstellerin in einer beiliegenden Stellungnahme aus, dass nach der Satzung zwei Stellplätze je Doppelhaushälfte zu errichten seien. Sollte das Grundstück geteilt werden, sodass die Doppelhaushälften jeweils auf einer eigenen Flurnummer liegen würden, sei der Zugang zu den erforderlichen Stellplätzen dinglich zu sichern.
7
Jeweils mit Bescheid vom 21. November 2023 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung für die vier klagegegenständlichen Doppelhaushälften und ließ die beantragte Abweichung von der Kinderspielplatzpflicht zu. Unter II. Auflagen setzte die Antragsgegnerin in Nr. 6 fest, dass dem Landratsamt bei Trennung der Grundstücke spätestens mit der Nutzungsaufnahme eine entsprechende dingliche Sicherung hinsichtlich eines eventuell notwendigen Geh- und Fahrtrechts, eines notwendigen Leitungsrechts sowie der Sicherung der Stellplätze vorzulegen sei. In Nr. 7 setzte die Antragstellerin fest, dass die Forderungen der Verwaltungsgemeinschaft … entsprechend der dem Bauantrag beigehefteten Stellungnahme vom 26. Juni 2023 zu beachten sei.
8
Hinsichtlich der Kinderspielplatzpflicht ist jeweils eine Abweichung ausgesprochen worden. Die Abweichungen wurde damit begründet, dass von Seiten der Beigeladenen geplant sei, das Grundstück zu teilen und die Doppelhaushälften einzeln zu verkaufen. Nach der Trennung der Grundstücke würde die Spielplatzpflicht wegfallen. Die Nichtzulassung der Abweichungen würde im vorliegenden Fall zu einer unbilligen Härte für den Bauherrn führen.
9
Gegen die Bescheide für die vier Doppelhaushälften vom 21. November 2023 erhob die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten am 19. Dezember 2023 jeweils Klage am Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte, die Bescheide aufzuheben, soweit eine Abweichung von der Kinderspielplatzpflicht zugelassen worden sei. Mit Schriftsätzen vom 29. Dezember 2023 stellte die Antragstellerin außerdem Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO (Aktenzeichen hinsichtlich Haus 1: AN 17 K 23.2596/AN 17 S 23.2680; Haus 2: AN 17 K 23.2595/AN 17 S 23.2679; Haus 3: AN 17 S 23.2681/AN 17 K 23.2598 und Haus 4: AN 17 S 23.2682/AN 17 K 23.2597). Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass aufgrund ihrer Spielplatzsatzung in Verbindung mit der Bayerischen Bauordnung bei Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ein ausreichend großer Kinderspielplatz anzulegen sei. Die Pflicht bestehe auch dann, wenn auf einem Baugrundstück mehrere Gebäude errichtet würden, die gemeinsam eine entsprechende Wohnungszahl erreichen würden. Die bloße Vermutung des Landratsamts, dass die Beigeladene das Grundstück teilen werde und die Spielplatzpflicht deshalb wegfalle, reiche für eine Abweichung nicht aus. Spielplätze seien ein wichtiges Anliegen und daher im Interesse des Kindeswohls von der Baubehörde durchzusetzen. Es verbleibe zwar eine Freifläche von 1.033,23 m² für alle acht Doppelhäuser, auf dieser Fläche solle jedoch nach dem Grünordnungsplan acht Obstbäume, ein Laubbaum und mindestens ein weiterer Baum gepflanzt, erhalten und fachgerecht gepflegt werden. Den Kindern werde daher nicht genug Platz zum Spielen gegeben. Die von der Baugenehmigungsbehörde zugelassene Abweichung öffne einer Umgehung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben für die bestehende Spielplatzpflicht Tür und Tor.
10
Die Antragstellerin beantragt in den Verfahren AN 17 S 23.2679, AN 17 S 23.2680, AN 17 S 23.2681 und AN 17 S 23.2682 jeweils,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen
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Die Antragsgegnerin beantragt in allen Verfahren, den Antrag abzulehnen.
12
Sie ist der Auffassung, dass hinsichtlich der Abweichung von der Spielplatzpflicht kein Einvernehme der Gemeinde notwendig gewesen sei, daher auch keine Einschränkung des Einvernehmens vorliegen würde. Das „Einvernehmen“ der Gemeinde könne nur als gemeindliche Stellungnahme gewertet werden. Da das Bauvorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche, sei insoweit gar kein bauplanungsrechtliches Einvernehmen notwendig gewesen. Ein bauaufsichtliches Einvernehmen sei nur bei Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften notwendig, von der gemeindlichen Spielplatzsatzung sei jedoch gar keine Abweichung, Befreiung oder Ausnahme notwendig gewesen, da die Satzung nur die Lage, Größe, Beschaffenheit, Ausstattung und den Unterhalt von Spielplätzen, die Art der Erfüllung und die Ablösepflicht regele. Die Spielplatzpflicht an sich werde jedoch durch die BayBO geregelt. Für Abweichungen von solchen bauordnungsrechtlichen Vorschriften seien im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens die Landratsämter zuständig, ein gemeindliches Einvernehmen sei nicht erforderlich. Die Klage sei daher bereits unzulässig, da es der Antragstellerin an einer entsprechenden Klagebefugnis fehle.
13
Die Abweichung sei auch rechtmäßig erteilt worden. Die Entscheidung über eine Abweichung sei seit dem letzten Änderungsgesetz aus dem Jahr 2023 eine „Soll-Regelung“. Es sei bereits auf der Tatbestandsseite eine Abwägung vorzunehmen, die die für die Abweichung sprechenden Gründe und die betroffenen Belange untereinander koordinierte. Zweck der bauordnungsrechtlichen Spielplatzpflicht sei, Kindern genügend Spielflächen und Raum in der freien Natur zum Spielen zur Verfügung zu stellen. Die Prüfung des Bauvorhabens habe ergeben, dass das Bauvorhaben in einem Außenbereichsweiler liege. Dieser bestehe derzeit nur aus sieben Wohnhäusern und sei ansonsten von freier Natur umgeben. In dieser speziellen Lage stünden nach Ansicht der Antragsgegnerin auch ohne angelegten Spielplatz ausreichend und gefahrlos nutzbare Spielflächen und Spielmöglichkeiten zur Verfügung. Nach Trennung der Grundstücke wäre für jedes Grundstück eine Freifläche von ca. 129 m² möglich. Flächen von diesem Umfang seien teilweise auch bei Einfamilienhäusern innerhalb von Bebauungsplänen anzutreffen. Die Gartenfläche der Vorhaben sei größer als die Mindestgröße eines Kinderspielplatzes. Die Prüfung des Landratsamts habe ergeben, dass keine öffentlichen Belange der Abweichung entgegenstehen. Die reine Absichtserklärung der Beigeladenen zur Trennung der Grundstücke sei für die Entscheidung der Abweichung nicht ausschlaggebend gewesen. Vielmehr sei eine Vielzahl von Punkten erheblich, speziell die Lage des Grundstücks sei dafür ausschlaggebend gewesen, die beantragte Abweichung zuzulassen.
14
Die Beigeladene beantragt in allen Verfahren, den Antrag abzulehnen.
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Die Anträge seien bereits unzulässig, da der Antragstellerin die notwendige Antragsbefugnis fehle, da eine Verletzung des subjektiven öffentlichen Rechts ausgeschlossen sei. Auch liege das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag nicht vor. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, da die Beigeladene noch keinen Gebrauch von der angegriffenen Baugenehmigung gemacht habe und bislang keine Bauarbeiten ausgeführt habe. Das Rechtsschutzbedürfnis fehle auch deshalb, weil die Antragstellerin im Hinblick auf die in der Hauptsache beantragte Teilaufhebung der Zulassung der Abweichung und die damit einhergehende Bestandskraft der „Restbaugenehmigung“ das Rechtschutzziel mit dem gegenständlichen Eilantrag nicht erreichen könne.
16
Der Antrag sei aber unbegründet. Die Antragstellerin könne sich gegen die Baugenehmigung nur zur Wehr setzen, wenn sie geltend machen könne, durch die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in ihrer gemeindlichen Planungshoheit, die Ausfluss der Selbstverwaltungsgarantie sei, betroffen zu sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit reiche nicht aus. Das Einvernehmen der Antragstellerin sei weder aus bauplanungsrechtlichen noch aus bauordnungsrechtlichen Gesichtspunkten erforderlich. Insbesondere regele die Spielplatzsatzung nicht die Erforderlichkeit eines Kinderspielplatzes, zumal es hierfür auch an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage fehle. Gemeinden hätten nur die Ermächtigung für die Art der Erfüllung und über die Ablöse der Pflicht Regelungen zu treffen. Die Erforderlichkeit eines Kinderspielplatzes richte sich allein nach den gesetzlichen bauordnungsrechtlichen Maßstäben. Darüber hinaus liege schon gar keine Pflicht zur Errichtung eines Kinderspielplatzes vor, da ein Spielplatz hier nach Art und Lage der Wohnungen nicht notwendig sei. Jede Doppelhaushälfte habe eine ausreichend große Gartenfläche.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Eil- und Klageverfahren sowie die jeweils beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II.
18
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO sind zulässig, jedoch nach der im Eilverfahren anzustellenden summarischen Prüfung unbegründet, da die erteilten Baugenehmigungen die Antragstellerin nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19
Gegenstand der in den Hauptsacheverfahren erhobenen Anfechtungsklagen ist die Aufhebung der Baugenehmigungen für die vier Doppelhaushälften. Der Streitgegenstand einer Klage ergibt sich aus dem im Lichte des Klagebegehrens ausgelegten Antrag. Er bestimmt gemäß § 88 VwGO die Entscheidungskompetenz des Gerichts und nach § 121 VwGO die Rechtskraft (Aulehner in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 82 Rn. 20). Die Antragstellerin möchte in der Hauptsache die Aufhebung der angegriffenen Baugenehmigungen erreichen. Auch wenn die Antragstellerin in ihren Klagebegründungen vom 4. Januar 2024 jeweils beantragte, die jeweiligen Baugenehmigungen aufzuheben, „soweit darin eine Abweichung von der Kinderspielplatzpflicht zugelassen wurde“, ist hierin aus Sicht des Gerichts keine Beschränkung dieses Klagebegehrens zu sehen. Das Gericht geht davon aus, dass der so formulierte Antrag der Klägerin lediglich die Begründung dafür hervorheben soll, warum die Baugenehmigung aus Sicht der Antragstellerin rechtswidrig ist und der jeweilige Bescheid daher (insgesamt) aufgehoben werden müsse. Dass die Klägerin jeweils die Aufhebung der gesamten Baugenehmigung begehrt, ergibt sich insbesondere aus dem Wortlaut der Klageschrift vom 19. Dezember 2023, mit dem jeweils Klage „gegen den bauaufsichtlichen Genehmigungsbescheid“ ohne weitere Einschränkung erhoben wurde.
20
1. Die Anträge sind zulässig.
21
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 21. November 2023 sind nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da die Anfechtungsklagen der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB und Art. 67 Abs. 3 Satz 2 BayBO keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Zulässigkeit der Anträge steht dabei nicht entgegen, dass die Beigeladene noch nicht mit dem Bau begonnen hat. Da die Beigeladene aufgrund der gesetzlichen Regelungen ungeachtet der anhängigen Klagen jederzeit mit der Umsetzung der Bauvorhaben beginnen darf, steht es der Antragstellerin zu, ihr Bedürfnis, die Umsetzung des Bauvorhabens bis zur Entscheidung über die Hauptsache aufzuschieben, geltend zu machen, um die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern.
22
Auch die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis liegt vor. Eine Standortgemeinde kann sich als Dritte im Verfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn sie sich auf die Verletzung einer Norm berufen kann, die gerade ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist (BayVGH, B.v. 9. August 2021 – 15 CS 21.1636 – juris Rn. 21). In Betracht kommt vorliegend eine Verletzung der Satzungshoheit der Antragstellerin als Ausprägung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV. Die Antragstellerin beruft sich auf die Unvereinbarkeit des Vorhabens mit ihrer Spielplatzsatzung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Vorhaben entgegen der Regelungen der Spielplatzsatzung erlassen wurden bzw. das gemeindliche Einvernehmen der Antragstellerin insoweit, wie sie selbst vorträgt, zu Unrecht ersetzt und diese damit in ihrer Satzungshoheit verletzt wurde. Ob tatsächlich eine Rechtsverletzung der Antragstellerin hinsichtlich ihrer Spielplatzsatzung vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags bzw. der Klage. Gleiches gilt für die Frage, ob das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin von Art. 7 Abs. 3 BayBO berührt wird und sich die Antragstellerin auf eine Verletzung dieser Norm berufen kann.
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2. Die Anträge sind unbegründet, weil die im Rahmen der Entscheidung nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners und der Beigeladenen zu Gunsten letzterer ausfällt.
24
Für die gerichtliche Abwägungsentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens eine maßgebliche Rolle. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 CS 16.2253 – juris Rn. 13; Eyermann/Hoppe, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89 ff.).
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Nach summarischer Prüfung wird die Antragstellerin durch die Baugenehmigungen nicht in ihren Rechten verletzt und die Klagen haben keine Aussicht auf Erfolg. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg der Klage der Standortgemeinde gegen eine einem Dritten erteilte Baugenehmigung nicht. Im gerichtlichen Verfahren findet keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Vielmehr hat sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung Rechte der Gemeinde verletzt wurden. Entscheidend ist daher, ob die Gemeinde durch den angegriffenen Bescheid in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV verletzt wird. Hingegen kann sie sich nicht allgemein auf die Verletzung von Normen berufen, die öffentlichen Interessen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 15. Dezember 1989 – 4 C 36/86 – BVerwGE 84, 209-220, juris; BayVGH, B.v. 5. Juli 2000 – 22 ZB 00.1465 – juris Rn 14 ff.; B.v. 2.4.2003 – 22 ZB 03.229 – juris Rn. 8)
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a) Die Antragstellerin kann sich nicht auf eine Verletzung ihrer Spielplatzsatzung berufen. Die Spielplatzsatzung regelt nämlich – wohl entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht, unter welchen Voraussetzungen Spielplätze errichtet werden müssen, also wann eine Pflicht zur Errichtung von Spielplätzen besteht. Letzteres, also ob ein Spielplatz errichtet werden muss, richtet sich nach den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung. So ist nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 BayBO bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ein ausreichend großer Kinderspielplatz anzulegen. Die Spielplatzsatzung der Antragstellerin regelt hingegen ausschließlich die Umsetzung dieser Pflicht, also das „Wie“ hinsichtlich der Erfüllung dieser Verpflichtung. Das ergibt sich bereits aus dem Satzungszweck der Spielplatzsatzung, der in deren § 2 Abs. 1 geregelt ist. Demnach ist der Satzungszweck „die Schaffung der nach Vorschriften der Bayerischen Bauordnung erforderlichen Kinderspielplätze sicherzustellen“. Die Satzung enthält folgerichtig keine Regelungen dazu, wann ein Spielplatz errichtet werden muss, sondern regelt vielmehr nur die Ausstattung und Größe von Spielplätzen (§ 3), die Erfüllung von Nachweispflichten und die Ablösung von der Spielplatzpflicht (§ 4), der Erhaltung von Spielplätzen (§ 5) und Ausführungsgrundsätze für die Herstellung der Spielplätze (§ 6).
27
Dies entspricht auch der Rechtsgrundlage der Spielplatzsatzung, Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 BayBO. Demnach dürfen Gemeinden örtliche Bauvorschriften erlassen über die Lage, Größe, Beschaffenheit, Ausstattung und Unterhaltung von Spielplätzen, die Art der Erfüllung sowie über die Ablöse der Pflicht. Auch wenn Gemeinden nach der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Rechtslage nach Art. 91 Abs. 2 Nr. 2 BayBO a.F. durch Satzung bestimmen konnten, dass für bestehende bauliche Anlagen die Herstellung und Unterhaltung von Kinderspielplätzen verlangt werden konnte, ist nach derzeitiger Rechtslage der Erlass einer gemeindlichen Satzung, die selbstständig die Voraussetzungen zur Entstehung der Pflicht zur Errichtung eines Spielplatzes regelt, von der Rechtsgrundlage gerade nicht mehr umfasst.
28
Eine Befreiung von der Spielplatzsatzung war also nicht notwendig, weil sich aus der Satzung keine Pflicht für die Beigeladene ergab, einen Spielplatz zu errichten. Selbst wenn die Satzung eine solche Pflicht enthalten würde, wäre sie außerdem wohl deshalb rechtwidrig, weil die Gemeinde keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Satzung gehabt hätte. Der Antragsgegner hat daher der Beigeladenen damit zurecht keine Befreiung von der Spielplatzsatzung der Antragstellerin genehmigt, eine solche war auch nicht beantragt. Die Spielplatzsatzung der Antragstellerin ist nicht verletzt.
29
b) Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf eine Verletzung von Art. 7 Abs. 3 BayBO berufen. Wie oben ausgeführt, kann sich die Gemeinde als Antragstellerin nur auf die Verletzung derjenigen Normen berufen, die gerade ihrem Schutz dienen. Mit der Spielplatzpflicht wird dem allgemeinen Bedürfnis entsprochen, für Kinder den im Interesse ihrer Betätigung und Entwicklung notwendigen Spielraum zu schaffen (Taft in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand 152. EL, Oktober 2023, Art. 7 BayBO Rn. 112; so auch Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 28. Edition, Stand: 1.10.2023, Art. 7 BayBO Rn. 22). Die Norm dient damit einem im allgemeinen Interesse liegenden Belang und nicht einem Individualinteresse der jeweiligen Standortgemeinde, weshalb sich die Antragstellerin nicht auf eine Verletzung dieser Norm berufen kann.
30
Die Gemeinde kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie durch den Wegfall der Spielplatzerrichtungspflicht finanzielle Einbußen hinnehmen muss. Insoweit wurde von der Antragstellerin auch nichts geltend gemacht. Zu den sich aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie für die Gemeinde ergebenden subjektiven Rechten gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar die Finanzhoheit, die das Recht zu eigenverantwortlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft umfasst (BVerfG, B.v. 27.1.2010 – 2 BvR 2185/04 – BVerfGE 125, 141-174). Eine Verletzung ihrer Finanzhoheit käme für die Antragstellerin allenfalls in Betracht, wenn sie infolge der zusätzlichen Belastungen ihre sonstigen Angelegenheiten nicht mehr angemessen oder in erforderlichem Mindestmaß erfüllen könnte (BayVGH, U.v. 27.7.1994 – 7 N 93.2294 – juris Rn. 35; vgl. auch BVerwG, B.v. 18.9.1998 – 4 VR 11/98 – juris Rn. 15, wonach sich eine Gemeinde in Verfahren gegen einen Planfeststellungsbeschluss nur auf ihre Finanzhoheit berufen kann, wenn „der finanzielle Spielraum der Gemeinde nachhaltig in nicht mehr zu bewältigender und hinzunehmender Weise eingeengt wird“). Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich und vorgetragen. Es ist bereits nicht absehbar, dass der Antragstellerin überhaupt finanzielle Nachteile entstehen. Sie ist nicht als unmittelbare Folge der Befreiung der Beigeladenen von der Spielplatzpflicht selbst dazu verpflichtet, Kinderspielplätze zu errichten. Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf einen Wegfall der Ablösesumme berufen. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 3 BayBO, § 4 Abs. 3 Satz 2 Spielplatzsatzung hat die Gemeinde den Geldbetrag für die Ablösung von Kinderspielplätzen für die Herstellung oder Unterhaltung einer örtlichen Kinder- oder Jugendfreizeiteinrichtung zu verwenden. Bei Kinder- oder Jugendfreizeiteinrichtungen handelt es sich, wie bei Spielplätzen, um einen im allgemeinen Interesse liegenden Belang. Die Ablösesumme muss also für das Allgemeinwohl verwendet werden und steht der Gemeinde nicht zur freien Verfügung, sodass sie sich durch den Wegfall des Ablösebetrags nicht auf die Verletzung eines subjektiven Rechts berufen kann. Abgesehen davon hätte die Beigeladene die Möglichkeit, falls sie von der Spielplatzerrichtungspflicht nicht befreit würde, die notwendigen Spielplätze selbst zu errichten, sodass keine gesicherte Rechtsposition in Hinblick auf eine Ablösezahlung bestand, auf deren Wegfall sich berufen werden könnte.
31
c) Darüber hinaus wurde der Beigeladenen zurecht – unabhängig davon, ob sich die Antragstellerin auf einen Verstoß berufen kann – eine Abweichung von Art. 7 Abs. 3 BayBO erteilt. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 BayBO ist bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ein ausreichend großer Kinderspielplatz anzulegen.
32
Es ist davon auszugehen, dass durch die Verwirklichung der Bauvorhaben die Spielplatzpflicht grundsätzlich entsteht, auch wenn sich die vier beantragten Wohneinheiten in jeweils unterschiedlichen eigenständigen Gebäuden befinden. In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 BayBO bereits dann erfüllt sind, wenn vier oder mehr Wohnungen in mehreren Gebäuden auf einem Grundstück verteilt seien und es gerade nicht erforderlich ist, dass sich die Wohneinheiten innerhalb eines einzigen Gebäudes befinden (Taft in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 152. EL, Oktober 2023, Art. 7 BayBO Rn. 129; Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 28. Edition, Stand: 1.10.2023, Art. 7 BayBO Rn. 24; Laser in Schwarzer König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 7 BayBO Rn. 12; Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, 150. AL, Art. 7 BayBO Rn. 47). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Mit dem am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung (GVBl. 1974 S. 350) wurde Art. 8 Abs. 1 BayBO a.F. geändert und regelte: „Werden Gebäude mit insgesamt mehr als drei Wohnungen errichtet, so ist auf dem Baugrundstück ein Kinderspielplatz in geeigneter Lage anzulegen und zu unterhalten (…)“. In der Begründung des Gesetzesentwurfs (Drucksache Nr. 7/6055) wurde klargestellt, dass nach der Gesetzesintention ein Spielplatz immer dann zu errichten ist, wenn auf dem Grundstück mehr als drei Wohnungen, gleichgültig in wie vielen Gebäuden, geschaffen werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber hiervon durch die jüngeren, diese Norm betreffenden Änderungsgesetze abweichen wollte. Da diese Auslegungsvariante auch von dem Wortlaut der Norm gedeckt ist, ist davon auszugehen, dass es auf die Verteilung der Wohnungen auf dem Baugrundstück nicht ankommt und die Spielplatzpflicht auch für Einfamilienhäuser oder Doppelhaushälften entstehen kann.
33
Nicht überzeugend ist hingegen der Einwand, die Schaffung von Spielplätzen sei aufgrund der Art der Wohnungen nicht erforderlich. Während Art. 7 Abs. 3 Satz 2 BayBO a.F. bis 31. Januar 2021 regelte, dass die Spielplatzpflicht entfällt, wenn in unmittelbarer Nähe eine Gemeinschaftsanlage oder ein sonstiger für die Kinder nutzbarer Spielplatz geschaffen wird oder vorhanden oder ein solcher Spielplatz wegen der Art und der Lage der Wohnungen nicht erforderlich ist, gibt es eine derartige Regelung inzwischen nicht mehr. Ob damit eine inhaltliche Änderung der Reichweite der Spielplatzpflicht erreicht werden sollte, lässt sich der Begründung des Gesetzesentwurfs (Drucksache 18/8547) nicht entnehmen (so auch Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 28. Edition, Stand: 1.10.2023, Art. 7 BayBO Rn. 42). Jedenfalls ist nach dem Sinn und Zweck der Norm eine Spielplatzpflicht dann zu verneinen, wenn die Art der Wohnung kein Bedürfnis nach Spielplätzen auslöst (Taft in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 152. EL, Oktober 2023, Art. 7 BayBO Rn. 133). Nach der Art einer Wohnung ist ein Spielplatz dann nicht erforderlich, wenn es sich um Wohnungen handelt, in denen üblicherweise keine Kinder wohnen, z.B. Einraum-Appartements, Studenten- und Altersheime (so zu Art. 7 Abs. 3 BayBO a.F. VG Würzburg, B.v. 3. Dezember 2014 – W 4 S 14.1208 – juris Rn. 28). Bei den hier zu bewertenden Vorhaben handelt es sich um Wohngebäude, in denen typischerweise auch Kinder leben, sodass die Art der Bebauung der Spielplatzpflicht nicht entgegensteht.
34
Von der Spielplatzpflicht wurde die Beigeladene jedoch durch die von dem Antragsgegner erteilte Abweichung befreit. Die Abweichung wurde rechtmäßig erteilt. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO sollen Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar sind.
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Nicht entscheidungserheblich ist im vorliegenden Fall, ob eine Abweichung von der Spielplatzpflicht eine sog. „Atypik“ der Vorhaben voraussetzt. In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass in den Fällen, in denen durch eine Abweichung die Normziele der Norm, von der abgewichen wird, verfehlt werden – so wie vorliegend der Sinn und Zweck der Spielplatzpflicht aus Art. 7 Abs. 3 BayBO, nämlich Spielraum für Kinder zur Betätigung und Entwicklung zu schaffen, durch die Abweichung nicht mehr erfüllt werden kann –, eine Abweichung nur dann vertretbar sei, wenn die Einhaltung der Norm aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist, was wiederum dann der Fall sei, wenn das Vorhaben einen atypischen Fall darstellt, mithin einen von der Regelsituation abweichenden Fall, in dem ein Abweichen von den jeweiligen Regelungen und ein Unterschreiten von deren Standards gerechtfertigt erscheint (VG Regensburg, U.v. 15. Juni 2021 – RN 6 K 20.1379 – juris Rn. 27; Weinmann in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 28. Edition, Stand: 15.1.2024, Art. 63 BayBO Rn. 22). Auch nach bisheriger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Art. 63 BayBO a.F. erforderte die Zulassung einer Abweichung Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (zu Abstandsflächen vgl. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26; U.v. 19.9.2023 – 15 CS 23.1208 – juris Rn. 22).
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Letztlich kann jedoch die Frage, ob für die Abweichung vorliegend verlangt werden muss, dass es sich um atypische Vorhaben handelt und ob die o.g. Auffassung aufgrund der jüngsten Änderungen des Art. 63 BayBO noch Bestand hat, dahinstehen, weil die Vorhaben tatsächlich atypisch sind.
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Die Atypik ergibt sich allerdings entgegen der von Antragsgegnerin und Beigeladener vertretenen Ansicht nicht aus der Lage des Grundstücks. Nach der Rechtsprechung zu Art. 7 Abs. 3 BayBO a.F. war aufgrund der Lage einer Wohnung ein Spielplatz dann entbehrlich, wenn für das kindliche Spiel – insbesondere in ländlich geprägten Gegenden – ausreichende Garten- bzw. Freiflächen im Bereich der Wohneinheiten bzw. in unmittelbarer Nähe vorhanden sind (VG Würzburg, B.v. 3.12.2014 – W 4 S 14.1208 – juris Rn. 28; so auch zur derzeitigen Rechtslage Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 28. Edition, Stand: 1.10.2023, Art. 7 BayBO Rn. 48). Liegen diese Voraussetzungen vor, unterscheidet sich ein Vorhaben auch nach der derzeitigen Rechtslage so sehr vom Regelfall, dass eine Abweichung in Betracht kommt. Antragsgegnerin und Beigeladene verweisen auf die freibleibenden Flächen auf dem Grundstück selbst und auf die Lage des Baugebiets, das sich in einem sehr ländlichen Bereich befindet. So zeigen Luftaufnahmen auf „google maps“ der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks, dass dieses sich in einem kleineren Weiler mit nur wenigen weiteren (Wohn-)Gebäuden befindet. Ansonsten ist es im Wesentlichen von weiten Feldern und/oder Wiesen umgeben und in der Nähe befindet sich ein großer See. Eine Atypik begründet diese Lage allerdings nicht. Es sind zwar ausreichend große Freiflächen vorhanden, die Eignung dieser für das kindliche Spiel ist allerdings nicht ersichtlich. Spielplätze zeichnen sich auch durch die vorhandenen Spielgeräte aus, die Kindern, im Gegensatz zu einer reinen Freifläche, die Möglichkeit zu einer abwechslungsreichen spielerischen Entfaltung geben. Zwar können sich Kinder selbstverständlich auch auf einer Wiese oder in einem Feld spielerisch betätigen, dies nach Ansicht des Gerichts allerdings nicht in einem Rahmen, der dem in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 BayBO angelegten Zweck entspricht. Spielmöglichkeiten auf einem Kinderspielplatz sind für Kinder höher zu bewerten als auf einer freien Wiese. Insofern können sich Antragsgegnerin und Beigeladene nicht auf die Freiflächen des Vorhabengrundstücks selbst berufen, denn derzeit steht nicht fest, ob sich auf der unbebauten Grundstücksfläche für Kinder geeignete Spielgeräte, wie etwa Schaukeln, befinden werden. Es ist unabhängig davon auch nicht sichergestellt, dass die Freiflächen überhaupt Kindern zu Spielzwecken zur Verfügung stehen werden oder anderen Zwecken, etwa der Erholung der Eltern, dienen werden. Gleiches gilt auch für die natürliche Landschaft und insbesondere die Felder und Wiesen im Umkreis des Vorhabengrundstücks. Es kann daher gerade nicht festgestellt werden, dass ein ausreichender Spielraum für Kinder zur Verfügung stehen wird.
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Die Atypik des Vorhabens ergibt sich allerdings aus der vorgesehenen Teilung des Grundstücks. In Fällen, in denen eine Spielplatzpflicht zwar zum Zeitpunkt der Baugenehmigung besteht, aber bereits sicher absehbar ist, dass die Spielplatzpflicht zukünftig entfallen wird, weil eine Teilung des Grundstücks beabsichtigt ist und für die neu entstehenden Grundstücke die Spielplatzpflicht nicht greift, ist eine Abweichung hinsichtlich Art. 7 Abs. 3 Satz 1 BayBO zuzulassen, solange keine dem Sinn und Zweck der Norm entgegenstehende Umgehung der Spielplatzpflicht beabsichtigt ist. Vorliegend plant der Beigeladene die Teilung des Vorhabengrundstücks, sodass die einzelnen Doppelhaushälften je auf einem eigenen Grundstück liegen und die Spielplatzpflicht dadurch entfällt. Die Teilung des Grundstücks ist auch, anders als die Antragstellerin meint, nicht lediglich „angedacht“. Vielmehr ist sie durch Einzeichnung der künftigen Grundstücksgrenzen auf den Planzeichnungen und der Einbeziehung dieser in den Bescheid zu dessen Voraussetzung geworden. Der Wille des Beigeladenen zur Grundstücksteilung ergibt sich außerdem aus den Schreiben zur Beantragung der Abweichung von der Spielplatzpflicht vom 5. September 2023, in denen er klarstellte, dass eine Einzelnutzung der Doppelhaushälften vorgesehen ist. Der Teilungswille zeigt sich auch in der getrennten Bauantragsstellung und den getrennt erteilten Baugenehmigungen der Vorhaben. Nicht ersichtlich ist, dass der Beigeladene die Teilung nur zur Umgehung der Spielplatzpflicht vorsieht, die geplante getrennte Nutzung und Verwertung der einzelnen Doppelhaushälften ist aus Sicht des Gerichts nachvollziehbar und entspricht auch dem für solche Vorhaben gängigem Vorgehen.
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Öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange, die einer Abweichung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
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Die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden. Bei der Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO handelt es sich um eine „Soll-Vorschrift“, die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist damit intendiert. Die Abweichung ist daher im Regelfall zu erteilen und nur in atypischen Fällen zu versagen. In der Gesamtschau ist die Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass keine öffentlichen oder nachbarlichen Belange der Abweichung entgegenstehen.
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d) Die Stellplatzsatzung der Antragstellerin wird nicht verletzt, worauf sich die Antragstellerin auch nicht berufen hat.
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Nach Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind bei der Errichtung vom Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, Stellplätze in ausreichender Zahl und Größe und in geeigneter Beschaffenheit herzustellen. Die Stellplätze können entweder auf dem Baugrundstück oder auf einem geeigneten Grundstück in der Nähe des Baugrundstücks, wenn dessen Benutzung für diesen Zweck gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist, Art. 47 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO. Nach Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO i.V.m. § 3 Abs. 1 Stellplatzsatzung i.V.m. Nr. 1.1 Anlage 1 der Stellplatzsatzung müssen vorliegend zwei Stellplätze je Doppelhaushälfte geschaffen werden.
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Alle vier Doppelhaushälften wurden jeweils mit einem dazugehörigen Carport genehmigt. Daneben wurde jedem Vorhaben je einer der im Osten des Grundstücks zu errichtenden Parkplätze individuell zugewiesen. Die Beigeladene ist aufgrund der Auflage II.6. der jeweiligen Bescheide außerdem verpflichtet, der Baugenehmigungsbehörde bei einer Trennung des Grundstücks in mehrere Grundstücksteile dingliche Sicherungen, insbesondere hinsichtlich eines eventuell notwendigen Geh- und Fahrtrechts, zur Sicherung der Stellplätze vorzulegen. Damit ist die Nutzung der östlichen Parkplätze gegenüber der Antragsgegnerin auch im Falle einer Grundstücksteilung gesichert und je Vorhaben stehen zwei Stellplätze zur Verfügung.
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e) Die Bauvorhaben sind auch bauplanungsrechtlich zulässig.
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Die Gemeinde kann das nach §§ 35, 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur aus den sich aus §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen. Ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen wiederum kann die Baugenehmigungsbehörde gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 bis 4 BayBO ersetzen.
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Davon, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht verletzt sind, ging selbst die Antragstellerin im Rahmen des Behördenverfahrens aus. Sie trug auch im gerichtlichen Verfahren nichts Gegenteiliges vor. Auch die summarische Prüfung durch das Gericht ergibt keine Verletzung der Festsetzungen des Bebauungsplans. Insbesondere befinden sich die Wohnhäuser innerhalb der Baugrenzen, die zulässige Wandhöhe (festgesetzt: 6,25 m; genehmigt: 5,70 m) und Firsthöhe (festgesetzt: 11 m; genehmigt: 9,36 m) und die Nutzungsart der Vorhaben als Wohngebäude entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans.
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Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist damit nicht feststellbar. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und Beigeladenen übersteigt damit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem sich die Beigeladene jeweils durch eigene Anträge mit Schriftsätzen vom 2. Februar 2024 an den Verfahren beteiligt hat und sich damit dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten ersetzt bekommt, § 162 Abs. 3 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.10 und 1.5 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.