Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 03.04.2024 – AN 16 S 24.30731
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Armenien und Georgien (oU-Bescheid)

Normenkette:
AsylG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Die zum Schutzbereich der Rechte bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergangene Rechtsprechung kann bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG herangezogen werden, da hier in Bezug auf den Schutz von Ehe und Familie kein anderer, strengerer Maßstab zugrunde zu legen ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tatsache, dass weitere Familienmitglieder der Kernfamilie über ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, kann und muss auch unter Berücksichtigung der Qualität des Aufenthaltsrechtes ein in die Abwägung hinsichtlich des Erlasses einer Abschiebungsandrohung einzustellender Gesichtspunkt sein, darf aber nicht der allein ausschlaggebende sein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantrag offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, Kindeswohl, familiäre Bindungen, Aufenthaltsgestattungen von Mitgliedern der Kernfamilie, Abwägung im Einzelfall, Überwiegendes Interesse der Bundesrepublik Deutschland an Rückführung, offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Kindeswohl, familiäre Bindungen, Abwägung, Aufenthaltsrecht weiterer Mitglieder der Kernfamilie
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7656

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerinnen (Mutter und Tochter) sind armenische Staatsangehörige und reisten nach eigenen Angaben am 14. November 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
2
Ihre am 4. Januar 2023 gestellten Asylanträge begründeten sie damit, dass sie wegen gesundheitlicher Probleme einer weiteren jüngeren Tochter (geb. …2020) der Antragstellerin zu 1), welche an einem „Kurzdarm-Syndrom“ sowie einem angeborenen Herzfehler leide, nach Deutschland gekommen seien. Der Ehemann sowie die weitere jüngere Tochter der Antragstellerin zu 1), beide georgischer Staatsangehörigkeit, seien bereits am 29. Juli 2022 ins Bundesgebiet eingereist.
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Mit Bescheid vom 20. März 2024 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als jeweils offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Unter Ziffer 5 forderte sie die Antragstellerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werden sie nach Armenien oder nach Georgien abgeschoben. Die Antragsgegnerin erließ ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.
4
Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass vorliegend keinerlei Umstände geltend gemacht worden seien, die auf die Möglichkeit, internationalen Schutz erlangen zu können, hindeuten könnten. Die Antragstellerinnen hätten sich als Grund für ihre Anwesenheit im Bundesgebiet allein auf den Gesundheitszustand der weiteren Tochter der Antragstellerin zu 1) berufen. Auch lägen keine Abschiebungsverbote hinsichtlich Georgien oder Armenien vor. Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG sei eine Abschiebungsandrohung zu erlassen. Dieser stehe auch nicht die Rechtsprechung des EuGH (B.v. 15.2.2023, C-484/22 Rn. 24 f. und weitere) entgegen. Nach Kenntnislage des Bundesamtes lägen im Zeitpunkt der Asylentscheidung keine kindlichen und/oder familiären Belange gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Besondere familiäre Bindungen im Bundesgebiet hätten die Antragstellerinnen nicht, denn sowohl der Ehegatte als auch die zweite Tochter der Antragstellerin zu 1) seien ebenfalls nach erfolglosem Asylantrag (Bescheid vom 23. Februar 2024, Az. …, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Androhung der Abschiebung nach Georgien) ausreisepflichtig. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass den Antragstellerinnen – anders als dem Ehegatten und der weiteren minderjährigen Tochter der Antragstellerin zu 1) – auch die Abschiebung nach Armenien angedroht worden sei. Den Antragstellerinnen und ihrer Familie stehe es frei, ihre familiäre Gemeinschaft entweder in Georgien oder Armenien zu leben. Zwischen den beiden Ländern bestehe visafreier Grenzverkehr. Dass eine etwaige vorübergehende Trennung, die lediglich wenige Tage betragen würde, für die Antragstellerinnen und ihre Familie nicht zumutbar sei, sei weder vorgetragen noch sei solches sonst ersichtlich. Die minderjährige Antragstellerin zu 2), Stieftochter des Ehegatten der Antragstellerin zu 1), würde sich bis zur Familienzusammenführung in der Obhut ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1), befinden.
5
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 27. März 2024 haben die Antragstellerinnen gegen den Bescheid Klage erhoben. Der Ehemann und die weitere minderjährige Tochter der Antragstellerin zu 1) würden unter dem Az. AN 4 K 24.30541 ebenfalls ein Klageverfahren betreiben. Unter dem Az. AN 4 S 24.30540 sei die aufschiebende Wirkung der Klage zunächst angeordnet worden. Nun werde unter dem Az. AN 4 S 24.30659 ein Verfahren gemäß § 80 Abs. 7 VwGO geführt. Im Verfahren AN 4 K 24.30541 werde maßgeblich ein nationales Abschiebungsverbot bezüglich der Tochter wegen Krankheit geltend gemacht. Sollte ein solches festgestellt werden, würde sich zumindest die verfügte Abschiebungsandrohung im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, B.v. 15.02.2023, C-484/22, auch in hiesigem Verfahren als rechtswidrig darstellen. Die Antragstellerinnen beantragen die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im Klagesowie im Eilverfahren und die elektronische Behördenakte verwiesen.
II.
8
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin im Bescheid vom 20. März 2024 ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft und notwendig, weil die gleichzeitig erhobene Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat. Im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 AsylG ist die Abschiebungsandrohung gemäß § 36 Abs. 1 AsylG nach Ablauf der Ausreisefrist sofort vollziehbar. Hiergegen wenden sich die Antragstellerinnen.
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Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG wurde eingehalten.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
12
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält und der Richter – auch nach Abwägung aller für und gegen das Offensichtlichkeitsurteil sprechenden Faktoren – qualifizierte (erhebliche) Zweifel an der Entscheidung hat (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 97 ff.).
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An der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 20. März 2024 erlassenen Abschiebungsandrohung nach Armenien und Georgien und den sonstigen seitens der Antragsgegnerin getroffenen Verfügungen bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine ernstlichen Zweifel. Solche bestehen auch nicht im Hinblick auf die gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG getroffene Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes. Auf die Begründung des zutreffenden und ausführlichen Bescheides wird gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen. Ergänzend gilt Folgendes:
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a) Das Gericht hat vor dem Hintergrund der Ausführungen der Antragstellerinnen im Asylverfahren keinerlei ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Anknüpfungspunkte für die Zuerkennung von Asyl, internationalem Schutz oder von Abschiebungsverboten wurden auch im gerichtlichen Verfahren nicht im Ansatz dargetan.
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b) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht hinsichtlich der in Ziffer 5 gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG verfügten Abschiebungsandrohung. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG in der seit 27. Februar 2024 geltenden Fassung erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Damit wurden die Anforderungen des Art. 5 Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) in das nationale Recht übernommen, der verlangt, dass bei Erlass einer Rückkehrentscheidung die dort genannten Belange gebührend berücksichtigt werden (vgl. EuGH, B.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 23 ff.; U.v. 14.1.2021 – C-441/19 – juris Rn. 60; U.v. 8.5.2018 – C-82/16 – juris Rn. 102; U.v. 11.12.2014 – C-249/13 – juris Rn. 48).
16
Familiäre Bindungen, die dem Erlass einer Abschiebungsandrohung vorliegend entgegenstehen könnten, sind zwar insofern vorhanden, als sich der Ehemann und das weitere minderjährige Kind der Antragstellerin zu 1) derzeit ebenfalls (noch) rechtmäßigerweise in Deutschland aufhalten, allerdings sind die familiären Bindungen in einer Gesamtabwägung aller Umstände nicht derart schutzwürdig, dass damit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Ausgangsbescheid erlassenen Abschiebungsandrohung begründet wären.
17
Die Begrifflichkeiten der geschützten familiären Belange sowie des Kindeswohls iSd § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG sind in Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 7 EU-GR-Charta grundsowie europarechtlich verankert. Die zum Schutzbereich der Rechte bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergangene und im Folgenden zitierte Rechtsprechung kann bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG herangezogen werden, da hier in Bezug auf den Schutz von Ehe und Familie kein anderer, strengerer Maßstab zugrunde zu legen ist (so wohl auch VG München hinsichtl. Art. 5 RL 2008/115/EG, U.v. 3.4.2023 – M 27 K 22.30441 – juris Rn. 55 „in Anlehnung“ an Rechtspr. des BVerfG). Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem Beschluss des EuGH vom 15.2.2023 – C-484/22, der zur Reichweite des Schutzbereiches keine (neue) Aussage trifft, sondern mit Blick auf Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115/EG (lediglich) verlangt, dass der betreffende Mitgliedstaat vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegenüber einem Minderjährigen eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des Minderjährigen vornehmen und dabei das Wohl des Kindes gebührend berücksichtigen muss und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug dieser Rückkehrentscheidung geltend machen kann, um gegebenenfalls eine Aussetzung deren Vollzugs zu erwirken.
18
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG – für das Recht der Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 7 EU-GR-Charta gilt im Grundsatz nichts anderes (vgl. VGH Bad.-Württ., B.v. 25.7.2023 – 11 S 985/22 – juris Rn. 24) – keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde – im vorliegenden Fall das Bundesamt –, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.). Kann zur Vermeidung einer mit Blick auf das Wohl des Kindes unzumutbaren Trennungsphase die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, jedenfalls die einwanderungspolitischen Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 46).
19
Dies schließt es allerdings nicht aus, im konkreten Einzelfall sonstigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland Vorrang vor dem Wohl eines Kindes einzuräumen; dies gilt beispielsweise für das sicherheitspolitische Interesse, das Gemeinwesen vor Terrorismus, Betäubungsmittelkriminalität und Gewaltdelikten zu schützen. Denn selbst aus einer Zusammenschau von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG mit Art. 3, Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention folgt kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug. Das Kindeswohl ist zwar vorrangig zu berücksichtigen; es genießt aber keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2022 – 1 C 8.21 – juris Rn. 20 und v. 13.6.2013 – 10 C 16.12 – juris Rn. 24; VGH Bad.-Württ., B.v. 4.7.2023 – 11 S 448/23 – juris Rn. 11). Ein solcher ergibt sich aufgrund von Art. 52 Abs. 1 EU-GR-Charta auch nicht aus den in Art. 24 EU-GR-Charta verankerten Grundrechten des Kindes (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2023 – 19 CE 23.456 – juris Rn. 20 f.; VGH Bad.-Württ., B.v. 4.7.2023 – 11 S 448/23 – juris Rn. 11; EuGH, U.v. 11.3.2021 – C-112/20 – Rn. 41 und Wortlaut von Art. 5 RL 2008/115/EG „Wohl des Kindes in gebührender Weise berücksichtigen“).
20
Bei der Würdigung der Zumutbarkeit einer auf einen Elternteil bezogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme für die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist von erheblicher Bedeutung, ob es dem Kind und dem anderen Elternteil möglich ist und zugemutet werden darf, den von der Maßnahme betroffenen Ausländer ins Ausland zu begleiten oder ihm zeitnah dorthin zu folgen (vgl. VGH Bad.-Württ., B.v. 4.7.2023 – 11 S 448/23 – juris Rn. 12). Dies wird umso eher anzunehmen sein, je weniger der Aufenthalt des Kindes und des anderen Elternteils im Bundesgebiet gesichert ist und je weiter die Möglichkeiten der Familie gefächert sind, ihre schutzwürdige Gemeinschaft nach der Ausreise aus dem Bundesgebiet an einem anderen Ort unvermindert fortzuführen (vgl. zum letztgenannten Aspekt auch BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15.12 – juris Rn. 17). Ersteres betrifft vornehmlich Personen, die selbst vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer sind, Letzteres in erster Linie Mitglieder einer Familie, denen es voraussichtlich rechtlich wie tatsächlich möglich und zumutbar sein wird, gemeinsam oder in überschaubaren zeitlichen Abständen in einen bestimmten anderen Staat einzureisen und dort ihren Aufenthalt zu nehmen. Umgekehrt wird die Zumutbarkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG umso eher zu verneinen sein, je stärker der Aufenthalt des Kindes und des anderen Elternteils im Bundesgebiet gesichert ist und je weniger davon ausgegangen werden kann, dass es der Familie nach der Durchführung der Maßnahme möglich wäre und zugemutet werden darf, ihre schutzwürdige Gemeinschaft zukünftig im Ausland fortzuführen. Ersteres betrifft vor allem deutsche Staatsangehörige. Letzteres betrifft Fälle, in denen davon ausgegangen werden kann, dass es keinen anderen Staat als die Bundesrepublik Deutschland gibt, in dem es sämtlichen Mitgliedern der durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten Familie rechtlich und tatsächlich möglich sowie zumutbar wäre, einen gemeinsamen Aufenthalt zu begründen. Im Übrigen ist in Orientierung an den oben aufgezeigten Grundsätzen im jeweiligen Einzelfall zu würdigen, ob die den Mitgliedern der Familie mit einer Ausreise ins Ausland entstehenden Nachteile noch in einem angemessenen Verhältnis zu den einwanderungspolitischen Interessen, Sicherheitsinteressen und sonstigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland stehen, denen mit der auf ein Familienmitglied bezogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme Rechnung getragen werden soll (vgl. ausführlich VGH Bad.-Württ., B.v. 4.7.2023 – 11 S 448/23 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 25.7.2023 – 11 S 985/22 – juris Rn. 16 ff.). Die Tatsache, dass weitere Familienmitglieder der Kernfamilie über ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, kann und muss demnach auch unter Berücksichtigung der Qualität des Aufenthaltsrechtes („gesichert“) ein in die Abwägung einzustellender Gesichtspunkt sein, darf aber nach hiesiger Auffassung nicht der allein ausschlaggebende sein (offengelassen, ob ein bei Erlass einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot auch eine während des Asylverfahrens bestehende Aufenthaltsgestattung eines Mitglieds der Kernfamilie sein kann: BayVGH, B.v. 1.8.2023 – 2 ZB 23.30551 – juris Rn. 3; U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris Rn. 65).
21
Im Rahmen der im Einzelfall erforderlichen Abwägung ist vorliegend dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Rückführung der Antragstellerinnen Vorrang vor dem Wohl des Kindes sowie dem Schutz der Ehe und der Familie einzuräumen. Insbesondere stellt es im Lichte des Kindeswohles sowie des Schutzes der Ehe und Familie keine Rechtsverletzung dar, dass gegenüber den Antragstellerinnen eine Abschiebungsandrohung ergeht, auch wenn davon auszugehen ist, dass der Ehemann sowie die weitere minderjährige Tochter der Antragstellerin zu 1) (noch) über Aufenthaltsgestattungen gemäß § 55 AsylG verfügen. Den Antragstellerinnen ist vorliegend eine von den anderen Familienmitgliedern getrennte Ausreise zumutbar.
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Im Rahmen der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung, die eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß der vorgenannten Rechtsprechung darstellt, ist vorliegend das Kindeswohl der weiteren sich noch rechtmäßigerweise im Bundesgebiet aufhaltenden minderjährigen Tochter der Antragstellerin zu 1) zu berücksichtigen. Auch wenn diese nicht Adressatin der streitgegenständlichen Rückkehrentscheidung ist, genügt ihre Betroffenheit von einer gegenüber der Mutter und Antragstellerin zu 1) ergangenen Rückkehrentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris Rn. 63 m.w.N.). Daneben ist zu berücksichtigen, dass sich der Ehemann der Antragstellerin zu 1) derzeit ebenfalls noch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Aufgrund der Umzugsaufforderung der Regierung von … vom 11. Dezember 2023 (vgl. Bl. 162 der elektronischen Behördenakte) ist zudem davon auszugehen, dass die Familie zumindest zuletzt gemeinsam untergebracht war und in der zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft auch eine häusliche Gemeinschaft aus(ge)übt (hat).
23
Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung ist vorliegend zum einen zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt aller Familienangehörigen, insbesondere auch der des weiteren Kindes der Antragstellerin zu 1), in Deutschland in keiner Weise als „gesichert“ anzusehen ist, sondern auf Aufenthaltsgestattungen fußt, die diesen für die Dauer des Asylverfahrens gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG erteilt wurden und mangels eingetretener Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohungen bzw. Unanfechtbarkeit der Asylausgangsentscheidungen der Antragsgegnerin zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gemäß § 67 Nr. 4 oder Nr. 6 AsylG erloschen sind. Jedoch wurden sämtliche Asylanträge der Familienmitglieder mittlerweile als offensichtlich unbegründet abgelehnt, was gemäß § 36 Abs. 1 AsylG grundsätzlich eine einwöchige Ausreisefrist zur Folge hat. Die Aufenthaltsgestattungen der weiteren Tochter der Antragstellerin zu 1) sowie des Ehemannes sind allein deshalb noch nicht erloschen, weil die für georgische Asylkläger zuständige Kammer des hiesigen Gerichts am 18. März 2024 unter dem Az. AN 4 S 24.30540 aufgrund des damals noch laufenden Asylverfahrens der Antragstellerinnen und der darauf beruhenden Aufenthaltsgestattungen die aufschiebende Wirkung der unter dem Az. AN 4 K 24.30541 laufenden Asylklagen angeordnet hat. Ein Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ist unter dem Az.: AN 4 S 24.30659 bereits anhängig. Zu berücksichtigen ist vor diesem Hintergrund auch, dass der Trennungszeitraum der Familienmitglieder voraussichtlich nur von kurzer Dauer sein wird, da zeitnah damit zu rechnen ist, dass auch die Abschiebungsandrohungen gegen den Ehemann und die weitere minderjährige Tochter der Antragstellerin zu 1) vollziehbar werden und deren Aufenthaltsgestattungen erlöschen.
24
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine gelebte Familiengemeinschaft zwischen der Antragstellerin zu 1) und ihrer weiteren minderjährigen Tochter sowie dem Ehemann auch bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland über einen längeren Zeitraum nicht bestanden hat. Aufgrund eigenen Entschlusses sind die Antragstellerinnen erst am 14. November 2022 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, während der Ehemann der Antragstellerin zu 1) und die weitere minderjährige Tochter nach deren Angaben bereits im Juli 2022 eingereist sind. Nicht vorgetragen ist, dass und warum eine erneute vorübergehende Trennung für die Familie, insbesondere die weitere minderjährige Tochter, vor diesem Hintergrund eine unzumutbare Härte darstellen sollte. Ob der Antragstellerin zu 1) Sorge- und/oder Umgangsrecht für ihre weitere minderjährige Tochter obliegen, ist ebenfalls nicht bekannt. Nicht ersichtlich ist zudem, dass die Familiengemeinschaft nicht in absehbarer Zeit auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann und Deutschland das einzige Land ist, in dem dies möglich wäre. Insbesondere liegen keinerlei ärztliche Attest vor, aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass die Erkrankung der weiteren minderjährigen Tochter der Antragstellerin zu 1) allein in Deutschland behandelt werden könne und ihr Aufenthalt daher mit Blick auf § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dort geboten sei.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
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Die Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.