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AG München, Beschluss v. 17.04.2024 – 132 C 10483/24
Titel:

Verweisung eines Rechtsstreites auf den Verwaltungsrechtsweg mangels Vorliegens einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit

Normenkette:
BayKostenG Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 6 Abs. 1 S. 2, S. 3, Art. 20 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine öffentlich-rechtlich zu beurteilende Rechtsstreitigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn Normen des öffentlichen Rechts streitentscheidend und so klagebegründend oder -versagend sein werden, denen nur ein Träger staatlicher Gewalt unterfällt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach dem Bayerischen Kostengesetz bestimmt dieses über das, was von einer Behörde, die dem Freistaat Bayern angehört, als Kosten in Form von Gebühren und/oder Auslagen für Amtshandlungen erhoben werden kann, und ist einzige Voraussetzung einer Amtshandlung die Ausübung hoheitlicher Gewalt, mit anderen Worten das Tätigwerden als Obrigkeit. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsweg, bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, Verwaltungsrechtsweg, öffentlich-rechtliches Kostenrecht, Ausübung hoheitlicher Gewalt, Amtshandlungen, Amt für Wohnen, Wohnraum, Obdachlosigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7654

Tenor

Es handelt sich um keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist unzulässig.
Der Rechtsstreit wird auf den Verwaltungsrechtsweg und deswegen an das Verwaltungsgericht München verwiesen.

Gründe

I. Zum Sachverhalt:
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Die Klägerin macht Ansprüche aus abgetretenem Recht geltend, aus einem Vertragsverhältnis zwischen einem Wohnraum oder Beherbergung bietenden Unternehmen und dem Beklagten. Der Beklagte hatte sich an die Klägerin gewandt, als der nach Landesrecht zuständigen Sicherheitsbehörde für die Hilfe zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Diese hatte den Beklagten an ein Unternehmen vermittelt, das Notunterkunft anbot. Bereits im Vorfeld hatte die Klägerin im Rahmen einer Kooperation mit dem Unternehmen diesem mittels eines Rahmenvertrags Bezahlung zugesagt, gegen Abtretung von Ansprüchen aus zustande kommenden Verträgen zwischen dem Unternehmen und Untergebrachten. Die Klägerin nimmt in Anspruch, dass ein solcher Vertrag zwischen dem Unternehmen und dem Beklagten zustande gekommen sei und es sich, weil es sich dabei um einen zivilrechtlichen Vertrag handle und dieser die Klage begründe, auch um eine zivilrechtliche Streitigkeit handle.
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Hintergrund dessen ist, dass vor dem Verwaltungsgericht Klagen auf Kostenbeteiligung gegen Hilfebedürftige wiederholt abgewiesen worden waren, mangels Leistungsfähigkeit der Hilfebedürftigen.
II. Zur rechtlichen Bewertung:
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Auch dann, wenn ein Vertrag zwischen Unternehmen und Beklagtem zustande gekommen sein mag und die Entgeltansprüche aus diesem Vertrag an die Klägerin abgetreten wären, handelt es sich um eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende Streitigkeit: Eine öffentlich-rechtlich zu beurteilende Rechtsstreitigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn Normen des öffentlichen Rechts streitentscheidend und so klagebegründend oder -versagend sein werden, denen nur ein Träger staatlicher Gewalt unterfällt. Dies ist hier der Fall, weil öffentlich-rechtliches Kostenrecht streitentscheidend sein wird:
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A. Der Vortrag der Klägerin dazu, dass erst vor Ort bei dem Obdach bietenden Unternehmen ein Vertrag zustande gekommen sei, ist rechtlich fraglich, weil dann, wenn sämtliche Informationen zu dem behaupteten Vertrag – Platz, Dauer, Kosten – von Klägerseite mitgeteilt wurden und bei Verlassen der Behörde klar war, dass entsprechend der Zuweisung durch die Klägerin die Beklagtenpartei bei Ankunft in der Unterkunft dort bereits einen Platz haben würde, ein erneuter Vertrag fraglich erscheint: Jemand, der davon ausgeht, bereits Anspruch zu haben, erklärt dann mit der Inanspruchnahme der Leistung keine erneute Vertragsannahme. Allerdings beurteilt sich die Frage einer Zuständigkeit nicht nach der Schlüssigkeit des Vorbringens, sondern danach, wie der einem solchem Vorbringen zugrundeliegende Streit, wie er sich als „Gegenstand“ begreifen lässt, zu beurteilen ist.
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B. Was eine solche Beurteilung angeht, verkürzt die Klägerin dann künstlich den Begriff dessen, worum die Parteien streiten. Maßgeblich ist nicht, wie die Klägerin ihre Forderung begründet sieht, sondern wie bei „natürlicher Betrachtung“ und damit bei einer nicht aus ihren Zusammenhängen gerissenen Beschreibung das Geschehen aus unbeteiligter Sicht berichtet werden würde. Dann liegt auf der Hand, dass dieses Geschehen nicht erst dann beginnt, wenn der Beklagte nach der Erzählung der Klägerin beim wohnungsbietenden Unternehmen erscheint und dort nach Vorbringen und rechtlicher Bewertung der Klägerin erstmals einen Vertrag abschließt. Bei unbeteiligter Sicht beginnt das Geschehen als konkretes Streitgeschehen zwischen den Parteien in dem Moment, in dem sich der Beklagte an die Klägerin wandte und wegen drohender Obdachlosigkeit um Hilfe nachsuchte.
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Selbst wenn zeitlich nach diesem Beginn des Streitgeschehens die Klägerin auf die von ihr benannte Unterbringungsmöglichkeit verwies und vor Unterbringungsort dann gesonderte Vereinbarungen zwischen Beklagtem und Einrichtungsträger geschlossen worden wären und die Klägerin sich diese Ansprüche abtreten ließ, ändert dies nichts an dem, wie der Streit zu begreifen ist: Die Abtretung erfolgt im Rahmen einer Zahlungsvereinbarung mit den Einrichtungen, nach der die Klägerin die Unterbringungskosten übernimmt und so die Bezahlung des privaten Trägers verauslagt. Selbst wenn Zahlung aus abgetretenem Recht beansprucht wird, lässt sich auch dann nicht anders von der Forderung der Klägerin gegenüber dem Beklagten sprechen, als dass sie sich vom Beklagten zurückholt, was sie für diesen verauslagt und für ihn an Kosten hatte.
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Bei unbeteiligter Wiedergabe ihres Begehrens streitet die Klägerin also um Erstattung von von ihr durch Zusagen eingegangenen Zahlungsverpflichtungen und damit um Kostenbeteiligung daran, dass sie Hilfe zur Vermeidung von Obdachlosigkeit organisiert und bezahlt hat.
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2. Dies führt zu einer Beurteilung des Streits nach öffentlich-rechtlichen Normen: Der öffentlichen Hand und damit der Klägerin steht nicht offen, durch privatrechtliche Gestaltungen öffentlich-rechtliche Aufgaben in einer Art und Weise zu erledigen, dass damit bindende Kostengesetze und deren Kostenforderungsbegrenzungen umgangen würden. Die öffentlich-rechtlichen Kostengesetze gelten, und zwar sowohl in ihrer begründenden als auch in ihrer beschränkenden Wirkung, unabhängig davon, ob der Kostenanspruch durch Kooperation der Klägerin mit privaten Leistungserbringern und Übertragung deren Zahlungsansprüche auf die Klägerin gleichsam verdoppelt wird:
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a. Nach dem Bayerischen Kostengesetz bestimmt dieses über das, was von einer Behörde, die dem Freistaat Bayern angehört, als Kosten in Form von Gebühren und/oder Auslagen für Amtshandlungen erhoben werden kann, und ist einzige Voraussetzung einer Amtshandlung die Ausübung hoheitlicher Gewalt, mit anderen Worten das Tätigwerden als Obrigkeit.
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Die Klägerin hat als Sicherheitsbehörde die Aufgabe, persönlicher und gesellschaftlicher Verelendung vorzubeugen und damit Teil des staatlichen Wohlfahrt-Apparates ist. Teil dessen ist es, im Fall von Wohnungsnot Hilfestellungen zu bieten, um Obdachlosigkeit und das damit einhergehende Risiko von Entwurzelung, Verlust sozialen Netzes und sozialer Möglichkeiten zu vermeiden. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Tätigkeit im Interesse einzelner Betroffener, sondern um Gemeinwohlbelange, weil damit das grundlegende Funktionieren von Gesellschaft, die ein Maß an Menschenwürde wahren will, gesichert sein soll. Genauso wie Sozialhilfe handelt es sich um eine hoheitliche Aufgabe.
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Ausübung hoheitlicher Gewalt beschränkt sich dann nicht auf Freiheitseinschränkungen, sondern umfasst auch staatliche Gewährleistungen, und macht Art.3 Abs. 1 Nr.2 BayKostenG deutlich, dass Amtshandlungen auch vorliegen, wenn diese nicht überwiegend im öffentlichen Interesse und nicht schon von Amts wegen vorgenommen werden, sondern dass eine Amtshandlung auch im Interesse einzelner Personen erfolgen kann, die dann Kostenschuldner werden, vgl. Art.2 Abs. 1 S.1 BayKostenG. So ist etwa für den nach seinem Schutzauftrag dem streitigen Sachverhalt ähnlichen polizeilichen Schutzgewahrsam geklärt, dass es sich um einen Gebührentatbestand handelt, vgl. VG München M 7 K 19.800. Derjenige, der – ob mit oder ohne seinen Willen – zu seinem Schutz verwahrt wird, muss Gebühren dafür bezahlen. Dann sieht Art.6 Abs. 1 S.2,3 BayKostenG vor, dass auch für Amtshandlungen, die im Kostenverzeichnis nicht aufgeführt sind, Gebühren zu erheben sind, und ermöglicht Art.20 Abs. 1 BayKostenG den Gemeinden auch eine Kostensatzung. Der Klägerin steht so nach Kostenrecht offen, die von ihr im Rahmen ihrer sicherheitspolizeilichen, hoheitlichen Schutzaufgabe erfolgende Erfüllung des Schutzauftrags dem damit verbundenen Aufwand entsprechend in Rechnung zu stellen.
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b. Die Klägerin verlangt so vom Beklagten Entgeltung für Amtshandlungen.
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b.1. Die von der Klägerin gewählte Gestaltung, nach der sie mit den unterbringenden Einrichtungen Vereinbarungen tritt, nimmt ihrer Tätigkeit gegenüber dem Beklagten nicht die Eigenschaft solchen amtshandelnden Tätigwerdens. Der Umstand, dass die Klägerin sich privater Leistungserbringer bedient, mit diesen Verträge abschließt, diese bezahlt und sich im Rahmen dessen vorab Zahlungsansprüche abtreten lässt, dient nur der Vorbereitung eines amtlichen Handelns, weil die Klägerin sich damit die Möglichkeit erkauft, durch Vorhalt solcher Kontingente öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren, insbesondere in der Gewährleistung, dass im Winter niemand mangels eigener Möglichkeit, sich Unterkunft zu besorgen und dann mangelnder staatlicher Nothilfe erfrieren muss. Die Klägerin tritt in Erfüllung ihrer Aufgabe schlicht nicht als Wohnungsanbieter oder -vermittler in freiem Wettbewerb auf. Dies nimmt ihr in der Konsequenz auch die Möglichkeit, gegenüber Menschen, die ihre hoheitliche Hilfe beantragt haben, aus abgetretenem Recht ohne die Bindungen des Kostengesetzes tätig zu werden.
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b.2. Dass diese Bindungen öffentlichen Rechts auch notwendig sind, macht das Vorbringen der Beklagtenseite deutlich genug:
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b.2.1 Die Aufgabe staatlicher Hilfe zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist verknüpft mit spiegelbildlichem Bedarf auf Seiten dessen, der um solche Hilfe nachsucht. Auf der Hand liegt, dass der Staat in der Tätigkeit als Sicherheitsbehörde in diesem Bereich nicht als Wohnungsmakler auftritt. Der Staat bietet mit dem Amt für Wohnen keine Wohnungsbörse. Selbst auf die Idee, beim Amt für Wohnen und Migration vorbeizuschauen, um nach Vermittlung einer Wohnung zu fragen, dürfte kaum jemand kommen. Es geht bei typischer Betrachtung darum, dass die Ressourcen des Hilfebedürftigen nicht genügen, um auf dem freien Wohnungsmarkt Wohnraum zu erlagen, weil er für Teilnahme am Wohnungsmarkt zu wenig bietet oder zu wenig Zugang hat, mangels Einkommens oder Vermögen, mangels Sprachkenntnissen, mangels Kenntnissen von praktischen Gepflogenheiten und mangels sozialem Netz, so dass aus Sicht eventueller Vermieter in der Summe solcher Faktoren keine ausreichende Gewähr auf Zahlung von Mietzins vorhanden ist. Kurz gefasst wendet man sich nur an das Amt für Wohnen, wenn man subjektiv bei Beurteilung der eigenen objektiven Situation keine Aussichten hat, ohne Hilfe Wohnraum zu erhalten, solange sich nicht manche dieser Faktoren gebessert haben.
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Was so entsteht, ist ein Sondermarkt neben dem freien Wohnungsmarkt, der dadurch bedingt und gekennzeichnet ist, dass für solche Hilfebedürftigen der Staat über das Amt für Wohnen und dessen Handeln am Markt auftritt. Was die Beklagtenseite mit ihrem Vortrag sehr deutlich macht, ist dann, dass die auf diesem Sondermarkt entstehenden Preise für eine Unterbringung sich im Verhältnis zum normalen Wohnungsmarkt verschieben. Die typische Alternativlosigkeit der Situation eines Hilfesuchenden und die durch die Klägerin erfolgende zumindest praktische Vorfinanzierung durch Verbürgung anfallender Zahlungen schafft erhebliche Fehlanreize dafür, dass die privaten Unterbringungsanbieter geringwertigen Wohnungsraum zu höchstmöglichen Preisen vermieten und diese dann – mangels Marktmacht des Hilfebedürftigen – auch erzielen.
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b.2.2 Dies spielt für die Beurteilung insofern eine Rolle, als die Klägerin hiervon dann unmittelbar profitiert, weil sie geltend macht, aus abgetretenem Recht des Unterbringungsanbieters vorzugehen. Genau solchem Handeln der Klägerin steht Kostenrecht als öffentliche Normgebung entgegen. Der Klägerin steht nicht offen, für die Erfüllung ihrer Aufgabe durch Rahmenverträge an einem Sondermarkt teilzunehmen und dann dessen Profite gegenüber Hilfebedürftigen zu realisieren. Nur Kostensatzungen gewährleisten in ihrer Überprüfbarkeit und gleichen Geltung eine Kostenbeteiligung, die der Bindung des Staates an Gleichbehandlungsgrundsätze und dadurch notwendiger Orientierung an tatsächlicher Leistungsfähigkeit von Hilfebedürftigen genügt. Der Umstand, dass es sich um einen Gebührentatbestand handelt, verhindert auch Streit um sittenwidrig vereinbarte Forderungshöhen, und würde gleichheitsgemäße Kostenbeteiligung ermöglichen, etwa in Form einer sonst nicht stattfindenden Koppelung der geschuldeten Gebühr an zugewiesene Raumgröße und -belegung.
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3. Solcher Bewertung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit steht genau deswegen auch nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BGH, Urteil vom 07.02.1985, Az. III ZR 179/83 entgegen. Die Klägerseite macht zwar geltend, dass Kostenrecht nicht für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich sei, weil sich die Klägerin entschieden habe, sich zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht des öffentlichen Rechts zu bedienen, sondern die Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe mit Mitteln des Privatrechts zu bewerkstelligen. Die Entscheidung des BGH beschränkt sich aber nicht auf das „Bewerkstelligen mit Mitteln des Privatrechts“, sondern führt wörtlich fort, dass keine öffentlich-rechtlichen Normen oder Rechtsgrundsätze entgegenstehen dürfen. Genau dies ist hier aber der Fall.