Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 12.04.2024 – 206 StRR 129/24
Titel:

Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung und Schuldspruchkorrektur nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht

Normenketten:
StPO § 318, § 354 Abs. 1
KCanG § 34 Abs. 3 Nr. 4
Leitsätze:
1. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist dann unwirksam, wenn das angewandte Strafgesetz nicht mehr gilt (hier: durch Inkrafttreten des CanG). Die eingetretene Rechtskraft ist dann zu durchbrechen und der Schuldspruch ggf. bereits durch das Revisionsgericht zu berichtigen (vgl. im Einzelnen Senat BeckRS 2024, 7422). Dies gilt auch bei einer zuvor erfolgten Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht. (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG ist bei Überschreitung der auf Grundlage des nunmehrigen Willens des Gesetzgebers ggf. neu zu bestimmenden "nicht geringen Menge" von Cannabis nicht automatisch erfüllt, sondern es ist eine Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen vorzunehmen.   (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
KCanG, Cannabis, Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch, Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung, Schuldspruchberichtigung, Aufhebung und Zurückverweisung, Regelbeispiel, nicht geringe Menge, nicht geringe Menge Cannabis, Gesamtwürdigung, milderes Gesetz, aufgehobenes Strafgesetz
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Urteil vom 19.12.2023 – 2 NBs 303 Js 144357/22 (2)
AG Augsburg vom -- – 303 Js 144357/22
AG Augsburg, Urteil vom 15.05.2023 – 41 Ls 303 Js 144357/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7585

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird
1. der Schuldspruch aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 15. Mai 2023 mit der Liste der angewandten Strafvorschriften wie folgt geändert:
Der Angeklagte ist schuldig des unerlaubten Besitzes von Cannabis.
Angewandte Strafvorschriften: §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 1, 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) KCanG.
2. das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Dezember 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des gegenständlichen Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 15. Mai 2023 wurde der Angeklagte des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Das Amtsgericht legte der Verurteilung zu Grunde, dass der Angeklagte am 25. März 2022 in seiner Wohnung insgesamt 162,49 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC unerlaubt aufbewahrt hatte. Die unbeschränkte Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil wurde vom Landgericht Augsburg mit Urteil vom 11. Juli 2023 verworfen. Seine Revision führte mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27. Oktober 2023 zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Dezember 2023 wurde der Angeklagte daraufhin zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. In Ergänzung der amtsgerichtlichen Feststellungen stellte das Landgericht fest, dass der Angeklagte das Cannabis selbst in seiner Wohnung angebaut und zur Schmerzlinderung eingesetzt hatte.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
3
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 18. März 2024 beantragt, die Revision kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
II.
4
Die zulässige Revision führt auf Grund des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (Bundesgesetzblatt Teil I 2024 ausgegeben zu Bonn am 27. März 2024 Nr. 109) zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des angegriffenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
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1. In Art. 1 des CanG wird das Konsumcannabisgesetz (KCanG) eingeführt, welches vorliegend einschlägig ist. Dass der Angeklagte das bei ihm aufgefundene Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendete, führt nicht zur Anwendung des in Art. 2 CanG eingeführten Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG), da das gegenständliche Cannabis nicht unter staatlicher Kontrolle angebaut wurde §§ 1, 2 Nr. 1 MedCanG. Auf Grund der in Art. 3 CanG vorgenommenen Änderungen des BtMG und seiner Anlage I unterfällt Cannabis dem BtMG nicht mehr. Der Angeklagte ist jedoch nicht freizusprechen, da nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 1, 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) KCanG der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis strafbar bleibt. Auf Grund der geringeren Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) ist das KCanG anzuwenden, § 2 Abs. 3 StGB.
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Die vorliegend infolge des Beschlusses des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27. Oktober 2023 eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs steht dem nicht entgegen (Fischer, Kommentar zum StGB, 71. Aufl., Rn. 12 zu § 2). Dieser ist vom Revisionsgericht neu zu fassen (so bereits BGH, Urteil vom 22. Januar 1974 – 1 StR 490/73 –, juris, Rn. 4; BGH, Urteil vom 12. Februar 1974 – 1 StR 610/73 –, juris Rn. 7) und führt zur tenorierten Fassung, der die hierfür ausreichenden Feststellungen des insoweit rechtskräftigen (ersten) Berufungsurteils des Landgerichts Augsburg vom 11. Juli 2023 zu Grunde liegen.
7
2. Das angegriffene (zweite) landgerichtliche Urteil vom 19. Dezember 2023, welches nur noch über die Rechtsfolgen zu befinden hatte, konnte keinen Bestand haben, da die Erwägungen zur Strafzumessung der neuen Rechtslage nicht entsprechen.
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Zwar hat das Landgericht ausdrücklich darauf verwiesen, dass nach dem seinerzeitigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens zukünftig „der Besitz von Cannabis in nicht geringer Menge in der Regel als besonders schwerer Fall zu werten (sei), der einen Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren (vorsehe), also dem (vom Landgericht) angewandten Strafrahmen“ (§ 29 a Abs. 2 BtMG) entspreche (UA S. 6 unten) und damit auf den letztlich in Kraft getretenen § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG rekurriert. Die indizielle Wirkung des Regelbeispiels werde – so das Landgericht – vorliegend nicht durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet, weshalb kein Anlass bestanden habe „im Vorgriff auf die vorgesehene Gesetzesänderung eine noch mildere Strafe als eine solche von 8 Monaten zu verhängen“ (UA S. 7 oben).
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Diese „im Vorgriff“ auf das KCanG angestellten Überlegungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung jedoch letztlich nicht stand. Das Landgericht hatte bei einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC nach der damaligen Rechtslage und ständigen Rechtsprechung zwar keinen Anlass, an der „nicht geringen Menge“ des gegenständlichen Cannabis im Sinne des § 29a BtMG zu zweifeln, welche bei 7,5 Gramm angenommen wurde (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, § 29a Rn. 63). Der Gesetzgeber hat jedoch mit dem CanG eine „geänderte Risikobewertung“ hinsichtlich dieses Betäubungsmittels vorgenommen (BT-Drucksache 20/8704 S. 69) und geht davon aus, dass die Höhe der „nicht geringen Menge“ nach Inkrafttreten des KCanG deutlich höher liegen werde als nach der bisherigen Rechtsprechung (BTDrucksache 20/10426 S. 140). Die Strafwürdigkeit des Besitzes von Cannabis ist daher nunmehr neu zu bewerten und kann sich nicht im Rückgriff auf herkömmliche Rechtsprechung erschöpfen.
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Selbst bei einer Überschreitung der durch die Rechtsprechung definierten „nicht geringen Menge“ des § 29a Abs. 1 Ziff. 2 BtMG um das Vielfache ist regelmäßig ein „minder schwerer Fall“ gem. § 29a Abs. 2 BtMG zu prüfen (ständige Rechtsprechung; für die 11-fache Menge: BGH, Beschluss vom 10. April 1990, 4 StR 148/90, juris Rn. 12). Auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG ist nicht „automatisch“ bei Überschreitung der (noch zu definierenden) „nicht geringen Menge“ von Cannabis erfüllt. Vielmehr können nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe gegen die Anwendung des erhöhten Regelstrafrahmens sprechen (BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 5 StR 37/16 –, juris, Rn. 7). Vorliegend hat das Landgericht – nach damaliger Rechtslage nicht zu beanstanden – einen minder schweren Fall gem. § 29a Abs. 2 StGB angenommen und hierfür zutreffend eine Vielzahl erheblicher Milderungsgründe angeführt. Diese sprechen jedoch ebenfalls gegen die Anwendung des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG. Insbesondere die gesetzgeberische Wertung, wonach der Besitz von Cannabis zum Eigenverbrauch weniger strafwürdig ist (§ 35a KCanG), schlägt ganz erheblich zu Gunsten des nicht vorbestraften, geständigen Angeklagten zu Buche. Hinzu kommt der festgestellte medizinische Bedarf des Angeklagten, der das Cannabis zur Schmerzlinderung verwendete.
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Nachdem die Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG daher eher fern liegt, bedarf es im vorliegenden Verfahren noch keiner Neudefinition der „nicht geringen Menge“ von Cannabis durch den Senat. Sollte die nunmehr befasste Strafkammer dennoch zu einer Anwendung der Vorschrift gelangen, wäre die vom Senat tenorierte Liste der angewandten Strafvorschriften entsprechend zu ergänzen.
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Das angefochtene Urteil war daher mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben, § 349 Abs. 4 StPO.
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3. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).