Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 11.04.2024 – 17 U 2234/23
Titel:

Kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Dieselfall nach Verhaltensänderung des Fahrzeugherstellers

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG_FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, § 5 Abs. 2
Leitsatz:
Hat der Fahrzeughersteller vor Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des für die Gewähr des Differenzschadens maßgeblichen Erfahrungssatzes in Frage stellen, dass der Geschädigte den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Differenzschaden, fehlende Kausalität, Verhaltensänderung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 10.10.2023 – 74 O 642/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7564

Entscheidungsgründe

1
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 10.10.2023, Az. 74 O 642/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
3
Die Klagepartei nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr am 01.03.2019 als Gebrauchtwagen von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler mit einer Fahrleistung von 52.933 km erworbenen Pkw Audi A8 3.0 TDI (193 kW) in Anspruch. Das Fahrzeug wurde am 13.03.2019 an den Kläger übergeben. Die Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug entwickelt und hergestellt und mit einem 3.0 l V6-Turbodieselmotor ausgestattet.
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Es verfügt über zwei Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes: Zum einen kommt ein SCR-Katalysator, der mit AdBlue betrieben wird, zum Einsatz, zum anderen die sogenannte Abgasrückführung.
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Bei dem Fahrzeug war vor Übergabe eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware am 05.03.2019 vorgenommen worden. Zuvor hatte das KBA das Software-Update für die Fahrzeuge des Typs Audi A8 3.0 TDI, 193 KW mit Bestätigung vom 26. November 2018 freigegeben.
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Der Kläger ist Rechtsanwalt und hatte vor dem streitgegenständlichen Erwerb als Prozessbevollmächtigter anderer Kläger in Parallelverfahren die Beklagte bereits in mehreren Fällen außergerichtlich angeschrieben und zur Rückabwicklung diverser Kaufverträge sowohl über Fahrzeuge mit V-TDI-Motor als auch anderen Motoren (EA189, EA288) aufgefordert.
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Zum 12.09.2023 betrug die Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 156.489 km.
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In einer Pressemitteilung vom 21.07.2017 (Anlage B6) hatte die Beklagte unter anderem mitgeteilt, dass sie für Kunden in Europa und weiteren Märkten ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge anbiete. Insgesamt könnten bis zu 850.000 Autos, die mit dem Sechszylinderund Achtzylinder-Dieselmotor ausgestattet seien (V6/V8 TDI, EU5/EU6), eine neue Software bekommen. Hierdurch werde das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert. Die Aktion werde in enger Abstimmung mit dem KBA erfolgen. Ihr, der Beklagten, sei bekannt, dass die laufenden KBA-Maßnahmen noch nicht abgeschlossen seien. Sollten sich hieraus weitere Konsequenzen ergeben, werde sie die erforderlichen technischen Lösungen als Teil des Nachrüstprogramms EU5/EU6 im Interesse der Kunden selbstverständlich zügig umsetzen.
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Das KBA gab in einer Pressemitteilung vom 23.01.2018 (Anlage B7) bekannt, dass bei seiner Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5 und Q7, unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen worden seien. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion springe bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. Das KBA habe deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen.
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Auch die Presse und landesweite Medien berichteten in der Folge zum Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps.
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Ab dem 25.01.2018 unterrichtete die Beklagte ihre Vertragshändler und Servicepartner über die für die Kommunikation mit diesen eingerichteten internetbasierten Plattform „AUDI Partner Portal“ (APP) unter der Überschrift „V6-/V8-TDI: Kundeninformation beim Verkauf von Fahrzeugen“ (Anlage B1) darüber, dass „vom Kraftfahrtbundesamt für Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren Rückrufe angeordnet“ worden seien. Insgesamt seien rund 170.000 Fahrzeuge mit der Abgasnorm EU6 betroffen. Die betroffenen Modelle könnten im Handel sicher identifiziert werden. Sie, die Beklagte, arbeite im Dialog mit dem Kraftfahrtbundesamt mit Hochdruck an der Abstimmung der Softwarelösungen. Sodann wurde gebeten, folgendes zu beachten: „Wenn ein betroffenes Fahrzeug ohne durchgeführtes Update verkauft wird, besteht eine Hinweispflicht an den Kunden. Es muss sichergestellt werden, dass diese Hinweispflicht bei Verkäufen aus dem Gebrauchtwagenbestand umgesetzt wird. […] Für die Hinweispflicht benutzen Sie bitte das folgende Musterschreiben: […]“.
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In dem Musterschreiben (sog. „Beipackzettel“; Anlage B4) heißt es unter anderem: „wir freuen uns, dass Sie Interesse am Kauf dieses Fahrzeugs Fahrgestellnummer […] der Marke Audi haben. Wie Sie sicherlich aus der Presse bereits entnommen haben, bietet Audi für Kunden ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. Durch die Nachrüstung werde das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb weiter verbessert. Dies werde in enger Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) erfolgen. Damit will Audi dazu beitragen, die Gesamtemissionen in Innenstädten zu reduzieren. Für diese 850.000 Fahrzeuge werden in Absprache mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) Software-Updates durchgeführt, die zum Teil angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Das vorliegende Fahrzeug gehört zu dieser Gruppe. Audi arbeitet mit Hochdruck daran, die neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und dann von den Behörden freigeben zu lassen. […]“.
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Die Klagepartei hat behauptet, der Kaufpreis habe 73.290,00 € brutto betragen. Der Kläger habe für seinen VW Phaeton, den er an die Beklagte übergeben habe, von dieser eine sogenannte „Wechselprämie“ in Höhe von 7.500,00 € erhalten, welche vom Kaufpreis abgezogen worden sei. Nach Abzug eines weiteren Rabatts in Höhe von 890,00 € habe der Kläger 64.900,00 € zuzüglich eines Betrags von 6.855,00 € für eine Garantieverlängerung für das erworbene Kfz bezahlt. Hätte er von der Abgasmanipulation gewusst, hätte er den streitgegenständlichen Audi nicht gekauft und auch die Zusatzversicherung nicht abgeschlossen, sondern hätte seinen VW Phaeton weitergefahren, jedoch dann die 7.500,00 € Wechselprämie nicht erhalten. Das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters. Er habe nicht seit spätestens März 2019 positive Kenntnis von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt. Er habe auch nicht im März 2019 von der Beklagten ein individuelles Halteranschreiben bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs erhalten, in welchem er über den angeordneten Rückruf durch das KBA und das Erfordernis eines Updates informiert worden sei. Die Beklagte schulde die Zahlung des Differenzschadens in Höhe von 15% des Kaufpreises.
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Die Klagepartei hat in erster Instanz zunächst Rückabwicklung des Kaufvertrags begehrt und zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 11.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit 02.03.2023 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 02.03.2023 mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwalts in Höhe von 2.660,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
15
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags eingewandt, dass ihr im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden könne. Die Klagepartei habe das Fahrzeug zu einem Zeitpunkt erworben, als sie, die Beklagte, bereits konkrete Schritte zur Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet, sich im Austausch mit dem KBA zur Abstimmung der Softwarelösungen befunden und ihre Vertragshändler angewiesen gehabt habe, Fahrzeuge des betreffenden Fahrzeugtyps ohne Software-Update nur nach vorheriger Aufklärung durch Übergabe eines „Beipackzettels“ zu verkaufen. Zudem hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
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Das Landgericht Regensburg hat mit Endurteil vom 10.10.2023, das am 10.10.2023 an den Klägervertreter zugestellt wurde, die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
18
Es könne dahinstehen, ob dem Kläger ein deliktischer Schadensersatz zusteht, weil die Beklagte sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet habe. Ein derartiger Anspruch wäre jedenfalls wegen der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede nicht mehr durchsetzbar. Der Kläger habe bereits im Jahr 2019 Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt, da er als Prozessbevollmächtigter die Beklagte in anderweitigen V-TDI-Verfahren außergerichtlich zur Rückabwicklung von Kaufverträgen aufgefordert habe unter anderem mit Schreiben vom 04.01.2019 und vom 13.02.2019.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer am 09.11.2023 eingegangenen Berufung, die innerhalb verlängerter Begründungsfrist mit am 08.01.2023 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet wurde.
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Die Klagepartei verfolgt mit der Berufung die in erster Instanz zuletzt geltend gemachten Ansprüche weiter. Das Landgericht habe verkannt, dass die Rechtslage hinsichtlich einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Absatz 1 EG-FGV bis zu den BGH-Urteilen vom 26.06.2023 in einem die Unzumutbarkeit der Klageerhebung begründenden Maße zweifelhaft gewesen sei. Daher könne sich die Beklagte nicht auf Verjährung berufen. Dem Anspruch könne auch nicht eine – angeblich nicht bestrittene – allgemeine Kenntnis des Klägers vom Abgasskandal entgegengehalten werden. Die Kenntnis über andere Motoren des Herstellers VW hinsichtlich der Motoren EA189 und EA288 habe zum einen nicht mit der hiesigen Abgasproblematik bezüglich des Herstellers Audi zu tun. Zum anderen sei die Absicht der Klagepartei, diesen Umstand bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen des Klägers hervorgegangen.
21
Die Klagepartei beantragt daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 11.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit 02.03.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwalts in Höhe von 2.660,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die ergangene Entscheidung. Die Klagepartei habe als Halterin eines betroffenen Fahrzeugs der Beklagten spätestens bis zum Ende des Jahres 2019 von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners positive Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nummer 2 Alt.1 BGB gehabt. Schließlich sei der Kläger schon vor Erwerb seines Fahrzeugs für andere Käufer als anwaltlicher Vertreter außergerichtlicher Schreiben an die Beklagte gerichtet in Bezug auf Fahrzeuge mit V-TDI-Motor aufgetreten. Zudem habe sowohl durch eigene Maßnahmen als auch durch Rückrufe des KBA, Pressemitteilungen der Beklagten und des KBA sowie Betroffenheitsabfragemöglichkeit und Medienberichterstattung verjährungsrelevante Kenntnis der Klagepartei im Jahr 2019 bestanden. Die Verjährung sei auch im Hinblick auf den geltend gemachten Differenzschaden eingetreten.
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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 08.01.2024, die Berufungserwiderung vom 05.03.2024 sowie den klägerischen Schriftsatz vom 08.04.2024 Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung ist offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg. Der Senat hat die Einwände der Klagepartei gegen die Entscheidung des Landgerichts geprüft und gewürdigt. Das Berufungsvorbringen reicht jedoch nicht aus, um dem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, für die Klagepartei günstigere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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1. Der geltend gemachte Anspruch ist dem Grunde nach nicht gemäß § 826 BGB gegeben.
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Die Klagepartei ist ihrer Darlegungs- und Beweislast für das Fortbestehen der objektiven Sittenwidrigkeit bis zum Eintritt des Schadens nicht nachgekommen. Hat das KBA vor Erwerb des Fahrzeugs durch den Geschädigten wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen Maßnahmen angeordnet, insbesondere vom Hersteller die Entwicklung eines Software-Updates zur Entfernung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verlangt, und wurde darüber in den Medien berichtet, obliegt es dem Geschädigten, das Nichtvorliegen vom Schädiger behaupteter Umstände zu beweisen, welche die Beurteilung seines Verhaltens als nicht sittenwidrig wegen einer Verhaltensänderung rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 533/21, amtl. Leitsatz und Rn. 22 m.w.N.). Insoweit hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass nach eigener Pressemitteilung und einer solchen des KBA vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs in der überregionalen Presse berichtet wurde und die Vertragshändler angewiesen wurden, Fahrzeuge nur unter Beigabe eines Beipackzettels zu veräußern. Die Klagepartei hat diese Maßnahmen nicht bestritten. Insbesondere genügt es hierfür nicht, den Erhalt des individuellen Halteranschreibens aus März 2019 zu bestreiten.
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2. Im Hinblick auf den geltend gemachten Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fehlt es am Nachweis einer Kausalität, dass die Klagepartei das Fahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht zu dem Kaufpreis gekauft hätte.
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Auch bei der Prüfung eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist die oben festgestellte Verhaltensänderung zu bewerten. Hat der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das wie in den Fällen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erst begründet (vgl. zu § 826 BGB nur BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 31), dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des für die Gewähr des Differenzschadens maßgeblichen Erfahrungssatzes in Frage stellen, dass der Geschädigte den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Anders als bei der Frage, ob das Verhalten des Fahrzeugherstellers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch sittenwidrig war, muss allerdings nicht der Käufer, sondern der Fahrzeughersteller zur Widerlegung des Erfahrungssatzes die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 unter IV.3; BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 533/21 –, Rn. 35, juris).
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Die vorstehend näher dargestellte Verhaltensänderung des Fahrzeugherstellers in Zusammenschau mit der medialen Verbreitung des Dieselskandals betreffend die V-TDI Motoren der Beklagten ist letztlich unstreitig geblieben. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger persönlich als Bevollmächtigter von Käufern gerade auch von mit V-TDI-Motoren ausgestattenen Fahrzeugen vor Erwerb des Fahrzeugs gegenüber der Beklagten Rückabwicklungsansprüche, somit deliktischen Schadensersatz, geltend gemacht. Hieraus lässt sich zum einen entnehmen, dass dem Kläger mit Sicherheit der Dieselskandal auch bezüglich der V-TDI-Motoren bekannt war und er deshalb Veranlassung hatte, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Betroffenheit desselben zu überprüfen. Der oben dargestellte Erfahrungssatz, wonach der Käufer in Kenntnis der Ausstattung des Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen den Kaufvertrag nicht zu dem vereinbarten Preis abgeschlossen hätte, ist daher vorliegend erschüttert. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klagepartei hat aber hierzu lediglich pauschal ausgeführt, ohne hierzu individuelle Umstände vorzutragen. Es fehlt daher auch an einer Anfangswahrscheinlichkeit für die angebotene Parteivernehmung des Klägers gemäß § 448 ZPO.
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3. Jedenfalls hat aber das Landgericht richtig erkannt, dass sämtliche deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche der Klagepartei wegen Verjährung gemäß § 214 BGB nicht mehr durchsetzbar sind.
31
Das Landgericht hat den Beginn der Verjährungsfrist zutreffend errechnet und richtig erkannt, dass die erst im Jahr 2023 erhobene Klage des Klägers nicht mehr geeignet war, die bereits abgelaufene Verjährungsfrist zu hemmen.
32
In Fällen der vorliegenden Art genügt es für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sog. Diesel-Abgas-Skandal im Allgemeinen, von der Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – ZR 365/21, Rn. 17 m.w.N.).
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Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls bei Erwerb des Fahrzeugs 2019 allgemeine Kenntnis vom sog. Diesel-Abgas-Skandal auch bezogen auf die von der Beklagten hergestellten V-TDI-Motoren hatte. Dies ergibt sich schon aus dem medialen Echo des Diesel-Skandals ab Herbst 2015 und bezogen auf die V-TDI-Motoren der Beklagten seit Ende des Jahres 2017, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung dem Kläger nicht entgangen sein kann. Auch bezogen auf die mit V-TDI-Motoren ausgestatteten Audi-Fahrzeuge wurde die Betroffenheit vom sog. Diesel-Abgas-Skandal unmittelbar nach seinem Bekanntwerden ab Ende des Jahres 2017 sowohl durch die Medien als auch aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Beklagten umfassend medial aufgearbeitet. Insoweit kam es zu einer Vielzahl von Presseberichten, TV- und Rundfunkbeiträgen sowie Online-Berichterstattungen. Die diesbezüglichen Darlegungen der Beklagten (Seiten 22 ff. der Klageerwiderung vom 13.06.2023) wurden seitens des Klägers in der Sache nicht bestritten und sind deshalb als unstreitig zugrunde zu legen. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen Ob der Kläger auch bereits im Jahr 2019 positive Kenntnis von der konkreten Betroffenheit des erworbenen Fahrzeugs erlangt hatte, wofür die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit spricht, kann offen bleiben.
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Denn jedenfalls steht der positiven Kenntnis gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klagepartei von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs gleich.
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Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben. Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung vom Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – ZR 396/21, Rn. 23 – 25 m.w.N.).
36
Nach diesen Maßstäben war der Kläger, der nach den Feststellungen des Landgerichts bereits vor Erwerb des Fahrzeugs im Jahr 2019 die Beklagte zur Geltendmachung deliktsrechtlicher Schadensersatzansprüche als Bevollmächtigter anderer Käufer von V-TDI Dieselfahrzeugen angeschrieben hat, zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten, zu ermitteln, ob sein Fahrzeug von dem sog. Dieselskandal betroffen war.
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Der Kläger hatte somit jedenfalls bis Ende 2019 Veranlassung, die Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Das etwaige Unterbleiben einer Halterinformation mittels Kundenanschreibens bis dahin begründete kein berechtigtes Vertrauen darauf, dass sein Fahrzeug nicht betroffen sei. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sog. Dieselskandals verstrichenen Zeitraums hätte für den Kläger Anlass bestanden, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren, wobei entsprechende Informationsmöglichkeiten nicht nur im Internet zur Verfügung standen, sondern etwa auch über die Vertragshändler zu erlangen waren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig (vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2022 – ZR 679/21 und ZR 692/21, jeweils Rn. 30 – 32).
38
Es war daher dem Kläger jedenfalls im Jahr 2019 auch zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2022 – ZR 679/21 und ZR 692/21, jeweils Rn. 33 – 36; BGH, Urteil vom 15.02.2024, ZR 446/21, Rn. 22).
39
Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
40
Die Verjährung erstreckt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch auf einen möglichen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Absatz 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nummer 715/2007, wie der BGH jüngst entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2024, ZR 446/21, Rn. 27 f).
41
Der Verjährung gemäß §§ 194 ff BGB unterliegt der materiell-rechtliche Anspruch nach § 194 Abs. 1 BGB. Dies ist der auf Schadensersatz gerichtete mögliche Anspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung. Die unerlaubte Handlung soll nach dem Vortrag des Klägers darin liegen, dass die Beklagte durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht habe, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert gewesen sei, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf den Prüfstand eingehalten worden seien, und sie sich insoweit die Arglosigkeit sowie das Vertrauen des Klägers in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gezielt zu Nutze gemacht habe. An dieses Verhalten knüpft sowohl die Haftung aus § 826 BGB als auch die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 an. Für die Verjährung des darauf beruhenden einheitlichen materiell-rechtlichen Anspruchs gelten keine anderen Voraussetzungen als die, die auf der Grundlage des § 826 BGB gelten. Dies zeigt sich darin, dass für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 Nummer 2 BGB nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger innerhalb eines einheitlichen materiell-rechtlichen Anspruchs die einschlägige Anspruchsgrundlage ermittelt (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2024, ZR 446/21, Rn. 27 f m.w.N.). Denn dem auf §§ 826, 31 BGB gestützten „großen“ Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 BGB iVm §§ 6 27 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (BGH, Urteil vom 26.06.2024 – VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 45, beck-online). Die Behauptung des Klägers, vor den Grundsatzentscheidungen des BGH vom 26.06.2023 zum Differenzschaden sei ihm die Klageerhebung nicht zumutbar gewesen, widerspricht der Tatsache, dass die Klage vorliegend vor dem genannten Datum erhoben worden war.
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4. Den Kläger kann auch kein auf Herausgabe des Erlangten gerichteter Restschadensersatzanspruch nach § 852 Satz 1 BGB zuerkannt werden.
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Beim Erwerb eines Gebrauchtwagens ist ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 Satz 1 BGB nicht gegeben. Hier hat die verklagte Herstellerin im Verhältnis zum geschädigten Kläger aus dem Fahrzeugverkauf an diesen nichts erlangt. In mehraktigen Fällen wie bei dem Kauf eines von der Herstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebrachten und von dem Geschädigten erst später von einem Dritten erworbenen Gebrauchtwagens führt der letztgenannte Erwerbsvorgang zu keiner Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und der Herstellerin. Denn der Herstellerin, die einen etwaigen Vorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs als Neuwagen realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem im Abschluss des ungewollten Vertrags liegenden Vermögensschaden des Geschädigten durch ihre unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu. Bei einem Gebrauchtwagenverkauf, der zwischen dem klagenden Geschädigten und einem Dritten abgeschlossen wird, partizipiert die Herstellerin weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag, sei es, dass der Gebrauchtwagen von einer Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB aus (BGH, Urteile vom 10.02.2022 – ZR 692/21, Rn. 43 – 45, juris sowie ZR 365/21, Rn. 28-30, juris; Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 57/21, Rn. 14, juris).
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
45
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.100,00 EUR festzusetzen.
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Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.