Inhalt

OLG München, Endurteil v. 06.03.2024 – 7 U 4441/21
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz (auch nicht Differenzschaden) im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q7 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit ein manipuliertes Diagnosesystem (OBD) eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen sollte, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein fehlerhafter Sensor zur Kontrolle der Befüllung des AdBlue Tanks stellt keine Abschalteinrichtung dar, da nicht dieser Sensor, sondern die ggf. falsche Befüllung des AdBlue Tanks vermindernd auf das Abgasreduktionssystem einwirkt. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Durch ein Thermofenster, welches in einem Temperaturbereich von 0° C bis 42° C volle Wirksamkeit der Abgasreinigung aufweist, wird die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, nicht reduziert. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 l V6-Dieselmotor, EA 897, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, OBD, Sensor des AdBlue-Systems, normaler Fahrzeugbetrieb, Differenzschaden
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 10.06.2021 – 32 O 15186/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7529

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10.06.2021, Az. 32 O 15186/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheit in Höhe von 110% abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 09.10.2015 bei der C. & S. GmbH & Co. KG in M. den streitgegenständlichen, von der Beklagten hergestellten Audi Q7 3.0 TDI, quattro, FIN: …590 zu einem Preis von 84.148,45 € brutto (70.712,98 € netto) als Neufahrzeug. Die Klägerin hat das Fahrzeug am 23.06.2020 bei einem Kilometerstand von 45.818 km zu einem Preis von brutto 33.750,00 € (netto 28.361,34 €) an die C. & S. GmbH & Co. KG zurück verkauft.
3
In dem streitgegenständlichen Pkw ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor TDI V6 mit 3.0 l Hubraum und 200 kw Leistung verbaut. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 6 entsprechen. Die Abgasreinigung findet für das Fahrzeug durch eine innermotorische Abgasrückführung und durch eine nachgelagerte Abgasreinigung mittels SCR-Katalysator mit Einspritzung von AdBlue statt.
4
Die Beklagte ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung.
5
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete unter der Kennziffer 23X6 für das Fahrzeug einen verbindlichen Rückruf an, wobei zwischen den Parteien zuletzt unstreitig ist (s. Schriftsatz der Klägerin vom 21.12.2023, dort S. 22 = Bl. 290 d.A.: „Missbräuchliches Falschbefüllen / Konformitätsabweichung“), dass dieser Rückruf erfolgte, weil ein Sensor bei dem AdBlue System nicht oder nicht mit hinreichender Genauigkeit erkannte, wenn sich in dem AdBlue Tank nicht die zur Stickoxidreduktion erforderliche Harnstofflösung, sondern eine andere Reagens (etwa Wasser) befindet. Die zur Behebung dieser Beanstandung erforderliche Neukalibrierung des Sensors durch ein Softwareupdate wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug am 16.09.2019 vorgenommen.
6
Die Klägerin behauptete, das Fahrzeug könne nicht in die Abgasnorm Euro 6 eingestuft werden. Es enthalte in der Getriebesoftware eine schnelle Aufwärmfunktion, die nahezu nur im Prüfzyklus anspringe. Zudem sei eine Zykluserkennung (Strategien A bis D) verbaut. Wegen der Manipulation an Motoren sei gegen die Beklagte ein Bußgeld verhängt worden. Das KBA habe Nebenbestimmungen angeordnet. Die Klägerin habe das Onboard-Diagnosesystem manipuliert.
7
Zu dem Thermofenster trägt die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.03.2021 vor, es sei in dem Fahrzeug jedenfalls ein Thermofenster verbaut. Eine solche Abschalteinrichtung sei nur ausnahmsweise zulässig (Bl. 78 d.A.). In dem Schriftsatz vom 04.05.2021 führt die Klägerin aus, es sei nicht Sache der Klägerin, die Parameter des Thermofensters darzulegen (Bl, 158 d.A.).
8
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.551,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.994,04 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.06.2020 freizustellen.
9
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen
10
Die Beklagte führt aus, für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehe kein Rückrufbescheid des KBA wegen einer Abschalteinrichtung. Es handle sich nicht um einen Motor der Baureihe 4L, sondern, wie aus der FIN ersichtlich, um einen Motor der Baureihe 4M. Dieser sei von den klägerseits angeführten Rückrufen nicht betroffen. Der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei auch kein EU 6 „Vorerfüller“, sondern ein Motor der Baureihe EA 897 mit Schadstoffklasse EU 6. Es seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut.
11
Mit Endurteil vom 10.06.2021 hat das Landgericht München I die Klage abgewiesen. Das Landgericht führt hierzu aus, die Klägerin habe nicht hinreichend substanziiert vorgetragen, dass das Fahrzeug über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt habe (s. unter A.III.3 der Urteilsgründe). Die Klägerin sei dem Vortrag der Beklagten, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei kein Motor des Typs 4L, sondern ein solcher des Typs 4M verbaut, nicht entgegen getreten. Damit beträfen die klägerseits vorgelegten Beanstandungen des KBA aber nicht das streitgegenständliche Fahrzeug. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
12
Mit ihrer am 09.07.2021 eingelegten und durch Schriftsatz vom 13.09.2021 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel in unverändertem Umfang weiter. Die Klägerin führt aus, das Landgericht habe die Anforderungen an eine Substanziierung überspannt. Es obliege der Beklagten, darzulegen, dass die Abschalteinrichtungen nicht illegal sind. Durch Schriftsatz vom 21.12.2023 (Bl. 269 d.A.) führt die Klägerin aus, das OLG München habe einen Anspruch nach § 826 BGB bei Verwendung eines Timers bejaht. Die Beklagte benutze das in dem Urteil genannte Motorsteuergerät. Das Vorliegen mindestens einer Abschalteinrichtung sei unstreitig (Bl. 289 d.A.). Dies gelte insbesondere und nicht abschließend für Strategie A-E, Missbräuchliches Falschbefüllen/Konformitätsabweichung, Thermofenster, Aufwärmfunktion, Lenkwinkelerkennung und zeitbasierte Abschalteinrichtung“. Jedenfalls schulde die Beklagte einen Differenzschadensersatz, den die Klägerin hilfsweise geltend mache und mit 15% des Kaufpreises bemesse.
13
Die Klägerin beantragt,
1.
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 32 O 15186/20, wird die Beklagtenpartei verurteilt, an die Klagepartei EUR 31.551,88 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.06.2020 zu bezahlen.
2.
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 32 O 15186/20, wird die Beklagte verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.994,04 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit 20.06.2020 freizustellen.
14
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
15
Die Beklagten wiederholen den erstinstanzlichen Vortrag. Zusätzlich trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.02.2024 vor, das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Thermofenster umfasse bei einem repräsentativen Betriebspunkt den Bereich von -12° C bis 42° C innerhalb dieses Temperaturfensters finde zwischen 0° C und ca. 42° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR-Rate durch das Thermofenster statt (Bl. 329 d.A.).
16
Der Senat hat am 06.03.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2024, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den Übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
17
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Schadensersatz zu.
18
I. Da die Beklagte Herstellerin, aber nicht Verkäuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, bestehen zwischen den Parteien keine vertraglichen Ansprüche. Anhaltspunkte für ein vorvertragliches Schuldverhältnis sieht der Senat nicht.
19
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch nach § 826 BGB. Wie das Landgericht zutreffend und mit zutreffender Begründung festgestellt hat, konnte der Kläger die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Beklagten nicht darlegen.
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1. Nach der Rechtsprechung des BGH ist sittenwidrig ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnr. 10).
21
Im Falle einer von der Mutter der Beklagten in Fahrzeugmotoren des Typs EA 189 implementierten Motorsteuerungssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet, in dem eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet, während im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands der Motor in den Abgasrückführungsmodus 0 schaltet, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist, hat der BGH ein solches sittenwidriges Verhalten angenommen und dem jeweiligen Fahrzeugkäufer dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zugebilligt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19).
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2. Zu Recht ist das Landgericht insoweit davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klagepartei keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer in die streitgegenständlichen Motorsteuerung implementierten Manipulationssoftware in Form einer Umschaltlogik (Aufheizstrategie A) darlegt.
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a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
24
Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe.
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Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnrn 26 – 28).
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b. Nach diesen Grundsätzen verfehlt der Vortrag der Klagepartei die Substanziierungsanforderungen zum Vorliegen einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug. Die von der Klagepartei angeführten Umstände für die angebliche Existenz einer solchen Software erweisen sich nicht als valide Anhaltspunkte.
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Die von der Klagepartei behaupteten Rückrufe durch das KBA betreffen nur 3.0 TDI V6 Motoren der Kennnummer 4L. Die Klägerin ist aber dem Vortrag der Beklagten, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei kein Motor der Baureihe 4L, sondern ein solcher der Baureihe 4M verbaut, nicht entgegengetreten. Die Klägerin konnte auch kein entsprechendes Rückrufschreiben vorlegen.
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Der vom KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug angeordnete und von der Klägerin durchgeführte Rückruf betraf, wie sich aus dem beklagtenseits vorgelegten Schreiben der A. AG ergibt und zwischen den Parteien zuletzt unstreitig ist, die Neukalibrierung eines Sensors zum Erkennen von Falschbefüllungen des AdBlue – Tanks. Auch dies ist kein Anhalt für eine der Umschaltlogik des Motors EA 189 vergleichbare, sittenwidrige Manipulation.
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Nichts anderes gilt im Ergebnis für den weiteren Vortrag der Klägerin. Für das Vorliegen einer sittenwidrigen Abschalteinrichtung in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug ist der Vortrag, das OLG München habe solches bei einer Zeitschaltuhr bejaht (Bl. 269 f. d.A.), fernliegend. Denn das von der Klägerin hier angeführte Verfahren betraf einen Mercedes GLK und damit ein anderes Fahrzeug eines anderen Herstellers. Die Verwendung eines Motorsteuergeräts der Firma B., welches eine Bedatung mit einer Zeitgesteuerten Abschalteinrichtung zulässt, ist kein Hinweis darauf, dass eine solche gerade in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist, zumal die Klägerin bei Lichte betrachtet noch nicht einmal vorträgt, dass das Motorsteuerungsgerät auch in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug überhaupt verbaut wurde, sondern nur angibt, die Beklagte verwende dieses Gerät, ohne zu sagen, wo.
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Nichts anderes gilt für die – als solche nicht unzulässige Lenkwinkelerkennung, die „Aufheizstrategie A – E“ und die „zeitbasierte Abschalteinrichtung“. Die Klägerin trägt weder eine konkrete Funktionsweise vor, noch gelingt es ihr, einen konkreten Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug herzustellen.
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Nach alledem gibt es nach dem Vortrag der Klagepartei keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die Implementierung einer Umschaltlogik oder einer vergleichbaren, prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug und war deshalb eine Beweiserhebung diesbezüglich nicht veranlasst
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3. Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe ferner mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems getäuscht, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Nach dem Klägervortrag müsste ein ordnungsgemäß funktionierendes On-Board-Diagnosesystem einen nicht ordnungsgemäßen Betrieb der Abgassysteme melden. Dies entspricht Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, wonach das OBD-System die Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Danach ist es plausibel und deutet nicht auf eine Manipulation hin, wenn eine Fehlermeldung nicht erscheint, wenn und weil die Fahrzeugkomponenten programmgemäß – und also aus der Perspektive der Fahrzeugtechnik ordnungsgemäß und nicht fehlerhaft – arbeiten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2022, 6 U 128/20, Tz. 65). Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit ein manipuliertes Diagnosesystem eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen sollte, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll. Im Ergebnis kann sogar offenbleiben, ob das OBD-System tatsächlich falsch programmiert ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde es sich um einen „schlichten“ Mangel des Fahrzeuges handeln, den ggf. der Verkäufer zu beseitigen hätte. Indes liegt weder eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, noch sind die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs gegen die Beklagte gegeben (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11.01.2022 – 7 U 84/21, Rdnr. 55).
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4. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
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Denn der Einsatz Thermofenster rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 16). Denn anders als eine Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
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Davon ist hier nicht auszugehen. Denn die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war auch noch bei der Produktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Dezember 2016 umstritten. So ging noch der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 30).
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III. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, denn die Klägerin hat das Vorliegen einer Abschalteinrichtung nicht substanziiert vorgetragen.
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1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung die Beklagte trägt. Denn die Zusammenschau der Absätze 1 und 2 von Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zeigt, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig sind und die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der VO 715/2007/EG von demjenigen darzulegen und zu beweisen ist, der sich auf die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung beruft.
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2. Die gerade dargelegte Darlegungs- und Beweislast gilt jedoch nur, wenn feststeht, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Hierbei ist beachtlich, dass auch der Begriff der Abschalteinrichtung durch Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG ein normatives Gepräge erhält.
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Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnr. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 50).
40
Tatbestandliche Voraussetzung einer Abschalteinrichtung, und damit von dem Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen ist daher, dass das Bauteil dazu führt, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, reduziert wird.
41
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist deshalb der ursprünglich fehlerhafte Sensor zur Kontrolle der Befüllung des AdBlue Tanks bereits nach der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG keine Abschalteinrichtung. Denn nicht dieser Sensor, sondern die ggf. falsche Befüllung des AdBlue Tanks wirkt vermindernd auf das Abgasreduktionssystem ein.
42
4. Sodann und schließlich hat die Klägerin vorliegend auch hinsichtlich des Thermofensters die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung nicht substanziiert vorgetragen. Zwar kann von dem Anspruchsteller nicht verlangt werden, dass dieser den konkreten Temperaturbereich eines Thermofensters vorträgt. Mit Blick auf Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 7125/2007/EG erforderlich ist aber der Vortrag, dass das Thermofenster bei Temperaturen, die bei dem normalen Betrieb des Fahrzeugs im Gebiet der Europäischen Union zu erwarten sind, die Wirksamkeit des Emisionskontrollsystems verringert. Auch diesen Minimalvortrag hat die Klägerin nicht gehalten. Sie hat lediglich behauptet, in dem Fahrzeug sei ein Thermofenster verbaut, dessen Parameter sie nicht angeben könne.
43
Die somit fehlende Substanziierung des Klagevortrags hinsichtlich des Thermofensters wird auch nicht durch den Vortrag der Beklagten aus deren Schriftsatz vom 26.02.2024 unmaßgeblich. Denn die Beklagte trägt hier einen Temperaturbereich voller Wirksamkeit der Abgasreinigung vor (0° C bis 42° C), der aus Sicht des Senats gerade nicht nahelegt, dass durch das Thermofenster (diese Werte unterstellt) die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, reduziert wird.
44
IV. Da somit bereits ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, hat die Klägerin auch keine Ansprüche auf Zinsen oder auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen.
C.
45
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt.