Inhalt

OLG München, Endurteil v. 06.03.2024 – 7 U 4305/21
Titel:

Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A5 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
2. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem Thermofenster handelt es sich um eine (unzulässige) Abschalteinrichtung, wenn nur in einem Temperaturbereich oberhalb von 17° C  eine volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems erreicht wird. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Darlegung eines (unvermeidbaren) Verbotsirrtums setzt konkreten Vortrag voraus, welche Organwalter des Geschäftsführungsorgans der Herstellerin (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen welches konkrete Vorstellungsbild zu dem Thermofenster, seiner Funktion und seiner Zulässigkeit hatten. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
5. Beim Differenzschadensersatz sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges bzw. der beim Verkauf erzielte Erlös insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 l V6-Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Kenntnis der Organwalter, Verkaufserlös, schadensmindernd
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 25.05.2021 – 81 O 348/20
Fundstellen:
BeckRS 2024, 7526
FDStrVR 2024, 007526

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.05.2021, Az. 81 O 348/20, abgeändert:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.02.2021 wird teilweise aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.267,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.07.2020 zu bezahlen. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten und bleibt die Klage abgewiesen.
2. Die darüber hinausgehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 11%, der Kläger hat 89% zu tragen. Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz trägt der Kläger die Kosten seiner Säumnis und von den Übrigen Kosten 96%, die Beklagte hat von den nicht durch die Säumnis des Klägers verursachten Kosten des Verfahrens erster Instanz 4% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten anfangs um Feststellung und dann um Schadensersatz, um diesen zuletzt nurmehr in der Form des Differenzschadens, wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Kläger erwarb am 22.08.2015 von Privat den streitgegenständlichen, von der Beklagten hergestellten Audi A5 3.0 TDI, FIN: …021 als Gebrauchtfahrzeug. In dem Kaufdokument (Anlage K26) befindet sich unter der Überschrift „Kaufvertrag“ das vorgedruckte Feld „vereinbarter Kaufpreis“ und dort die handschriftliche Eintragung „30..000.-“ gefolgt von einem vorgedruckten „EUR“. Weiter unten findet sich auf demselben Dokument unter der Überschrift „Quittung“ in dem vorgedruckte Feld „Der Verkäufer bestätigt den Erhalt von: EUR“ die handschriftliche Eintragung „32750.-“
3
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde am 21.03.2012 erstmals zugelassen. Es wies im Kaufzeitpunkt eine Laufleistung von 102.300 km auf.
4
Der Kläger hat das Fahrzeug bereits am 28.03.2019 mit einem Kilometerstand von 192.800 km zu einem Preis von 15.000 € an einen privaten Käufer mit Wohnanschrift in der Slowakei weiterverkauft. In dem Formularvertrag (Anlage R42, nach Bl. 349 d.A.) findet sich ein vorformulierter Gewährleistungsausschluss und unter dem Punkt „Sondervereinbarung“ der handschriftliche Eintrag: „Privat verkauft nach § 25a, keine Garantie, wie gesehen so gekauft, Probefahrt gemacht“. Nach dem Kaufvertrag war das Fahrzeug im Zeitpunkt des Verkaufs außer Betrieb gesetzt.
5
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor TDI V6 mit 3.0 l Hubraum und 180 kw Leistung verbaut. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 5 entsprechen. Die Abgasreinigung findet für das Fahrzeug durch eine teilweise Rückführung der Abgase in den Verbrennungsraum und durch einen Dieselpartikelfilter statt. Dabei wird der Stickoxidausstoß durch die Abgasrückführung verringert. In dem Fahrzeug ist ein Thermofenster verbaut, welches den Umfang der Abgasrückführung und damit den Stickoxidausstoß beeinflusst. Das Fahrzeug verfügt nicht über einen SCR-Katalysator.
6
Die Beklagte ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung.
7
Mit einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 09.10.2019 (Anlage K27) führen die anwaltlichen Vertreter des Klägers aus, das von dem Kläger zu einem Preis von 32.750 € erworbene Fahrzeug sei manipuliert und die Beklagte schulde dem Kläger Schadenersatz nach § 826 BGB. Die anwaltlichen Vertreter des Klägers fordern die Beklagte in dem Schreiben auf, den Kaufpreis zu erstatten und das streitgegenständliche Fahrzeug zurückzunehmen. Außerdem wird die Beklagte in dem Schreiben aufgefordert, dem Grunde nach anzuerkennen, dass sie für alle entstandenen Schäden eintreten müsse.
8
Der Kläger führt aus, das Fahrzeug sei manipuliert. Es habe eine Lenkwinkelerkennung, die im Prüfzyklus ein anderes, emissionsoptimiertes Schaltprogramm anwende, eine Aufheizstrategie durch welche der SCR-Katalysator schneller eine optimale Betriebstemperatur erreiche (wobei der Kläger dem Beklagtenvortrag, das Fahrzeug habe gar keinen SCR-Katalysator, dann nicht entgegen tritt) und ein Thermofenster, welches – so der ursprüngliche Klagevortrag – die Abgasreinigung bereits bei Außentemperaturen unter 17° C und über 30° C abschalte. Die Beklagte habe zudem falsche Angaben zu Kraftstoffverbrauch und Co2-Emissionen getätigt. Im Schriftsatz vom 29.06.2020 führt der Kläger zu dem Thermofenster aus, dieses ermögliche eine vollständige Abgasrückführung nur innerhalb eines Temperaturbereiches zwischen 17° C und 33° C, darunter und darüber werde die Abgasrückführung zurückgefahren, bis schließlich bei Temperaturen unter -10° C und über 38° C keine Abgasrückführung mehr erfolge. Im Schriftsatz vom 01.02.2021 führt der Kläger zusätzlich aus, das Fahrzeug weise auch eine Manipulation an der Batteriesteuerung auf. Im Prüfstand werde der Generator/Lichtmaschine nicht angetrieben, dadurch sei der Kraftstoffverbrauch niedriger.
9
Der anwaltlich vertretene Kläger hat mit Klageschrift vom 14.02.2020 (also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug bereits fast ein Jahr weiterverkauft hatte), Klage erhoben und dort zunächst folgende Anträge angekündigt:
„1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi A5 3.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: …021) durch die Beklagtenpartei resultieren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.419,08 freizustellen“
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Den Streitwert dieser Anträge gibt der Kläger in der Klageschrift mit (vorläufig) 32.750 € an.
11
Mit Schriftsatz vom 29.06.2020, der Beklagten zugestellt am 06.07.2020 ändert der Kläger die Klageanträge dahingehend, als zum einen die Feststellung einer Schadensersatzpflicht wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in der Form eines Thermofensters mit Temperaturbereich zwischen 17° C und 33° C und einer Schaltsteuerung die im Prüfzyklus ein Schaltprogramm aktiviert, das besonders wenige Schadstoffe produziert und einer Schadensersatzpflicht wegen eines nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendem On-Board-Diagnosesystem in dem streitgegenständliche Fahrzeug begehrt wird. Hilfsweise, für den Fall dass der Antrag unzulässig sein sollte begehrt der Kläger unter Punkt 1a des Hilfsantrags die Zahlung von 32.750 € nebst 4 Prozent Deliktszinsen für den Zeitraum ab 28.05.2015 bis 09.10.2019 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.10.2019 Zug-um-Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs abzüglich „einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung“ und unter Ziffer 1b des Hilfsantrags die oben genannte Feststellung.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 01.02.2021 (Bl. 309 d.A.) ändert der Kläger erneut den angekündigten Klageantrag insofern, als hinsichtlich der weiterhin im Hauptantrag begehrten Feststellung einer Schadensersatzpflicht als unzulässige Abschalteinrichtungen zusätzlich eine Fahrkurve und eine Batteriesteuerung, die den Prüfstand erkenne und dann die Batterie nicht lade, angeführt wird und im hilfsweisen Zahlungsantrag nicht mehr „von der Beklagten darzulegende“ Nutzungsvorteile, sondern Nutzungsvorteile, die auf Basis einer Gesamtlaufleistung in Höhe von mindestens 500.000 km durch richterliches Ermessen festzusetzen sind, abgezogen werden sollen.
13
Das Landgericht Ingolstadt hatte durch Terminsverfügung vom 14.12.2020 Termin zur Güteverhandlung und anschließenden Haupttermin auf den 09.02.2021 bestimmt und in der Terminsverfügung dem Kläger unter anderem aufgegeben, im Termin den aktuellen Kilometerstand vorzutragen und den Fahrzeugschein sowie ggf. das Fahrzeug betreffende Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vorzulegen.
14
In dem Termin vom 09.02.2021 hat der für die anwaltlichen Vertreter des Klägers mit Terminsvollmacht erschienen Rechtsanwalt nicht zur Sache verhandelt und keinen Antrag gestellt. Ausweislich des Protokolls hat der Terminsvertreter hierbei angegeben, dass streitgegenständliche Fahrzeug sei „wohl mittlerweile wohl verkauft“, er sei aber nicht im Stande nähere Informationen hierzu zugeben (Bl. 341 d.A.).
15
Gegen das daraufhin ergangene klageabweisende Versäumnisurteil legte der Kläger mit Anwaltsschriftsatz vom 09.03.2021 Einspruch ein.
16
Zuletzt beantragte der Kläger in erster Instanz:
1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09..02.2021, 81 O 348/20 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 32.750,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2019 zu zahlen abzüglich eines Wertersatzes in Höhe von 15.000 € statt der Herausgabe und Übereignung des PKW Audi A5 (…) sowie abzüglich eines Betrags in Höhe von € 7.452,54 für die Nutzung des PKW Audi A5 (…)
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere, über den Antrag Ziffer 2 hinausgehende Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in dem Fahrzeug Audi A5 3.0 TDI …021
a) unzulässige Abschalteinrichtungen
- in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung u.a. der Außentemperatur die Parameter der Abgasrückführung so verändert, dass die Abgasrückführung außerhalb eines von der Audi AG festgelegten Temperaturfensters reduziert wird (sog. Thermofenster),
- in Gestalt einer Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert,
- in Gestalt einer Funktion, welche anhand des Ladestands der Fahrzeugbatterie erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und in diesem Fall keine Ladung der Batterie einleitet, und
- in Gestalt einer Funktion, welche anhand der Fahrkurve des NEFZ erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet, und in diesem Fall in einen emnissionsärmeren Fahrmodus wechselt,
verbaut hat und hierdurch die Emissionswerte auf dem Rollenprüfstand reduziert werden,
b) ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem einsetzt, und
c) Fahrzeugbauteile verbaut hat, welche das Emissionsverhalten beeinflussen und welche unter normalen Betriebsbedingungen nicht den Anforderungen der Verordnung (EG) 715/2007 und ihren Durchführungsmaßnahmen entsprechen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.419,08 freizustellen.
17
Die Beklagte beantragte,
das klageabweisende Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.
18
Die Beklagte trägt vor, die Feststellungsanträge seien mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Das Fahrzeug habe keinen SCR-Katalysator. Das Thermofenster sei zum Motorschutz erforderlich und die Deaktivierung des dynamischen Schaltprogramms auf dem Rollenprüfstand führe zu keinen relevanten Abweichungen im Messergebnis. Für die Angaben zum Kraftstoffverbrauch sei der NEFZ maßgeblich, die Batterie werde auch im Prüfstand be- und entladen und das OBD sei ordnungsgemäß.
19
Mit Endurteil vom 25.05.2021 hat das Landgericht Ingolstadt das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten. Die Klage sei hinsichtlich der Feststellungsanträge unzulässig, da insoweit kein Feststellungsinteresse bestehe. Der Kläger habe nicht substanziiert dargetan, dass ihm bislang nicht bezifferbare Schäden drohten. Darüber hinaus sei die Klage jedenfalls unbegründet. Ob das Thermofenster unzulässig sei, könne dahinstehen, da dessen Einbau jedenfalls kein sittenwidriges Verhalten darstelle. Weitere Abschalteinrichtungen oder Manipulatonen habe der Kläger schon nicht schlüssig dargelegt. Eine Fahrkurve sei als solche nicht unzulässig, die als solche unstreitige Deaktivierung des dynamischen Schaltprogramms auf dem Rollenprüfstand stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da die Beklagte unwidersprochen vorgetragen habe, dass Dynamische Schaltprogramm und Warmlauf-Schaltprogramm nahezu identisch bedatet seien und die zulässigen Grenzwerte nach beiden Programmen eingehalten würden, und hinsichtlich der Batteriesteuerung sei der Kläger dem Vortrag der Beklagten, auch im NEFZ finde eine Entladung und Beladung der Batterie statt, nicht substanziiert entgegengetreten. Zudem habe der Kläger keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten dargelegt.
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Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
21
Mit der durch Anwaltsschriftsatz vom 05.07.2021 eingelegten und mit Schriftsatz vom 06.09.2021 begründeten Berufung verfolgt der Kläger zunächst sein erstinstanzliches Klageziel in dem dort zuletzt beantragten Umfang weiter. Zuletzt verfolgt der Kläger sodann aber nurmehr einen Differenzschadensersatzanspruch in Höhe von € 4.912,50 nebst Verzugszinsen und einen Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in ursprünglich begehrter Höhe. Hierzu nimmt der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag zu dem Thermofenster Bezug und führt an, aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtung stehe ihm nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs, 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 15% des Kaufpreises, mithin 4.912,50 € zu.
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Der Kläger beantragt das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und wie folgt abzuändern:
1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.05.2021, 81 O 348/20 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 4.912,50 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2019 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.419,08 freizustellen.
23
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
24
Die Beklagte führt ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag aus, für das streitgegenständliche Fahrzeug sei im Rahmen des Nationalen Forums Diesel eine Aufweitung des Temperaturbereichs des Thermofensters vorgesehen. Das KBA habe im Jahr 2020 ein Update genehmigt. Nach Durchführung dieses Updates liege der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung in einem repräsentativen Betriebspunkt jedenfalls unterhalb von 12° C. Soweit weiterhin in bestimmten Bereichen eine Abrampung der Abgasrückführung erfolge, sei dies unverändert aus den bereits dargelegten Gründen des Motorschutzes erforderlich (Schriftsatz vom 15.02.2024, dort S. 77 = Bl. 613 d.A.). Die EU-Kommission habe ermittelt, dass die durchschnittliche Umgebungstemperatur während der tatsächlichen Fahrzeugnutzung bei 12° C, der Median bei 12,5° C liege. Die Klagepartei habe das Update nicht aufspielen lassen und sei dadurch ihrer Schadensminderungspflicht nicht nachgekommen (Schriftsatz vom 15.02.2024, dort S. 83 = Bl. 619 d.A.).
25
Der Senat hat am 06.03.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.03.204, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
26
Die Berufung hat auch bezogen auf den zuletzt noch anhängigen Umfang nur zu einem geringen Teil Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Differenzschadensersatz in Höhe von 1.267,07 € nebst Prozesszinsen hieraus ab 06.07.2020 zu. Insoweit war das landgerichtliche Urteil abzuändern, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen. Die darüber hinausgehende Berufung war zurückzuweisen. Im Einzelnen
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I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens in Höhe von 1.267,07 € nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des landgerichtlichen Urteils entschieden hat (Urteile des BGH vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22), steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ausgehend hiervon haftet die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach auf Schadensersatz.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines unzulässigen Thermofensters.
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1. Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnr. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 50).
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a. Der Kläger trug bereits in seinem Klageschriftsatz vom 29.06.2020, dort S. 4, vor, dass infolge des in die Motorsteuerungssoftware implementierten Thermofensters die Abgasrückführung bereits bei kühleren Temperaturen ab 17° C und bei Temperaturen über 33° C zurückgefahren werde. Bei Temperaturen unter -10° C und über 38° C finde keine Abgasrückführung statt. Dies hat die Beklagte nicht bestritten. Sie hat mit Klageerwiderung lediglich ausgeführt, das in dem Fahrzeug vorhandenen Thermofenster sei nicht unzulässig. Auch der Beklagtenschriftsatz vom 15.02.2024 ist insoweit nicht geeignet, den Vortrag des Klägers in Frage zu stellen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, warum die Beklagte nähere Ausführungen zur Bedatung des Thermofensters erstmals in der Berufungsinstanz vornimmt, trägt auch dieser Schriftsatz nur für Fall eines Updates der Motorsteuerung eine punktuelle Abweichung zu dem klägerseits vorgetragenen Temperaturbereich vor. Denn nur für den Fall des Updates gibt die Beklagte nunmehr an, die Abrampung beginne in einem repräsentativen Betriebspunkt unterhalb von 12° C. Dies widerspricht den Angaben des Klägers nicht, denn zum einen trägt die Beklagte eine Abrampung unterhalb von 12° C – der genaue Temperaturbereich bleibt offen – nur für einen repräsentativen Betriebspunkt vor und zum anderen kann es vorliegend auf ein nach dem Beklagtenvortrag im Jahr 2020 vom KBA freigegebenes Update schon deshalb nicht ankommen, weil der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug bereits 2019 weiterverkauft hat.
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b. Bei dem streitgegenständlichen Thermofenster handelt es sich somit um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG. Denn angesichts einer vollen Wirksamkeit nur in einem Temperaturbereich oberhalb von 17° C kann das Thermofenster dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird.
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2. Das hier streitgegenständlichen Thermofenster ist auch eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
34
Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnr. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
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Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 63 ff., 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Klagevortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen, die niedriger als 17° C sind und bei Temperaturen, die höher als 33° C sind. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter 17° C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
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3. Die Beklagte hat hinsichtlich des Einsatzes dieser unzulässigen Abschalteinrichtung auch schuldhaft gehandelt. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.
37
Grundsätzlich ist die Klagepartei diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung. Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 59 ff.). Dies ist der Beklagten nicht gelungen.
38
Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten liegt nicht vor.
39
Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.
40
Den Beweis kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 Rdnrn 64 ff.).
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Vorliegend meint die Beklagte, es sei davon auszugehen, dass das KBA eine entsprechende Anfrage der Beklagten im Zeitpunkt der Typgenehmigung dahin beantwortet hätte, dass es die Verwendung des im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Auslieferungszeitpunkt applizierten Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes und sicheren Betriebs des Fahrzeugs als zulässig erachtet. Für das streitgegenständliche Fahrzeug hätte demnach eine Erkundigung beim KBA eine etwaige Fehlvorstellung der Beklagten bestätigt.
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Dies genügt den oben genannten Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für eine Entlastung des Fahrzeugherstellers aufgestellt hat, nicht.
43
Die Beklagte hat schon keinen Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Beklagten“ und damit nicht näher benannter Verantwortlicher der Beklagten reicht nicht aus. Erforderlich wäre ein konkreter Vortrag, welche Organwalter des Geschäftsführungsorgans der Beklagten (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen der Beklagten welches konkrete Vorstellungsbild zu dem Thermofenster, seiner Funktion und seiner Zulässigkeit hatten.
44
4. Aus Sicht des Senats ist auch davon auszugehen, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht zu dem gezahlten Preis erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass dessen Wert infolge einer unzulässigen Abschalteinrichtung geringer ist, als der von dem Verkäufer verlangte Kaufpreis.
45
5. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Differenzschaden vorbehaltlich der im Einzelfall vorzunehmenden Vorteilsausgleichung auf eine Bandbreite zwischen 5 und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt (BGH, Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 73 und vom 20.07.2023 – III ZR 267/20, Rdnr. 34). Für die gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Festlegung des Schadens innerhalb dieser Bandbreite sind die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Betrachtung zu gewichten. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, welches Ausmaß an behördlichen Anordnungen auf Grund der festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtung drohte und wie groß die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Anordnungen war, welches Gewicht dem festgestellten Verstoß des Herstellers bezogen auf das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte zukommt und schließlich mit welchem Verschuldensgrad der Hersteller den Verstoß verwirklicht hat.
46
Hiervon ausgehend erscheint dem Senat die Bemessung des Schadens im vorliegenden Fall mit 10% des Kaufpreises als sachgerecht, da es sich um einen mit Blick auf die genannten Kriterien durchschnittlichen Fall handelt. Besondere Umstände, welche diesen Fall in die eine oder andere Richtung gegenüber anderen Fällen hervorheben würden, sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnrn 125 f.).
47
Für den Streitfall ist von einem Kaufpreis in Höhe von 30.000 € auszugehen. Dies entspricht dem Betrag, der von den Parteien des ursprünglichen Kaufvertrages auf dem entsprechenden Feld des Kaufvertragsformulars handschriftlich als Kaufpreis eingetragen wurde. Dass der Vertrag sodann unter der Überschrift „Quittung“ den Erhalt von 32.750 € quittiert, führt zu keiner abweichenden Beurteilung, denn der höhere Betrag kann neben dem Kaufpreis weitere Zahlungsteile enthalten und entscheidend ist nicht wie viel Geld der Verkäufer insgesamt erhalten hat, sondern wieviel Geld der Kläger als Käufer für das Fahrzeug als Kaufpreis gezahlt hat. Daraus folgt, dass der Differenzschaden im Ausgangspunkt mit 3.000,00 € zu bemessen ist (§ 287 ZPO) und der Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs (= Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) damit 27.000,00 € betrug. Dieser Schaden ist durch das Update schon deshalb nicht entfallen, weil im Zeitpunkt, zu dem das Update zur Verfügung stand (2020), der Kläger das Fahrzeug bereits verkauft hatte.
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6. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
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a. Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (ebenso wie beim kleinen Schadensersatz nach § 826 BGB) sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges bzw. der beim Verkauf erzielte Erlös nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22).
50
Demnach ist nach der vom BGH vorgegebenen Rechnung zunächst die Summe von Verkaufserlös und Nutzungsvorteilen zu bilden. Übersteigt diese Summe den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss, der nach der Formel Kaufpreis abzüglich Differenzschaden zu ermitteln ist, so erfolgt eine Anrechnung des überschießenden Betrages auf den Differenzschaden. Erreicht der überschießende Betrag die Höhe des Differenzschadens, besteht kein auszugleichender Schaden mehr (vgl. Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 80; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnr 128).
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b. Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, woraus sich eine Restlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs von 197.700 km (= 300.000 km – 102.300 km Stand bei Kauf) ergibt. Die klägerseits vorgetragene Gesamtlaufleistung von 500.000 km ist aus Sicht des Senats fernliegend.
52
Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug bei dessen Verkauf unstreitig 192.800 km.
53
Damit ergibt sich bei einer Restlaufleistung von 197.700 km, 90.500 von dem Kläger mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometern und einem Bruttokaufpreis von 30.000,00 € ein Nutzungsvorteil von 13.732,93 €. Hinsichtlich des für das Fahrzeug anzusetzenden Restwerts legt der Senat den vom Kläger erzielten Kaufpreis in Höhe von 15.000 € zu Grunde. Die Summe aus Verkaufspreis und Nutzungsvorteilen beträgt damit 28.732,92 €. Auf den Differenzschaden sind daher 1.732,92 € anzurechnen, sodass ein zu ersetzender Schaden in Höhe von 1.267,07 € verbleibt.
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Eine Schadensminderungspflicht hat der Kläger schon deshalb nicht verletzt, weil das Update erst nach Weiterverkauf des Fahrzeugs zur Verfügung stand. Darauf, dass die Beklagte auch für das Update keinen hinreichenden Temperaturbereich mit der erforderlichen Klarheit vorträgt, sodass auch unter Berücksichtigung des Updates von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist und bereits deshalb eine Schadensminderung durch Aufspielen des Updates nicht erfolgen kann, kommt es im vorliegenden Fall daher nicht an.
55
II. Die Beklagte schuldet darüber hinaus Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.267,07 € ab 06.07.2020 nach § 291, 288 BGB. Einen früheren Beginn des Zinslaufs konnte der Kläger nicht darlegen. Insbesondere konnte durch das Anwaltsschreiben der jetzigen Prozessvertreter des Klägers ein Verzug der Beklagten hinsichtlich einer Zahlung des Differenzschadens schon deshalb nicht entstehen, weil in diesem Schreiben die Klägervertreter die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises und Zug um Zug zur Übernahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs auffordern, obschon der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits an einen Käufer aus der Slowakei weiterverkauft hatte und damit gar nicht mehr herausgeben konnte. Zusätzlich konnte der Zinslauf vorliegend – von dem Regelfall des § 291 BGB abweichend – aber auch nicht mit der Zustellung der ursprünglichen Klageschrift beginnen. Zwar ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass der Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV von einer auf § 826 BGB gestützten Klage auf großen Schadensersatz mit umfasst wird und mit deren Zustellung ebenfalls rechtshängig wird. Vorliegend hat der anwaltlich vertretene Kläger jedoch ursprünglich eine allgemeine Feststellungsklage erhoben, deren Klageantrag in einer die Zulässigkeit ausschließenden Weise unbestimmt war und für die – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – von Anfang an kein Feststellungsinteresse bestand. Auch der Anspruch auf großen Schadensersatz wurde daher erst mit Zustellung des in dem Schriftsatz vom 29.06.2020 erstmals als Hilfsantrag enthaltenen Antrags auf Zahlung großen Schadensersatzes am 06.07.2020 rechtshängig.
56
III. Ein Anspruch des Klägers auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH kann ein solcher Anspruch nicht auf § 823 Abs. 2 in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt werden und kommt deshalb neben dem Ersatz des Differenzschadens nur in Betracht, wenn er sich aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB oder § 826 BGB ergäbe (vgl. BGH, Urteile vom 16.10.2023 – VIa ZR 14/22, Rdnr. 13, und vom 18.12.2023 – VIa ZR 1083/22, Rdnr. 16).
57
1. Zum Zeitpunkt der Beauftragung der Klägervertreter war die Beklagte mit der Schadensersatzleistung nicht in Schuldnerverzug, vielmehr erfolgte auch eine Inverzugsetzung frühestens mit Zugang des Schriftsatzes vom 29.06.2020 am 06.07.2020.
58
2. Die Beklagte schuldet die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auch nicht aus § 826 BGB. Wie das Landgericht zutreffend und mit zutreffender Begründung dargelegt hat, kann allein aus dem Einbau eines unzulässigen Thermofensters nicht auf ein sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers geschlossen werden. An dem Vorwurf weiterer Abschalteinrichtungen hält der Kläger, der im Schriftsatz vom 29.12.2023 (Bl. 528 d.A.) unter „3. Abschalteinrichtung“ ausdrücklich nur auf den Vortrag zum Thermofenster verweist, nicht fest. Der dazu klägerseits in erster Instanz und auch noch in der Berufungsbegründung vorgebrachte Vortrag wäre jedenfalls, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat, schon nicht geeignet, weitere Abschalteinrichtungen oder ein insgesamt sittenwidriges Verhalten der Beklagten oder einen Schädigungsvorsatz der Beklagten substanziiert vorzutragen.
59
Es besteht somit bereits dem Grunde nach kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägervertreter, die aus Sicht des Senats den bereits am 28.03.2019 erfolgten Weiterverkauf des Fahrzeugs durch den Kläger bei dem Abfassen des vorgerichtlichen Anwaltsschreibens vom 09.10.2019 und auch beim Abfassen der Klage vom 14.02.2020 nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt haben, überhaupt zielgerichtete vorgerichtliche Tätigkeiten entfalten konnten und ob insoweit eine Verbindlichkeit des Klägers überhaupt besteht.
C.
60
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 95 und 97 ZPO. Soweit die zuletzt gestellten Berufungsanträge des Klägers hinter den in der Berufungsbegründung angekündigten Anträgen zurückbleiben, ist darin eine teilweise Zurücknahme der Berufung mit Kostenfolge nach § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu sehen, s. zur Berufungszurücknahme durch Beschränkung bereits angebrachter Anträge Seiler in Thomas/Putzo § 516 Rn. 5.
61
Für den Anteil des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens ist von dem Wert der in der jeweiligen Instanz angekündigten oder gestellten Anträge aus Sicht des Klägers und Berufungsklägers auszugehen. Zu berücksichtigen ist daher, dass der Kläger zunächst (wenn auch in unbestimmter und mangels Feststellungsinteresse unzulässiger Weise) umfassende Feststellung und sodann hilfsweise Rückzahlung des Kaufpreises (und weiterer 2.750 €) zunächst ohne hinreichend konkrete Anrechnung von Nutzungsersatz und dann unter Zugrundelegen einer fernliegenden Gesamtlaufleistung von 500.000 km beantragt hat.
62
Hierbei kann auch nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden, dass tatsächlich das Fahrzeug schon im Zeitpunkt der ursprünglichen Klageerhebung weiterverkauft war und dass deshalb unter Berücksichtigung realistischer Gesamtlaufleistungen eine Klage auch dann, wenn ein Anspruch nach § 826 BGB bestanden hätte, nur in der jetzt ausgeurteilten Größenordnung Erfolg haben konnte. Denn auszugehen ist davon, welche Anträge der – anwaltlich vertretene – Kläger angekündigt oder gestellt hat und nicht davon, welche Anträge aus Sicht des Senats bei verständiger Würdigung des bereits vor Klageerhebung erfolgten Weiterverkaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs sinnvollerweise zu stellen gewesen wären.
63
Zugrunde zu legen ist damit für die erste Instanz ein Obsiegen des Klägers im Verhältnis von 1.267,07 / 32.750 (= ca. 4%), für die Berufungsinstanz im Verhältnis 1.267,07 / 11.297,46 (= ca. 11%).
64
Die in erster Instanz entstandenen Säumniskosten hat der Kläger nach § 95 ZPO zu tragen. Die Säumnis im Termin vom 09.02.2021 war (ohne dass es bei Terminsversäumung darauf ankäme) auch schuldhaft. Denn der im Termin vom 09.02.2021 erschienene Terminvertreter der Klägervertreter musste deshalb in die Säumnis flüchten, weil er infolge des „wohl zwischenzeitlich“ (Protokoll Bl. 340 d.A.) erfolgten Verkaufs den gerichtlich bereits mit der Terminladung vom 14.12.2020 aufgegebenen Vortrag zur Laufleistung des Fahrzeugs nicht halten konnte. Auch hier wirkt sich daher aus, dass die Klägervertreter bei Abfassen der Klage (und bereits bei Abfassen des anwaltlichen Anspruchsschreibens) den bereits zuvor erfolgten Weiterverkauf des Fahrzeugs nicht berücksichtigt haben. Dies muss sich der Kläger zurechnen lassen, § 85 Abs. 2 ZPO.
65
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt.