Titel:
Aussetzung von Individualklagen im Hinblick auf Wirecard-KapMuG-Verfahren
Normenkette:
KapMuG § 1 Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 1
Leitsatz:
Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers ist eine öffentliche Kapitalmarktinformation iSd § 1 Abs. 2 KapMuG. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung, Kapitalmarktinformation, Kapitalanlegermusterverfahren, Prüfungsumfang, Bestätigungsvermerk, Abschlussprüfer, Jahresabschluss, Darlehensgeberbank
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 07.09.2023 – 28 O 5724/23
Fundstellen:
AG 2024, 745
WM 2024, 2049
MDR 2024, 786
NZG 2024, 991
LSK 2024, 7524
BeckRS 2024, 7524
BKR 2024, 920
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 07.09.2023, Az. 28 O 5724/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Zuständig ist der Bundesgerichtshof.
Gründe
1
Die Klägerin, eine Bank, nimmt die Beklagte, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nach Verweisung durch das Landgericht Stuttgart an das zuständige Landgericht München I (Az. 28 O 5724/23) im Wege der Teilklage auf Schadensersatz in Höhe von EUR … in Anspruch aus und im Zusammenhang mit den (Konzern-) Jahresabschlussprüfungen, die die Beklagte in den Jahren 2015 bis 2018 bei der W. AG (im Folgenden: W.) durchgeführt hat.
2
Insgesamt sei der Klägerin ein Schaden in Höhe von insgesamt EUR … entstanden, da sie in dieser Höhe wertlose Darlehensforderungen gegen die mittlerweile insolvente W. habe. Grundlage der geltend gemachten Ansprüche seien die schwerwiegend fehlerhaften Abschlussprüfungen der (Konzern-) Jahresabschlüsse der W. für die Jahre 2015 bis 2018, die die Beklagte als Abschlussprüferin durchgeführt habe. Die Klägerin habe unter anderem auf Basis des (Konzern-) Jahresabschlusses 2015, der von der Beklagten mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen wurde, die Kreditentscheidung getroffen, als Teil eines Bankenkonsortiums mit Kreditvertrag vom 15. Februar 2017 eine Kreditlinie in Höhe von EUR X Mio. zu gewähren. Auf Basis unter anderem der (Konzern-) Jahresabschlüsse von W. für die Jahre 2016 und 2017, die ebenfalls von der Beklagten geprüft und nicht beanstandet worden seien, habe die Klägerin sodann im Jahr 2018 die weitere Kreditentscheidung getroffen, die Kreditlinie von W. um einen Betrag von EUR X Mio. auf insgesamt EUR X Mio. zu erhöhen. Der diesbezügliche Kreditvertrag sei am 15. Juni 2018 unterzeichnet worden. Hätte die Beklagte als Abschlussprüferin die jeweiligen Abschlussprüfungen der (Konzern-) Jahresabschlüsse der W. für die Jahre 2015 bis 2018 nach den Maßstäben einer ordnungsmäßigen Abschlussprüfung durchgeführt, wäre publik geworden, dass die (Konzern-) Jahresabschlüsse von W. seit 2015 und später durch Scheinumsätze und fiktive Zahlungsmitteläquivalente, teilweise in Milliardenhöhe, künstlich aufgebläht worden waren. Der Schaden der Klägerin, den die Beklagte ersetzen müsse, liegt darin, dass die Klägerin am 15. Februar 2017 und am 15. Juni 2018 erheblich nachteilige Kreditverträge mit der W. geschlossen habe und die Klägerin aller Voraussicht nach in Millionenhöhe mit ihren Ansprüchen aus der Kreditgewährung ausfallen werde. Hätte die Beklagte die (Konzern-) Jahresabschlussprüfung 2015 hingegen ordnungsgemäß durchgeführt und sich nicht sehenden Auges über anerkannte Prüfmaßstäbe hinweggesetzt, hätte die Beklagte keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt und die Bilanzfälschungen bei W. wären bereits im Jahr 2016 aufgeflogen. Die Klägerin hätte W. dann unter keinen Umständen die erste Kreditlinie über EUR X Mio. und natürlich auch nicht die zweite Kreditlinie über insgesamt EUR X Mio. gewährt. Weiter wäre die Klägerin nicht – wie es jetzt geschehen sei – mit ihren Ansprüchen aus den Kreditverträgen in Höhe von insgesamt EUR … ausgefallen, wobei aktuell nicht abzusehen sei, in welchem Umfang auf die diesbezüglichen Ansprüche der Klägerin eine Quotenausschüttung in den W.-Insolvenzverfahren erfolgen werde.
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Der Klägerin stünden daher gegen die Beklagte Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (§§ 675 Abs. 1, 631, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 328, 133, 157 BGB) sowie aufgrund einer Verletzung der Berichtspflicht (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 332 Abs. 1 Var. 3 HGB i.V.m. § 31 BGB analog) zu.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Insbesondere hat die Kausalität zwischen der ihr von der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen und der jeweiligen Kreditvergabeentscheidung in Abrede gestellt.
5
Das Landgericht München I hat unter dem Aktenzeichen 3 OH 2767/22 KapMuG am 14.03.2022 einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 KapMuG erlassen (veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16.03.2022) und das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt (dortiges Aktenzeichen 101 KAP 1/22).
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Das Erstgericht hat im hiesigen Verfahren nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 07.09.2023 den Rechtsstreit im Hinblick auf das anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren ausgesetzt. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG lägen vor. Die vorliegende Klage sei schlüssig und enthalte zum bestrittenen Sachvortrag zulässige Beweisangebote. Die Entscheidung über sie hänge jedenfalls von den (im Vorlagebeschluss) geltend gemachten Feststellungszielen unter Ziffer A.I. zur Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der W. ab. Ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG vorlägen, sei im Aussetzungsverfahren gem. § 8 KapMuG nicht zu prüfen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, der die Aussetzung allein davon abhängig mache, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhänge, und sie in diesem Fall zwingend vorschreibe, sei eine teleologische Reduktion auf Kapitalanleger nicht angezeigt, zumal es nicht sachgerecht sei, neben dem Musterverfahren dieselben Feststellungsziele in Einzelverfahren zu klären. Was die Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der W. anbelange, sei der vorliegende Sachverhalt auch gleich dem des Musterverfahrens.
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Der Beschluss wurde der Klägerin am 11.09.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 20.09.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legte die Klägerin sofortige Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss ein. Sie begehrt die Aufhebung des Beschlusses und die Fortführung des Verfahrens. Sie ist der Auffassung, vorliegend komme eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG nicht in Betracht, da der Anwendungsbereich des KapMuG nicht eröffnet sei.
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Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG setze voraus, dass die geltend gemachten Klageansprüche überhaupt Gegenstand des Musterverfahrens sein können. Die fehlerhaften Bestätigungsvermerke der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit seien keine Kapitalmarktinformation i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG, geltend gemacht würden auch keine Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, schließlich sei die Klägerin kein Kapitalanleger i. S. d. KapMuG, sondern ein Kreditgeber. Der geltend gemacht Anspruch unterfalle nicht dem Schutzzweck des KapMuG, es fehle zudem an einem vergleichbaren Lebenssachverhalt und der effektive Rechtsschutz der Klägerin werde durch die Aussetzung verletzt.
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Das Erstgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 22.09.2023 nicht ab.
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Die zulässige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.
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I. Die Beschwerde ist zulässig.
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1. Die Beschwerde ist statthaft, §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dies gilt auch für die Anfechtung der Aussetzungsentscheidung nach § 8 KapMuG (vgl. BT-Drs. 17/8799, S. 21: „Der ausdrückliche Ausschluss der Anfechtbarkeit im bisherigen § 7 Absatz 1 Satz 4 entfällt. Folglich findet künftig gegen die Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO die sofortige Beschwerde statt. Den Parteien des Ausgangsverfahrens soll nicht zugemutet werden, aufgrund eines fehlerhaften Aussetzungsbeschlusses möglicherweise jahrelang auf den Abschluss des Musterverfahrens warten zu müssen, bevor ihr Ausgangsverfahren fortgesetzt werden kann“; BGH, Beschluss vom 30. April 2019 – XI ZB 1/17 –, BGHZ 222, 27-32, Rn. 15; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 252 ZPO, Rn. 4).
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2. Die Beschwerde wurde auch formgerecht und innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO erhoben.
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
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Im Rahmen der Prüfung der Aussetzung ist zu prüfen, ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff KapMuG auch für das jeweilige von der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 KapMuG betroffene Verfahren vorliegen (dazu unter 1.). Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers ist eine öffentliche Kapitalmarktinformation (dazu unter 2.). Der persönliche Anwendungsbereich der KapMuG ist im Hinblick auf die Klägerin eröffnet (dazu unter 3.). Die Beklagte ist auch taugliche Anspruchsgegnerin eines KapMuG-Verfahrens (dazu unter 4.). Der Schutzzweck des KapMuG ist einschlägig (dazu unter 5.). Das vorliegende Verfahren sowie die dem Vorlagebeschluss vom 14.03.2022 zugrunde liegenden Verfahren sind auch „gleichgerichtet“ i. S. d. § 4 Abs. 1 KapMuG (dazu unter 6.). Der Aussetzung steht auch nicht der Gedanke des effektiven Rechtsschutzes entgegen (dazu unter 7.). Die Aussetzungsentscheidung stellt sich nicht deshalb als fehlerhaft dar, weil der Rechtsstreit – ohne dass es auf die Frage der Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse – und damit des Bestätigungsvermerks ankommt – bereits entscheidungsreif wäre (dazu unter 8.).
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1. Im Rahmen der Prüfung der Aussetzung ist zu prüfen, ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff KapMuG auch für das jeweilige von der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 KapMuG betroffene Verfahren vorliegen.
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Dies ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings umstritten.
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a. Der 8. Zivilsenat des OLG München (und ihm folgend der 13. Zivilsenat, Az. 13 U 9056/21 – juris) ist der Auffassung, dass die Frage, ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG vorliegen, im Aussetzungsverfahren gem. § 8 KapMuG nicht zu prüfen sei (OLG München, Beschluss vom 6. Mai 2022 – 8 U 5530/21 –, Rn. 52, juris). Die OLG-Senate beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH, wonach es der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht gebiete, dass das Prozessgericht von der Aussetzung des Verfahrens Abstand nimmt, wenn ein Gericht das Musterverfahren für unzulässig hält. Die Entscheidung über die Aussetzung stehe nicht im Ermessen des Prozessgerichts, sondern hänge ausschließlich von den in § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG genannten Voraussetzungen ab und sei bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele möglich (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 – II ZB 30/19 –, Rn. 20, juris; die Entscheidung betraf allerdings die Frage, ob die Aussetzung dann zu unterbleiben hat, wenn ein Gericht das Musterverfahren für unzulässig hält, und nicht die hier zu entscheidende Konstellation, ob das Prozessgericht zu prüfen hat, ob das auszusetzende Verfahren für sich betrachtet musterfeststellungsfähig ist).
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Nach Auffassung der OLG-Senate habe der Gesetzgeber trotz der Neuregelung der nunmehrigen Anfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses in § 8 KapMuG n.F. an der Unanfechtbarkeit und Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses in § 6 KapMuG n.F. festgehalten, obwohl der BGH diesbezüglich bereits vorher entschieden habe, dass die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses für das Oberlandesgericht entfallen solle, wenn der geltend gemachte Anspruch schon nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein könne (z.B. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – II ZB 11/10, zu § 4 KapMuG a.F.). Da der Gesetzgeber somit in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an der Unanfechtbarkeit und Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses festgehalten habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorläge, die – gegen den klaren Wortlaut von § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG – durch eine erweiternde Auslegung von § 8 KapMuG zu schließen wäre. Es würde auch keinen Sinn machen, dass ggf. Hunderte von „Prozessgerichten“ in Hunderten von Einzelverfahren jeweils im Aussetzungsverfahren gem. § 8 KapMuG prüfen und entscheiden müssten, ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG vorlägen mit der Folge, dass diese Vorfrage ggf. in allen divergierenden, hunderten Einzelentscheidungen durch Rechtsbeschwerde zum BGH geklärt werden müsste. Diese Prüfung habe vielmehr gebündelt ausschließlich im Musterverfahren zu erfolgen.
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b. Der XI. Zivilsenat des BGH (Beschluss vom 30. April 2019 – XI ZB 1/17 –, BGHZ 222, 27-32, Rn. 15) hat dagegen entschieden, dass im Zuge der Novellierung des KapMuG der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Senatsrechtsprechung zur Anfechtbarkeit eines Aussetzungsbeschlusses nach § 7 Abs. 1 KapMuG aF (vgl. Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 8 ff., vom 8. September 2009 – XI ZB 4/09, juris Rn. 5, vom 30. November 2010 – XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 10, vom 17. Mai 2011 – XI ZB 2/11, juris Rn. 8 und vom 11. September 2012 – XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rn. 13) den vormals in § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG aF normierten Anfechtungsausschluss aufgehoben hat, so dass die Aussetzungsentscheidung des erstinstanzlichen Prozessgerichts nunmehr gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der sofortigen Beschwerde unterliege (vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 21). Mit ihr könne auch geltend gemacht werden, dass das ausgesetzte Verfahren nicht in den Anwendungsbereich des KapMuG falle [Hervorhebung nur hier] (Beschlüsse vom 8. April 2014 – XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 23 und vom 30. April 2019 – XI ZB 13/18, XI ZB 14/18, XI ZB 15/18, n.n.v.; vgl. zu § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF bereits Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 7 und vom 30. November 2010 – XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 10; ebenso Anders/Gehle/Vogt-Beheim, 82. Aufl. 2024, KapMuG § 8 Rn. 1).
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c. Der II. Zivilsenat des BGH (Beschluss vom 16. Juni 2020 – II ZB 10/19 –, Rn. 21 – 22, juris) hat entschieden, dass das Prozessgericht das Verfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren aussetzt, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhänge. Feststellungsziel sei das auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung oder die Klärung einer Rechtsfrage gerichtete Begehren (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG). Jedes Feststellungsziel bilde ein gesondertes Rechtsschutzbegehren und mithin einen eigenständigen Streitgegenstand des Musterverfahrens (BGH, Beschluss vom 19. September 2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 32). Die Abhängigkeit der Entscheidung müsse sich auf die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele beziehen. Nach der Rechtsprechung des BGH würden Rechtsstreitigkeiten, in denen kein Musterfeststellungsantrag nach § 2 KapMuG gestellt werden könne, von § 8 Abs. 1 KapMuG von vornherein nicht erfasst (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 – II ZB 10/19 –, Rn. 21 – 22, juris; Beschluss vom 16. Juni 2009 – XI ZB 33/08, ZIP 2009, 1393 Rn. 10 zu § 7 Abs. 1 KapMuG aF; Beschluss vom 8. April 2014 – XI ZB 40/11, ZIP 2014, 1045 Rn. 19, 22; Beschluss vom 2. Dezember 2014 – XI ZB 17/13, ZIP 2015, 245 Rn. 11; Beschluss vom 5. November 2015 – III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 Rn. 16; Beschluss vom 30. April 2019 – XI ZB 13/18, BGHZ 222, 15 Rn. 33).
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d. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH an. Aus der oben zitierten Rechtsprechung des II. Zivilsenats geht nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht klar hervor, ob die Prüfung der Voraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG – und damit die Frage, ob das auszusetzende Verfahren überhaupt in den Anwendungsbereich des KapMuG fällt – im Rahmen der Beschwerde gegen die Aussetzungsentscheidung erfolgen soll. Die Gegenargumente des 8. Zivilsenats des OLG München überzeugen nicht. Insbesondere der verfassungsrechtliche Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebietet es, vor der Aussetzung zu prüfen, ob der Rechtsstreit des anhängigen Verfahrens den Voraussetzungen der §§ 1 ff KapMuG unterfällt. Denn ein Rechtsstreit, in dem der Musterverfahrensantrag als nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG unzulässig verworfen werden müsste, kann nicht durch Aussetzung nach § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG musterverfahrensfähig werden (Anders/Gehle/Vogt-Beheim, 82. Aufl. 2024, KapMuG § 8 Rn. 1).
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Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet in zivilrechtlichen Streitigkeiten nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. auch Art. 6 Abs. 1 EMRK). Schränkt der Gesetzgeber im Rahmen der ihm obliegenden normativen Ausgestaltungsbefugnis die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte ein, müssen solche Einschränkungen mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. Darin findet die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zugleich ihre Grenze. Der Rechtsweg darf danach nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118, 123 ff.; 93, 99, 107 f.).
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Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben erfordern eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, nach der eine Aussetzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung (§ 286 ZPO) gebildet hat, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Es ist dem Rechtsuchenden nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden Musterverfahrens warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Neben der reinen Verzögerung kann er erhebliche Rechtsnachteile in der Beweisführung dadurch erleiden, dass Zeugen verstorben sind oder sich wegen des Zeitablaufs nicht mehr genau an den Sachverhalt erinnern können. Ferner ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, eine Partei an den Kosten eines Musterverfahrens anteilig zu beteiligen (vgl. § 24 KapMuG), das für ihren Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist (BGH Beschluss vom 30.4.2019 – XI ZB 13/18, BeckRS 2019, 17221 Rn. 27-29, beck-online).
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Im Übrigen führt die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG auch im Aussetzungsverfahren ggf. zu einem erhöhten Prüfungsaufwand. Entgegen der Auffassung des 8. Zivilsenats wird dadurch aber nicht der mit der Bündelung der Verfahren im Musterverfahren angestrebte Zweck unterlaufen. Denn steht im Aussetzungsverfahren fest, dass das ausgesetzte Verfahren in den Anwendungsbereich der §§ 1 ff. KapMuG fällt, wird die Aussetzung regelmäßig erfolgen müssen (vgl. Vorwerk/Wolf KapMuG/Fullenkamp, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 8 Rn. 2).
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2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers eine öffentliche Kapitalmarktinformation.
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a. Die Rechtsprechung – soweit ersichtlich existiert dazu bislang keine Entscheidung des BGH – ist unterschiedlicher Auffassung.
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(1) Nach Auffassung des OLG Stuttgart werden Bestätigungsvermerke von der allgemeinen Begriffsdefinition der „öffentlichen Kapitalmarktinformation“ erfasst. Das OLG Stuttgart (z. B. Beschluss vom 29. Juni 2021 – 12 AR 11/21 –, Rn. 19, juris) führt aus, in Abgrenzung zum Prüfbericht gemäß § 321 HGB, dessen Adressat der Aufsichtsrat, ggf. der Vorstand oder die Hauptversammlung sei, richteten sich Bestätigungsvermerke gemäß § 322 HGB an die Öffentlichkeit und damit an einen Personenkreis, dem der Prüfbericht in der Regel nicht zugänglich sei (Störk/Philipps, Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage, § 322 HGB, Rn. 8). Sie gehörten zu den in § 325 Abs. 1 HGB abschließend aufgeführten, offenlegungspflichtigen und zum Bundesanzeiger einzureichenden Unterlagen (Störk/Philipps, Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage, § 325 HGB, Rn. 6). Die Bedeutung des Abschlussvermerks, auch für die Öffentlichkeit, zeige sich ferner daran, dass ein prüfungspflichtiger, aber nicht geprüfter Jahresabschluss gemäß § 316 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht festgestellt werden könne. Die Art des erteilten Vermerks über die Prüfung (uneingeschränkter bzw. eingeschränkter Bestätigungsvermerk, Versagungsvermerk) sei für die rechtswirksame Feststellung des Jahresabschlusses hingegen grundsätzlich ohne Bedeutung (Störk/Philipps, Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage, § 316 HGB, Rn. 10). Zudem ergebe sich die Wichtigkeit des Abschlussvermerks für die Öffentlichkeit auch daraus, dass ein festgestellter, der Prüfungspflicht von § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB unterliegender Jahresabschluss gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG nichtig sei, sofern er nicht nach §§ 316 ff. HGB geprüft worden sei (Störk/Philipps, Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage, § 316 HGB, Rn. 11). Schließlich folge die Bedeutung des Bestätigungsvermerks auch aus der Regelung des § 114 Abs. 2 Nr. 1 a und b WpHG für kapitalmarktorientierte Unternehmen. Die Formulierung „geprüfter“ Jahresabschluss spreche dafür, dass der Jahresabschluss einschließlich des Bestätigungsvermerks veröffentlicht werden müsse, obwohl der Bestätigungsvermerk nicht Teil des Jahresabschlusses sei (Becker in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage 2020, § 114 WpHG Rn. 22; Heidelbach/Doleczik in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Auflage, § 37 WpHG Rn. 30).
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(2) Nach der bisherigen Rechtsprechung des OLG München (vgl. u. a. Beschluss vom 20. Mai 2022 – 13 U 9056/21 –, Rn. 15 – 18, juris; Beschluss vom 19. September 2022 – 8 U 8302/21 –, Rn. 66, juris) stellen Bestätigungsvermerke öffentliche Kapitalmarktinformationen im Sinne des § 1 Abs. 2 KapMuG dar. Öffentliche Kapitalmarktinformationen seien gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Die Aufzählung in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 bis 6 KapMuG sei nicht abschließend (Vorwerk/Wolf, KapMuG/Radtke-Rieger, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 1 Rn. 32).
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Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers sei selbst eine öffentliche Kapitalmarktinformation. Der bestätigte Jahresabschluss sei in § 1 Abs. 2 Nr. 5 KapMuG als Beispiel hierfür ausdrücklich genannt. Der Bestätigungsvermerk sei zwar nicht Teil des Jahresabschlusses, jedoch sei er hierauf bezogen und enthalte die Information, dass der durch das Unternehmen erstellte Jahresabschluss von einem Abschlussprüfer nach den hierfür geltenden Regeln mit dem sich aus dem Bestätigungsvermerk ergebenden Ergebnis geprüft worden sei. Zwar möge die Frage, ob ein Bestätigungsvermerk zu erteilen sei, von Bewertungen des Abschlussprüfers abhängen. Wenn ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt worden sei, beinhaltet dies im Sinne der Definition des § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG die Information über die Tatsache, dass die Abschlussprüfung beanstandungsfrei durchgeführt worden sei. Dass die Abschlussprüfung keine Garantie dafür biete, dass eine in Übereinstimmung mit § 317 HGB und unter Beachtung der vom IDW festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung durchgeführte Prüfung eine wesentliche falsche Darstellung stets aufdecke, sondern die Zielsetzung der Abschlussprüfung lediglich eine hinreichende diesbezügliche Sicherheit sei, ändere hieran nichts. Es treffe nicht zu, dass sich der Aussagegehalt des Bestätigungsvermerkes in der eindeutig nicht das Tatbestandsmerkmal der Unternehmensdaten erfüllenden Einschätzung des Abschlussprüfers erschöpfe. Vielmehr seien die Unternehmensdaten in den Jahresabschlüssen enthalten und der uneingeschränkte Prüfvermerk enthalte die Tatsachenbehauptung, dass diese Unternehmensdaten im gesetzlich vorgegebenen – nicht auf absolute Sicherheit ausgelegten – Rahmen geprüft worden und – nach Einschätzung des Prüfers – nicht zu beanstanden seien.
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Das Testat sei auch für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt. Mit seinem Testat bestätige der Abschlussprüfer als „Garant der öffentlichen Rechnungslegung gegenüber der Allgemeinheit“, dass der Abschluss mit den Rechnungslegungsvorschriften und den gesellschaftsvertraglichen Vorschriften übereinstimme (BeckOGK/Bormann, 15.11.2020, HGB § 316 Rn. 5). Der Abschlussprüfer nehme eine öffentliche Funktion wahr, da es im öffentlichen Interesse liege, dass die Rechnungslegung unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittele (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – VII ZR 42/08 –, BGHZ 183, 323-340, Rn. 29; Röhl/Hidding, WM 2021, 1729, 1730).
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(3) Dagegen sieht das LG Hamburg (Beschluss vom 26. August 2022 – 313 O 182/20 –, Rn. 4, juris) in Bestätigungsvermerken keine öffentlichen Kapitalmarktinformationen i.S.v. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KapMuG. Die Bestätigungsvermerke könnten unter Beachtung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze nicht unter die Regelbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 KapMuG subsumiert werden, da dort nur die Jahresabschlüsse bzw. Lageberichte der Gesellschaften selbst erfasst seien. Das Gericht gehe ferner auch nicht davon aus, dass die Bestätigungsvermerke der Abschlussprüferin als sonstige – nicht in den Regelbeispielen nach § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG ausdrücklich aufgeführte – öffentliche Kapitalmarktinformationen einzuordnen seien. Bei den Bestätigungsvermerken handele es sich nicht um ein sonstiges Unternehmensdatum i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG, sondern um eine subjektive Bewertung eines externen Dritten, die nicht unter den Begriff des Unternehmensdatums subsumiert werden könne. In der Literatur werde ausführlich dargelegt, dass ein abweichendes Verständnis nach den von den Gerichten zu beachtenden Auslegungs- und Argumentationsgrundsätzen eine unzulässige, den Willen des Gesetzgebers nicht beachtende Ausdehnung der Normen des KapMuG bedeute.
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1. Auch in der Literatur existieren dazu verschiedene Auffassungen.
34
(1) Nach F. (ZIP 2022, 1683, 1692) werde der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers zum Jahres- oder zum Konzernabschluss gem. § 322 Abs. 1 HGB vom musterhaften Regelbeispiel in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 KapMuG, jedenfalls aber von der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG als öffentliche Kapitalmarktinformation eingeordnet. Für die Subsumtion unter das Regelbeispiel spreche, dass der Gesetzgeber inhaltlich die Rechnungslegung des Emittenten erfasse, zu der der Vermerk des Abschlussprüfers zähle. In jedem Fall sei der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers aber eine Information über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt seien und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen beträfen. Eine Information seien sowohl der Vermerk als auch sein Inhalt, weil beides – Vermerk und Inhalt – Tatsachen, Umstände, Ereignisse und Unternehmensinformationen seien, die durch die Offenlegung des Vermerks gem. § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB vermittelt würden. Beide Informationen stünden auch in Zusammenhang mit dem das Unternehmen betreibenden Emittenten und beträfen diesen daher. Auch seien sie mit der Öffentlichkeit für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt. Die Formulierung „Tatsachen, Umstände und sonstige Unternehmensdaten“ sei demgegenüber keine Einschränkung, da der Gesetzgeber insoweit lediglich partiell erläutere, worum es sich bei einer Information handele. Schließlich handele es sich bei Vermerk und Inhalt um Tatsachen und Umstände. Beide Kriterien würden nicht durch den am Ende der Aufzählung stehenden Begriff der sonstigen Unternehmensdaten eingeschränkt. Selbst wenn man aber auch noch davon ausgehe, handele es sich bei dem gem. § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB offenzulegenden und gem. § 318 HGB vom Unternehmen beauftragten Vermerk um ein Unternehmensdatum.
35
(2) Demgegenüber hält K. (BKR 2022, 366) den Bestätigungsvermerk nicht für ein Unternehmensdatum. Testate bzw. Bestätigungsvermerke eines Wirtschaftsprüfers seien Werturteile über die Daten des Unternehmens, nicht aber die Unternehmensdaten selbst. Gemäß § 316 HGB sei der Jahresabschluss und der Lagebericht von Kapitalgesellschaften (Abs. 1) bzw. der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht von Kapitalgesellschaften (Abs. 2) zu prüfen, wobei hinsichtlich der Abschlussprüfung der W. als Unternehmen von öffentlichem Interesse § 316a HGB gelte. Gegenstand und Umfang der Prüfung seien – wie § 317 HGB unmissverständlich vorschreibe – die für den Wirtschaftsprüfer fremden Daten des Unternehmens. Das Ergebnis dieser umfassenden Prüfung bilde den Bestätigungsvermerk gemäß § 322 Abs. 1 S. 1 HGB u. a. unter Beschreibung des Gegenstandes und Art und Umfang der Prüfung. Gleiches gelte für den Bestätigungsvermerk nach § 313 AktG, auch hinsichtlich des dort in Abs. 3 S. 2 vorgeschriebenen sog. Formaltestates.
36
(3) Auch M. (BKR 2022, 339) kommt zu dem Ergebnis, dass der Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers nicht als öffentliche Kapitalmarktinformation gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG eingeordnet werden könne, weil es als unternehmensexterne Information eines Dritten kein unternehmensinternes Datum darstelle. Auch mit Hilfe der Konkretisierung der öffentlichen Kapitalmarktinformation als unbestimmter Rechtsbegriff werde dieses Ergebnis bestätigt, weil ein Fallgruppenvergleich und die bisherigen Vergleichsfälle nur unternehmensinterne Daten als Unternehmensdatum im Sinne einer öffentlichen Kapitalmarktinformation ansähen. Das seien solche, die von dem Unternehmen als Informationsmonopolisten stammten, für die Hintermänner Verantwortung zeichneten oder mit denen Anlageberater oder -vermittler werben würden. Wenn Dritte ex post über unternehmensinterne Daten eine Bewertung abgäben, bildeten solche unternehmensexternen Informationen dagegen kein Unternehmensdatum. Eine Rechtsfortbildung sei abzulehnen, weil schon das Haftungssystem nicht erweitert werden sollte. Der Experimentiercharakter des KapMuG und die jüngste Novelle durch das FISG verdeutlichten, dass sich der Gesetzgeber eine solche Erweiterung ausdrücklich selbst vorbehalten möchte. Da der Bestätigungsvermerk selbst keine öffentliche Kapitalmarktinformation darstelle, könne die Überprüfung seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit nicht Gegenstand eines KapMuG-Verfahrens sein.
37
c. Unabhängig davon, ob das Argument, der Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers sei vergleichbar mit der Gruppe der Marktteilnehmer wie Journalisten, Finanzanalysten, Ratingagenturen oder der BaFin als Aufsichtsbehörde, deshalb handele es sich bei dem Bestätigungsvermerk um ein externes Unternehmensdatum, im Hinblick auf die unterschiedlichen Prüfungsmöglichkeiten und Prüfpflichten (vgl. § 317 HGB) überhaupt tragfähig ist, kommt es darauf nicht an.
38
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers eine öffentliche Kapitalmarktinformation.
39
Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 1 KapMuG im Jahr 2012 zur Begründung ausgeführt:
„Neben dem bisherigen Tatbestand in Absatz 1 Nummer 1 tritt daher nun Absatz 1 Nummer 2 – neu -. Danach können auch solche Prozesse in einem Musterverfahren gebündelt werden, in denen der Schadensersatzanspruch auf die Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder die Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, gestützt wird. Der Schadensersatzanspruch muss folglich nicht unmittelbar auf einer fehlerhaften, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformation beruhen, um musterverfahrensfähig zu sein. Somit können zukünftig auch Klagen, die auf einen vertraglichen Anspruch, etwa wegen fehlerhafter Anlageberatung oder -vermittlung, oder einen Anspruch aus § 241 Absatz 2, § 311 Absatz 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestützt werden, musterverfahrensfähig sein. Erfasst werden insbesondere die Fälle der sogenannten uneigentlichen Prospekthaftung (oder Prospekthaftung im weiteren Sinn), in denen sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospektes im Zusammenhang mit einer Beratung oder einer Vermittlung ergibt. Klagen aufgrund von Prospekthaftung im engeren und im weiteren Sinn – gegen Emittenten, Anbieter oder Zielgesellschaften einerseits und gegen Anlageberater und -vermittler anderseits – können also künftig in einem Musterverfahren zusammengefasst werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass der Anwendungsbereich in diesen Fällen nur dann eröffnet ist, wenn ein Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation besteht.
40
Der Beispielskatalog in Absatz 2 Satz 2 ist an das mittlerweile geltende Kapitalmarktrecht und an den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts (Bundestagsdrucksache 17/6051) angepasst worden“ (BT-Drs. 17/8799, S. 16f).
41
Nach § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 KapMuG umfasst der Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformation insbesondere Angaben in Jahresabschlüssen, Lageberichten, Konzernabschlüssen, Konzernlageberichten sowie Halbjahresfinanzberichten des Emittenten. Wie insoweit zutreffend Möllers (aaO.) ausführt, hat der Gesetzgeber mit dem Begriff „insbesondere“ zum Ausdruck gebracht hat, dass die Regelbeispiele nicht abschließend sind (s.a. BT-Drs. 15/5091, S. 21).
42
Wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber den Katalog der Kapitalmarktinformationen auch an die Regelung des VermAnlG angepasst haben wollte, ist auch die dortige Regelung für die Frage, ob der Bestätigungsvermerk unter die Kapitalmarktinformation zu subsumieren ist, zu berücksichtigen. Im Abschnitt 3 des VermAnlG ist neben den Jahresabschlüssen und Lageberichten (§ 23) auch Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers genannt (§ 25). Das legt nahe, dass der Gesetzgeber – der die Regelungen insoweit aneinander anpassen wollte – auch den Bestätigungsvermerk als Kapitalmarktinformation ansah, auch wenn dieser in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 KapMuG nicht ausdrücklich erwähnt ist. Damit umfasst der Begriff der Kapitalmarktinformation auch den Bestätigungsvermerk (s. a. § 23 Abs. 2 Nr. 4 VermAnlG, wonach der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers Bestandteil des Jahresberichts ist).
43
d. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, inwieweit der Bestätigungsvermerk überhaupt ein (gesondertes) Feststellungsziel des streitgegenständlichen KapMuG-Verfahrens ist, oder nur die Unrichtigkeit der Geschäftsabschlüsse (vgl. OLG München, Beschluss vom 19. September 2022 – 8 U 8302/21 –, Rn. 63, juris).
44
e. Nicht nachvollzogen werden kann die Auffassung der Klägerin, vorliegend im streitgegenständlichen Verfahren würden keine Schadensersatzansprüche „wegen falscher […] öffentlicher Kapitalmarktinformation“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG) geltend gemacht. Nach den vorgenannten Ausführungen handelt es sich nach Auffassung des Senats bei dem Bestätigungsvermerk um eine solche Information. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche gerade darauf, dass die Bestätigungsvermerke der Beklagten unrichtig gewesen seien, weil sie ihrer Auffassung nach gar nicht hätten erteilt werden dürfen.
45
3. Der persönliche Anwendungsbereich der KapMuG ist im Hinblick auf die Klägerin ebenfalls eröffnet.
46
a. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Begründung des Gesetzgebers enthalten einen Hinweis darauf, dass Voraussetzung für die Anwendung des § 1 KapMuG (und gleichlautend des § 32b ZPO) wären, dass der Kläger „Kapitalanleger“ ist.
47
b. Dies sieht im übrigen auch Großerichter so (in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Auflage, § 1 KapMuG, Rn. 63). Gleichwohl kommt er zu dem Ergebnis, schon aus dem Namen des Gesetzes gehe hervor, dass es die Bündelung der Ansprüche von Kapitalanlegern ermöglichen solle; auf diese Gruppe seien auch die inhaltlich tragenden Erwägungen zugeschnitten, wonach eine – gerade bei einer häufig geringen Schadenssumme des einzelnen Anlegers – kostenrisikoadäquate Rechtsverfolgung ermöglicht werden soll. Gerade die in diesem Zusammenhang betonte ordnungspolitische Steuerungsfunktion spreche gegen eine Ausdehnung der besonderen Verfahrensart über das Kapitalanlagerecht hinaus: Während die besondere Verfahrensart des KapMuG auf die besonderen Tatbestände des kapitalmarktrechtlich geprägten Haftungsrechts zugeschnitten sei und diese verfahrensmäßig effektuieren solle, würde ihr Einsatz in Bereichen, die von individuellen Vertrags- oder Organstellungsverhältnissen geprägt sind, zu einer Diskrepanz zwischen verfahrensrechtlichem Rahmen und individuell geprägter materieller Haftungsfrage führen. Die vom Gesetz gewollte verfahrensrechtliche Erleichterung und der darin liegende Ausgleich in der verfahrensrechtlichen Position gegenüber der wirtschaftlich potenteren Partei könnten sich in anderen Bereichen wie den genannten in ihr Gegenteil verkehren und ggf. ein materiell-rechtlich nicht angelegtes oder gewolltes Ungleichgewicht schaffen, z. B. durch das schiere Kostenrisiko eines KapMuG-Verfahrens die Position des Wirtschaftsprüfers, der den Prospekt geprüft hat, gegenüber dem Emittenten schwächen. Die Anwendung des Gesetzes sei daher entsprechend seinem Namen und der Intention des Gesetzesgebers, die im Rahmen der Reform 2012 nochmals betont worden sei auf die Ansprüche von Kapitalanlegern zu beschränken; es handele sich um ein ungeschriebenes bzw. nur im Titel des Gesetzes geschriebenes und in § 1 nicht nochmals wiederholtes Tatbestandsmerkmal (Großerichter in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Auflage, § 1 KapMuG, Rn. 65; ebenso LG Bonn, Urteil vom 16. Juni 2016 – 14 O 75/14 –, Rn. 32, juris; so wohl auch Kruis, in: KölnerKomm, KapMuG, 2. Auflage 2014, § 1, Rn. 79ff).
48
c. Dieser Auffassung kann sich der erkennende Senat nicht anschließen.
49
§ 32b ZPO „sieht in Absatz 1 einen ausschließlichen Gerichtsstand bei Klagen vor, mit denen der Ersatz eines auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens […] geltend gemacht werden“ (BT-Drs. 15/5091, S. 33; gleichlautend der Wortlaut zu § 1 KapMuG: „Nach Absatz 1 Satz 1 kann in einem Verfahren, das […] einen Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen […], zum Gegenstand hat, die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung begehrt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits hiervon abhängt“, BT-Drs. 17/8799, S. 20).
50
Eine weitere Voraussetzung, dass der Kläger zugleich sich am Emittenten gesellschaftsrechtlich beteiligt hat, statuiert das Gesetz gerade nicht. Das ist auch nachvollziehbar, denn Sinn der Regelung ist es, dass bei der Konzentration von Schadensersatzklagen wegen falscher öffentlicher Kapitalmarktinformationen aller Voraussicht nach nur ein Sachverständigengutachten erforderlich sein wird, um die beweiserheblichen Behauptungen zu klären. Dies führe zur Beschleunigung des Verfahrens und bewirke eine erhebliche Kostenersparnis für alle Beteiligten (BT-Drs. 15/5091, aaO.).
51
Das Musterverfahren sollte ordnungspolitischen Zielen dienen, indem es durch ein schlagkräftiges kollektives Rechtsverfolgungsinstrument dazu beitragen sollte, dass die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Weiterhin sollte durch das Musterverfahren der individuelle Rechtsschutz verbessert werden. Durch die Bündelung gleichgerichteter Ansprüche sollte das Kostenrisiko für den Einzelnen und auch die Gefahr divergierender Entscheidungen gesenkt werden. Das Musterverfahren sollte auch eine Entlastung der Gerichte bewirken, indem in einem Musterverfahren für eine Vielzahl von gleichgelagerten Rechtsstreitigkeiten bestimmte Tatsachen- und Rechtsfragen einheitlich geklärt werden (BT-Drs. 17/8799, S. 13, Unterstreichung nur hier).
52
Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber die mehrfache – oft nur mit sachverständiger Hilfe zu bewältigende – Klärung derselben Sach- und Rechtsfrage gerade vermeiden wollte. Im vorliegenden Fall wäre aber ebenfalls – parallel zum bereits eingeleiteten KapMuG-Verfahren – die Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse festzustellen. Schließlich würde dies zu einer Mehrfachbelastung der Gerichte führen, insbesondere, da die Klägerin offensichtlich nicht die einzige Kapitalgeberin der W. war, die die von der Beklagten testierten Jahresabschlüsse zur Kreditrisikoprüfung herangezogen hat.
53
Ein ungeschriebenes Merkmal im Anwendungsbereich des § 1 KapMuG, dass der Kläger als Kapitalanleger klagt, ist daher abzulehnen (vgl. auch Götz, ZIP 2016, 351, 354).
54
1. Die Beklagte ist taugliche Anspruchsgegnerin eines KapMuG-Verfahrens.
55
a. Der Gesetzgeber schweigt bei der Frage, wessen Informationen als öffentliche Kapitalmarktinformation zu werten sind; der Urheber, der Absender der öffentlichen Kapitalmarktinformation wird im Gesetz nicht genannt (vgl. Möllers, BKR 2022, 339).
56
b. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung 2012 den Anwendungsbereich gegenüber dem bisherigen Recht moderat erweitert und auf Rechtsstreitigkeiten mit mittelbarem Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation und somit insbesondere auf Anlagevermittler und -berater ausgedehnt (BT-Drs. 17/8799, S. 1). Innerhalb der Beschränkung auf kapitalmarktrechtliche Ansprüche wird der Anwendungsbereich des KapMuG moderat ausgeweitet. In der Rechtspraxis hat besonders die Behandlung von Ansprüchen aus fehlerhafter Anlagevermittlung und -beratung für Probleme gesorgt (BT-Drs. 17/8799, S. 14). Der frühere Gesetzeswortlaut wurde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass die falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation „unmittelbar“ den Anspruch begründen muss und daher vertragliche Ansprüche nicht vom Anwendungsbereich des KapMuG erfasst werden (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008, BGHZ 177, 88 und Beschluss vom 30. Oktober 2008, NJW 2009, 513). Dies galt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung selbst dann, wenn in einer Klage neben vertraglichen Ansprüchen auch Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinn geltend gemacht wurden (BGH, Beschluss vom 30. November 2010, WM 2011, 110). Diese Rechtslage führte dazu, dass das KapMuG nicht in der erforderlichen Weise für eine konzentrierte Erledigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen- und Rechtsfragen auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts sorgen konnte (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. Juli 2010, ZIP 2011, 50). Wenn öffentliche Kapitalmarktinformationen Voraussetzung eines vertraglichen Anspruchs sind, besteht kein überzeugender Grund, diese Anspruchsvoraussetzung nicht in einem Musterverfahren klären zu lassen, zumal die Übergabe eines Prospekts bereits als Mittel der Aufklärung über das zu vertreibende Kapitalanlageprodukt genügen kann (BGH, Urteil vom 12. Juli 2007, WM 2007, 1608 m. w. N.) und sich in diesen Fällen die Frage der Anlageberatungs- oder -vermittlungshaftung auf die Richtigkeit des Prospekts verengen kann (BT-Drs. 17/8799, S. 16).
57
c. Auf die Frage, inwieweit der Adressatenkreis der möglichen Anspruchsgegner durch die Neufassung des KapMuG auch auf mittelbare Haftende erweitert wurde, kommt es nach Auffassung des Senats jedoch nicht an.
58
(1) Offen bleiben kann daher in diesem Zusammenhang – worauf sich die Klägerin bezieht – inwieweit Regressansprüche einer – ihren Anlegern gegenüber haftenden – Gesellschaft gegen ihre Organe musterverfahrensfähig wären (vgl. Asmus/Waßmuth/Waßmuth, 1. Aufl. 2022, KapMuG § 1 Rn. 68, letztlich ohne Sachargument), zumal diese Ansprüche (da letztlich nur ein Kläger) sowieso an den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG scheitern würden.
59
(2) Auch aus der Auffassung im Schrifttum, dass Ansprüche gegen eine finanzierende Bank, wenn der klagende Kreditnehmer geltend macht, die Bank hätte ihn aufgrund einer Nebenpflicht aus dem Darlehensvertrag auf ein besonderes Risiko hinweisen müssen, welches mit der durch das Darlehen finanzierten Kapitalanlage verbunden war und der Erfolg der Klage von der Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation abhängt, nicht musterverfahrensfähig wären (Asmus/Waßmuth/Waßmuth, 1. Aufl. 2022, KapMuG § 1 Rn. 73; differenzierend Großerichter in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Auflage, § 1 KapMuG, Rn. 75; aA wohl OLG München Beschluss vom 27.8.2013 – 19 U 5140/12), ergibt sich für das vorliegende Verfahren nichts anders.
60
(3) Denn nach Auffassung des Senats handelt es sich bei dem Bestätigungsvermerk selbst um eine öffentliche Kapitalmarktinformation, deren Urheber die Beklagte ist (siehe oben unter II. 2.). Sie ist also unmittelbar für die falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation verantwortlich. Dass diese Verantwortlichkeit nicht vom Anwendungsbereich des KapMuG erfasst sein sollte, ist fernliegend.
61
5. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch der Schutzzweck des KapMuG – jedenfalls teilweise – einschlägig.
62
Wie die Klägerin selbst vorbringt, war u. a. Zielrichtung des Gesetzes, den Rechtsschutz des einzelnen Kapitalanlegers zu stärken, der sich aufgrund der hohen Prozessrisiken und -kosten (insbesondere im Hinblick auf Kosten für ein Sachverständigengutachten) im Verhältnis zu seinen vergleichsweise geringen Schadenssummen von einer Klageerhebung abhalten lässt. Der einzelne Kapitalanleger erleidet regelmäßig nur einen geringen Schaden, zu denen die im Falle eines Unterliegens zu erwartenden Kosten außer Verhältnis stehen. Hinzu kommen die strukturelle Unterlegenheit und das Informationsdefizit der Kleinanleger, die gegen eine Klage sprechen. Das KapMuG soll daher diesen Kleinanlegern die Möglichkeit geben, ihre geringen Schadensersatzansprüche durchzusetzen, ohne eine hohe Kostenbelastung befürchten zu müssen (vgl. Schriftsatz vom 20.09.2023, Rn. 88 m.w.Nachw.; ob dem so zu folgen ist, da der Gesetzgeber jedenfalls in Teilen auch von der Anwendung des KapMuG auf institutionelle Anleger ausgeht, vgl. BT-Drs. 19/17751, S. 2, kann dahinstehen). Allerdings erschöpft sich darin nicht der Regelungszweck des Gesetzes. Wie oben (unter B. II. 3. c) ausgeführt, sollte das Gesetz auch die Gerichte entlasten und der Gefahr widersprechender Entscheidungen (weil der derselbe Sachverhalt in mehreren Prozessen geprüft und ggf. mit sachverständiger Hilfe geklärt werden muss) vorbeugen. Wollte man der Auffassung der Klägerin im vorliegenden Fall folgen, wäre die Frage, ob die Jahresabschlüsse der W. falsch waren, auch im hiesigen Verfahren, und ggf. parallel zum Musterfeststellungsverfahren erneut zu prüfen. Damit würden aber einige erhebliche Ziele des KapMuG-Verfahrens konterkariert.
63
6. Das vorliegende Verfahren sowie die dem Vorlagebeschluss vom 14.03.2022 zugrunde liegenden Verfahren sind auch „gleichgerichtet“ i. S. d. § 4 Abs. 1 KapMuG.
64
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin entfällt die Gleichgerichtetheit nicht deshalb, weil den Verfahren, die dem Vorlagebeschluss zugrunde lagen, die Kläger den Schaden auf den Erwerb von Aktien, die hiesige Klägerin ihren Anspruch aber auf die Vergabe von Krediten stützen.
65
Als gleichgerichtet gelten Musterverfahrensanträge, wenn ihre Feststellungsziele (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG) den gleichen zugrundeliegenden Lebenssachverhalt betreffen (siehe die Legaldefinition in § 4 Abs. 1 KapMuG). Der maßgebliche Lebenssachverhalt wird durch alle Tatsachen bestimmt, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt. Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht. Es kommt nicht darauf an, dass die Feststellungsziele i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG inhaltlich gleich sind. Dies hat zur Folge, dass in einem Musterverfahren verschiedene Feststellungsziele verbunden werden können, obwohl sie nicht alle in allen Musterverfahrensanträgen genannt wurden.
66
Um der mit dem KapMuG verfolgten Zielsetzung, namentlich die konzentrierte Erledigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen- und Rechtsfragen auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts, gerecht zu werden, sollen an die notwendigen Voraussetzungen nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. Notwendig ist dafür die größtmögliche Bündelung aller möglichen Feststellungsziele. Wie dem § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG in der aktuell geltenden Fassung zu entnehmen ist, können Klagen aufgrund von Prospekthaftung im engeren und im weiteren Sinn – gegen Emittenten, Anbieter oder Zielgesellschaften einerseits und gegen Anlageberater und -vermittler anderseits – in einem Musterverfahren zusammengefasst werden. Von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ist etwa auszugehen, wenn sich der Anleger auf eine fehlerhafte Beratung beruft, zugleich Prospektfehler geltend macht und der Prospekt der Beratung zugrunde lag. Auch können über einen längeren Zeitraum unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellen (Vorwerk/Wolf KapMuG/Riedel, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 4 Rn. 12, 13).
67
Unstreitig liegt sowohl den Verfahren, die dem Vorlagebeschluss zugrunde liegen, als auch dem hiesigen Verfahren die Tatsachen- und Rechtsfrage zugrunde, ob und inwieweit die Geschäftsberichte der W. – und daraus folgend die den Jahresabschlüssen beigefügten Bestätigungsvermerke der Beklagten – unrichtig waren.
68
7. Der Aussetzung steht auch nicht der Gedanke des effektiven Rechtsschutzes entgegen.
69
a. Soweit die Klägerin sich dabei auf die Kostenbelastung im Musterfeststellungsverfahren bezieht (Schriftsatz vom 20.09.2023, S. 38 ff = Bl. 600 ff der Erstakte), betrifft dies andere institutionelle Anleger (Fonds etc.) in gleicher Weise. Das Verfahren ist vom Gesetzgeber so angelegt worden.
70
b. Zutreffend ist zwar, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits in Fällen, in denen ein Musterfeststellungsantrag unzulässig ist, für die Parteien mit Verfahrensverzögerungen und zusätzlichen Kosten verbunden ist, ohne dass sie Vorteile aus dem Musterverfahren haben (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 – XI ZB 33/08 –, Rn. 13, juris – allerdings zur Frage der Anfechtbarkeit der Aussetzungsentscheidung). Vorliegend hält der Senat die Aussetzung allerdings für zulässig. Die Klägerin wird zwar damit belastet, dass das KapMuG-Verfahren auch Feststellungsziele und Ansprüche umfasst, die mit dem vorliegenden Verfahren in keinem Zusammenhang stehen, und weitere Musterbeklagte beteiligt sind, gegen die die Klägerin kein Gerichtsverfahren eingeleitet hat. Die Belastung trifft jedoch auch jeden einzelnen Kapitalanleger. Ein Käufer von Aktien der W., der diese im Jahr 2019 aufgrund des Geschäftsberichts für das Jahr 2018 erworben hat, hat regelmäßig auch kein Interesse an der Feststellung der Unrichtigkeit der Geschäftsberichte für die Jahre 2014 – 2017 (ebenso Gegenstand des Vorlagebeschlusses des LG München I). Da Zweck des KapMuG auch die Entlastung der Gerichte und die Vermeidung der Gefahr widersprechender Entscheidungen ist, ist die für die Klägerin dadurch entstehende Belastung – da die übrigen Voraussetzungen für eine Aussetzung nach Auffassung des Senats vorliegen – hinzunehmen.
71
8. Die Aussetzungsentscheidung stellt sich auch nicht deshalb als fehlerhaft dar, weil der Rechtsstreit – ohne dass es auf die Frage der Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse – und damit des Bestätigungsvermerks ankommt – bereits entscheidungsreif wäre.
72
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG unzulässig, wenn der Rechtsstreit bereits unabhängig von den Feststellungszielen auf geklärter Tatsachengrundlage ohne weitere Beweiserhebung entscheidungsreif ist, beispielsweise wegen anderweitiger Rechtshängigkeit des Streitgegenstands oder Verjährung der geltend gemachten Ansprüche (BGH Beschluss vom 2. Dezember 2014 – XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 13; BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – III ZB 88/15, WM 2016, 403 Rn. 14, vom 25. Februar 2016 – III ZB 74/15, juris Rn. 14, III ZB 76/15, juris Rn. 14, III ZB 77/15, juris Rn. 14, III ZB 78/15, juris Rn. 14, III ZB 79/15, juris Rn. 14 und vom 24. März 2016 – III ZB 75/15, juris Rn. 14; Beschluss vom 30. April 2019 – XI ZB 13/18 –, BGHZ 222, 15-27, Rn. 20).
73
Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG demgegenüber offenbleiben müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen. Offenbleiben muss deswegen hier, ob eine Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse und damit der Bestätigungsvermerke vorliegt und gegebenenfalls welche, sowie ferner, ob die Beklagte hierauf bezogen ein Verschulden trifft oder die Unrichtigkeit für die Kreditentscheidung kausal geworden ist. Diese Punkte lassen sich erst konkret prüfen, wenn ein bestimmter Fehler feststeht (vgl. auch BGH Beschluss vom 30.4.2019 – XI ZB 13/18, BeckRS 2019, 17221 Rn. 34, beck-online; zu den hier streitgegenständlichen Feststellungszielen und der Kausalität vgl. auch OLG München, Beschluss vom 6. Mai 2022 – 8 U 5530/21 –, juris; Beschluss vom 20. Mai 2022 – 13 U 9056/21 –, Rn. 44, juris).
74
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 ZPO zuzulassen.
75
Der Senat weicht von der Rechtsprechung anderer Senate bzw. Oberlandesgericht ab (unter B II. 1.). Zudem sieht der Senat eine grundsätzliche Bedeutung insoweit, als bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, (1) ob der Bestätigungsvermerk eines Abschlussprüfers eine Kapitalmarktinformation im Sinne des KapMuG ist, (2) ob das KapMuG auf jeden beliebigen Anspruchsinhaber oder nur für Kapitalanleger im Sinne des KapMuG anwendbar ist, (3) ob das KapMuG auf jeden beliebigen Anspruchsgegner anwendbar ist oder nur Fälle erfasst, in denen die Haftung von der Verantwortung der Beklagten für die Veröffentlichung oder die unterlassene Veröffentlichung einer Kapitalmarktinformation abhängt und (4) ob das KapMuG aus teleologischen Gründen nicht auf institutionelle Darlehensgeber anwendbar ist.
76
Die Zuständigkeit des BGH folgt aus Art. 11 AGGVG, § 8 Abs. 2 EGGVG, da vorliegend Bundesrecht betroffen ist.
77
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Klägerin wendet sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 KapMuG. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Ausgangsrechtsstreits, welche die in der Sache unterliegende Partei unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat (vgl. BGH Beschluss vom 30.4.2019 – XI ZB 13/18, BeckRS 2019, 17221 Rn. 36, beck-online).