Titel:
Anwendung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG auch bei Ausländern mit einer Behinderung
Normenketten:
UN-Behindertenrechtskonvention Art. 5 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 2 S. 3, § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2, Nr. 4, Nr. 5
Leitsätze:
1. Der Gesetzesbegründung zu § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 AufenthG lässt sich aber nicht entnehmen, dass beabsichtigt war, die Härtefallklausel in § 25b Abs. 3 AufenthG inhaltlich identisch (also insbesondere auch in Bezug auf die Lebensunterhaltssicherung) zu übernehmen. Unabhängig davon, dass der Gesetzeswortlaut des 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 AufenthG eine entsprechende Auslegung nicht erlaubt ("Von dieser Voraussetzung wird abgesehen..."), deutet das Wort "übertragen" in der Gesetzesbegründung vielmehr darauf hin, dass beabsichtigt war, den Besonderheiten des § 25a AufenthG Rechnung zu tragen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle einer mittelbaren Benachteiligung liegt nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Aus einer konkreten mittelbaren Benachteiligung folgt im Allgemeinen kein Anspruch darauf, dass eine solche unterbleibt oder beseitigt wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anwendung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG auch bei Ausländern mit einer Behinderung verstößt auch nicht gegen Art. 5 Abs. 2 UN-Behindertenrechtskonvention, der zwar als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte, insbes. auch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, herangezogen werden werden kann, aber keine subjektiven Ansprüche auf Aufenthaltsgewährung begründet. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und jungen Volljährigen, Ausländer mit einer Behinderung, Einfügen in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland, Planwidrige Regelungslücke, Analogie, Diskriminierungsverbote, planwidrige Regelungslücke, mittelbare Benachteiligung, Diskriminierungsverbot, UN-BRK
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 14.12.2023 – RO 9 K 23.2003
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7475
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 28. September 2023 zu Recht versagt (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO). Mit diesem Bescheid lehnte der Beklagte die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse ab (Nr. I des Bescheids), drohte dem Kläger unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung insbesondere in den Irak an (Nrn. II und III des Bescheids) und wies darauf hin, dass bei schuldhafter und erheblicher Überschreitung der Ausreisefrist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von bis zu einem Jahr für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Schengener Staaten angeordnet werden könne (Nr. IV des Bescheids).
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Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 8 m.w.N.).
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1. Soweit der am ... 2002 geborene, wohl bereits von Geburt an behinderte (GdB von 100 mit Merkzeichen G und B), am 15. April 2019 gemeinsam mit seinen Eltern und vier volljährigen Geschwistern in das Bundesgebiet eingereiste und nach dem erfolglosen Abschluss seines Asylverfahrens geduldete Kläger, irakischer Staatsangehöriger, vortragen lässt, er erfülle zwar die schulischen bzw. beruflichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG nicht, der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG liege aber der Gedanke zugrunde, dass auch behinderten Ausländern eine Aufenthaltsverfestigung möglich sein müsse und behinderte Asylbewerber dürften nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und der UN-Behindertenrechtskonvention nicht benachteiligt werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung nicht arbeiten könnten, lässt sich aus dem Beschwerdevorbringen keine hinreichende Erfolgsaussicht seiner Klage ableiten.
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1.1 Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, der Kläger erfülle die Erteilungsvoraussetzungen der „Sicherung des Lebensunterhalts“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), des „Einfügens in die hiesigen Lebensverhältnisse“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) und des „Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) nicht, greift der Kläger im Beschwerdevorbringen bereits nicht an.
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1.2 Ebenso wenig greift der Kläger mit seinem Beschwerdevorbringen die verwaltungsgerichtliche Auffassung, aufgrund der Existenz des krankheits- oder behinderungsbedingten Privilegierungstatbestandes in § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG scheide eine analoge Anwendung von Bestimmungen wie § 9 Abs. 2 Satz 3 oder 4 AufenthG oder § 25b Abs. 3 AufenthG im Rahmen der anderen allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a AufenthG, hier vor allem „Sicherung des Lebensunterhalts“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), „Einfügen in die hiesigen Lebensverhältnisse“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) und „Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) mangels planwidriger Regelungslücke aus, substantiiert an. Den klägerischen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, weshalb entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist.
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Eine solche ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zu § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG. Darin wird zwar ausgeführt, dass die bereits in § 25b Abs. 3 AufenthG bestehende Härtefallklausel, wonach (in Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien <“Die übrigen Voraussetzungen bleiben von dieser Ausnahmeregelung unberührt“, BT-Drs. 18/4097, S. 45>) nur vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG sowie dem Sprachnachweiserfordernis in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG abgesehen wird, auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG übertragen werde (BT-Drs. 20/4700 S. 15). Der Gesetzesbegründung zu § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG (BT-Drs. 20/4700 S. 15) lässt sich aber nicht entnehmen, dass beabsichtigt war, die Härtefallklausel in § 25b Abs. 3 AufenthG inhaltlich identisch (also insbesondere auch in Bezug auf die Lebensunterhaltssicherung) zu übernehmen. Unabhängig davon, dass der Gesetzeswortlaut des 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG eine entsprechende Auslegung nicht erlaubt („Von dieser Voraussetzung wird abgesehen…“), deutet das Wort „übertragen“ in der Gesetzesbegründung vielmehr darauf hin, dass beabsichtigt war, den Besonderheiten des § 25a AufenthG Rechnung zu tragen.
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1.3 Auch der klägerischen Rüge, der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG liege der Gedanke zugrunde, dass auch behinderten Ausländern eine Aufenthaltsverfestigung möglich sein müsse, fehlt es an darüberhinausgehenden substantiierten Ausführungen, weshalb eine Aufenthaltsverfestigung von Ausländern mit einer Behinderung außerhalb des § 25a AufenthG nicht möglich sein soll. Ein entsprechender Vortrag wäre schon deshalb erforderlich, weil das Verwaltungsgericht den Kläger zurecht auf einen Folgeschutzantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG (unter Vorlage mindestens eines fachärztlichen Attests, aus dem aktuell, aussagekräftig und belastbar eine gesundheitsbedingte, auch durch behördliche Vorkehrungen nicht überwindbare Unmöglichkeit der Abschiebung ersichtlich wird) hingewiesen worden ist.
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1.4 Entgegen der klägerischen Auffassung verstößt die Anwendung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auch bei Ausländern mit einer Behinderung weder gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG noch gegen Art. 5 Abs. 2 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).
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1.4.1 Die Anwendung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auch bei Ausländern mit einer Behinderung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
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Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet Normgebern und Verwaltung, Behinderte gezielt schlechter zu stellen, sofern dies nicht aus zwingenden Gründen geboten ist (BVerfG, B.v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94 – juris Rn. 56). Da die genannte Erteilungsvoraussetzung keine Rechtsfolge an das Vorliegen einer Behinderung anknüpft, liegt eine unmittelbare Benachteiligung von Ausländern mit einer Behinderung nicht vor.
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Darüber hinaus ist der Schutzbereich des Grundrechts berührt, wenn Rechtsnormen oder Verwaltungspraxis zwar für Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen gelten, Behinderte aber wegen der unterschiedlichen Auswirkungen der Rechtsanwendung faktisch (mittelbar) benachteiligt werden, etwa weil sie eine bestimmte rechtliche Gewährleistung aus tatsächlichen Gründen nicht in Anspruch nehmen können (BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35/14 – juris Rn. 26). Insoweit enthält Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG den Auftrag an Gesetzgeber und Verwaltung, die Stellung von Behinderten in Staat und Gesellschaft zu stärken (BT-Drs. 12/8165 S. 28 f.).
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Ob vorliegend eine mittelbare Benachteiligung von Ausländern mit einer Behinderung im Hinblick darauf, dass von der Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG alle Ausländer betroffen werden, bei denen es nicht gewährleistet erscheint, dass sie sich auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen können, vorliegt, kann offenbleiben, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Ausländer mit einer Behinderung diese Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllen kann (vgl. zur mittelbaren Benachteiligung im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG BVerfG, B.v. 29.1.2019 – 2 BvC 62/14 – juris Rn. 55). Denn im Falle einer mittelbaren Benachteiligung liegt nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Aus einer konkreten mittelbaren Benachteiligung folgt im Allgemeinen kein Anspruch darauf, dass eine solche unterbleibt oder beseitigt wird. Vielmehr steht Normgebern und Verwaltung bei ihrer Entscheidung darüber, ob und inwieweit sie dem grundgesetzlichen Fördergebot Rechnung tragen, regelmäßig ein Einschätzungsspielraum zu. Einerseits müssen sie die Auswirkungen einer behindertenbedingten Benachteiligung für die Betroffenen in den Blick nehmen. Andererseits haben sie rechtlich schutzwürdige gegenläufige Belange, aber auch organisatorische, personelle und finanzielle Gegebenheiten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen (BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – juris Rn. 27 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 17.5.2016 – 8 LA 40/16 – juris Rn. 16; VG Schleswig, U.v. 7.2.2019 – 1 A 66/16 – juris 34). Das Grundgesetz fordert zur Achtung des Diskriminierungsverbots aber keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen (BSG, U.v. 6.3.2012 – B 1 KR 10/11 R – juris Rn. 33).
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Ausgehend hiervon ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht ersichtlich. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG erfordert eine positive Integrationsprognose. Diese kann gestellt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass der ausländische Jugendliche oder junge Volljährige sich in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Geboten ist eine die konkreten individuellen Lebensumstände des ausländischen Jugendlichen oder jungen Volljährigen berücksichtigende Gesamtbetrachtung, etwa der Kenntnisse der deutschen Sprache, des Vorhandenseins eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, des Schulbesuchs und des Bemühens um eine Berufsausbildung und Erwerbstätigkeiten, des sozialen und bürgerschaftlichen Engagements sowie der Akzeptanz der hiesigen Rechts- und Gesellschaftsordnung (NdsOVG, U.v. 19.3.2012 – 8 LB 5/11 – juris Rn. 74 m.w.N.). Es müssen hinreichend aussagekräftige Faktoren festgestellt werden, welche die Annahme rechtfertigen, dass die Person die persönlichen Eigenschaften hat, um sich in Zukunft zu integrieren. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, ob die individuellen Möglichkeiten wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung eingeschränkt sind (Göbel-Zimmermann/Hupke in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 25a Rn. 13).
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Sinn und Zweck des § 25a AufenthG ist es im Wesentlichen, die Rechtsstellung derjenigen zu stärken, die auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben. Letztere sollen durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus honoriert werden (BT-Drs. 18/4097 S. 23; OVG SH, B.v. 14.1.2019 – 4 MB 126/18 – juris Rn. 6). § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist insoweit (wohl) die bedeutendste besondere Erteilungsvoraussetzung des § 25a AufenthG. Durch die Regelung kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber von den (jungen) Ausländern aufgrund ihrer bislang erbrachten Integrationsleistungen nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG eine schnelle und unkomplizierte weitere Integration erwartet. Ist bei Ausländern, die unter § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG fallen, in Einzelfällen möglicherweise eine wirtschaftliche Integration nicht zu erwarten und würde man im Rahmen der Integrationsprognose im Hinblick auf § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG bei dem dort genannten Personenkreis auf den Aspekt des Einfügens in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht nicht abstellen, bedeutet dies aber nicht, dass auch eine begründete Erwartung des Einfügens in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland im Übrigen (also insbesondere in sozialer und rechtlicher Hinsicht) ebenfalls nicht bestehen müsste. Würde man bei Ausländern, die unter § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 AufenthG fallen, gänzlich auf die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG verzichten, wäre solchen Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ohne Integrationsleistungen (die aber gerade durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG honoriert werden sollten) zu erteilen. Das entspräche nicht der gesetzgeberischen Intention und würde gerade im Hinblick auf die begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates zu unverhältnismäßigen und unbilligen Belastungen führen, die das Grundgesetz aber insoweit gerade nicht fordert (vgl. BSG, U.v. 6.3.2012 – B 1 KR 10/11 R – juris Rn. 33).
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1.4.2 Die Anwendung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auch bei Ausländern mit einer Behinderung verstößt auch nicht gegen Art. 5 Abs. 2 UN-BRK.
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Die UN-BRK hat in Deutschland Gesetzeskraft (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21.12.2008, BGBl II S. 1419) und kann als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte, insbesondere auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, herangezogen werden (BVerfG (Kammer), B.v. 31.3.2021 – 1 BvR 413/20 – juris Rn. 36). Sie begründet aber keine subjektiven Ansprüche auf Aufenthaltsgewährung (OVG Hamburg, U.v. 25.8.2016 – 3 Bf 153/13 – juris Rn. 118).
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Nach Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 UN-BRK verbieten die Vertragsstaaten jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung (worunter auch die Versagung angemessener Vorkehrungen fällt <d.h. notwendiger und geeigneter Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können>), die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird („Diskriminierung aufgrund von Behinderung“), und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.
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Das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art. 5 Abs. 2 UN-BRK entspricht insoweit im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (OVG Hamburg, U.v. 25.8.2016 – 3 Bf 153/13 – juris Rn. 117). Da die UN-BRK – wie das Grundgesetz – zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen fordert und die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen nicht höher sind als die nach dem Grundgesetz (vgl. BSG, U.v. 6.3.2012 – B 1 KR 10/11 R – juris Rn. 33; OVG Lüneburg, B.v. 15.10.2013 – 4 ME 238/13 – juris Rn. 3 ff.), kann insoweit auf die obigen Ausführungen zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verwiesen werden.
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1.4.3 Da der Kläger die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt (ein Einfügen in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland „im Übrigen“ ist beim Kläger schon deshalb nicht anzunehmen, weil der Kläger keine Kenntnisse der deutschen Sprache besitzt und keine persönliche Beziehung zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie dargelegt hat), kommt es nicht darauf an, ob die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, der Kläger erfüllt auch die Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nicht, zutrifft.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).