Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.03.2024 – 1 ZB 23.1548 , 1 ZB 23.1584
Titel:

Erweiterung eines Wohnhauses im Außenbereich

Normenkette:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7, Abs. 4 S. 1 Nr. 5
Leitsatz:
Die Angemessenheit der Erweiterung eines im Außenbereich gelegenen Wohnhaus ist zu verneinen, wenn die Erweiterung für einen Zweipersonenhaushalt bestehend aus der Tochter des Eigentümers und deren Lebensgefährten beantragt wurde, weil der Lebensgefährte nicht zur Familie gehört. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Aufstockung eines im Außenbereich gelegenen Wohngebäudes, Angemessenheit der Wohnraumerweiterung (verneint), Wohngebäude, Außenbereich, Erweiterung, Angemessenheit, Wohnbedürfnis, Wohnraumbedarf, Splittersiedlung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 02.03.2023 – M 11 K 20.6166
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7468

Tenor

I. Die Verfahren 1 ZB 23.1548 und 1 ZB 23.1584 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Der Beigeladene hat die Kosten der Zulassungsverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird auf insgesamt 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen dem Beigeladenen erteilten Vorbescheid und eine Baugenehmigung jeweils für die Erweiterung eines Bestandsgebäudes zu einem Zweifamilienhaus, mit dem ihr verweigertes gemeindliches Einvernehmen ersetzt wurde.
2
Der Beigeladene ist Eigentümer des im planungsrechtlichen Außenbereich gelegenen Grundstücks FlNr. …, Gemarkung B., auf dem im Jahr 2012 ein Einfamilienhaus als Ersatzbau für ein im Jahr 1957 genehmigtes Wohngebäude, das durch einen Brand zerstört wurde, genehmigt wurde. Die nördlich des Wohngebäudes befindliche Doppelgarage mit einem Aufenthaltsraum im Untergeschoss war bereits Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens (Az. M 11 K 13.3251 und 1 B 16.2375).
3
Mit dem beantragten Bauvorbescheid wurde die Genehmigungsfähigkeit einer zusätzlichen Geschossfläche von 103 m² für ein zweites Vollgeschoss im Obergeschoss, eine zusätzliche Wohnfläche von 85 m² für eine zweite Wohneinheit und die Höhenentwicklung abgefragt. In dem neuen Geschoss soll eine Einliegerwohnung für die volljährige Tochter und deren Lebenspartner geschaffen werden. Die Eingabeplanung weist für die Wohnung im Erdgeschoss u.a. zwei Kinderzimmer und eine Gesamtwohnfläche von ca. 134,62 m² aus; der im Grundriss „Keller Bestand“ als „Zimmer (Bestand)“ bezeichnete Raum unterhalb der Doppelgarage soll nicht Genehmigungsbestandteil sein. Im Obergeschoss ist der Ansicht West eine Dachterrasse mit Geländer zu entnehmen, ohne dass der Grundriss „Obergeschoss Erweiterung“ hierzu Eintragungen oder Angaben enthält. Die Wohnfläche der Wohnung im Obergeschoss (ohne Kinderzimmer) ist mit ca. 84,19 m² angegeben. Die Planung im Baugenehmigungsverfahren entspricht im Erd- und Untergeschoss im Wesentlichen der Planung des Vorbescheidsverfahrens; anstatt eines 2. Kinderzimmers ist ein Medienraum vorgesehen. Im Obergeschoss wurde demgegenüber der Grundriss der Wohnung umgeplant; er enthält nunmehr ein Kinderzimmer sowie eine überdachte Dachterrasse. Für die Wohnung im Obergeschoss wird eine Wohnfläche von 79,43 m² (ohne Terrasse) bzw. 82,39 m² (unter anteiliger Anrechnung der Terrassenfläche) ausgewiesen.
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Auf die Klagen der Klägerin gegen die erfolgte Erteilung des Bauvorbescheids und der Baugenehmigung hob das Verwaltungsgericht die Bescheide des Landratsamts vom 10. November 2020 und 4. Januar 2022 auf. Das im bauplanungsrechtlichen Außenbereich liegende Wohnbauvorhaben beeinträchtige als sonstiges Vorhaben öffentliche Belange, da zumindest die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten sei. Die Voraussetzungen einer Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidungen nicht vorgelegen. Nach den vorgelegten Antragsunterlagen und den Erklärungen des Beigeladenen bzw. seiner zum Zeitpunkt des Vorbescheidsantrags gerade volljährigen Tochter sowie dem Schreiben der Architektin des Beigeladenen sei die Lebensplanung der Tochter, insbesondere Heiratsund Familiengründungsplanung, nicht hinreichend konkret und gefestigt, um eine auf Dauer angelegte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft plausibel erscheinen zu lassen.
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Mit den Anträgen auf Zulassung der Berufung macht der Beigeladene geltend, dass die Wohnraumerweiterung im Hinblick auf die objektiven Wohnbedürfnisse angemessen sei und der Wohnraumversorgung der Familienangehörigen diene. Für einen Haushalt mit mehr als vier Personen könne die Orientierungsgrundlage nach § 39 Abs. 1 II. WoBauG überschritten werden. Es sei nachvollziehbar dargelegt worden, inwieweit eine weitere Wohneinheit von der Familie genutzt werden solle. Dabei handle es sich nicht um vorgeschobene Gründe oder nur vage Vorstellungen. Das Verwaltungsgericht habe bei der Frage der zu befürchtenden Erweiterung einer Splittersiedlung nicht die vorhandene typische Siedlungsstruktur berücksichtigt. Im Hinblick auf die intensive umliegende Bebauung sei eine Vorbildwirkung nicht gegeben.
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Der Beklagte hat kein eigenes Rechtsmittel eingelegt und sieht von einer Antragstellung im Berufungszulassungsverfahren ab.
7
Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Zulassungsanträge und trägt ergänzend vor, dass der Lebensgefährte der Tochter des Beigeladenen nicht in einer familienrechtlichen Beziehung zum Eigentümer stehe. Er zähle nicht zum Haushalt im Sinn von § 8 Abs. 2 des früheren II. WoBauG bzw. nach § 18 WoFG und falle nicht unter den einschränkenden Familienbegriff des Teilprivilegierungstatbestandes. Die Einlassungen des Beigeladenen ließen keine auf Dauer angelegte Wirtschaftsgemeinschaft erkennen.
8
Ergänzend wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
10
Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt.
11
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des nach § 35 Abs. 2 BauGB zu behandelnden Wohnbauvorhabens zu Recht verneint, weil es nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB teilprivilegiert ist (1.) und die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt (2.).
12
1. Durch § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB sollen Härten und Schwierigkeiten beseitigt werden, um dem Eigentümer und seiner Familie eine angemessene Wohnraumversorgung zu erleichtern (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2019 – 4 B 26.18 – ZfBR 2019, 385; B.v. 6.10.1994 – 4 B 178.94 – NVwZ 1995, 700). Die Vorschrift kommt Vorhaben zugute, die der Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen dienen. „Erweiterung“ bedeutet in diesem Zusammenhang die bloße Vergrößerung des eigengenutzten Wohngebäudes, ohne dass dadurch dessen bisheriger Charakter verloren ginge.
13
Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es an der Angemessenheit der Erweiterung im Sinn von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchst. b BauGB. Denn angemessen ist eine solche Wohnhauserweiterung nur dann, wenn sie ausgehend von den objektiven Verhältnissen des Eigentümers und seiner Familie der angemessenen Wohnraumversorgung der Familienangehörigen zu dienen bestimmt ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.1.1981 – IV C 82.77 – BVerwGE 61, 285). Dabei kommt es nicht auf die selbst bestimmten Bedürfnisse der Bewohner an, weil dies mit dem Grundsatz einer größtmöglichen Schonung des Außenbereichs offensichtlich nicht vereinbar wäre (vgl. BVerwG, B.v. 31.5.1988 – 4 B 88.88 – NVwZ 1989, 355). Im Übrigen ist zwar das bis zum BauGB 1986 geltende Erfordernis, dass der Eigentümer das Wohnhaus „längere Zeit selbst genutzt hat und die Erweiterung der angemessenen Versorgung des Eigentümers und seiner zum Haushalt gehörenden Familienangehörigen mit Wohnraum dient“ entfallen. Die Regelung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist wegen ihres Ausnahmecharakters jedoch grundsätzlich eng auszulegen. Die Frage der Selbstnutzung und der Wohnbedürfnisse der Familienangehörigen hat daher noch im Zusammenhang mit der Angemessenheit der Wohnraumerweiterung Bedeutung. Die Erweiterung ist von der Regelung weiterhin nur erfasst, wenn das Wohnhaus vom bisherigen Eigentümer und seiner Familie bewohnt wurde bzw. wird (vgl. BVerwG, B.v. 31.5.1988 a.a.O.; Söfker in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 150, 159 ff.). Die Erleichterung soll denjenigen zugutekommen, die sich „längere Zeit“ mit den beengten Wohnverhältnissen abgefunden und damit unter Beweis gestellt haben, dass dieses Wohnhaus für sie im Familienleben eine bedeutende Rolle spielt (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.1996 – 4 B 25.96 – juris Rn. 11; U.v. 12.3.1982 – 4 C 59.78 – BayVBl 1982, 538 zur angemessenen Dauer der Eigennutzung). Hiervon ausgehend kann nicht auf die Wohnbedürfnisse der Tochter des Beigeladenen und deren Lebensgefährten abgestellt werden. Der Lebensgefährte der Tochter des Beigeladenen gehört nicht zur Familie und ist dem Haushalt des Beigeladenen nicht zuzurechnen. Die Wohnraumförderungsregelungen geben Anhaltspunkte dafür, wer als Angehöriger in Betracht zu ziehen ist. Hierbei kann dahinstehen, ob zur Orientierung auf das Zweite Wohnungsbaugesetz in der Fassung vom 19. August 1994 (BGBl I S. 2137) oder auf die derzeit geltende Bestimmung in Art. 4 des Gesetzes über die Wohnraumförderung in Bayern (Bayerisches Wohnraumförderungsgesetz – BayWoFG) vom 10. April 2007 (GVBl S. 260) zurückzugreifen ist. Gemäß § 8 des zum 1. Januar 2002 außer Kraft getretenen Zweiten Wohnungsbaugesetzes zählen danach – ebenso wie in Art. 4 Abs. 1 BayWoFG – die darin bezeichneten Personen, die miteinander eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft führen, zu den Haushaltsangehörigen. Lebensgefährten von Kindern der Eigentümer fallen – unabhängig davon, ob ein im Jahresverlauf „überwiegendes“ Wohnen der Betroffenen im Vorhabengebäude als ausreichend angesehen werden kann – nicht darunter. Auch die im Zulassungsvorbringen vorgetragene „eheähnlichen Gemeinschaft“ oder gar die unterstellte Absicht einer künftigen Eheschließung, das Bestreben der Tochter des Beigeladenen nach häuslicher Nähe oder die Beliebtheit von Mehrgenerationenhäusern vermögen daran nichts zu ändern, da insoweit nur die künftige Erfüllung der Vorgaben erreicht werden kann. Die fehlende Zugehörigkeit des Lebensgefährten zum Haushalt ist, da nach den vorliegenden Unterlagen die Erweiterung für einen Zweipersonenhaushalt zwecks Familiengründung beantragt wurde, auch nicht unbeachtlich.
14
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es an einer hinreichend konkreten und verfestigten Prognose für eine auf Dauer angelegte Wohnund Wirtschaftsgemeinschaft fehlt, ist daher nicht zu beanstanden.
15
Da maßgeblicher Zeitpunkt für das Verfahren bei Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ist, ist der nachträgliche Auszug der Tochter und ihres Lebensgefährten in eine eigene Wohnung ohne Belang. Das gleiche gilt, soweit zuletzt geltend gemacht wird, dass der Beigeladene für seine Tochter weiteren Wohnraum schaffen möchte. Im Übrigen fehlt es insoweit an einer substantiierten Darlegung, dass die geplante Erweiterung allein für die Tochter des Beigeladenen angemessen und erforderlich ist.
16
Auf die weiteren Ausführungen in der Zulassungsbegründung zu den sonstigen Voraussetzungen der Angemessenheit der Wohnraumerweiterung kommt es daher nicht mehr an. Es kann daher offen bleiben, ob der genehmigte Aufenthaltsraum im Untergeschoss der Doppelgarage – wofür einiges spricht – zu berücksichtigen ist.
17
2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht im Hinblick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Vorhaben öffentliche Belange im Sinn des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt, da es die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
18
Eine solche Verfestigung der vorhandenen Splittersiedlung ist schon deshalb „zu befürchten“, weil sich das Vorhaben des Beigeladenen dem vorhandenen Bestand nicht deutlich unterordnet. Die Aufstockung des bestehenden Wohnhauses und die damit verbundene Nutzungsintensivierung verstärkt das Gewicht der vorhandenen Splittersiedlung erheblich und trägt dadurch zur weiteren Zersiedelung dieses Teils des Außenbereichs bei (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.2010 – 4 B 45.10 – ZfBR 2011, 163; U.v. 18.5.2001 – 4 C 13.00 – NVwZ 2001, 1282; BayVGH, B.v. 17.10.2007 – 1 ZB 06.3059 – juris Rn. 12). Zu dem im Zulassungsvorbringen pauschal vorgetragenen Einwand der „typischen Siedlungsstruktur“ (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1986 – 4 B 41.86 – NVwZ 1986, 1014) fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Siedlungsstruktur der Gemeinde. Im Übrigen hat der Senat bereits im Verfahren 1 B 16.2375 einen Augenschein genommen und keinen Zweifel an der Außenbereichsqualität des Grundstücks gehabt. Dem Vorhaben des Beigeladenen kommt angesichts der besonders attraktiven Umgebung in Seenähe eine weitreichende und letztlich nicht genau übersehbare Vorbildwirkung zu (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 13.97 – BauR 1999, 373). Der weitere Einwand des Beigeladenen, dass umliegende Gebäude überwiegend bereits mehrstöckig seien und die Gebäude bereits jetzt über mehr Quadratmeter (Wohnraum) verfügten als die von ihm begehrte Wohnfläche, kann deshalb zu keiner anderen Beurteilung führen.
19
Der Beigeladene hat die Kosten der Zulassungsverfahren zu tragen, da seine Rechtsmittel erfolglos geblieben sind (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.1.1 und 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Addition der vom Verwaltungsgericht für die Einzelverfahren festgesetzten Streitwerte.
20
Mit der Ablehnung der Zulassungsanträge werden die Urteile des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).