Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.04.2024 – 10 CE 24.420
Titel:

Duldung wegen unmittelbar bevorstehender Eheschließung im Bundesgebiet

Normenketten:
EMRK Art. 12
GG Art. 6
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 146
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
PStG § 12 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1
BGB § 1309 Abs. 2
EGBGB Art. 13
BayVwVfG Art. 28
Leitsätze:
1. Eine Unmöglichkeit iSd § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist, etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. VGH München BeckRS 2016, 55749; OVG Lüneburg BeckRS 2017, 120119). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kommt grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits so weit vorangeschritten sind, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die vom Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird und jedenfalls dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (vgl. VGH München BeckRS 2016, 55749). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gleiches gilt grundsätzlich, wenn das mit der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 S. 1 PStG in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen gem. § 13 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 S. 1 PStG durch Positivmitteilung des Standesamtes erfolgreich beendet wird (vgl. auch VGH München BeckRS 2021, 12493). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Duldung, Rechtliche Unmöglichkeit, Unmittelbar bevorstehende Eheschließung, (fehlerhafte) Positivmitteilung des Standesamtes, (fehlende) Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses, rechtliche Unmöglichkeit, unmittelbar bevorstehende Eheschließung, Prüfung der Ehevoraussetzungen, Standesamt, Eheschließungstermin, Positivmitteilung des Standesamtes
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 20.02.2024 – M 12 E 24.331
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7440

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Februar 2024 wird der Antrag auf einstweilige Anordnung insgesamt abgelehnt.
II. Unter Abänderung von Nr. II. des vorgenannten Beschlusses trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsgegner begehrt mit seiner Beschwerde, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2024 den Eilantrag des Antragstellers insgesamt abzulehnen. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Beschluss den Antragsgegner dazu verpflichtet, dem Antragsteller im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung zeitlich befristet eine Duldung zu erteilen.
2
1. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Aufgrund der dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, ist der angefochtene Beschluss abzuändern und der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO insgesamt abzulehnen.
3
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Unvereinbarkeit mit der unter den Schutz des Art. 6 GG und des Art.12 EMRK fallenden Eheschließungsfreiheit rechtlich unmöglich ist.
4
a) Eine derartige Unmöglichkeit setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris Rn. 11 m.w.N.), etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189.17 – juris Rn. 7 m.w.N.).
5
Die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kommt grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits so weit vorangeschritten sind, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die vom Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird und jedenfalls dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris 11; B.v. 24.10.2012 – 10 CE 12.2125 – juris Rn. 3; B.v. 11.3.2010 – 19 CE 10.364 – juris Rn. 4).
6
Gleiches gilt grundsätzlich, wenn das mit der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 des Personenstandsgesetzes (PStG) in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG durch Positivmitteilung des Standesamtes erfolgreich beendet wird (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 VwV-AufenthG) und die sechsmonatige Frist des § 13 Abs. 4 Satz 3 PStG noch nicht abgelaufen ist. Das Standesamt, bei dem die Eheschließung angemeldet ist, hat nach § 13 Abs. 1 Satz 1 PStG zu prüfen, ob der Eheschließung ein Hindernis entgegensteht. Wird bei der Prüfung der Ehevoraussetzungen ein Ehehindernis nicht festgestellt, so teilt das Standesamt nach § 13 Abs. 4 Satz 1 PStG den Eheschließenden mit, dass die Eheschließung vorgenommen werden kann, wobei die Mitteilung für das Standesamt, das die Eheschließung vornimmt, verbindlich ist (vgl. Lammers in Gaaz/Bornhofen/Lammers, Personenstandsgesetz, Handkommentar, 6. Aufl. 2023, § 13 Rn. 40; BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 – juris Rn. 20).
7
b) Gemessen an diesen Anforderungen hat der Antragsteller im vorliegenden Fall eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung zwischen ihm und seiner deutschen Lebensgefährtin nicht glaubhaft gemacht.
8
Zwar hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass eine Positivmitteilung gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 PStG von der zuständigen Standesbeamtin vorliegt. Daraus kann jedoch im vorliegenden Verfahren nicht geschlossen werden, dass die Eheschließung bereits unmittelbar bevorsteht.
9
Denn unabhängig von der Frage des Rechtscharakters der Positivmitteilung und einer eventuellen Bindungswirkung für das ausländerrechtliche Verfahren hat die Standesbeamtin bei Übersendung der Positivmitteilung an die Lebensgefährtin des Antragstellers mit E-Mail vom 22. November 2023 zum einen darauf hingewiesen, dass das Oberlandesgericht die Unterlagen auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses mit Schreiben vom 20. November 2023 zurückgesandt habe und dem Antrag derzeit nicht entsprochen werden könne, da noch Unterlagen (beglaubigte Kopie des gültigen Aufenthaltstitels und Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Familienoberhauptes zum Familienstand des Antragstellers) vorzulegen seien. Daraus ergibt sich, dass die Standesbeamtin offensichtlich entgegen der von ihr ausgestellten Bescheinigung über die Anmeldung der Eheschließung nach § 13 Abs. 4 Satz 1 PStG gerade noch nicht davon ausging, dass alle Voraussetzungen für die Eheschließung vorliegen. Mit E-Mail vom 5. Januar 2024 hat sie des Weiteren den Bevollmächtigten des Antragstellers auf den noch nicht vorgelegten Aufenthaltstitel hingewiesen und mitgeteilt, dass deshalb eine Terminvereinbarung für die Eheschließung noch nicht möglich sei.
10
Zum anderen hat, worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist, die Standesbeamtin nach Ausstellung der Positivmitteilung inzwischen ein Verfahren nach Art. 48 BayVwVfG eingeleitet (Lammers in Gaaz/Bornhofen/Lammers, Personenstandsgesetz, Handkommentar, 6. Aufl. 2023, § 13 Rn. 38, 43) und den Antragsteller zur beabsichtigten Rücknahme der Positivmitteilung nach Art. 28 BayVwVfG angehört. Die Bescheinigung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da die Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses vom Oberlandesgericht München nach § 1309 Abs. 2 BGB, Art. 13 EGBGB, § 12 Abs. 3 PStG zwingend vorgeschrieben, aber noch nicht erteilt worden sei, weshalb die Voraussetzungen für die Eheschließung nicht vorgelegen hätten und bis zum heutigen Tag nicht vorliegen würden.
11
Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Eheschließung unmittelbar bevorsteht bzw. ein Termin zur Eheschließung in absehbarer Zeit bestimmbar ist. Die Beantwortung der Frage, ob eine Rücknahme der Positivmitteilung zurecht erfolgt, ist gegebenenfalls von der dafür zuständigen freiwilligen Gerichtsbarkeit zu klären (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 – juris Rn. 29). Die Dauer eines solchen Verfahrens ist nicht absehbar.
12
Auch der bereits gestellte Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses reicht nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Senats ist davon auszugehen, dass allein die Vorlage der für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen (im Sinne von § 12 Abs. 2 PStG) regelmäßig nicht für die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung ausreicht, weil sich daran noch die inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen und damit des Fehlens von Ehehindernissen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG anschließt (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 -juris Rn. 26; B.v. 14.7.2022 – 10 CE 22.844 – juris Rn. 5). Selbst wenn man davon ausgehen wollte, es sei ausreichend, dass ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt worden ist und nicht bereits die Befreiung selbst vorliegen muss (Bergmann/Dienelt/Dollinger, Ausländerrecht 14. Aufl. 2022, § 60a Rn. 25; Röder in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2024, AufenthG § 60a Rn. 71 f.; für das Erfordernis einer Befreiung, auch wenn bereits eine Positivmitteilung ausgestellt worden ist OVG Bremen, B.v. 28.09.2016 – 1 B 153/16 – juris Rn. 3), gilt dies jedenfalls nur, wenn vom Ausländer alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt worden sind. Dies war bzw. ist jedoch im vorliegenden Verfahren weder aus Sicht des Oberlandesgerichtes noch aus Sicht der zuständigen Standesbeamtin der Fall.
13
Weitere Ansprüche auf eine Duldung wurden nicht geltend gemacht und liegen auch nicht vor.
14
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
15
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).