Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.03.2024 – 8 CS 23.2222
Titel:

Anordnung des Sofortvollzugs der Planfeststellung und Bewilligung einer Wasserkraftanlage

Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
WHG § 34 Abs. 1
EEG § 2
BayKlimaG § 2 Abs. 5 S. 2
VO (EU) 2022/2577 Art. 3 Abs. 1 S. 1
RL (EU) 2023/2413 Art. 16f
Leitsätze:
1. Das überragende öffentliche Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien gemäß § 2 Satz 1 EEG ist nicht nur im planerischen Abwägungsprozess, sondern nach allgemeinen Grundsätzen auch bei der Interessenabwägung in gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren zu beachten (Anschluss an OVG LSA, B.v. 21.11.2023 – 2 M 40.23 – juris Rn. 53 f.). (Rn. 22)
2. Der gesetzliche Abwägungsvorrang, der nicht bedeutet, dass sich die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien zwingend durchsetzt, verstößt nicht gegen europäisches Umweltrecht. (Rn. 23)
Schlagworte:
Beschwerde eines Fischereiverbands im einstweiligen Rechtsschutz, Anordnung des Sofortvollzugs auf Antrag des Vorhabenträgers, wasserrechtliche Planfeststellung und Bewilligung, Wasserkraftanlage mit Wasserkraftschnecke, Durchgängigkeit, Schutz der Fischpopulation, überragendes öffentliches Interesse, Wasserkraftanlage, Wasserkraftschnecke, Fischpopulation, Folgenabwägung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 16.11.2023 – RN 8 S 23.1809
Fundstellen:
BayVBl 2024, 600
NuR 2024, 632
BeckRS 2024, 7433
KlimR 2024, 159
LSK 2024, 7433

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr vom Antragsgegner erteilten Planfeststellung und Bewilligung einer Wasserkraftanlage.
2
Das Landratsamt Regen stellte mit Bescheid vom 1. August 2023 den Plan der Antragstellerin zur Errichtung einer Wasserkraftanlage fest und bewilligte die mit dem Anlagenbetrieb verbundenen wasserrechtlichen Benutzungen. Die geplante Wasserkraftanlage soll am Großen Regen im nördlichen Stadtbereich von Z* … auf den FlNrn. … … und … Gemarkung Z* … (ehemaliger Wasserkraftstandort „B* …säge“) neben dem Werksgelände der Antragstellerin gebaut werden. Die Anlage kann CO2-frei erneuerbare elektrische Energie von 244.000 kWh p.a. erzeugen; der nicht selbst genutzte Strom soll in das Netz der Stadtwerke Z* … eingespeist werden. Die Planung enthält u.a. die Errichtung einer Wasserkraftschnecke und eines naturnahen Beckenfischpasses an der bestehenden Sohlrampe (im Bereich der geplanten Ausleitungsstelle).
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Gegen diesen Bescheid haben die Beigeladenen Klagen zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben (Az. RN 8 K 23.1601 und RN 8 K 23.1609), über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom 16. November 2023 hat das Verwaltungsgericht auf Antrag der Antragstellerin die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids angeordnet. Die Erfolgsaussichten der Klagen der Beigeladenen seien allenfalls offen. Die Folgenabwägung ergebe einen Vorrang des Vollziehungsinteresses. Das Vorhaben zur Erzeugung klimaneutralen Stroms liege im überragenden öffentlichen Interesse; irreversible Nachteile für den Populationsschutz der Fische seien nicht zu erkennen.
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Gegen diesen Beschluss hat der Beigeladene zu 1 Beschwerde erhoben. Fischereifachliche Gutachten des Wasserwirtschaftsamts hätten keinen Vorrang vor Auskünften der Fachberatung für Fischerei des Bezirks. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht unterstellt, den vorhandenen geschützten Fischarten drohten keine irreversiblen Nachteile (Populationsschutz). Ein absoluter Vorrang erneuerbarer Energien bei Abwägungsentscheidungen sei europarechtswidrig. Die sofortige Vollziehung der Errichtung von Wasserkraftanlagen sei nicht gesetzlich angeordnet und dürfe nicht zur Regel werden. Das Verwaltungsgericht habe nicht in den Blick genommen, dass es sich bei dem Vorhaben um eine Kleinanlage handle, die nur wenig Strom erzeugen könne.
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Der Beigeladene zu 1 beantragt,
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unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. November 2023 den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 1. August 2023 (Az. 23-643 11/III/14) abzulehnen.
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Die Antragstellerin und der Antragsgegner beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss.
II.
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A. Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 1. August 2023 für die Errichtung und den Betrieb der Wasserkraftanlage zu Recht angeordnet (vgl. § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO).
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I. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.
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Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung offene Erfolgsaussichten zugrundegelegt (vgl. Beschlussabdruck [BA] S. 13 und 15). Die Beschwerde greift dies nicht an, sondern wendet sich gegen die ergänzende erstinstanzliche Aussage, es spreche viel dafür, dass die Genehmigung der Wasserkraftanlage rechtlich nicht zu beanstanden sei (vgl. BA S. 14). Bei dieser Aussage handelt es sich um Ausführungen des Erstgerichts, auf der die Ausgangsentscheidung nicht beruht. Das Verwaltungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass es seiner Eilentscheidung – wenn auch zu Gunsten der Beigeladenen – offene Erfolgsaussichten der Hauptsache zugrunde legt (vgl. BA S. 15 oben); ausgehend davon hat es über den Antrag der Antragstellerin nach § 80a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VwGO im Wege einer (reinen) Folgenabwägung entschieden.
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Auch der Senat erachtet die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen. Die angegriffenen Verwaltungsakte zur Errichtung und zum Betrieb der Wasserkraftanlage sind nicht offensichtlich rechtmäßig bzw. rechtswidrig. Bei ihrer Beurteilung stellen sich Sach- und Rechtsfragen, die erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden können (vgl. BVerwG, B.v. 4.1.2021 – 7 VR 9.20 – juris Rn. 7; BVerfG, B.v. 12.7.2018 – 1 BvR 1401/18 – NVwZ 2018, 1466 = juris Rn. 6). Dies betrifft insbesondere die Einwendungen des Beigeladenen zu 1 betreffend die Fragen der Durchgängigkeit des Gewässerabschnitts im Planbereich und der Fischverträglichkeit der Wasserschnecke.
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1. Die Frage, ob mit dem Vorhaben die Durchgängigkeit des Gewässers (§ 34 Abs. 1 WHG) verbessert (vgl. Bescheid S. 30 f.; Auskünfte des Wasserwirtschaftsamts vom 9.2.2021 S. 10 = Behördenakte [BAe] S. 178, 28.2.2022 S. 4 f. = BAe S. 391 f. und 31.1.2023 [E-Mail] = BAe S. 747) oder aber verschlechtert wird (vgl. die Stellungnahmen des Bezirks Niederbayern – Fachberatung für Fischerei vom 28.5.2021 S. 4 = BAe S. 207 und vom 25.4.2022 S. 7 = BAe S. 495), kann im Eilrechtsschutzverfahren nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden. Beiden Auskünften der Fachbehörden, die sich widersprechen, kommt in Gerichtsverfahren betreffend wasserwirtschaftliche und fischereirechtliche Fragen eine besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 8.10.2019 – 8 B 18.809 – juris Rn. 51; B.v. 9.3.2011 – 8 ZB 10.165 – BayVBl 2011, 728 = juris Rn. 12; B.v. 24.11.2011 – 8 ZB 11.594 – juris Rn. 11).
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Die von den beteiligten Fachbehörden kontrovers beurteilte Frage der Gewässerdurchgängigkeit ist voraussichtlich entscheidungserheblich. Die Anforderungen an die Durchgängigkeit nach § 34 Abs. 1 WHG sind an demjenigen Zustand zu messen, den der Vorhabenträger bei der Antragstellung vorfindet; dies gilt jedenfalls dann, wenn er – wie hier – für den vorgefundenen Gewässerzustand im Bereich der – ggf. nur bedingt durchgängigen – Sohlrampe, mit der unter dem Gewässer verlaufende Versorgungsleitungen geschützt werden (vgl. Niederschrift Erörterungstermin vom 29.9.2022 S. 4 = BAe S. 715), nicht verantwortlich ist (zum Maßstab des status quo ante vgl. auch Knopp/Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Stand August 2023, § 34 Rn. 26; Czychowski/Reinhardt, WHG, 13. Aufl. 2023, § 34 Rn. 18; Riedel in Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, Stand 1.4.2022, § 34 WHG Rn. 16a; vgl. auch BVerwG, U.v. 25.5.2023 – 7 A 7.22 – NVwZ 2023, 1733 = juris Rn. 62 zu § 27 Abs. 2 Nr. 2 WHG). Im Übrigen dürfte die Frage der Durchgängigkeit des Gewässers für die Beurteilung der Verträglichkeit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen des nahe gelegenen Natura 2000-Gebiets „Oberlauf des Regens und Nebenbäche“ (Gebietsnr. DE7045371) nach § 34 BNatSchG von Relevanz sein (vgl. Bescheid S. 25; Umwelttechnischer Bericht vom 14.12.2020, Unterlage 12, S. 32 = BAe S. 1235; Gewässerökologische FFH Verträglichkeitsprüfung vom 16.7.2020, Unterlage 14.2, S. 39 = BAe S. 1412; zu Beeinträchtigungen, die geschützten Arten außerhalb des Schutzgebiets widerfahren vgl. auch BVerwG, U.v. 3.11.2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 = juris Rn. 399; U.v. 21.1.2016 – 4 A 5.14 – BVerwGE 154, 73 = juris Rn. 132).
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2. Einer Aufklärung im Hauptsacheverfahren bedarf zudem der Vorhalt, die geplante Wasserkraftschnecke biete für die Fischpopulation keinen ausreichenden Schutz.
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Das Landratsamt hat sich diesbezüglich der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamts angeschlossen, wonach die Fische mit dieser innovativen naturverträglichen Wasserkraftwerkstechnik schonend ins Unterwasser abgeleitet werden können (vgl. Bescheid S. 10 f., 32 f. und 37 f. = BAe S. 1501 f., 1523 f. und 1528 f.; Wasserwirtschaftsamt, Gutachten vom 9.2.2021 S. 11 = BAe S. 179 und Stellungnahme vom 28.8.2022 S. 3 f. = BAe S. 390 f.). Der Beigeladene zu 1 tritt dem entgegen und stützt sich auf kritische Aussagen der Fachberatung für Fischerei (vgl. Schriftsatz vom 19.10.2023 S. 5 f., VG-Akte RN 8 K 23.1601 [nicht paginiert]; Bezirk Niederbayern – Fachberatung für Fischerei, Stellungnahmen vom 25.4.2022 S. 3 f. = BAe S. 491 f. und vom 28.5.2021 S. 3 f. = BAe S. 206 f.). Das Bayerische Landesamt für Umwelt, auf das sich das Landratsamt ebenfalls bezieht, leitet aus Untersuchungs- und Projektergebnissen ab, dass die Mortalitätsraten an Wasserkraftschnecken auch für ein und dieselbe Art je nach Standort bzw. auch von verschiedenen Arten oder Altersstadien am selben Standort sehr unterschiedlich ausfallen können (vgl. Schreiben vom 29.12.2022 S. 3 = BAe S. 736). Im Hinblick darauf ist eine genauere Betrachtung im Hauptsacheverfahren geboten.
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II. Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegt das öffentliche und private Vollzugsinteresse an der Errichtung und dem Betrieb der Wasserkraftanlage das auf fischereiliche Belange gestützte Aussetzungsinteresse des Beigeladenen zu 1.
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Bei einer Folgenabwägung sind im Wege einer Doppelhypothese die Folgen eines etwaigen späteren Klageerfolgs nach Ablehnung des Eilantrags mit den Folgen einer Erfolgslosigkeit in der Hauptsache nach Erlass der beantragten Eilentscheidung zu vergleichen (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 9 VR 1.22 – NuR 2022, 637 = juris Rn. 44 f.; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 80 VwGO Rn. 371 und 373b; Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 51).
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1. Unterbliebe die Anordnung der sofortigen Vollziehung, hätte die Klage in der Hauptsache aber keinen Erfolg, so würde sich die Realisierung eines Vorhabens zur treibhausgasneutralen Stromerzeugung verzögern, obwohl die Errichtung und der Betrieb der geplanten Wasserkraftanlage kraft Gesetzes im überragenden öffentlichen Interesse liegen (vgl. § 2 Satz 1 EEG und Art. 2 Abs. 5 Satz 2 BayKlimaG).
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a) Mit der Definition der erneuerbaren Energien als im überragenden öffentlichen Interesse liegend und der öffentlichen Sicherheit dienend soll der Ausbau erneuerbarer Energien in allen Rechtsbereichen beschleunigt werden (vgl. BT-Drs. 20/1630 S. 139 und 20/5830 S. 46). Im Fall einer Abwägung muss das besonders hohe Gewicht der erneuerbaren Energien berücksichtigt werden. Sie sollen daher nach § 2 Satz 2 EEG bis zum Erreichen der Treibhausgasneutralität als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. Konkret sollen die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen u.a. gegenüber seismologischen Stationen, Radaranlagen, Wasserschutzgebieten, dem Landschaftsbild, Denkmalschutz oder im Forst-, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bauoder Straßenrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden (vgl. BT-Drs. 20/1630 S. 159). Das überragende öffentliche Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien gemäß § 2 Satz 1 EEG ist aber nicht nur im planerischen Abwägungsprozess, sondern nach allgemeinen Grundsätzen auch bei der Interessenabwägung in gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren zu beachten (vgl. OVG LSA, B.v. 21.11.2023 – 2 M 40.23 – juris Rn. 53 f.; vgl. auch Bick, Stellungnahme vom 29.12.2022 zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich [BR-Drs. 640/22] S. 5 [zu § 80c Abs. 3 VwGO], abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/927972/cc98836cd366681f2548d7d1c35e6395/Stellungnahme-Bick.pdf; Siegel, NVwZ 2023, 462/464 f.; Schwerdtfeger, ZUR 2023, 451/462).
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b) Der gesetzliche Abwägungsvorrang, der nicht bedeutet, dass sich die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien zwingend durchsetzt (vgl. BVerwG, U.v. 25.5.2023 – 7 A 7.22 – NVwZ 2023, 1733 = juris Rn. 43), verstößt entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht gegen europäisches Umweltrecht. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der (Dringlichkeits-)Verordnung (EU) 2022/2577 des Rates vom 22. Dezember 2022 (ABl. L 335, 36) hält eine dem § 2 EEG vergleichbare Regelung bereit (vgl. auch Dietlein/Fabi in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 16b BImSchG Rn. 23e; Kment/Maier, ZUR 2023, 323/329). Hiernach wird für die Zwecke des Art. 6 Abs. 4 und des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der RL 92/43/EWG („FFH-Richtlinie“), des Art. 4 Abs. 7 der RL 2000/60/EG („Wasserrahmenrichtlinie“) und des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der RL 2009/147/EG („Vogelschutzrichtlinie“) bei der Abwägung rechtlicher Interessen im Einzelfall angenommen, dass die Planung, der Bau und der Betrieb von Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen sowie ihr Netzanschluss, das betreffende Netz selbst und die Speicheranlagen im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen. Diese Regelung wurde inzwischen in Art. 16 f der Richtlinie (EU) 2023/2413 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Oktober 2023 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2018/2001, der Verordnung (EU) 2018/1999 und der RL 98/70/EG im Hinblick auf die Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2015/652 des Rates („RED III“) überführt. Die Vermutung ist widerlegbar; dafür müssen aber eindeutige Belege vorliegen, dass die Projekte erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben, die nicht abgemildert oder ausgeglichen werden können (vgl. Erwägungsgrund 44 der Richtlinie [EU] 2023/2413; Bericht der Kommission an den Rat zur Überprüfung der Verordnung (EU) 2022/2577, COM[2023] 764 final S. 10 f.; Sobotta, NVwZ 2023, 1609/1611).
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c) Dem Vorhaben kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Strommenge, die es erzielen kann, vergleichsweise gering ist. Gerade weil der Klimawandel durch zahlreiche, für sich genommen oftmals geringe Mengen an Treibhausgasemissionen verursacht wird, kann er auch nur durch Maßnahmen zur Begrenzung all dieser Emissionen angehalten werden. Es liegt hier in der Natur der Sache, dass einzelnen Maßnahmen für sich genommen nicht die allein entscheidende Wirkung zukommt. Weil der Klimawandel aber nur angehalten werden kann, wenn all diese vielen, für sich genommen oft kleinen Mengen von CO2-Emissionen lokal vermieden werden, kann einer einzelnen Maßnahme nicht entgegengehalten werden, sie wirke sich nur geringfügig aus (vgl. BVerfG, B.v. 23.3.2022 – 1 BvR 1187/17 – BVerfGE 161, 63 = juris Rn. 143; OVG LSA, B.v. 21.11.2023 – 2 M 40.23 – juris Rn. 52; Britz, NdsVBl 2023, 65/67).
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d) Soweit die Beschwerde einwendet, ohne gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dürfe der Sofortvollzug nicht faktisch zur Regel werden, verkennt sie die Reichweite der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Handelt es sich – wie hier – um ein mehrpoliges Rechtsverhältnis, bei dem ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung Gegenstand einer Anfechtungsklage ist (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO), kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 19 Abs. 4 GG den regelmäßigen Eintritt des Suspensiveffekts verlangt. Denn das Postulat vom Suspensiveffekt als Regelfall stößt bei der Anfechtung von Genehmigungsbescheiden durch Drittbetroffene schon wegen der dabei zu berücksichtigenden Rechtsposition des Genehmigungsempfängers an Grenzen. Dessen Rechtsposition ist grundsätzlich nicht weniger schützenswert als diejenige des Drittbetroffenen. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass sich der einen Genehmigungsbescheid anfechtende Dritte gegenüber dem Genehmigungsempfänger von vornherein in einer bevorzugten verfahrensrechtlichen Position befinden müsse, wenn es um die Frage der sofortigen Verwirklichung des Genehmigungstatbestandes geht, ist weder aus dem geltenden Verwaltungsprozessrecht noch aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleiten. Die einseitige Bevorzugung des Dritten durch die einstweilige Festschreibung des status quo liefe vielmehr auf eine ungerechtfertigte, mit den Freiheitsgrundrechten des Begünstigten und dem Gleichheitssatz unvereinbare Privilegierung des Dritten hinaus (vgl. BVerfG, B.v. 1.10.2008 – 1 BvR 2466/08 – NVwZ 2009, 240 = juris Rn. 18; OVG LSA, B.v. 8.11.2019 – 2 M 101/19 – LKV 2020, 36 = juris Rn. 10; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 80 VwGO Rn. 20 f.). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, inwieweit die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt auf Umweltverbände Anwendung findet (offengelassen BVerfG, B.v. 12.7.2018 – 1 BvR 1401/18 – NVwZ 2018, 1466 = juris Rn. 3; BVerwG, U.v. 7.7.2022 – 9 A 1.21 – BVerwGE 176, 94 = juris Rn. 17 m.w.N.).
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2. Würde die Anordnung des Sofortvollzugs erfolgen, hätte die Klage aber später Erfolg, erfolgten Eingriffe in das Gewässer, die nur mit großem Aufwand rückgängig gemacht werden könnten. Gleichwohl wäre ein Rückbau möglich. Die baulichen Maßnahmen sind weitgehend revisibel; im Fall einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wäre der Vorhabenträger zur Wiederherstellung des früheren Zustands zu verpflichten (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2019 – 8 AS 19.40002 u.a. – BayVBl 2020, 49 = juris Rn. 35). Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, ihn vor ggf. nutzlosen Aufwendungen zu bewahren (vgl. OVG LSA, B.v. 21.11.2023 – 2 M 40.23 – juris Rn. 58).
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Mit der Inbetriebnahme der Wasserkraftschnecke käme es ggf. zu einer Schädigung von Fischen, die angesichts kontroverser Aussagen der Gutachter derzeit nicht verlässlich quantifiziert werden kann. Anderseits sind den vom Beschwerdeführer befürchteten Schädigungen an der Wasserschnecke Verbesserungen infolge der Realisierung des Vorhabens gegenüberzustellen, insbesondere die zu erwartende Verringerung des Verletzungsrisikos an einer Stahlspundwand am Ende der Sohlrampe (vgl. Wasserwirtschaftsamt, Stellungnahme vom 28.2.2022 S. 4 = BAe S. 391; Umwelttechnischer Bericht vom 14.12.2020, Unterlage 12, S. 27 = BAe S. 1230; Fischökologische Umweltverträglichkeitsprüfung vom 15.5.2020, Unterlage 14.1, S. 7 = BAe S. 1316).
28
Beeinträchtigungen des Schutzgebiets „Oberlauf des Regens und Nebenbäche“ (Gebietsnr. DE7045371), dessen Flächen sich außerhalb des planbetroffenen Gewässerabschnitts befinden, drängen sich für den Senat nach Aktenlage nicht auf, erscheinen aber auch nicht ausgeschlossen. Zum Vorkommen der geschützten Fischart Huchen im Planbereich liegen unterschiedliche Einschätzungen vor (dagegen Wasserwirtschaftsamt, Stellungnahme vom 28.2.2022 S. 8 = BAe S. 395; Fischökologische Umweltverträglichkeitsprüfung vom 15.5.2020 S. 14 f. = BAe S. 1323 f.; dafür Bezirk Niederbayern – Fachberatung für Fischerei, Stellungnahmen vom 25.4.2022 S. 8 und 10 f. = BAe S. 496 und 498 f. und vom 28.5.2021 S. 6 f. = BAe S. 209 f.). Eindeutige Belege, dass die geplante Wasserkraftanlage erhebliche nachteilige Wirkungen auf die Umwelt hat, ergeben sich hieraus nicht (vgl. oben Rn. 23) und werden vom Beschwerdeführer auch nicht substanziiert dargelegt. Angesichts des überragenden öffentlichen Interesses an der Errichtung und dem Betrieb der Wasserkraftanlage ist eine Verzögerung durch Abwarten des Hauptsacheverfahrens deshalb nicht gerechtfertigt.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht – der Festsetzung des Verwaltungsgerichts folgend – auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Anwendung von Nr. 1.5 und 34.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).