Titel:
Regress des Rechtsschutzversicherers wegen anwaltlicher Pflichtverletzung
Normenketten:
VVG § 86
BGB § 280, § 675 Abs. 1
Leitsatz:
Nimmt der Rechtsschutzversicherer den Anwalt des Versicherungsnehmers wegen pflichtwidriger Beratung auf Ersatz der verauslagten Rechtsverfolgungskosten in Regress, trägt er die Beweislast für einen hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemäßem anwaltlichen Verhalten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzversicherung, Regress, Rechtsanwalt, Rechtsverfolgungskosten, Pflichtverletzung, hypothetischer Kausalverlauf, Beweislast
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 17.01.2024 – 15 U 3572/23 Rae e
LG München I, Urteil vom 17.08.2023 – 4 O 15279/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7277
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17.08.2023, Az. 4 O 15279/22, wird zurückgewiesen mit folgender Maßgabe:
Das vorgenannte Urteil wird in Ziffer 1 dahingehend berichtigt, dass „an die Widerklägerin“ durch … ersetzt wird.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.688,63 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Parteien streiten um einen auf den Rechtsschutzversicherer übergegangenen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen die Klägerin, eine Rechtsanwaltsgesellschaft, aufgrund erfolgloser Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Darlehenswiderruf.
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Die Beklagte ist das Schadensabwicklungsunternehmen der …, bei der der Versicherungsnehmer … rechtsschutzversichert war.
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Der Versicherungsnehmer hatte den als Anlage B4 vorgelegten Darlehensvertrag vom 21.07.2016 über einen Nettodarlehensbetrag von 20.000,00 € mit einer Sparkasse geschlossen. Mit Schreiben vom 04.01.2019 (Anlage B 5) widerrief er persönlich den Darlehensvertrag wegen nicht ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht. Der Versicherungsnehmer beauftragte die Klägerin mit der Geltendmachung seiner Rechte. Mit Schreiben vom 14.04.2020 (Anlage B 13) erklärte die Klägerin nochmals den Widerruf und forderte die Sparkasse zur Rückabwicklung auf. Gemäß Klageschrift vom 03.06.2020 (Anlage B 17) erhob sie für den Versicherungsnehmer Klage auf Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen der Sparkasse auf Zahlung von Zinsen und Tilgung aus dem Darlehensvertrag. Mit Endurteil vom 17.08.2021 (Anlage B 18) wies das Landgericht Arnsberg die Klage ab (…). Mit E-Mail vom 27.09.2021 (Anlage B 21) teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sich der Mandant letztendlich gegen die Einlegung der Berufung entschieden habe. Die Beklagte hatte Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit sowie den ersten und zweiten Rechtszug erteilt.
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Mit Schreiben vom 15.08.2022 (Anlage B 2) forderte die Beklagte die Klägerin zum Ersatz entstandener Kosten in Höhe von 5.688,63 € auf mit der Begründung, die Gegenseite habe sich auf den Musterschutz berufen können, was die Klägerin nach sorgfältiger Prüfung hätte erkennen müssen.
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Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass der Beklagten aus dem Vorprozess und der außergerichtlichen Tätigkeit keine Ersatzansprüche gemäß § 86 Abs. 1 VVG zustehen. Nachdem die Beklagte Widerklage auf Zahlung von 5.688,63 € nebst Zinsen (…) erhoben hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Klage übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Mit Endurteil vom 17.08.2023, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Widerklage vollumfänglich stattgegeben und die Klägerin zur Zahlung von 5.688,63 € nebst Zinsen (an die Beklagte) verurteilt. Die Beklagte sei aufgrund gewillkürter Prozessstandschaft prozessführungsbefugt. Die … habe einen nach § 86 VVG übergegangenen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen die Klägerin aus §§ 280 Abs. 1, 611, 675 BGB. Die Klägerin habe ihre anwaltlichen Pflichten verletzt, indem sie den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über die Erfolgsaussichten und Risiken eines außergerichtlichen und gerichtlichen Vorgehens gegen die Sparkasse aufgeklärt habe. Die uneidliche Einvernahme seiner Ehefrau, der Zeugin … habe für das Gericht mit dem Beweismaß des § 286 ZPO ergeben, dass tatsächlich überhaupt keine nähere Aufklärung des Versicherungsnehmers bzw. der ihn vertretenden Zeugin erfolgt sei. Das Gericht sei weiter davon überzeugt, dass sich der Versicherungsnehmer bei zutreffender Aufklärung durch die Klägerin gegen eine Inanspruchnahme der Sparkasse entschieden hätte. Das außergerichtliche Vorgehen gegen die Sparkasse sowie die Klage hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Betreibens dieser Rechtshandlungen objektiv keine Erfolgsaussichten gehabt. Die verwendete Widerrufsbelehrung habe der gesetzlichen Musterbelehrung entsprochen, sodass die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. eingegriffen habe. Der Bundesgerichtshof habe nur wenige Monate vor Klageeinreichung mit Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 198/19 entschieden, dass auch Verstöße der Musterbelehrung gegen die Vorgaben des deutschen und europäischen Rechts nicht zum Entfall der Gesetzlichkeitsfiktion führen. Wenn die Erfolgsaussichten nicht als fehlend, sondern nur als eher schlecht anzusehen wären, sei das Gericht nach Einvernahme der Zeugin … davon überzeugt, dass ihr Ehemann und sie sich bei zutreffender Aufklärung gegen ein Vorgehen gegen die Sparkasse entschieden hätten. Die Zeugin habe auf die vom Gericht vorsichtig formulierte Frage zum hypothetischen Alternativverhalten sofort und ohne jegliches Zögern angegeben, dass sie es nicht einmal bei Erfolgsaussichten von 50:50 gemacht hätten.
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Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin im Wege der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiterverfolgt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft nicht vorliegen würden. Das Landgericht habe fehlerhaft die korrekten Erfolgsaussichten nicht herausgearbeitet und den Mandanten nicht gehört, sondern seiner offensichtlich dominanten Ehefrau alles abgekauft, obwohl diese nur Ansprechpartnerin gewesen sei. Das Landgericht habe nicht ermittelt, was der Mandant bei offenen oder ungewissen Erfolgsaussichten gewollt hätte. Ein einschlägiges höchstrichterliches Urteil könne die Erfolglosigkeit nicht begründen; maßgeblich sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Es sei in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Köln nicht von geringen, sondern von ungewissen Erfolgsaussichten auszugehen. Durch die Vernehmung seiner Ehefrau sei der hypothetische Wille des Mandanten nicht verifiziert worden.
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Die Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsklägerin beantragt:
1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 17.08.2023, Az. 4 O 15279/22, wird aufgehoben und abgeändert, soweit der Widerklage stattgegeben wurde.
2. Die Widerklage wird in vollem Umfang abgewiesen.
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Mit Beschluss vom 17.01.2024 hat der Senat auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO unter Berichtigung des Urteilstenors hinsichtlich der Zahlungsempfängerin gemäß § 319 ZPO hingewiesen.
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Die Beklagte hat sich mit dem Vorgehen mit Schriftsatz vom 02.02.2024 einverstanden erklärt. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14.02.2024 zu dem Hinweisbeschluss Stellung genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
12
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17.08.2023, Az. 4 O 15279/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Berichtigung des Urteilstenors hinsichtlich der Zahlungsempfängerin beruht auf § 319 Abs. 1 ZPO.
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Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 17.01.2024 Bezug genommen, an dem der Senat nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage festhält.
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Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 14.02.2024 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
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1. Das Landgericht hat die Ehefrau des Versicherungsnehmers fehlerfrei auf das entsprechende Beweisangebot der Beklagten zum hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemäßem anwaltlichen Verhalten als Zeugin vernommen (Hinweisbeschluss S. 7). Die Beklagte, die den Schadensersatzanspruch der … mit der Widerklage geltend macht, ist diesbezüglich beweisbelastet. Nachdem die Ehefrau die Korrespondenz geführt hat, sie auch nach dem Berufungsvorbringen Ansprechpartnerin war und ihre dominante Rolle von der Berufung selbst zugrunde gelegt wird, war das Landgericht nicht gehindert, aus ihrer Aussage auf das hypothetische Verhalten des Versicherungsnehmers zu schließen (Hinweisbeschluss S. 8).
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2. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt (dort S. 6), teilt der Senat die rechtliche Bewertung des Landgerichts, wonach das außergerichtliche Vorgehen der Klägerin und die von ihr erhobene Klage gegen die Sparkasse objektiv aussichtslos waren. Allerdings würde sich auch dann keine abweichende Beurteilung zugunsten der Klägerin ergeben, wenn man in Übereinstimmung mit dem Berufungsvorbringen unterstellen wollte, dass die Rechtsverfolgung nicht aussichtslos, sondern lediglich risikobehaftet war, weil die Erfolgsaussichten offen oder ungewiss waren. Den dahingehenden Ausführungen im Hinweisbeschluss (dort S. 7/8) wird mit der klägerischen Stellungnahme vom 14.02.2024 nicht in erheblicher Weise entgegengetreten.
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3. Für eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Klägerin sieht der Senat auch nach der Stellungnahme vom 14.02.2024 keinerlei Raum.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen.