Titel:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Rehabilitationsinteresse, Sicherungsmaßnahme, Antrag auf Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren bei Unterliegen bzw. Klageabweisung (Ablehnung mangels Rechtsschutzinteresse)
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO § 162 Abs. 2 S. 2
BayVwVfG Art. 80 Abs. 1 S. 1 Hs. 2
BayEUG Art. 87 Abs. 1
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Rehabilitationsinteresse, Sicherungsmaßnahme, Antrag auf Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren bei Unterliegen bzw. Klageabweisung (Ablehnung mangels Rechtsschutzinteresse)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 7101
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.
IV.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des vorläufigen Ausschlusses des Klägers vom Besuch der Schule.
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Der am … Juli 2006 geborene Kläger besuchte ab dem Schuljahr 2017/18 die Mittelschule Na* … Nach einem vorläufigen Ausschluss von Schulbesuch besuchte der Kläger seit Mitte Oktober 2019 im Rahmen einer probeweisen Zuweisung die Mittelschule Ne* … in Freising (im Folgenden: die Schule).
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Mit Bescheid vom 11. März 2020 wurde eine Sicherungsmaßnahme nach Art. 87 Abs. 1 BayEUG verhängt. Nach einem Gespräch am 18. Juni 2020 wurde entschieden, dass die Beschulung wiederaufgenommen werden kann. Zugleich wurde die Erstellung eines sonderpädagogischen Gutachtens beantragt.
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Mit Bescheid vom 13. November 2020 sprach die Schulleitung die streitgegenständliche Sicherungsmaßnahme aus und schloss den Kläger mit sofortiger Wirkung vorläufig bis zur Vollziehbarkeit der Entscheidung über schulische Ordnungsmaßnahmen, über die Überweisung an eine Förderschule oder eine Aufnahme in eine Klasse für Kranke oder in eine andere Einrichtung, an der die Schulpflicht erfüllt werden kann, vom weiteren Schulbesuch aus. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger am 12. November 2020 gegen 12:00 Uhr im Klassenraum zwei Mitschülerinnen unter anderem rassistisch beleidigt und mit körperlicher Gewalt bedroht habe. Einen Mitschüler, der den beiden Klassenkameradinnen zu Hilfe habe kommen wollen, habe der Kläger aggressiv gegen einen Schrank gedrückt. Der Kläger habe durch sein Verhalten in erheblicher Weise die (psychische) Gesundheit der Schüler gefährdet. Da es trotz bereits erfolgter schulischer Erziehungs-, Ordnungs- und Sicherungsmaßnahmen erneut zu einem gravierenden Vorfall gekommen sei, sei die Gefahr nicht anders abzuwenden.
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In einem Gespräch am 17. November 2020 wurde der Mutter des Klägers die Sicherungsmaßnahme erläutert und erklärt, dass nach derzeitigem Stand eine weitere Beschulung an einer Regelschule nicht möglich sei.
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Mit Schreiben vom 27. November 2020 erhob die Mutter des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. November 2020.
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Aufgrund eines entsprechenden Ergebnisses des sonderpädagogischen Gutachtens wurde der Kläger am 19. Januar 2021 mit sofortiger Wirkung an das sonderpädagogisches Förderzentrum Freising überwiesen und die streitgegenständliche Sicherungsmaßnahme beendet (Bl. 48 d. BA).
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Am 29. Januar 2021 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. November 2020 zurückgewiesen. Darin wurde in der Sachverhaltsschilderung auf die Beendigung der Sicherungsmaßnahme verwiesen. Deren Folgen wurden in der Begründung jedoch nicht erwähnt.
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Bereits am 11. Dezember 2020 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgerichts München erheben lassen; er beantragt zuletzt,
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festzustellen, dass der Bescheid der Grund- und Mittelschule Ne* … vom 13. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Freising vom 29. Januar 2022 [gemeint wohl: 29. Januar 2021] rechtswidrig gewesen ist, sowie
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die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Schulausschluss stelle einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründe. Ferner bestehe ein Rehabilitationsinteresse, da der Schulausschluss für das schulische und berufliche Fortkommen des Klägers negativ nachwirke. Der Kläger sei vor Erlass des Bescheides nicht nach Art. 28 BayVwVfG und Art. 88 Abs. 3 BayEUG angehört worden. Auch eine ausreichende Sachverhaltsermittlung sei nicht erfolgt. Der Schulausschluss sei jedenfalls nicht von der Rechtsgrundlage des Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 2 Nr.1 BayEUG gedeckt. Inwieweit die Gefahr nicht anders abwendbar gewesen sein solle, so sie denn bestanden habe, sei nicht ersichtlich.
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Der Beklagte beantragt
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Trotz des Beschlusses der Kammer vom 29. März 2023, den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter zu übertragen, war in Besetzung der gesamten Kammer zu entscheiden. Aufgrund eines personellen Wechsels im Referat des bisher zuständigen Einzelrichters ist nunmehr ein Proberichter zuständig. Dieser darf jedoch gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 VwGO im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht als Einzelrichter entscheiden. In diesem Fall ist durch die Kammer zu entscheiden (vgl. VG München, U.v. 14.1.2003 – M 1 K 02.51506 – juris Rn. 14 sowie Schübel-Pfister in Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 6 Rn. 14). Die Beteiligten wurden zu diesem Vorgehen mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 angehört.
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Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig. Es besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse bezüglich der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vom 13. November 2020.
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Die ursprünglich als Anfechtungsklage erhobene Klage hat sich dadurch erledigt, dass der Kläger am 1*. Januar 2021 mit sofortiger Wirkung an das sonderpädagogische Förderzentrum Freising überwiesen und deshalb die streitgegenständliche Sicherungsmaßnahme beendet wurde (vgl. VG Regensburg, U.v. 28.10.2022 – RO 3 K 19.1653 – juris Rn. 25 ff.). Die Klage konnte aufgrund sachdienlicher Klageänderung (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO) als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) fortgeführt werden.
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Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit von nach Klageerhebung erledigten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gegenüber Schülern besteht, wenn sich die Entscheidung der Schule auf die weitere schulische oder berufliche Laufbahn des betroffenen Schülers nachteilig auswirken kann, ohne dass ein solcher Nachteil jedoch unmittelbar bevorstehen oder sich konkret abzeichnen muss (vgl. Lindner/Stahl, BayEUG-Kommentar, EL 228, Art. 87 BayEUG Rn. 2.6). Dies ist im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nötig, weil in der Zeit bis zum Eintritt der Erledigung eine gerichtliche Entscheidung in der Regel nicht herbeigeführt werden kann und die Nachwirkungen des erledigten Verwaltungsakts nur durch eine gerichtliche Sachentscheidung ausgeglichen werden können (BayVGH, B.v. 26.2.2013 – 7 ZB 12.2617 – juris Rn. 8 m.w.N.; VG Regensburg, U.v. 28.10.2022 – RO 3 K 19.1653 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 3.5.2022 – M 3 K 17.2574 – juris Rn. 34).
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Vorliegend hatte die Sicherungsmaßnahme für den Kläger im Ergebnis Auswirkungen, die der Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule bei schulischer Gefährdung ähneln, sodass der Kläger auch nach Erledigung der Maßnahme zur Rehabilitation die Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme klären lassen kann. Auch stellt der infolgedessen erfolgte Wechsel von der Mittelschule zum sonderpädagogischen Zentrum eine potentiell erhebliche Änderung der schulischen Laufbahn dar. Auch wenn die Sicherungsmaßnahme gerade keinen Sanktionscharakter hat, so besteht gerade gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern die Gefahr, dass der Eindruck einer „Vorverurteilung“ aufgrund des Nichtbesuchs des Unterrichts bestehen bleibt. Es fand auch im Anschluss keine neuerliche, vertiefte Begutachtung des Sachverhalts seitens der Schule, der zur Gefährdungsprognose und im Ergebnis mittelbar zum Schulwechsel geführt hat, statt. Eine schulinterne Rehabilitationsmöglichkeit im Rahmen des durchzuführenden Verfahrens vor Erlass einer Ordnungsmaßnahme hinsichtlich des Verhaltens am 12. November 2020 bestand gerade nicht. Auch hat die Schule nicht festgestellt oder mitgeteilt, dass die Entscheidung damals oder aus derzeitiger Sicht nicht hätte getroffen werden dürfen.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Schule vom 13. November 2020 war rechtmäßig und hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4, Satz 1 VwGO analog).
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Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn der Kläger durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt worden ist und der betreffende Verwaltungsakt deshalb hätte aufgehoben werden müssen, wenn er sich nicht erledigt hätte (BVerwG, U.v. 3.3.1987 – 1 C 15/85 – juris Rn. 15). Maßgeblich ist daher, ob der Verwaltungsakt im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses aufzuheben gewesen wäre.
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Abzustellen ist vorliegend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erledigung der Sicherungsmaßnahme am 19. Januar 2021 als Dauerverwaltungsakt nach Art. 87 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2023 (GVBl. S. 443), in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 24. Juli 2020 (GVBl. S. 408).
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a) Gegen den Bescheid vom 13. November 2020 bestehen keine formellen Bedenken. Der Bescheid wurde von der hierfür nach Art. 88 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG zuständigen Schulleiterin erlassen. Die in Art. 88 Abs. 3 BayEUG vorgesehenen und vom Kläger gerügten Anhörungsrechte gelten nicht für Maßnahmen nach Art. 87 Abs. 1 BayEUG. Der insoweit eindeutige Wortlaut des Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayEUG bezieht sich explizit nur auf Sicherungsmaßnahmen nach Art. 87 Abs. 2 BayEUG. Eine Sicherungsmaßnahme nach Art. 87 Abs. 2 BayEUG oder eine Ordnungsmaßnahme wurden jedoch gerade nicht verhängt. Eine etwaige vor Bescheiderlass am 13. November 2020 unterbliebene Anhörung des Klägers gem. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist jedenfalls geheilt worden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG). Die Mutter des Klägers wurde am 17. November 2020 im persönlichen Gespräch mit der Schulleitung ausführlich über den Sachverhalt informiert und konnte ihren Standpunkt darlegen. Sowohl die Mutter als auch der Kläger hatten auch im Rahmen des Widerspruchverfahrens die Gelegenheit sich zu äußern. Die Möglichkeit, persönlich vorzutragen und mündlich den Sachverhalt zu erörtern, ist – anders als im Rahmen des gerade nicht anwendbaren Art. 88 Abs. 3 Satz 3 BayEUG – bei Art. 28 BayVwVfG gerade nicht erforderlich (Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 28 VwVfG Rn. 44). Ferner sei angemerkt, dass mit Verweis auf Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayVwVfG auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 5. November 2022 der Klägerbevollmächtigte selbst von einer erfolgten Anhörung im Widerspruchsverfahren auszugehen scheint.
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b) Der Bescheid vom 13. November 2020 war im Zeitpunkt seiner Erledigung auch materiell rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.
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Nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 BayEUG kann eine Schülerin oder ein Schüler auch bei bestehender Schulpflicht vorläufig vom Besuch der Schule bzw. der praktischen Ausbildung ausgeschlossen werden, wenn ihr bzw. sein Verhalten das Leben oder in erheblicher Weise die Gesundheit von Schülerinnen bzw. Schülern, Lehrkräften, sonstigem an der Schule tätigem Personal oder anderen Personen im Rahmen ihrer schulischen oder praktischen Ausbildung gefährdet und die Gefahr nicht anders abwendbar ist. Der vorläufige Ausschluss endet spätestens mit der Vollziehbarkeit der Entscheidung über schulische Ordnungsmaßnahmen, über die Überweisung an eine Förderschule oder über eine Aufnahme in eine Schule für Kranke oder in eine andere Einrichtung, an der die Schulpflicht erfüllt werden kann (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayEUG).
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aa) Von einer Gefährdung im Sinne des Art. 87 Abs. 1 Satz 1 BayEUG war hier auszugehen.
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Die Beurteilung, ob eine Gefährdung im Sinne des Art. 87 Abs. 1 Satz 1 BayEUG vorliegt, erfordert eine Prognose, ob eine konkrete Gefährdungssituation anzunehmen ist (BayVGH, B.v. 26.1.2010 – 7 C 09.2870 – juris Rn. 3, 6), da es sich um eine sicherheitsrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr handelt. Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Gesundheit führt. Stellt sich später heraus, dass die Gefahr tatsächlich nicht bestanden hat, so führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2010 – 7 C 09.2870 – juris Rn. 5). Je größer der potentielle Schaden für die geschützten Rechtsgüter, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen der Prognose zu stellen (vgl. etwa Lindner/Stahl, BayEUG-Kommentar, EL 228, Art. 87 BayEUG Rn. 2.4). Erheblich ist eine Gefährdung der Gesundheit bereits dann, wenn die zu befürchtende Beeinträchtigung über bloßes nicht Wohlfühlen oder Missbehagen hinausgeht (so Lindner/Stahl, BayEUG-Kommentar, EL 228, Art. 87 BayEUG Rn. 2.2). Die Auslegung und Anwendung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite der Norm sind gerichtlich voll überprüfbar.
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Vorliegend hat der Kläger einen Mitschüler, der gegen die wohl auch rassistische Beleidigung und Drohung mit Gewalt gegenüber zwei Mitschülerinnen durch den Kläger einschreiten wollte, aggressiv gegen einen Schrank gedrückt. Diese Feststellung beruht auf den Aussagen der zwei Mitschülerinnen und dem Schulbegleiter eines anderen Schülers, Herrn M., der im Klassenraum anwesend war. Nach Aussage der beiden Schülerinnen habe der Kläger ihnen mit Schlägen gedroht. Ob der Kläger „schuldig“ ist oder der Kläger zuvor provoziert wurde, wie die Mutter des Klägers in der Widerspruchsbegründung vom 27. November 2020 vorträgt, ist vorliegend für die Gefährdungsprognose nicht maßgeblich. Bei der Sicherungsmaßnahme handelt es sich um eine rein sicherheitsrechtliche, präventive Sofortmaßnahme zur Gefahrenabwehr. Anders als bei einer Ordnungsmaßnahme ist gerade auch nicht die Verantwortlichkeit Teil des Prüfungsmaßstabs für das Vorliegen einer Gefahr. Diese unter Umständen komplexe, zeitaufwendige Ermittlung und Bewertung wäre mit dem Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr unvereinbar. Der Vorfall hat gezeigt, dass der Kläger auch von der tatsächlichen Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckt. Gerade auch der Versuch eines Dritten, einen verbalen Konflikt zu schlichten, kann auch in Zukunft in Gewalt gegen ihn umschlagen. Dies lässt die Prognose zu, dass die klägerische Androhung von Schlägen gegenüber Mitschülerinnen ernst zu nehmen ist und das Risiko besteht, dass der Kläger die Drohung in die Tat umsetzten wird. Eine unmittelbare Distanzierung, Entschuldigung oder Zurücknahme seiner Äußerungen, was die Prognose insoweit erschüttern könnte, erfolgte nicht. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei dem aggressiven Verhalten des Klägers nicht um ein neues, bislang nicht gezeigtes Verhalten gehandelt hat; vielmehr hat der Kläger bereits in der zuvor besuchten Schule impulsives, aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern und Lehrkräften an den Tag gelegt. Auch im damals laufenden Kalenderjahr 2020 kam es bereits zu einem unkontrollierten Ausbruch mit körperlichen Übergriffen gegenüber einem Mitschüler, der ebenfalls eine Sicherungsmaßnahme zur Folge gehabt hatte. Ob von der Vorschrift auch der Schutz der psychischen Gesundheit durch Beleidigungen und Drohungen erfasst ist, kann dabei angesichts der bereits vorliegenden erheblichen Gefährdung der körperlichen Gesundheit offenbleiben.
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bb) Dass die Gefahr nicht anders abwendbar war als durch eine Sicherungsmaßnahme (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 BayEUG), ist auch in Hinblick auf das Fehlen eines eigenen Schulbegleiters zu bejahen. Es handelt sich – wie bereits dargelegt – bei dem am 12. November 2020 gezeigten Verhalten um eine wiederholte Fremdgefährdung. Selbst ein im Klassenraum anwesender Schulbegleiter eines anderen Schülers konnte den Vorfall nicht verhindern. Damit sind andere mildere, aber gleich effektive Maßnahmen nicht ersichtlich.
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cc) Die Maßnahme war auch verhältnismäßig. Insbesondere wurde der Aspekt der Vorläufigkeit in zeitlicher Hinsicht dahingehend beachtet, dass alsbald nach den Weihnachtsferien eine Möglichkeit der anderweitigen Beschulung gefunden und so die Zeit ohne Beschulung möglichst gering gehalten wurde. Auch wurde dem Kläger bereits zuvor wiederholt deutlich gemacht, dass weiteres aggressives Verhalten nicht toleriert werde und entsprechende Folgen wie einen Schulausschluss haben könne.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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3. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Der Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist mangels Rechtsschutzinteresses schon unzulässig. Der Kläger hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten, inklusive der des Vorverfahrens (so der ausdrückliche Wortlaut des § 162 Abs. 1 VwGO), zu tragen, weshalb aufgrund der getroffenen Kostengrundentscheidung bereits kein Kostenerstattungsanspruch des Klägers besteht. Deswegen fehlt es bereits an einer Sachentscheidungsvoraussetzung für den Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO (vgl. Just in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 162 Rn. 36: fehlendes Rechtschutzinteresse; Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 44. EL März 2023, § 162 Rn. 83; Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 162 Rn. 47a: kein Bescheidungsinteresse; missverständlich Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 25: Notwendigkeit für eine Entscheidung nur im Falle eines Obsiegens des Klägers; gemeint wohl keine Sachentscheidung über die Notwendigkeit).
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Sofern der Klägerbevollmächtigte bezüglich der Kostentragung für das Widerspruchsverfahren auf Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayVwVfG verweist, sei angemerkt, dass im Falle eines späteren Klageverfahrens der Kläger sämtliche Kosten, einschließlich der des Widerspruchsverfahrens, im Falle eines Unterliegens zu tragen hat (vgl. Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 162 Rn. 94). § 162 VwGO verdrängt insofern Art. 80 BayVwVfG.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.