Inhalt

OLG München, Endurteil v. 19.03.2024 – 9 U 6554/22
Titel:

Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz beim Einbau eines Thermofensters (hier: VW T5 Multivan Special BMT TDI mit Motor EA 189)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Der in einem VW T5 verbaute Motor EA 189 rechtfertigt keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826, § 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das eingebaute Thermofenster begründet aber einen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. Unter Zugrundelegung eines als gering zu bewertenden Risikos, dass das Fahrzeug zurückgerufen und mit einer Nebenbestimmung zur Typengenehmigung belegt wird, aber auch unter Berücksichtigung des erheblichen Gewichts einer solchen (unwahrscheinlichen) Maßnahme, die im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung einer Nebenbestimmung bis zur Betriebsuntersagung bzw. Stillegung hätte führen können, erscheint geboten, den Schaden mit 10 % des Kaufpreises zu bemessen. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
5. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; BeckRS 2024, 5589; BeckRS 2024, 6664; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; BeckRS 2024, 5526; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, VW T5, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Repräsentanten des Herstellers, Betriebsuntersagung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 22.09.2022 – 2 O 1106/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6950

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 22.09.2022, Az. 2 O 1106/22, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.057,39 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 16.06.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage bleibt abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 89 % und die Beklagte 11 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 52 % und die Beklagte 48 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger erwarb am 30.04.2015 bei einem Autohaus in Österreich einen VW T5 Multivan Special BMT TDI mit der Fahrgestellnummer … Euro 5, zu einem Kaufpreis von 39.865 € als Neuwagen zusammen mit einer Anhängerkupplung zum Preis von 708,91 €, somit für insgesamt 40.573,91 €. Die Beklagte ist Herstellerin des darin verbauten Dieselmotors des Typs EA 189.
2
Für das Fahrzeug gibt es keinen amtlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Am 10.10.2018 erging ein Rückrufbescheid des KBA wegen einer Konformitätsabweichung, die mittels eines am 15.01.2020 durch das KBA freigegebenen Software-Updates behoben wurde. Der weitere Rückruf vom 11.11.2021 wegen einer Konformitätsabweichung betraf nicht das streitgegenständliche Fahrzeug [nur Baujahre von 2010 bis 2012, vgl. Bl. 291].
3
Am 09.09.2022 verkaufte der Kläger das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 26.092 km zu einem Verkaufspreis von 29.043 € an einen Dritten.
4
Der Kläger behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut gewesen seien (Thermofenster, Aufwärmfunktion, Koppelung zwischen Höhenmeter und Abgasreinigung, Taxisschaltung, Bl. 432). Er begehrte deshalb zunächst die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Nach dem Verkauf des Fahrzeugs erklärte er die teilweise Erledigung des Rechtsstreits. Jedenfalls bestehe ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, der nicht verjährt sei, da das Inverkehrbringen des Software-Updates ein erneutes und in Ansehung der Verjährung eigenständig zu behandelndes Delikt darstelle und es an der für die Verjährung erforderlichen Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen fehle. Es bestehe die Gefahr der Betriebsuntersagung. Die Beklagte habe eine Betrugssoftware durch eine andere Betrugssoftware ausgetauscht.
5
Die Beklagte tritt dem entgegen. Sie bestreitet das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen der T5-Modelle. Auch das KBA unterscheide zwischen unzulässigen Abschalteinrichtungen und bloßen Konformitätsabweichungen.
6
Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Tragend hat es darauf abgestellt, dass es schon an einem schlüssigen Vortrag zu unzulässigen Abschalteinrichtungen fehle. Allenfalls enthalte die Replik in Ansätzen Ausführungen zu einem Thermofenster, das jedoch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB begründen könnte.
7
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufungsbegründung, mit der er seinen zuletzt gestellten erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt und hilfsweise Zurückverweisung an das Landgericht erstrebt sowie hilfsweise einen Differenzschadensersatzanspruch geltend macht.
8
Der Kläger behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Manipulationssoftware verbaut, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand zum Durchfahren des neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befindet und dann die Abgasrückführung in einer anderen Weise regle als im normalen Straßenverkehr. Darüber hinaus sei ein Thermofenster implementiert, dessen Software bewirke, dass im normalen Straßenbetrieb die Abgasrückführung unterhalb von 15°C zurückgefahren wirdr wodurch die Abgasnorm EU 5 nicht erreicht bzw. deutlich verfehlt würde. Dies werde durch Untersuchungen der Deutschen Umwelthilfe belegt. Es sei unstreitig eine Umschaltlogik verbaut [nein!]. Es gäbe bereits Software-Updates für das streitgegenständliche Fahrzeug. Der freiwillige Rückruf sei als Geständnis bzw. als Zugeständnis des Sachvortrags der Klagepartei nach § 138 Abs. 3 ZPO zu werten. Es läge kein Vortrag ins Blaue hinein vor. Die geltend gemachten Abschalteinrichtungen würden jeweils einen Anspruch aus §§ 826 und § 823 Abs. II BGB i.V.m. einem Schutzgesetz begründen. Der Anspruch sei nicht verjährt, da das Inverkehrbringen des Software-Updates ein erneutes und in Ansehung der Verjährung eigenständig zu behandelndes Delikt darstelle, zumal die Klagepartei bis heute nicht wusste, dass das Software-Update wirkungslos und weitere neue illegale Abschalteinrichtungen implementiert wurden (keine Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen). Die Beklagte habe lediglich eine Betrugssoftware durch eine andere ausgetauscht. Das Verhalten der Beklagten sei weiterhin als sittenwidrig zu beurteilen und entfalle nicht. Es drohe akut die Stilllegung. Dies werde durch das aktuelle Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig bestätigt.
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Der Kläger beantragt daher zuletzt (Bl. 266/267; 383; 546 d.A.),
1.1.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei EUR 8.506,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
hilfsweise
2.2.
Das Urteil des Landgerichts Traunstein, 2 O 1106/22 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Traunstein zurückzuverweisen;
hilfsweise
3.
Die Revision zuzulassen.
Zusätzlich hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 6.086,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
11
Sie verteidigt das Ersturteil. Trotz des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten EA189-Motors erfolge keine Umschaltung der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb. Es sei deshalb auch kein Software-Update angeboten worden. Konformitätsabweichungen stellten keine unzulässigen Abschalteinrichtungen dar. Es läge im Übrigen kein Schädigungsvorsatz bei der Beklagten vor und beim Kläger kein Schaden.
12
Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 23.11.2023 (Bl. 378/379 d.A.) auf den Einzelrichter übertragen.
13
Der Senat hat am 27.02.2024 mündlich verhandelt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll vom 27.02.2024 (Bl. 545/547 d.A.) Bezug genommen.
14
Im Übrigen wird zur Ergänzung auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die sonstigen Aktenbestandteile verwiesen.
15
Im Übrigen bedarf es keines Tatbestands, da gegen das Urteil kein Rechtsmittel zulässig ist (§§ 313 a Abs. 1 S. 1, 540 Abs. 2 ZPO).
II.
16
Die zulässige Berufung ist in Bezug auf einen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV teilweise erfolgreich.
1. Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB
17
Dem Kläger steht jedoch kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu. Hierzu wird zunächst auf die Begründung in der Ladungsverfügung vom 24.11.2023 (Bl. 381/382 d.A.) Bezug genommen. Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
a) Thermofenster
18
Die Argumentation der Klagepartei, die Beklagte hafte gemäß §§ 826, 31 BGB jedenfalls wegen der Verwendung des Thermofensters, greift zu kurz.
19
aa) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) sind nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte das Fahrzeug mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten ist nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt auch hier voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 19). Hierfür muss ein Kläger jedoch zumindest hinreichende Anhaltspunkte aufzeigen (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 20).
20
bb) Diese weiteren Umstände hat die Klagepartei in keiner Form dargelegt, sie kommt über Allgemeinplätze in Form einer angeblichen Täuschung der Genehmigungsbehörden nicht hinaus. Mithin ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen, welche Angaben die Beklagte im Rahmen der Typgenehmigung gemacht hat. Dies ist von Bedeutung, denn selbst wenn die Beklagte dabei – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, ergeben sich hier überhaupt nicht (vgl. BGH, a.a.O.).
21
Aus dem Vortrag der Klagepartei ergibt sich, dass das Thermofenster nicht etwa nur unter Prüfstandsbedingungen arbeitet, sondern dass im normalen Straßenbetrieb die Abgasreinigung unterhalb von 15 Grad Celsius zurückgefahren wird, mithin das Thermofenster im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise funktioniert.
22
cc) Unabhängig davon, dass damit schon der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit des Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen nicht gegeben ist, ist ein besonders verwerfliches Verhalten auch im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses ausgeschlossen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 29/31). Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden konnte, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, a.a.O., Rn. 30).
23
Die Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters war jedenfalls im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses zweifelhaft, da ausweislich des Berichts der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen Thermofenster von allen Autoherstellern eingesetzt und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden; insoweit war ein Verstoß betreffend die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich auf Vorlage eines französischen Gerichts mit der Frage der Auslegung der genannten Vorschrift befassen müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216). Auch die gerichtsbekannt breit geführte Diskussion um die Zulässigkeit und der erhebliche Aufwand, mit dem die Unzulässigkeit des Thermofensters begründet wurde, ließ auf eine zweifelhafte Rechtslage schließen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 31).
b) Andere Abschalteinrichtungen
24
Auch aus dem Vortrag des Klägers zu anderen angeblich vorhandenen Abschalteinrichtungen ergibt sich keine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB.
25
Die von der Klagepartei im Übrigen genannten Abschalteinrichtungen wären für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn diese auf dem Prüfstand erkennbare Auswirkungen auf das Emissionsverhalten haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 48).
26
Hierfür gibt es vorliegend keine greifbaren Anhaltspunkte. Eine von der Klagepartei behauptete Umschaltlogik wurde vom KBA bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht festgestellt.
27
Der Senat verkennt nicht, dass auch ohne Vorliegen eines Rückrufs ausreichende Anhaltspunkte für den Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen können. Jedoch bleibt es Aufgabe der Klagepartei, solche Anhaltspunkte aufzuzeigen, was hier der Kläger in Bezug auf die genannten Abschalteinrichtungen nicht gelingt.
2. Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV
28
Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Höhe des ausgeurteilten Betrags.
29
Der BGH hat mit Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 – entschieden, dass dem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf den Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen kann. Dieser Anspruch knüpft an die Pflicht des Fahrzeugherstellers an, eine zutreffende Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen. Das unionsrechtlich geschützte Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, ist von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV geschützt.
30
Die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs liegen vor:
a) Verstoß gegen ein Schutzgesetz
31
Die Beklagte hat als Herstellerin des Fahrzeugs für dieses eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt und damit gegen die Schutzgesetze § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen.
32
§ 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV waren bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs im Jahr 2010 gültig (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 374/22, juris).
33
Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist (BGH, a.a.O., juris Rn. 34). Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine solche unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut.
aa) Abschalteinrichtung
34
Der Begriff der Abschalteinrichtung ist in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 definiert.
35
(1) „Abschalteinrichtung“ ist danach ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
36
Abzustellen ist dabei auf die Verwendungen des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (BGH, a.a.O., juris Rn. 50). Eine Grenzwertkausalität ist dabei nicht von Bedeutung (BGH, a.a.O., juris Rn. 51).
37
(2) Eine Abschalteinrichtung in diesem Sinne liegt hier in Form des Thermofensters vor. Unstreitig verfügt das Fahrzeug über eine Abgasrückführung, die in Abhängigkeit von der Temperatur erfolgt, so dass ein Konstruktionsteil, das die Temperatur ermittelt, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems zu verändern, vorliegt.
38
Hierdurch wird die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert.
39
Zur Ausgestaltung des Thermofensters hat der Kläger schlüssig und hinreichend konkret vorgetragen (etwa Berufungsbegründung S. 31, Bl. 256 d.A.; Schriftsatz vom 19.01.2024, S. 36, Bl. 450 d.A.), dass „die Abgasnachbehandlungssysteme bei Temperaturen unter 17°C bzw. über 30°C nicht unwesentlich heruntergefahren und später komplett ausgeschaltet werden“. Außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasreingung erheblich reduziert bzw. komplett zurückgefahren.
40
Die Beklagte hat dem Vortrag der Klagepartei nicht generell widersprochen und durchaus eingeräumt, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der ursprünglichen Typgenehmigung und im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses ein Thermofenster aufwies, das in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur eine Veränderung der AGR-Rate bei einer Temperatur vornimmt, die oberhalb von 12°C liegt (Schriftsätze vom 19.12.2023, S. 3, Bl. 389, und vom 19.02.2024, S. 16 f., Bl. 505 f. d.A.), war aber der Meinung, dass dieses dem zum Genehmigungszeitpunkt bestehenden, auf dieses Aggregat bezogenen Stand der Technik entsprochen habe, aus Gründen des Motorschutzes und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig gewesen sei und vom KBA für zulässig gehalten und jedenfalls nicht beanstandet worden sei.
41
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp ein freiwilliges Software-Update zur Aufweitung des Thermofensters seit dem 17.10.2022 zur Verfügung stehe (Schriftsatz vom 19.02.2024, S. 16, Bl. 505 d.A.), das vom KBA freigegeben worden sei, ändert sich an der rechtlichen Beurteilung nichts. Denn nach dem Aufspielen dieses freiwilligen Software-Updates liege die Spanne, innerhalb derer keine aktive Veränderung der AGR-Rate in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur erfolge, immer noch lediglich bei ca. +10°C bis ca. +34°C Umgebungstemperatur. Es seien dann 100 % der normierten AGR-Rate eingeregelt. Außerhalb dieser Spanne käme es zu einer graduellen Reduzierung der AGR-Rate. Erst bei Umgebungstemperaturen von ca. -15°C und oberhalb von mindestens +110°C werde die AGR nach dem im Steuergerät applizierten Wert in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur deaktiviert. Damit hätte sich auch durch das Aufspielen dieses Software-Updates kaum etwas am vorhandenen Thermofenster geändert, so dass der von der Beklagten in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „Aufweitung“ des Thermofensters als bloßer Euphemismus bezeichnet werden muss.
42
Damit liegt unabhängig davon, welcher Vortrag der Parteien zutrifft, eine Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, vor. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage. Der Verweis auf zukünftige Maßnahmen, verbunden mit einer Änderung der Bedatung des Thermofensters, ändert am derzeit vorliegenden Sachverhalt nichts.
bb) Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung
43
Die Verwendung einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, ist grundsätzlich unzulässig, Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Verwendung der Abschalteinrichtung ist nicht gegeben, insbesondere nicht nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, wonach die Verwendung zulässig ist, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
44
(1) Ein Thermofenster wie das streitgegenständliche kann nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, und diese Risiken derart schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 64).
45
„Notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung ist eine Abschalteinrichtung, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20, juris Rn. 81).
46
Außerdem hat der Europäische Gerichtshof in Bezug auf ein Thermofenster entschieden, dass es zwar zutrifft, dass Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 formell keine weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vorschreibt. Doch würde eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel, von dem diese Bestimmung nur unter ganz besonderen Umständen eine Abweichung zulässt, zuwiderlaufen und zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der NOx-Emissionen von Fahrzeugen führen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 2023, a.a.O., juris Rn. 65).
47
Die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung obliegt der Beklagten (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, a.a.O., juris Rn. 54).
48
(2) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung schon nicht ausreichend dargelegt.
49
Die Beklagte beruft sich zwar insbesondere darauf, dass die Abgasrückführung nicht unverändert über alle Außentemperaturen möglich sei, vielmehr diene die Anpassung der AGR-Rate dem Motorschutz, was durch Fachliteratur anerkannt und durch Testergebnisse bestätigt sei. Durch Wartung könnten die Risiken nicht verhindert werden. Es bestehe das Risiko der Belag- und Eisbildung und eines Partikelfilterbrands. Zum Zeitpunkt des hiesigen Kaufvertragsschlusses sei es nicht darauf angekommen, dass die Regelung der Abgasrückführung nicht den überwiegenden Teil des Jahres aktiv sein dürfe. Das Gesetz habe im Zeitpunkt der Typgenehmigung zudem keine Darstellung der konkreten Ausgestaltung des Thermofensters verlangt.
50
Dieser Vortrag genügt jedoch nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn die Beklagte behauptet nicht, dass die Abschalteinrichtung unter normalen Betriebsbedingungen nicht den überwiegenden Teil des Jahres funktioniert. Vielmehr trägt die Beklagte dazu vor, dass erst durch vorliegende Software-Update die Bedatung geändert werden solle. Damit ist schon nach dem Vortrag der Beklagten eine der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfüllt.
51
Unzutreffend ist die Ansicht der Beklagten, dass es diese Anforderung vor dem 14.07.2022 „nicht gegeben“ habe. Denn der EuGH hat dieses Kriterium im Wege der Auslegung der bestehenden Verordnung gewonnen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022, a.a.O., juris Rn. 75 ff.). Auslegung ist die Sinnerforschung einer Regelung (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, Einleitung Rn. 40). Der Inhalt einer Regelung entsteht nicht erst dadurch, dass sie erstmalig höchstrichterlich ausgesprochen wird.
b) Erwerbskausalität
52
Die Erwerbskausalität ist gegeben. Der Kläger kann sich auf den Erfahrungssatz stützen, dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (BGH, a.a.O., juris Rn. 55). Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
c) Verschulden
53
Die Beklagte hat hinsichtlich des Einsatzes dieser unzulässigen Abschalteinrichtung auch schuldhaft gehandelt. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.
54
Gewöhnlich trifft den Anspruchsteller für das Verschulden die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH, a.a.O., juris Rn. 59). Weil das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (BGH, a.a.O., juris Rn. 61). Dies ist der Beklagten nicht gelungen.
55
Die Beklagte behauptet, der Ansicht gewesen zu sein, dass die verwendeten Thermofenster zulässig waren. Damit trägt sie zu einem Irrtum vor, denn tatsächlich war die Verwendung jedenfalls des streitgegenständlichen Thermofensters unzulässig. Entlastend wirkt ein solcher Irrtum nur, wenn es sich um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt hat (BGH, a.a.O., juris Rn. 63).
56
aa) Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen (BGH, a.a.O.).
57
Hinsichtlich des Verbotsirrtums muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23, juris Rn. 14).
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Die Unvermeidbarkeit des konkret dargelegten und im Falle des Bestreitens des Geschädigten nachgewiesenen Verbotsirrtums kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung beweisen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Gelingt der Nachweis auf diesem Wege nicht, kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung zum anderen darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Eine Entlastung allein mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass jedes Kraftfahrzeug mit einem Dieselmotor mit einer Abgasrückführung über ein Thermofenster verfügt, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, a.a.O., juris Rn. 64 ff.).
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bb) Nach diesen Maßstäben kann sich die Beklagte nicht entlasten.
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Dies scheitert schon daran, dass die Beklagte den Verbotsirrtum nicht ausreichend konkret dargelegt hat (Schriftsatz vom 15.02.2024, S. 52, Bl. 541 d.A.).
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Hinzu kommt, dass die Beklagte das Bestehen eines Verbotsirrtums auch nicht bewiesen hat. Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der Vorstand bzw. die Repräsentanten der Beklagten vorsätzlich handelten (vgl. etwa Schriftsatz vom 09.08.2022, S. 63 ff., Bl. 175 d.A.). Auch wenn dieser Vortrag ohne Darlegung greifbarer Anhaltspunkte für seine Richtigkeit erfolgte, liegt darin ein wirksames Bestreiten des gegenteiligen Vortrags der Beklagten. Die Beklagte bietet zum Bestehen eines Irrtums kein taugliches Beweismittel an.
62
Die Beklagte hat damit einen Verbotsirrtum weder ausreichend dargelegt noch bewiesen, so dass es bei ihrem vermuteten Verschulden verbleibt. Auf die Ausführungen der Beklagten zur Unvermeidbarkeit des Irrtums kommt es daher nicht an.
d) Schaden
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Der Kläger hat deshalb Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Höhe von 4.057,39 € (= 10 % des Kaufpreises in Höhe von 40.573,91 €) nebst Zinsen hieraus in gesetzlicher Höhe ab 16.06.2022. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.
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aa) Der Schaden des Käufers liegt in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, a.a.O., juris Rn. 40).
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Die Höhe dieses Schadens unterliegt der gerichtlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO und bewegt sich nach der Rechtsprechung des BGH im Bereich von 5 % bis 15 % des gezahlten Kaufpreises (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 72 ff.). Bei der Schätzung des Schadens innerhalb eines Rahmens zwischen 5 % und 15 % hat der Tatrichter bei der Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen. Weiter hat er den Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände in den Blick zu nehmen. Maßgebend ist dabei eine auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogene Betrachtung. Über diese originär schadensrechtlichen Gesichtspunkte hinaus hat der Tatrichter das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie den Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls zu bewerten, um so dem Gebot einer verhältnismäßigen Sanktionierung auch bezogen auf den zu würdigenden Einzelfall Rechnung zu tragen. Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ist der Tatrichter bei seiner Schätzung innerhalb des genannten Rahmens nicht gehalten (BGH, a.a.O., juris Rn. 76 ff.).
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bb) Unter Zugrundelegung des im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als gering zu bewertenden Risikos, dass das Fahrzeug zurückgerufen und mit einer Nebenbestimmung zur Typengenehmigung belegt wird, aber auch unter Berücksichtigung des erheblichen Gewichts einer solchen (unwahrscheinlichen) Maßnahme, die im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung einer Nebenbestimmung bis zur Betriebsuntersagung bzw. Stillegung hätte führen können, erachtet es der Senat als geboten, den Schaden vorliegend mit 10 % des Kaufpreises zu bemessen. Dies auch unter Berücksichtigung der Umstände, dass einerseits der Beklagten nur einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, andererseits aber dem Verstoß der Beklagten vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Ziels der Einhaltung bestimmter Emissionsgrenzwerte ein nicht unerhebliches Gewicht beizumessen ist (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 01. August 2023 – 5 U 172/22).
cc) Anrechnung der gezogenen Nutzungen und des Restwerts
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Eine Anrechnung der gezogenen Nutzungen und des Restwerts kommt vorliegend nicht in Betracht.
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Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Rechtssätze zugrunde:
• Der Käufer muss sich die gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Der Schaden des Käufers kann dabei durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19).
• Einem etwaig geschädigten Käufer kann bei einem Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz in Form des Differenzschadens zustehen, wobei er das Auto behält und als Schaden den Betrag ersetzt verlangt, um den er den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses – zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 9; Urteil vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, Rn. 12 ff; BGH, BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn 72 ff).
• Ausgangspunkt für die Berechnung dessen, was ein Käufer als Differenzschaden ersetzt verlangen kann, ist eine Schätzung dieses Minderwerts bzw. des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemäß § 287 ZPO, wobei auch die mit einer etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko dem Kläger nachteiliger behördlicher Anordnungen zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 15; Urteil vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, Rn. 23, BGH, Urteil vom 26.06.2023 – Via ZR 335/21, Rn 76).
• Die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Vergleichs der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses schließt jedoch eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht aus (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 16 ff.; Urteil vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, Rn. 23 f; BGH, Urteil vom 26.06.2023 – Via ZR 335/21, Rn 80). Dabei sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen.
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Unter Berücksichtigung dieser Rechtssätze ergibt sich hier folgendes:
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Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs übersteigen den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) in Höhe von 36.516,52 € vorliegend nicht. Ausgehend vom unstreitigen Kilometerstand von 26.092 km zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs und einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km, die der Senat in ständiger Rechtsprechung für Fahrzeuge wie das streitgegenständliche der Berechnung zugrunde legt, ergibt sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.234,62 €. Der Restwert entspricht nach Auffassung des Senats dem erlangten Verkaufserlös in Höhe von 29.043 €. Bei Addition dieser Werte ergibt sich ein Betrag in Höhe von 33.203,63 €, der den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags von 36.516,52 € nicht erreicht, so dass eine Anrechnung ausscheidet.
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Für die Berechnung war hier vom Gesamtpreis in Höhe von 40.573,91 € für Pkw und Anhängerkupplung auszugehen, da die Ersatzpflicht des Fahrzeugherstellers grundsätzlich auch Kosten für Sonderausstattungen, fahrzeugtypisches Zubehör und behindertengerechten Umbau umfasst (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2022, Az. VII ZR 177/21 = BeckRS 2022, 38157).
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10 % des Kaufpreises in Höhe von 40.573,91 € ergeben einen Betrag in Höhe von 4.057,39 €.
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Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (BGH, a.a.O., juris Rn. 80).
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dd) Der Vortrag der Beklagten zum Entfall des Schadens durch ein Software-Update (Schriftsatz vom 15.02.2024, S. 16, Bl. 505 d.A.) ist nicht zielführend, denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten steht dieses erst seit dem 17.10.2022, also nach dem Weiterverkauf des Fahrzeugs durch den Kläger, zur Verfügung, wurde somit bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgespielt und könnte im Übrigen den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch nicht ausräumen.
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ee) Zinsen kann der Kläger wie beantragt ab Rechtshängigkeit der Klage gegen die Beklagte verlangen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die relevanten Rechtsfragen sind durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt, die der Senat seinem Urteil zugrunde gelegt hat.