Inhalt

FG München, Gerichtsbescheid v. 09.02.2024 – 8 K 602/23
Titel:

Einlegung und Auslegung eines Einspruchs beim Finanzamt

Normenketten:
UmwStG § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 1, Abs. 6
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 5, § 60 Abs. 3 S. 1
AO § 129, § 183 Abs. 3, § 365 Abs. 3 S. 1
KStG § 8 Abs. 1
Leitsatz:
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist zwar bei der Auslegung grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH-Urteil vom 19.06.1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6, Rn. 17, EN1997013813). Entscheidend ist aber bei der Auslegung, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Einspruchsschreibens verstehen musste (BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 6, Rn. 20). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einspruchsverfahren, Umwandlungsteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – X R 8/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
StEd 2024, 277
EFG 2024, 982
BeckRS 2024, 6899
DStRE 2024, 1505
LSK 2024, 6899

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist die Zurechnung eines Einbringungsgewinns I an die verstorbene A, deren Erbin die Klägerin, eine Stiftung, ist.
2
A war im Streitjahr 2007 als Kommanditistin an der B KG (im Folgenden: KG) beteiligt. Aufgrund notariellen Verschmelzungsvertrags vom 11.07.2008 wurde die KG (gemeinsam mit der C GmbH) mit steuerlicher Wirkung zum 31.12.2007 im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme in die D AG (im Folgenden: AG) umgewandelt. Die AG setzte das eingebrachte Vermögen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) einheitlich mit dem steuerlichen Buchwert an. A verstarb am im April 2011 und wurde von der Klägerin beerbt. Die Klägerin veräußerte die von A geerbten Aktien an der AG im Juli 2011 an die E AG.
3
Auf Grundlage der am 03.07.2009 eingereichten Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erließ der Beklagte (im Folgenden: das Finanzamt) den Bescheid vom 29.07.2009 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2007, der gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) stand. Dieser Bescheid wurde aufgrund einer berichtigten Steuererklärung vom 22.02.2011 (eingegangen beim Finanzamt am 11.07.2011), in der F als gemeinsamer von allen Beteiligten bestellter Empfangsbevollmächtigter angegeben wurde, mit Bescheid vom 22.09.2011, der weiterhin unter dem VdN stand, geändert. A wurden im Bescheid vom 22.09.2011 ohne Hinweis auf eine Gesamtrechtsnachfolge Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € zugerechnet.
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Am 12.12.2012 wurde durch das Finanzamt BP [vom beklagten Finanzamt, das keine eigene Betriebsprüfung hat, verschieden] eine Außenprüfung bei der AG als Rechtsnachfolgerin nach der KG angeordnet, die u. a. die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Streitjahres zum Gegenstand hatte. Die Betriebsprüfung des Finanzamts BP vertrat im Prüfungsbericht die Auffassung, dass der A ein Einbringungsgewinn I nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG in Höhe von … € aufgrund der Veräußerung der AG-Aktien durch die Klägerin im Jahr 2011 zuzurechnen sei. Mit Bescheid vom 23.11.2018, der dem F, dessen Empfangsvollmacht nicht widerrufen worden war, übermittelt wurde, setzte das Finanzamt die Ergebnisse der Betriebsprüfung um und hob den VdN auf. Der A wurden unter der Bezeichnung „[Name der A] z. Hd. der [Name der Klägerin] als Rechtsnachfolg.“ entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € zugerechnet, die den Einbringungsgewinn I in Höhe von … € enthalten. Mit Bescheid vom 12.12.2018, der mit einfacher Post dem F übermittelt wurde, wurde der Feststellungsbescheid hinsichtlich der Bezeichnung der AG nach § 129 AO berichtigt. Änderungen hinsichtlich des Einbringungsgewinns I sowie dessen Zurechnung ergaben sich hieraus nicht.
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Gegen den Feststellungbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung 2007 vom 23.11.2018 legte die Klägerin unter Nennung des Bescheiddatums 23.11.2018, vertreten durch den Klägervertreter, als Rechtsnachfolgerin der A mit Schreiben vom 14.12.2018 Einspruch ein. Das Einspruchsschreiben trägt den Eingangsstempel des Finanzamts vom 19.12.2018 mit der Bezeichnung „Frühleerung“.
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Die Klägerin begehrte, den Einbringungsgewinn nicht der verstorbenen A zuzuordnen, sondern als Rechtsnachfolgerin gemäß §§ 22 Abs. 6 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG ihr selbst, der Klägerin. Nach klägerischer Auslegung enthalte § 22 Abs. 6 UmwStG die Fiktion, dass die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der A „Einbringende“ im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG sei, sodass der Einbringungsgewinn I als ihr (eigener) Gewinn nach § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetztes (KStG) zu versteuern sei. Das Finanzamt teilte diese Auslegung nicht und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.02.2023 als unbegründet zurück.
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Mit der dagegen erhobenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, den Einbringungsgewinn nicht der A zuzurechnen. Die Vorschrift des § 22 Abs. 6 UmwStG enthalte die Fiktion, dass ein unentgeltlicher Rechtsnachfolger als Einbringender gelte. Eine Auslegung nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 6 UmwStG, wonach der Rechtsnachfolger des Einbringenden als Einbringender gelte, ergebe, dass in § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG aus dem Gewinn des Einbringenden der Gewinn des Rechtsnachfolgers werde. Aus der Gesetzesbegründung in der Drucksache 16/2710 des Deutschen Bundestages (BT-Drs.; S. 46 f. sowie S. 50) ergebe sich kein vom Wortlaut abweichender historischer gesetzgeberischer Wille. Es lasse sich lediglich ableiten, dass eine nachträgliche Besteuerung des Einbringungsgewinns I auch in den Fällen der unentgeltlichen Übertragung erfolgen solle. Zu der Frage, von wem dieser Einbringungsgewinn I zu versteuern sei, lasse sich aus der Gesetzesbegründung keine Aussage ableiten. Im Rahmen einer systematischen Gesetzesauslegung verweist die Klägerin darauf, dass § 22 Abs. 6 UmwStG eine Fiktion enthalte, durch die vom Wortlaut her sowohl auf Tatbestandsseite als auch auf Rechtsfolgenseite der Rechtsnachfolger als Einbringender gelte. Im Wege der Fiktion sei es auch möglich, Gewinne an einen zum Zeitpunkt des Entstehens eines Gewinns noch nicht beteiligten Steuerpflichtigen zuzurechnen. Im Rahmen einer teleologischen Auslegung verweist die Klägerin darauf, dass eine Auslegung entgegen dem Wortlaut dazu führen würde, dass die Verwirklichung des Steuertatbestands (Veräußerung der sperrfristverhafteten Anteile) und der Steuerfolge (Besteuerung des aus der Veräußerung resultierenden Einbringungsgewinns I) auseinanderfielen. Dies stünde im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen über die persönliche Zurechnung von Einkünften. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung richte sich die persönliche Zurechnung von Einkünften danach, wer diese erzielt habe. Etwa im Falle einer Veräußerung der sperrfristverhafteten Anteile durch einen Vermächtnisnehmer würden bei einer von der klägerischen Auslegung abweichenden Gesetzesauslegung die Einkünfte in Form des Einbringungsgewinns I nicht dem Vermächtnisnehmer, sondern einer anderen, an der Verwirklichung der Einkünfte überhaupt nicht beteiligten Person zugeordnet werden. Denn weder der ursprünglich Einbringende, noch – in diesem Fall – sein Erbe wären an der schädlichen Veräußerung beteiligt. Der Gesetzgeber habe sicherstellen wollen, dass auch bei einer unentgeltlichen Rechtsnachfolge eine Besteuerung des Einbringungsgewinns I erfolge. Eine von den allgemeinen Regeln abweichende Zurechnung von Einkünften habe der Gesetzgeber in § 22 Abs. 6 UmwStG nicht vorgesehen.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2007 zuletzt geändert mit Bescheid vom 23.11.2018 und zuletzt berichtigt mit Bescheid vom 12.12.2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.02.2023, dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin nach A um … € vermindert werden.
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Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Es verweist auf die Rechtsauffassung, die der Einspruchsentscheidung zugrunde liegt. Danach stimmt das Finanzamt der Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut zu. Bei der historischen Gesetzesauslegung zitiert das Finanzamt die Gesetzesbegründung in der BT-Drs. (S. 46 f. sowie S. 50) und hebt dabei hervor, dass § 22 UmwStG eine nachträgliche Besteuerung beim Einbringenden vorsehe und dass die Gesetzesbegründung auf Rechtsfolgenseite nur vom „Einbringenden“ spreche, während sie tatbestandlich auf eine Veräußerung der erhaltenen Anteile durch den Einbringenden „oder bei unentgeltlichem Erwerb durch den Rechtsnachfolger“ Bezug nehme. Der gesetzgeberische Wille sei somit offenkundig. Dies werde auch von einem Teil der Literatur bestätigt und ergebe sich auch aus der Rz. 22.41 des BMF-Schreibens vom 11.11.2011, BStBl I 2011, 1314 (UmwStE).
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Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, die eingereichten Akten und Schriftsätze Bezug genommen.
II.
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1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) klagebefugt, weil es sich bei der Zurechnung eines Einbringungsgewinns I um eine Frage handelt, die die Klägerin persönlich angeht. Kennzeichen der in § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO angesprochenen persönlichen Streitfragen ist, dass sie nicht dem Bereich der gemeinschaftlichen Einkunftserzielung, sondern – wie beispielsweise die Frage über das Vorliegen oder die Höhe von Sonderbetriebseinnahmen – der eigenen Sphäre des Gesellschafters zugeordnet sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.08.2015 I R 42/14, BFH/NV 2016, 164 Rn. 10). Der streitgegenständliche Einbringungsgewinn I betrifft die Sphäre der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der im Streitjahr an der KG beteiligten A, nicht aber den Bereich der gemeinschaftlichen Einkunftserzielung.
13
Im Übrigen ist die KG durch ihre Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft, die AG, vollbeendet (vgl. BFH-Beschluss vom 23.11.1994 VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663, Rn. 35; BFH-Urteil vom 08.10.1991 VIII R 85/88, BFH/NV 1992, 324, Rn. 15). Wäre die Klagebefugnis zuvor nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO ausgeschlossen gewesen, wäre sie dadurch wieder aufgelebt (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.2015 IV R 62/11, BFH/NV 2015, 995, Rn. 12; BFH-Beschluss vom 17.10.2013 IV R 25/10, BFH/NV 2014, 170, Rn. 20).
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2. Eine Beiladung hat nicht zu erfolgen. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (notwendige Beiladung). Dies gilt nach § 60 Abs. 3 Satz 2 FGO nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind.
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a) Die AG als Rechtsnachfolgerin der KG ist nicht beizuladen. Eine Gesellschaft (hier: die KG) ist stets zu einem Rechtsstreit eines Gesellschafters über die gesonderte und einheitliche Feststellung beizuladen. Das gilt auch dann, wenn sie von dem Ausgang des Verfahrens nicht betroffen ist (BFH-Urteil vom 04.12.2018 IX R 13/17, BFH/NV 2019, 397, Rn. 11, mit weiteren Nachweisen (m. w. N.)). Die aus § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO folgende Befugnis der Personengesellschaft, in Prozessstandschaft für ihre Gesellschafter Rechtsbehelfe gegen die Gewinnfeststellungsbescheide einzulegen, endet jedoch mit deren Vollbeendigung. Die Klagebefugnis geht deshalb auch nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger der Personengesellschaft über (BFH-Beschluss vom 13.06.2019 VIII B 146/18, BFH/NV 2019, 1234, Rn. 6, m. w. N.). Eine Beiladung einer erloschenen Personengesellschaft kommt nicht mehr in Frage (BFH-Beschluss vom 02.03.1993 IV B 166/91, juris, Rn. 11; vgl. BFH-Urteil vom 14.06.1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318, Rn. 14, m. w. N.). Die Klagebefugnis der KG ist mit ihrer Vollbeendigung erloschen und nicht auf ihre Rechtsnachfolgerin, die AG, übergegangen.
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b) Weitere Gesellschafter, die im Streitjahr an der KG beteiligt waren, sind ebenfalls mangels Klagebefugnis nicht beizuladen. Die Vollbeendigung einer Personengesellschaft hat zur Folge, dass grundsätzlich alle gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO (in der damals gültigen Fassung) klagebefugten ehemaligen Gesellschafter, die nicht selbst Klage erhoben haben, beizuladen sind, soweit sie vom Ausgang des Rechtsstreits im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO selbst betroffen sind (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.2012 IV R 44/10, BFH/NV 2013, 376, Rn. 21, m. w. N.). Eine notwendige Beiladung der nicht klagenden ehemaligen Gesellschafter (Feststellungsbeteiligten) ist allerdings nicht geboten, wenn sie steuerrechtlich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt betroffen sein können (BFH-Urteil in BFH/NV 2013, 376, Rn. 21, vgl. BFH-Urteil vom 10.02.1988 VIII R 352/82, BStBl II 1988, 544, Rn. 25). Vorliegend können im Klageverfahren keine weiteren ehemaligen Gesellschafter der KG vom Rechtsstreit über den Einbringungsgewinn I, der sich nur auf die Beteiligung der A bezieht, betroffen sein.
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c) Schließlich kommt eine Beiladung der Klägerin auch dann nicht in Betracht, wenn man es für denkbar hielte, dass die Klägerin gemäß § 22 Abs. 6 UmwStG fiktiv rückwirkend selbst als ehemalige Beteiligte der KG zu sehen sein könnte. Denn dies beträfe die Klägerin selbst. Die Stellung als Kläger oder Beklagter und die Stellung als Beigeladener schließen sich aus (BFH-Urteil vom 07.06.2006 VII R 11/05, BStBl II 2006, 573, Rn. 18). Beigeladen kann nur werden, wer nicht Kläger oder Beklagter ist (BFH-Beschluss vom 07.10.1986 IX R 125/86, BFH/NV 1987, 784, Rn. 8, juris).
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3. Die Klage ist unbegründet, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
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a) Die Klage ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil der Einspruch vom 14.12.2018 unzulässig gewesen wäre. Hat das FA einen unzulässigen Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, ist die Klage als unbegründet abzuweisen (vgl. BFH-Urteil vom 21.07.2011 II R 7/10, BFH/NV 2011, 1835, Rn. 24; BFH-Beschluss vom 11. November 2008 V B 2/08, BFH/NV 2009, 401, m. w. N.). Der Einspruch vom 14.12.2018 war jedoch zulässig.
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aa) Zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung war der berichtigende Bescheid vom 12.12.2018 bereits bekanntgegeben.
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(1) Sowohl der Änderungsbescheid vom 23.11.2018 als auch der diesen gemäß § 129 AO berichtigende Bescheid vom 12.12.2018 wurden durch Übermittlung an den Empfangsbevollmächtigten F wirksam bekanntgegeben. Nach § 183 Abs. 3 AO konnten die Bescheide gegenüber dem zuletzt laut Steuererklärung vom 11.07.2011 Empfangsbevollmächtigten mangels Widerrufs der Empfangsvollmacht nach § 183 Abs. 1 Satz 1 AO mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten bekanntgeben werden.
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Außerdem waren diese Bescheide betreffend die Beteiligung der A zutreffend an die Klägerin als Gesamtrechtnachfolgerin gerichtet. Die Adressierung an A „z. Hd.“ (d. h. zu Händen) der Klägerin als Rechtsnachfolgerin bringt dies hinreichend zum Ausdruck (vgl. BFH-Urteil vom 27.10.2015 VIII R 59/13, BFH/NV 2016, 726, Rn. 23; BFH-Urteil vom 21.05.1992 IV R 47/90, BStBl II 1992, 865, Rn. 7).
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(2) Der Einspruch vom 14.12.2018 trägt den Eingangsstempel „Frühleerung“ vom 19.12.2018 und ist somit frühestens am 18.12.2018 beim Finanzamt eingegangen und wirksam geworden.
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(3) Zu diesem Zeitpunkt war bereits der berichtigende Bescheid vom 12.12.2018 bekanntgegeben. Da der Bescheid mit einfacher Post übermittelt wurde, gilt er gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich als am 15.12.2018 und – weil dieser Tag ein Samstag war – gemäß § 108 Abs. 3 AO letztlich als am Montag, den 17.12.2018 bekanntgegeben (vgl. BFH-Beschluss vom 05.05.2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186, Rn. 11).
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bb) Der Einspruch vom 14.12.2018 kann nicht als Einspruch gegen den berichtigenden Bescheid vom 12.12.2018 ausgelegt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist zwar bei der Auslegung grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH-Urteil vom 19.06.1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6, Rn. 17). Entscheidend ist aber bei der Auslegung, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Einspruchsschreibens verstehen musste (BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 6, Rn. 20). Bei Einlegung des Einspruchs mit Schreiben vom 14.12.2018 war der Bescheid vom 12.12.2018, der mit Wirkung vom 17.12.2018 bekanntgegeben wurde, noch nicht bekanntgegeben. Aus Sicht des Finanzamts konnte am 14.12.2018 der Bescheid vom 12.12.2018 der Klägerin oder dem Klägervertreter nach normalem Geschehensablauf noch nicht bekannt gewesen sein, da er erst am 12.12.2018 per Post an den von der Klägerin und dem Klägervertreter verschiedenen Empfangsbevollmächtigten übermittelt wurde. Wäre der Bescheid vom 12.12.2018 dem Empfangsbevollmächtigten tatsächlich so frühzeitig zugegangen, dass er diesen an den Klägervertreter noch vor Versand des Einspruchs am 14.12.2018 weitergeleitet hätte und er diesem bekannt geworden wäre, hätte das Finanzamt den Betreff des Einspruchs, der den Bescheid vom 23.11.2018 bezeichnete, nicht als Versehen ansehen können. Denn dann wäre nicht davon auszugehen, dass das soeben bekannt gewordene Vorliegen des Bescheids vom 12.12.2018 übersehen worden wäre. Daher richtete sich der Einspruch vom 14.12.2018 gegen den Feststellungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.11.2018.
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cc) Dies macht den Einspruch jedoch nicht unzulässig, da es sich bei der Berichtigung nach § 129 AO nicht um einen Änderungsbescheid handelt. Ein Änderungsbescheid nimmt den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit auf. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Der ursprüngliche Bescheid ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 25.10.1972 GrS 1/72, BStBl II 1973, 231, Rn. 36). Mangels Beschwer wäre ein Einspruch gegen einen geänderten Bescheid unzulässig.
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Ein auf § 129 AO gestützter Berichtigungsbescheid nimmt jedoch – anders als ein Änderungsbescheid – weder den Inhalt eines Bescheids in sich auf noch suspendiert er diesen zunächst in seiner Wirksamkeit (vgl. BFH-Urteil vom 10.10.2002 VI R 13/01, BStBl II 2003, 156, Rn. 15; vgl. auch Urteil des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf vom 25.02.2021 9 K 141/20 F, juris, Rn. 29). Hinzu kommt, dass der Feststellungsbescheid in Bezug auf den streitgegenständlichen Einbringungsgewinn I und dessen Zurechnung nicht von der Unrichtigkeit betroffen war.
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dd) Der Einspruch vom 14.12.2018 war somit zulässig. Ob § 365 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO – ggf. analog – so auszulegen ist, dass ein Verwaltungsakt bereits mit Versand des Einspruchsschreibens im Sinne dieser Vorschrift „angefochten“ ist, braucht daher nicht entschieden zu werden.
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b) Die Klage ist unbegründet, weil das Finanzamt den Einbringungsgewinn I zurecht der A (bzw. der Klägerin als deren Gesamtrechtsnachfolgerin) zugerechnet hat.
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aa) Über den verwirklichten Sachverhalt besteht kein Streit. Das – zutreffende – Entstehen eines Einbringungsgewinns I im Anschluss an eine Einbringung nach § 20 UmwStG ist nicht streitig. Bei der Verschmelzung einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen an der übernehmenden Gesellschaft handelt es sich nach Maßgabe des § 20 UmwStG um einen tauschähnlichen und damit entgeltlichen Vorgang (vgl. zu § 20 UmwStG in der Fassung vor dem Gesetz über die steuerlichen Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2782); BFH-Urteil vom 17.09.2003 I R 97/02, BStBl II 2004, 686). Auch die Höhe des Einbringungsgewinns I steht nicht im Streit. Daher wird von weiteren Ausführungen hierzu abgesehen.
31
bb) Die Erfassung des Einbringungsgewinns I der A bzw. der Klägerin als deren Gesamtrechtsnachfolgerin ist zurecht im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung erfolgt. Bei der Einbringung von Betriebsvermögen einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft ist über die Höhe eines gem. § 20 UmwStG zu ermittelnden Einbringungsgewinns noch im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO zu entscheiden, da sich die Sacheinlage auf Mitunternehmeranteile der Kommanditgesellschaft bezieht (FG Münster, Urteil vom 21.10.2015 11 K 3555/13 E, EFG 2016, 252, Rn. 43, m. w. N.). Für einen Einbringungsgewinn aus § 22 UmwStG kann nichts anderes gelten, denn § 22 UmwStG regelt, bei welchen nach der Einbringung stattfindenden Sachverhalten die (vormalige) Steuerneutralität der Einbringung nach den §§ 20, 21 UmwStG innerhalb einer siebenjährigen Sperrfrist rückwirkend (teilweise) entfallen kann. Damit steht der Einbringungsgewinn gemäß § 22 Abs. 1 UmwStG – insbesondere aufgrund der Anordnung der Rückwirkung in § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwStG – in einem engen sachlichen Zusammenhang zu einem Einbringungsgewinn im Sinne von § 20 UmwStG und es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund ein Einbringungsgewinn gemäß § 22 Abs. 1 UmwStG verfahrensrechtlich anders behandelt werden soll als ein Einbringungsgewinn gemäß § 20 UmwStG (Urteil des FG Münster in EFG 2016, 252, Rn. 44; vgl. auch Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Kommentar, 3. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rn. 288; Graw in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 458. Lieferung, 1/2024, § 22 UmwStG, Rn. 151; Brühl, „Einbringungsgewinne: § 22 UmwStG in der jüngeren FG-Rechtsprechung“, Aufsatz, GmbHR 2016, 580 (582 ff.)).
cc) § 22 Abs. 6 UmwStG ist nicht dahingehend auszulegen, dass im Falle einer unentgeltlichen Rechtsnachfolge ein durch den Rechtsnachfolger ausgelöster Einbringungsgewinn I im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG fiktiv als Gewinn des Rechtsnachfolgers statt als Gewinn des ursprünglich Einbringenden gilt.
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(1) Teile der Literatur vertreten die Auffassung, dass durch § 22 Abs. 6 UmwStG ein Einbringungsgewinn I bei einem unentgeltlichen Rechtsnachfolger zu versteuern ist (vgl. Graw in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 458. Lieferung, 1/2024, § 22 UmwStG, Rz. 307; Nitzschke in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, 169. EL November 2023, § 22 UmwStG Rz. 93; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 9. Auflage 2020, § 22 UmwStG, Rz. 178; Wochinger in Kraft/Edelmann/Bron, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 2. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rn. 115; Schell/Krohn, „Probleme der rückwirkenden Einbringungsgewinnbesteuerung und Übernahmefolgegewinn gem. § 6 UmwStG“, Aufsatz, DB 2012, 1172, 1177).
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Die Rechtsfrage offenzulassen scheint Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Kommentar, 3. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rn. 561.
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Die Finanzverwaltung geht im UmwStE in einem Rechenbeispiel in Tz. 22.41 dagegen davon aus, dass der Einbringungsgewinn beim ursprünglich Einbringenden zu versteuern ist. Im Gerichtsbescheid des FG München vom 26.08.2022 (2 K 1842/21, EFG 2022, 1862, Rz. 30, nicht rechtskräftig, Revision eingelegt, Aktenzeichen beim BFH X R 31/22) wird ein Einbringungsgewinn I ebenfalls nicht dem Rechtsnachfolger zugeordnet. Der Zuordnung beim originär Einbringenden folgen weite Teile der Literatur (vgl. Bilitewski in Haritz/Menner/Bilitewski, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 5. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rz. 324; Jäschke in Lademann, EStG, Kommentar, Nachtrag 273 November 2022, § 22 UmwStG, Rz. 15; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, 95. Erg.-Lfg. Februar 2019, § 22 UmwStG, Rz. 106; Eisgruber in Eisgruber, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 23. Auflage 2023, § 22 UmwStG Rz. 350; Meier in Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, Kommentar, 2. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rz. 75; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Kommentar, 209. Ergänzungslieferung November 2023, § 22 UmwStG Rz. 174, 449 und 451; Böhmer/Wegener in UmwStG – eKommentar, Stand 13.10.2023, § 22 UmwStG, Rn. 198 – der Hinweis von Böhmer/Wegener auf einen Übergang der Steuerpflicht im Rahmen der Erbfolge dürfte sich wie explizit bei Widmann (Rz. 451) auf eine Folge der Gesamtrechtsnachfolge und nicht von § 22 Abs. 6 UmwStG beziehen; Wulff-Dohmen in Haase/Hofacker, UmwStG Praxiskommentar, 3. Auflage 2021, § 22 UmwStG, Rz. 476; Schneider/Roderburg in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Rz. H 22 111). Dieser Ansicht schließt sich das Gericht an.
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(2) Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), dem Zusammenhang (systematische Auslegung), ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen. Insbesondere bei der Auslegung einer Norm aus ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist, zu denen – wie ausgeführt – auch die systematische Auslegung zählt. Nach letzterer ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gebracht hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Ziel jeder Auslegung ist die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BFH-Urteil vom 13.09.2023 II R 49/21, DStR 2023, 2788, Rn. 17; vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2014 IV R 22/12, BStBl II 2015, 606, Rz 24, m. w. N.).
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(3) Die Auslegung nach dem Wortlaut führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.
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Der Wortlaut kann so verstanden werden, dass § 22 Abs. 6 UmwStG einen Einbringungsgewinn I dem Rechtsnachfolger zuordnet.
§ 22 Abs. 6 UmwStG regelt:
„In den Fällen der unentgeltlichen Rechtsnachfolge gilt der Rechtsnachfolger des Einbringenden als Einbringender im Sinne der Absätze 1 bis 5 […]“.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG regelt:
„Soweit in den Fällen einer Sacheinlage unter dem gemeinen Wert (§ 20 Abs. 2 Satz 2) der Einbringende die erhaltenen Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert, ist der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden im Sinne von § 16 des Einkommensteuergesetzes zu versteuern (Einbringungsgewinn I); § 16 Abs. 4 und § 34 des Einkommensteuergesetzes sind nicht anzuwenden.“
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Ersetzt man technisch § 22 Abs. 6 UmwStG folgend den Begriff des Einbringenden durch den des Rechtsnachfolgers, so wird auf der Tatbestandsseite die Veräußerung durch den Einbringenden durch die Veräußerung durch den Rechtsnachfolger ersetzt. Der „Gewinn des Einbringenden“ wird zum „Gewinn des Rechtsnachfolgers“. Nach diesem Verständnis würde in den Fällen der unentgeltlichen Rechtsnachfolge ein Einbringungsgewinn I nicht rückwirkend dem Einbringenden zugerechnet, sondern dem veräußernden Rechtsnachfolger.
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Allerdings ist dieses Verständnis des Wortlauts nicht zwingend. Denn § 22 Abs. 6 UmwStG bringt durch seine Bezugnahme auf die Absätze 1 bis 5 zum Ausdruck, dass die Fiktion außerhalb des § 22 UmwStG nicht gilt. Der Tatbestand der Einbringung selbst (hier: § 20 UmwStG) bleibt weiterhin dem Einbringenden zugerechnet. Der Rechtsnachfolger ersetzt also den Einbringenden nicht umfassend, sondern partiell im Hinblick auf Vorgänge des § 22 Abs. 1 bis 5 UmwStG. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG nennt den Einbringungsgewinn I einen „Gewinn aus der Einbringung“ und bezieht sich somit nicht nur auf die Person des Einbringenden, sondern auch auf den Vorgang der Einbringung selbst (vgl. Meier in Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, Kommentar, 2. Auflage 2019, § 22 UmwStG, Rn. 75; Schneider/Roderburg in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Rz. H 22 111). Daher lässt der Wortlaut auch das Verständnis zu, dass die Fiktion des § 22 Abs. 6 UmwStG sich sachlich nur auf die in § 22 UmwStG behandelten schädlichen Verfügungen über sperrfristverhaftete Anteile bezieht und die Frage, wem als Einbringenden ein Einbringungsgewinn zuzurechnen ist, nicht adressiert. Mit Einbringender „im Sinne der Absätze 1 bis 5“ wäre danach nur derjenige gemeint, der die Anteile innerhalb der Sperrfrist veräußert. Der Einbringende, als dessen Gewinn der Einbringungsgewinn I zu versteuern ist, wäre dagegen ein Einbringender im Sinne anderer Vorschriften (hier: § 20 UmwStG) und damit weiterhin der ursprünglich Einbringende.
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Auch in zeitlicher Hinsicht enthält § 22 Abs. 6 UmwStG keine explizite Regelung darüber, ab welchem Zeitpunkt der Rechtsnachfolger als Einbringender gilt. Der Schluss darauf, dass die Fiktion in jedem Fall zeitlich unbegrenzt bis zurück zur Einbringung gilt, ist nicht zwingend. Möglich ist auch ein Wortlautverständnis, nach welchem der Rechtsnachfolger erst ab dem Zeitpunkt der Rechtsnachfolge ohne Rückwirkung als Einbringender gilt und mit Wirkung für die Zukunft in dessen Rolle eintritt. Die Versteuerung zum Zeitpunkt der Einbringung würde dann weiterhin den Rechtsvorgänger treffen.
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Zusammenfassend ermöglicht zwar der Wortlaut des § 22 Abs. 6 UmwStG ein Verständnis, wonach ein Einbringungsgewinn I dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger zuzurechnen ist. Der Wortlaut ist dabei aber nicht eindeutig und kann auch abweichend davon so verstanden werden, dass der Einbringungsgewinn I ein Gewinn des ursprünglich Einbringenden bleibt.
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(4) In der historischen Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 16/2710) wird die Frage, ob durch § 22 Abs. 6 UmwStG ein Einbringungsgewinn I dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger zuzurechnen ist, nicht explizit adressiert. Allerdings spricht der Wortlaut in der Begründung zu § 22 UmwStG (allgemein) hinsichtlich der Rechtsfolge ohne Erwähnung eines potentiellen Rechtsnachfolgers davon, dass beim Einbringenden in den Fällen der Sacheinlage (§ 20 Abs. 1 UmwStG) mit Buchwertfortführung oder in den Fällen mit Zwischenwertansatz eine nachträgliche Besteuerung der auf den steuerlichen Übertragungsstichtag zu ermittelnden stillen Reserven vorgesehen ist (BT-Drs. 16/2710 S. 46). Im selben Satz, aber nachfolgend, wird hinsichtlich der Voraussetzungen der nachträglichen Besteuerung die Veräußerung durch den Einbringenden oder bei unentgeltlichem Erwerb der Anteile durch den Rechtsnachfolger angesprochen. Dass der Rechtsnachfolger in der Gesetzesbegründung nur auf der Tatbestandsseite separat angesprochen wird, während das auf Rechtsfolgenseite nicht der Fall ist, lässt darauf schließen, dass der Gesetzgeber keine Zuordnung des Einbringungsgewinns I beim Rechtsnachfolger beabsichtigt hat.
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(5) Normzweck des § 22 UmwStG ist ausweislich der Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/2710 S. 46, Regeln zu schaffen, um die Besteuerung der dem inländischen Besteuerungsrecht unterliegenden stillen Reserven zu sichern. Dies seien insbesondere Fälle, bei denen nach der Einbringung die Besteuerung der im Einbringungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven beim Einbringenden nach dem Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG; jetzt: Teileinkünfteverfahren; im Folgenden: HEV/TEV) erfolge, die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 KStG greife oder das Besteuerungsrecht hinsichtlich der erhaltenen Anteile durch ein Doppelbesteuerungsabkommen eingeschränkt werde. Zweck des § 22 UmwStG ist somit die Sicherstellung der Besteuerung der im Einbringungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven. Diese Sicherstellung soll nicht nur dem Grunde nach erfolgen, sondern auch dadurch, dass hinsichtlich der bereits zum Einbringungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven – anders als hinsichtlich der später entstandenen stillen Reserven – ein Wechsel in ein günstigeres Besteuerungsregime (insbesondere in Gestalt von HEV/TEV, § 8b KStG oder Doppelbesteuerungsabkommen) verhindert wird.
§ 22 Abs. 6 UmwStG erstreckt das Entstehen eines Einbringungsgewinns auf Veräußerungen sperrfristbehafteter Anteile durch unentgeltliche Rechtsnachfolger und sichert so, dass auch in diesen Fällen die Besteuerung der im Einbringungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven erfolgt.
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Dieser Zweck lässt sich grundsätzlich sowohl durch eine Versteuerung des Einbringungsgewinns I beim ursprünglich Einbringenden als auch durch eine Versteuerung beim Rechtsnachfolger erreichen.
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(6) Nach der Systematik, die der Gesetzgeber zur Umsetzung des Normzwecks gewählt hat, ist der Einbringungsgewinns I dem originär Einbringenden zuzurechnen.
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(a) Mit der Neukonzeption des Einbringungsteils im Rahmen des SEStEG hat der Gesetzgeber durch die Regeln des § 22 UmwStG von der nachträglichen Besteuerung des Einbringungsgewinns im Zeitpunkt der Anteilsveräußerung (nach vorherigem Recht) auf die rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns im Einbringungszeitpunkt umgestellt. Nicht nur die Ermittlung des Einbringungsgewinns I nach § 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG orientiert sich an den im Zeitpunkt der Einbringung vorhandenen stillen Reserven. Auch die Versteuerung erfolgt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung (vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, 95. Erg.-Lfg. Februar 2019, § 22 UmwStG, Rz. 106). Entsprechend dem Normzweck, wonach eine Verlagerung der stillen Reserven in ein günstigeres Besteuerungsregime verhindert werden soll, zerlegt das Gesetz den insgesamt entstandenen Veräußerungsgewinn aus einer Veräußerung innerhalb der Sperrfrist in einen Gewinn nach § 16 EStG, auf den weder das HEV/TEV noch die Steuerfreistellung nach § 8b KStG zur Anwendung kommt, und in einen Gewinn aus dem Anteilsverkauf (= nach dem Einbringungszeitpunkt entstandene stille Reserven und dem linearen Abbaubetrag der im Einbringungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven), der durch das HEV/TEV oder die Steuerfreistellung nach § 8b KStG begünstigt ist (vgl. BT-Drs. 16/2710 S. 47). Dies wird erreicht, indem Einbringungsgewinne im Sinne von § 22 UmwStG rückwirkend beim Einbringenden versteuert werden und dadurch dem zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Besteuerungsregime unterliegen. Die Veräußerung gilt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwStG insoweit als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Auch die Bezeichnung als „Einbringungsgewinn I“ durch das Gesetz zeigt, dass es sich um einen Gewinn handelt, der als bereits im Rahmen der Einbringung entstanden angesehen wird.
§ 22 UmwStG stellt somit insgesamt nicht auf die Verhältnisse zum Veräußerungszeitpunkt ab, sondern auf die Verhältnisse zum Einbringungszeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt war in den Fällen des § 22 Abs. 6 UmwStG die Rechtsnachfolge noch nicht eingetreten. Es liefe der dargestellten Systematik zuwider, wenn § 22 Abs. 6 UmwStG durch einen rückwirkenden fiktiven Austausch des Zuordnungssubjekts die Verhältnisse des Rechtsnachfolgers zu den maßgeblichen machen würde und auf diese Weise etwa einen zum Zeitpunkt der Einbringung beim Einbringenden der Einkommensteuer unterliegenden Einbringungsgewinn I bei einem körperschaftsteuerpflichtigen unentgeltlichen Rechtsnachfolger (in Fällen, in denen kein vorheriger Ersatzrealisationstatbestand im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 UmwStG gegeben ist) stattdessen der Körperschaftsteuer unterstellen würde. § 22 Abs. 6 UmwStG ist nicht zu entnehmen, dass eine solche Durchbrechung der Systematik des § 22 UmwStG vorgesehen wäre, die sich – ohne dass dies zur Erreichung des Normzwecks erforderlich wäre – auch auf die Rechtsfolgenseite erstreckt.
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(b) Darüber hinaus liefe es auch der verfahrensrechtlichen Systematik zuwider, wenn der Einbringungsgewinn I dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger zuzuordnen wäre. Denn der Einbringungsgewinn I bezieht sich auf den Einbringungsvorgang, der im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung bei den damaligen Beteiligten an der KG zu erfassen ist (vgl. Ziffer II. 3. b) bb)). Nach seinem insoweit klaren Wortlaut (vgl. Ziffer II. 3. b) cc) (3)) bezieht sich § 22 Abs. 6 UmwStG nur auf § 22 UmwStG und nicht etwa auf die Einbringung selbst. Er fingiert somit auch keine rückwirkende Stellung des Rechtsnachfolgers als verfahrensrechtlich Feststellungsbeteiligten. Eine Auslegung von § 22 Abs. 6 UmwStG, nach der der Einbringungsgewinn I dem Rechtsnachfolger zuzuordnen wäre, würde dazu führen, dass der Einbringungsgewinn I in solchen Fällen aus der gesonderten und einheitlichen Feststellung herausgelöst würde und direkt in der Steuerfestsetzung des Rechtsnachfolgers zu behandeln wäre, obwohl sich die Einbringung auf Mitunternehmeranteile an der Personengesellschaft bezieht.
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(c) Der Argumentation der Klägerin wonach eine Zuordnung des Einbringungsgewinns I in Fällen der unentgeltlichen Rechtsnachfolge zum Rechtsnachfolger im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen über die persönliche Zurechnung von Einkünften stünde, weil der originär Einbringende diese Einkünfte nicht erzielt habe, folgt das Gericht nicht. Nach der oben dargestellten Gesetzessystematik handelt es sich beim Einbringungsgewinn I um einen im Zeitpunkt der Einbringung vom originär Einbringenden verwirklichten Gewinn, der aufgrund der schädlichen Veräußerung innerhalb der Sperrfrist (rückwirkend) nicht mehr von der Versteuerung ausgenommen wird.
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Dass die Verwirklichung des Steuertatbestands (Veräußerung der sperrfristverhafteten Anteile) und der Steuerfolge (Besteuerung des aus der Veräußerung resultierenden Einbringungsgewinns I) auseinanderfallen, steht hierzu nicht im Widerspruch. Im Übrigen ist ein derartiges Auseinanderfallen von Handelndem und demjenigen, der seinen (eigenen) Einbringungsgewinn zu versteuern hat, etwa in Fällen des Einbringungsgewinns II (§ 22 Abs. 2 UmwStG) nach dem Gesetz regelmäßig gegeben. § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG enthalten ebenfalls Tatbestände, in denen ein Verhalten eines Übernehmenden zur rückwirkenden Versteuerung bei einem Übertragenden führen kann (vgl. Jäschke in Lademann, EStG, Kommentar, Nachtrag 273 November 2022, § 22 UmwStG, Rz. 15).
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(d) Der klägerische Hinweis darauf, dass die Regelung des § 22 Abs. 6 UmwStG eine Fiktion enthalte (vgl. auch Nitzschke in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, 169. EL November 2023, § 22 UmwStG, Rz. 93; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 9. Auflage 2020, § 22 UmwStG, Rz. 178), ist schließlich für die systematische Gesetzesauslegung nicht ergiebig, denn mit der Einstufung als Fiktion ist keine Aussage über die Reichweite der Fiktion getroffen.
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(7) Somit verbleibt es auch in Fällen der unentgeltlichen Rechtsnachfolge (§ 22 Abs. 6 UmwStG) dabei, dass ein vom Rechtsnachfolger ausgelöster Einbringungsgewinn I vom ursprünglich Einbringenden zu versteuern ist.
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4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob im Falle einer Veräußerung sperrfristverhafteter Anteile durch einen unentgeltlichen Rechtsnachfolger gemäß § 22 Abs. 6 UmwStG der Einbringungsgewinn I weiterhin vom ursprünglich Einbringenden zu versteuern ist.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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6. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a FGO).