Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 20.03.2024 – AN 14 S 23.50728 , AN 14 S 23.50730 , AN 14 S 23.50814
Titel:

Dublin-Verfahren (Italien)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 22 Abs. 7
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsatz:
In Italien bestehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Italien, Abschiebungsanordnung, Rückkehrprognose bei Ehe und gleichzeitiger Lebensgemeinschaft mit weiterer Frau, Familienverband aus drei Erwachsenen und drei Kindern, keine systemischen Mängel in Italien, systemische Mängel, Salvini-Dekret, Cutro-Dekret
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6893

Tenor

1. Die Verfahren AN 14 S 23.50728, AN 14 S 23.50730 und AN 14 S 23.50814 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Anträge werden abgelehnt.
3. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen Abschiebungsanordnungen nach Italien.
2
Die Antragsteller, nach eigenen Angaben dem Volk der Dendi zugehörige Staatsangehörige Benins, reisten am 16. Juli 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 28. Juli 2023 (Antragsteller zu 1) bis 3)) bzw. am 31. Juli 2023 (Antragsteller zu 4) und 5)) förmliche Asylanträge. Laut den Angaben der Antragsteller ist die Antragstellerin zu 2) die Ehefrau des Antragstellers zu 1), die Antragstellerin zu 4) die Lebensgefährtin des Antragstellers zu 1). Die Antragstellerin zu 2) ist die Mutter des Antragstellers zu 3), die Antragstellerin zu 4) ist die Mutter der Antragstellerin zu 5). Der Antragsteller zu 1) ist nach übereinstimmenden Angaben der Antragsteller der Vater der Antragsteller zu 3) und 5).
3
Eine am 17. Juli 2023 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vorgenommene Eurodac-Abfrage ergab für die Antragsteller zu 1), 2) und 4) jeweils einen Treffer der Kategorie 2 in Bezug auf Italien (Fingerabdrucknahme in … am 2.7.2023).
4
Bei seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 28. Juli 2023 gab der Antragsteller zu 1) an, seine Lebensgefährtin und zwei Kinder in Deutschland zu haben, alle Verwandten würden in der Aufnahmeeinrichtung in … leben. Er und die Verwandten seien wegen der Familienbindung auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Er habe den Benin im Februar 2023 verlassen und sei über Niger, Algerien, Tunesien, Italien und die Schweiz am 16. Juli 2023 nach Deutschland eingereist. Nach Italien sei er circa am 9. Juli 2023 eingereist und habe sich circa sieben Tage in einer Flüchtlingsunterkunft in … aufgehalten. Er habe in keinem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt. In Italien seien ihm circa am 9. Juli 2023 Fingerabdrücke abgenommen worden. In Tunesien habe er sich etwa vier Monate aufgehalten und dort gearbeitet. Bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 17. August 2023 gab der Antragsteller zu 1) an, dass man ihnen in Italien die Fingerabdrücke abgenommen und gesagt habe, das sei noch keine Asylantragstellung, sie könnten in Deutschland einen Asylantrag stellen. Sie hätten in Italien keinen Asylantrag gestellt, weil der Chef, der ihnen in Tunesien geholfen habe, gesagt habe, dass er einen kleinen Bruder in Deutschland habe, zu dem sie fahren sollten. Sie seien eine Woche in Italien gewesen. Auf die Frage, ob er erklären könne, weshalb seine Lebensgefährtin, die Antragstellerin zu 4) gesagt habe, dass sie vier Monate in Italien gewesen seien, antwortete der Antragsteller zu 1), dass sie vier Monate in Tunesien gewesen seien, nicht in Italien. Gegen eine Überstellung nach Italien spreche, dass der, der ihnen geholfen habe, gesagt habe, dass sie hier in Freiheit und Frieden leben könnten. Er habe keine Erkrankungen. Er sei verheiratet, seine Ehefrau heiße E. (Antragstellerin zu 2)). Sie hätten in … geheiratet und gelebt. Sie hätten ein Kind zusammen und sie sei schwanger. Sie habe einen Laden gehabt und als Verkäuferin gearbeitet. Sie seien standesamtlich verheiratet gewesen, Heiratsurkunden gebe es bei ihnen nicht. Sie hätten 2015 geheiratet. Es habe Probleme in der Ehe gegeben, seine Frau sei zurück zu ihren Eltern gegangen. Dann sei er mit A., der Antragstellerin zu 4), zusammen gewesen. Er habe ihr gesagt, dass er sie heiraten wolle. Bevor seine Frau zurückgekehrt sei, sei A. schwanger geworden. Mit A. sei er nicht verheiratet. Es habe keine Scheidung mit E. gegeben. Auf die Frage, wie seine Beziehung mit A. ausgesehen habe, nachdem seine Ehefrau zurückgekehrt sei, gab der Antragsteller zu 1) an, dass er ihr Geld gegeben habe, sie hätten einen gemeinsamen Sohn. Er habe sie ein- bis zweimal pro Woche gesehen.
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Die Antragstellerin zu 2) gab bei ihrem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 28. Juli 2023 an, dass sie Kind und Lebensgefährten in Deutschland habe, die sich in der Aufnahmeeinrichtung in … befänden. Sie seien wegen der Familienbindung auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Sie habe den Benin im Februar 2023 verlassen und sei über Niger, Algerien, Tunesien, Italien und die Schweiz am 16. Juli 2023 nach Deutschland eingereist. Nach Italien sei sie circa am 9. Juli 2023 eingereist und habe sich circa sieben Tage in einer Flüchtlingsunterkunft in … aufgehalten. Sie habe in keinem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt. In Italien seien ihr circa am 9. Juli 2023 Fingerabdrücke abgenommen worden. In Tunesien habe sie sich etwa vier Monate aufgehalten und nicht gearbeitet. Bei ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 17. August 2023 gab die Antragstellerin zu 2) an, dass sie sechs Jahre in der Schule gewesen sei. Sie habe in Italien keinen Asylantrag gestellt. Sie hätten in Tunesien sehr gelitten. Ihre Retter hätten gesagt, sie sollten in Italien keinen Asylantrag stellen. In Italien sei sie knapp eine Woche gewesen. Ihr Mann habe Probleme im Benin gehabt, sie hätten dort keine Ruhe gehabt. Sie seien zuerst nach Tunesien gegangen, dort habe sich ihr Mann niederlassen wollen. Dort sei es wieder zu Problemen gekommen, es seien Einbrecher gekommen und hätten die Leute vergewaltigt. Dann hätten die Leute ihnen gesagt, sie könnten weiter nach Italien und von dort nach Deutschland reisen. Es gebe keinen besonderen Grund, der gegen eine Überstellung nach Italien spreche. In Tunesien seien die Araber gekommen und hätten alles durcheinandergebracht. Sie seien wie Kriminelle gewesen. Sie hätten die Frau vergewaltigt. Sie hätten ihren Mann geschlagen. Sie sei im vierten Monat schwanger. Es gebe noch eine Freundin, sie habe mit ihrem Mann ein Kind gezeugt. Er habe zwei Frauen, die zweite Frau heiße A.. Das andere Kind sei draußen und sei mit seiner Mutter auch mit ihnen zusammen. Die zweite Frau ihres Mannes sei auch unten. Sie selbst sei die erste Frau ihres Mannes. Man halte bei ihnen einfach eine Zeremonie ab, ohne eine Heiratsurkunde. Ihr Mann und sie hätten ein Problem gehabt. Er habe sich entschuldigt und gewollt, dass sie zurückkehre, sonst würde er ein zweites Mal heiraten. Sie sei dann zurückgekehrt, aber er habe diese Frau geschwängert, aber nicht geheiratet. Diese Frau sei dann nett zu ihr gewesen. Sie hätten das Kind nicht alleine zurücklassen wollen. Ihr Mann habe seine ganze Familie verloren, deshalb habe er sein Kind bei sich haben wollen. In Benin hätten sie so gelebt, dass A. bei ihren Eltern gelebt habe, aber sie hätten sie während der Woche gesehen. Sie möge sie jetzt, sie bete sie an.
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Die Antragstellerin zu 4) gab bei ihrem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 31. Juli 2023 an, dass sie ein Kind in Deutschland habe. Sie habe den Benin vor fünf Monaten verlassen und sei über Niger, Algerien, Tunesien und Italien am 16. Juli 2023 nach Deutschland eingereist. Sie wisse nicht, wann sie nach Italien eingereist sei. Sie habe sich dort eine Woche in … aufgehalten. Sie habe in keinem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt. In Italien seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden, sie wisse nicht mehr, wann. Bei ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 17. August 2023 gab sie an, dass sie in Italien keinen Asylantrag gestellt habe, weil ihre Retter gesagt hätten, sie sollten nach Deutschland fahren. Sie seien in Tunesien gewesen, Banditen seien in ihr Haus eingebrochen und hätten Frauen vergewaltigt. Ihr Retter habe sie dann auf ein Board (wohl: Boot) verfrachtet. Die italienischen Behörden habe sie nicht um Hilfe ersucht, weil derjenige, der sie aufs Boot verfrachtet habe, gemeint habe, dass sie nach Deutschland fahren sollten. Sie seien vier Monate in Italien gewesen. Der Vater ihres Sohnes sei arbeiten gegangen, er habe das Geld gebracht und so ihren Aufenthalt finanziert. Gegen eine Überstellung nach Italien spreche, dass man ihr gesagt habe, dass man hier in Frieden sein würde. Sie habe keine Erkrankungen. Der Vater ihres Kindes heiße …, sie sei nicht mit ihm verheiratet. Ihre Beziehung in Benin habe so ausgesehen, dass sie sich ein- bis zweimal in der Woche gesehen hätten. Sie seien zum Beispiel gemeinsam rausgegangen. Der Vater ihres Sohnes habe eine Frau, mit der er verheiratet sei. Sie hätten sich für eine gemeinsame Ausreise aus Benin entschieden, weil er Maurer gewesen sei und Geld herangeschafft habe, um ein Gemüsefeld anzubauen. Dann seien die Rinder gekommen und hätten alles zerstört. Das sei der Grund der Ausreise gewesen. Sie sei freiwillig mit ihm ausgereist, weil sie einen gemeinsamen Sohn hätten.
7
Am 31. Juli 2023 richtete das Bundesamt ein Aufnahmegesuch nach der Dublin-III-VO für die Antragstellerinnen zu 2) und 3) mit einem Hinweis auf den Antragsteller zu 1) als Vater der Antragstellerin zu 3), am 14. August 2023 ein Aufnahmegesuch für den Antragsteller zu 1) mit einem Hinweis auf die Antragstellerinnen zu 2) und 3) als seine Partnerin und seine Tochter und am 13. September 2023 ein Aufnahmegesuch für die Antragsteller zu 4) und 5) mit einem Hinweis auf den Antragsteller zu 1) als Vater des Antragstellers zu 5) an die italienischen Behörden. Alle Aufnahmegesuche blieben unbeantwortet.
8
Mit Bescheiden vom 25. Oktober 2023 (Antragsteller zu 1) und Antragstellerinnen zu 2) und 3)) bzw. Bescheid vom 15. November 2023 (Antragsteller zu 4) und 5)) lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung der Antragsteller nach Italien an (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der jeweilige Bescheid wurde den Antragstellern zu 1) bis 3) am 28. Oktober 2023 und den Antragstellern zu 4) und 5) am 18. November 2023, jeweils per Postzustellungsurkunde, zugestellt.
9
Zur Begründung wurde in den gegenüber den Antragstellern zu 1) bis 3) ergangenen Bescheiden (Gz. … und Gz. …*) u.a. ausgeführt, dass hinsichtlich der Antragstellerinnen zu 2) und 4) jeweils keine Eheschließung mit dem Antragsteller zu 1) nachgewiesen sei und hinsichtlich der Antragsteller zu 3) und 5) die jeweilige Vaterschaft des Antragstellers zu 1) nicht belegt sei. Daher handele es sich nicht um Familienangehörige i.S.d. Art. 2 Buchst. g Dublin-III-VO. Es sei aber anzumerken, dass in allen Verfahren Dublinverfahren mit Italien initiiert worden seien, sodass eine gemeinsame Abschiebung erfolgen könne.
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Im Bescheid, der gegenüber den Antragstellern zu 4) und 5) ergangen ist, (Gz. …) wird dagegen ausgeführt, dass die Familieneinheit mit dem Antragsteller zu 1) in Italien fortgeführt werden könne, da Italien der Aufnahme der ganzen Familie zugestimmt habe (S. 22).
11
Hiergegen haben die Antragsteller am 30. Oktober 2023 (Antragsteller zu 1) bis 3)) bzw. am 20. November 2023 (Antragsteller 4) und 5)) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach Klage erhoben (AN 14 K 23.50729, AN 14 K 23.50731, AN 14 K 23.50815) und die vorliegenden Anträge im einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Im Verfahren der Antragstellerinnen zu 2) und 3) wurde eine Kopie des o.g. Mutterpasses der Antragstellerin zu 2) vorgelegt. Im Übrigen wurden die Klagen und Eilanträge bisher nicht begründet.
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Am 19. Oktober 2023 befand sich die Antragstellerin zu 2) im … nach einem Sturz; sie konnte noch am gleichen Tag bei gutem Allgemeinzustand entlassen werden (vgl. Entlassungsbrief v. 19.10.2023 auf Bl. 159 f. der Bundesamtsakte mit Gz. …, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird).
13
Am … 2024 bekamen die Antragsteller zu 1) und 2) ein weiteres Kind namens … Die Antragsteller beantragen jeweils, die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
14
Die Antragsgegnerin beantragt jeweils,
den Antrag abzulehnen, und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid. Auf die weiteren Ausführungen der Antragsgegnerin im Verfahren der Antragstellerinnen zu 2) und 3) (AN 14 S 23.50730) zur allgemeinen Lage in Italien wird Bezug genommen.
15
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
16
Über die Anträge kann gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Prozessökonomie wegen gleichartiger Verfahrensgegenstände und aufgrund von im Wesentlich einheitlich zu bewertenden Lebenssachverhalten im Hinblick auf die bestehende Familieneinheit und die gemeinsame Einreise, sowie den sich ergänzenden Sachvortrag der Antragsteller durch einen Beschluss entschieden werden.
17
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
18
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen nach § 80 Abs. 5 VwGO sind hinsichtlich der Abschiebungsanordnungen in der jeweiligen Ziffer 3 der streitgegenständlichen Bescheide gem. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG statthaft, da die in der Hauptsache statthaften Anfechtungsklagen nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben. Die Anträge sind auch im Übrigen zulässig.
19
Jedoch sind die Anträge unbegründet, sodass die aufschiebende Wirkung der Klagen nicht angeordnet werden kann.
20
Nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen das Aussetzungsinteresse des jeweiligen Antragstellers gegen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin abgewogen wird. Grundlage ist dabei die anhand einer summarischen Prüfung erfolgende Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (BVerwG, B.v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 u.a. – juris Rn. 20; B.v. 23.1.2015 – 7 VR 6/14 – juris Rn. 8).
21
Die Abschiebungsanordnungen in der jeweiligen Ziffer 3 der streitgegenständlichen Bescheide erweisen sich bei summarischer Prüfung auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzen die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22
Die Abschiebungsanordnungen findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
23
1. Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Italien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG in Verbindung mit der Dublin-III-VO der zuständige Mitgliedstaat für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller ist.
24
Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin-III-VO wird der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
25
Die Zuständigkeit Italiens für die Asylanträge der Antragsteller ergibt sich vorliegend aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO, da aufgrund der festgestellten Eurodac-Treffer der Kategorie 2 und den damit übereinstimmenden Vorträgen der Antragsteller zu 1), 2) und 4) in den Anhörungen beim Bundesamt feststeht, dass die Antragsteller die (See-)Grenze Italiens als erstem Mitgliedstaat der EU illegal überschritten haben.
26
Das Bundesamt hat auf Grundlage der für die Antragsteller zu 1), 2) und 4) jeweils am 17. Juli 2023 festgestellten Eurodac-Treffer am 31. Juli 2023 ein Aufnahmegesuch nach der Dublin-III-VO für die Antragstellerinnen zu 2) und 3), am 14. August 2023 ein Aufnahmegesuch für den Antragsteller zu 1) und am 13. September 2023 ein Aufnahmegesuch für die Antragsteller zu 4) und 5) an die italienischen Behörden gerichtet und damit jeweils die sich aus Art. 21 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin-III-VO ergebende zweimonatige Frist gewahrt. Die italienischen Behörden haben nicht innerhalb der zweimonatigen Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO auf die Aufnahmegesuche reagiert. Damit ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass Italien den Aufnahmeersuchen jeweils stattgegeben hat, was die Verpflichtung Italiens nach sich zieht, die Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen.
27
Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden, denn diese wurde durch die vorliegenden, fristgerecht gestellten Anträge unterbrochen und läuft erst mit der Ablehnung der Anträge erneut an (vgl. Art. 29 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin-III-VO a.E.).
28
2. Der Zuständigkeit Italiens steht weder Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2 und 3 Dublin-III-VO (hierzu a.) noch eine den Antragstellern im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Italien dort drohende, gegen Artikel 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung (hierzu b.) entgegen.
29
a. Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Italiens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-III-VO entfallen lassen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2 Dublin-III-VO führen würden.
30
aa. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht.
31
Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). An diese Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße der zuständigen Mitgliedstaaten gegen Art. 3 EMRK genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
32
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin-III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
33
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris).
34
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.). Es lässt sich allerdings nicht völlig ausschließen, dass ein Asylsuchender oder Schutzberechtigter nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die im Fall der Überstellung bedeuten würden, dass er sich aufgrund besonderer Verletzlichkeit unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O).
35
Vor diesem Hintergrund liegen auch unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen in Italien im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrende wie die Antragsteller vor.
36
bb. Für Dublin-Rückkehrende sind in Italien, wie für einreisende Asylsuchende, Erstaufnahmeeinrichtungen verfügbar, in denen sie auch mit Essen und Kleidung versorgt werden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2022, S. 12 f.; Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022, S. 4 f.; vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 121, 137, 151, 154). Aufgrund der verschiedenen Typen von Aufnahmeeinrichtungen in Italien gibt es derzeit keine nachvollziehbaren Statistiken, anhand derer sich die Kapazität und die Belegung der Unterbringungsmöglichkeiten feststellen lassen würden (AIDA, Country Report: Italy, 2021 Update, S. 130). Ende des Jahres 2022 waren 107.677 Asylsuchende und Inhaber eines Schutzstatus in Aufnahmeeinrichtungen in Italien untergebracht, gegenüber 78.644 Ende des Jahres 2021. Hiervon waren 71.882 Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen und 33.848 in Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI) untergebracht (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 147). Berichte darüber, dass Asylbewerbern aufgrund der Belegung der Aufnahmeeinrichtungen keinen Zugang zu einer Unterkunft gefunden hätten, gibt es nicht (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 153), obwohl das italienische Innenministerium mit Rundschreiben vom 5. und vom 7. Dezember 2022 an die Dublin-Staaten mitgeteilt hat, dass aufgrund fehlender Aufnahmekapazitäten Dublin-Überstellungen bis auf weiteres aufgeschoben („suspended“) würden (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 17 f.).
37
Dublin-Rückkehrende, die während ihres vorherigen Aufenthalts noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, können in gleichem Maße wie neuankommende Asylsuchende einen Asylantrag stellen (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 83). Allen Rückkehrenden wird am Flughafen von der Polizei ein Einladungsschreiben (verbale di invito) ausgehändigt, dem zu entnehmen ist, welche Quästur für das jeweilige Asylverfahren zuständig ist (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 82; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 4). Die Asylsuchenden sind angehalten, auf eigene Faust und eigene Kosten oder mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen innerhalb weniger Tage zur zuständigen Quästur zu reisen (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 83). Wenn kein vorheriger Asylantrag gestellt wurde, sollen sie in der Provinz des Ankunftsflughafens untergebracht werden; dabei soll die Familieneinheit gewahrt bleiben (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 81).
38
Waren Dublin-Rückkehrende bereits vor ihrer Ausreise einmal offiziell untergebracht, kann es zu Problemen kommen; auch wenn ihnen eine Unterkunft nur zugeteilt, diese aber nie bezogen wurde (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 13). Weil sie ihre zugewiesene Unterkunft verlassen haben, kann ihnen die Präfektur die Wiederaufnahme in eine Einrichtung verweigern (AIDA Country Report: Italy, 2022 Update, S. 83; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 13).
39
Sofern ihnen das Recht auf Unterbringung nicht entzogen wurde, werden Dublin-Rückkehrende während des Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Stand: Januar 2020, S. 37). Bei diesen Erstaufnahmeeinrichtungen handelt es sich meist um größere Einrichtungen, in denen eine Vielzahl von Asylsuchenden untergebracht wird. Die Unterbringungsbedingungen variieren von Einrichtung zu Einrichtung und sind insbesondere von deren Größe, der Art der Einrichtung und der Belegungsrate abhängig (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 155, BAMF, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 10). Die Einrichtungen sind häufig überfüllt und die Räumlichkeiten werden als unzulänglich beschrieben, teilweise sind die Einrichtungen auch räumlich abgelegen von den nächsten Gemeinden (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 155).
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Seit der Reform des sog. Salvini-Dekrets im Jahr 2020 hatten Familien und vulnerable Dublin-Rückkehrende die Möglichkeit, bereits während des laufenden Asylverfahrens in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI) unterzukommen, sofern dort Plätze zur Verfügung standen. Bereits damals hatten asylsuchende Personen in den Zweitaufnahmeeinrichtungen aber nicht im selben Umfang Zugang zu Integrationsleistungen wie anerkannt Schutzberechtigte (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien – Aktuelle Entwicklungen, Stand: 10.06.2021, S. 7). Durch das Dekret 20/2023 (sog. Cutro-Dekret) vom 5. Mai 2023 wurden Asylsuchende jedoch wieder von der Möglichkeit, Zugang zu Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI) zu bekommen, ausgeschlossen, ausgenommen Personen, die legal nach Italien gekommen sind (z.B. durch Umsiedlungsprogramme), und als vulnerabel identifizierte Personen (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 18, 156).
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Wurde der Asylerstantrag zuvor abgelehnt oder zurückgezogen, besteht die Möglichkeit, einen Folgeantrag bei der zuständigen Quästur zu stellen. In diesem Fall existieren für die Folgeantragstellenden dieselben rechtlichen Garantien wie für Asylsuchende, zudem können sie in den Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, sofern dort Kapazitäten bestehen (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Update 2022, S. 105).
42
Neben den Erstaufnahmeeinrichtungen sind außerhalb der staatlichen Strukturen private Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden, die durch Kirchen oder Freiwilligenverbände betrieben werden (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 11).
43
Des Weiteren erhalten Dublin-Rückkehrende als Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel und Hygieneartikel (Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022, S. 16; AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 133).
44
Nach den italienischen Aufnahmebestimmungen können Asylsuchende 60 Tage nach der Stellung des Asylgesuchs mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit beginnen und haben somit noch im Asylverfahren Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 159). In der Praxis kann jedoch das Fehlen einer Aufenthaltsgestattung zu Schwierigkeiten in Bezug auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit führen, ebenso wie Sprachbarrieren, abgelegene Unterkünfte und mangelnde Unterstützungsmöglichkeiten (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 159).
45
Asylsuchende haben, wie international Schutzberechtigte auch, nach einer entsprechenden Registrierung in gleichem Maße Zugang zum italienischen Gesundheitssystem wie italienische Staatsangehörige (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 161). Es kommt in der Praxis zwar immer wieder zu Verzögerungen, wenn die Registrierung des Asylbegehrens noch nicht vollzogen ist, allerdings ist für diese Zeit, die einige Monate dauern kann, eine Notfallversorgung sichergestellt. Zusätzlich gibt es in den Erstaufnahmeeinrichtungen ärztliches Personal (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 17). Es kann davon ausgegangen werden, dass in Italien Behandlungsmöglichkeiten in ausreichendem Maße verfügbar sind (Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022, S. 14 f.).
46
Zudem soll bei einer besonderen Vulnerabilität der Asylsuchenden bei deren Unterbringung auf ihre spezifischen Bedürfnisse Rücksicht genommen werden; dazu ist ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme vorgesehen. Allerdings waren die für vulnerable Personen vorgesehenen Unterbringungsplätze in der Vergangenheit unzureichend (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 10).
47
cc. Ausgehend davon besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt – trotz fortdauernder Schwierigkeiten insbesondere aufgrund des seit 2022 zu verzeichnenden Anstiegs von neuankommenden Asylsuchenden – keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt werden, aufgrund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende generell eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht. Italien verfügt unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist.
48
Ausweislich der für die Antragsteller zu 1), 2) und 4) festgestellten Eurodac-Treffer der Kategorie 2 und ihrer eigenen Ausführungen in den Anhörungen beim Bundesamt steht fest, dass die Antragsteller in Italien noch keine Asylanträge gestellt haben. Sie werden daher bei einer Überstellung nach Italien dort als Erstantragsteller behandelt und haben dementsprechend einen Anspruch auf Unterbringung und Versorgung während des Asylverfahrens, sodass ihnen in diesem Zeitraum keine Obdachlosigkeit droht.
49
Daneben ist nicht ersichtlich, dass derzeit in Italien nicht ausreichend Unterbringungsplätze für Asylsuchende zur Verfügung stünden. Nach der derzeitigen Auskunftslage sind die Kapazitäten des italienischen Aufnahmesystems momentan nicht überlastet (vgl. Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022, S. 7). Auch der aktuelle AIDA-Bericht hält ausdrücklich fest, dass Berichte darüber, dass Asylsuchende aufgrund der Belegung der Aufnahmeeinrichtungen keinen Zugang zu einer Unterkunft gefunden hätten, nicht existierten (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 153). Dass Italien Ende 2022 in zwei Rundschreiben den anderen Dublin-Staaten mitgeteilt hat, dass es wegen Kapazitätsproblemen bis auf weiteres keine Überstellungen mehr annehmen werde, widerspricht dem nicht. Denn dadurch hat Italien gerade zu erkennen gegeben, dass es verhindern will, dass eine derartige Situation für Dublin-Rückkehrende entstehen könnte.
50
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 2023 (Az. 11 A 3513/20.A – juris Rn. 49 ff.), der von einer generellen Verweigerung des Zugangs zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen und daraus resultierend einer drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh für Dublin-Rückkehrende in Italien ausging, wurde inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Oktober 2023 – 1 B 22/23 – aufgehoben und der Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, dass die Erklärung Italiens zur Aufnahmeverweigerung wegen mangelnder Aufnahmekapazitäten lediglich ein Indiz für systemische Schwachstellen begründen könne; die dann erforderliche weitere Darlegung und Prüfung solcher Schwachstellen lasse der Beschluss aber vermissen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2023 – 1 B 22/23 – juris Rn. 15).
51
Dem Gericht ist aus anderen Verfahren bekannt, dass es im Zeitraum Januar bis April 2023 zu Dublin-Überstellungen von freiwillig Ausreisenden gekommen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die italienischen Behörden sich weigern würden, freiwillig Ausreisende unterzubringen und ihnen (erneut) Zugang zum Asylverfahren zu gewähren, gibt es nicht. Derartiges kann nach Überzeugung der Einzelrichterin auch nicht den o.g. Rundschreiben entnommen werden. Auch wenn der Überstellungsstopp auf mangelnde Aufnahmekapazitäten gestützt wird („due to the unavailability of reception facilities“), folgt doch schon aus den Rundschreiben selbst, dass gewisse Aufnahmekapazitäten noch verfügbar sind („with the exception of cases of family reunification of unaccompanied minors“). Daher kann auf Basis des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens aus einer fehlenden ausdrücklichen Aussage der Italienischen Republik in Bezug auf freiwillig Rückkehrende nicht geschlossen werden, dass für diese keinerlei Aufnahmekapazitäten verfügbar wären.
52
Zwar müssen die Antragsteller selbstständig zu der für sie zuständigen Quästur gelangen und die Reise dorthin aus eigenen Mitteln finanzieren. Da es die Antragsteller aber vermocht haben, selbstständig von Italien nach Deutschland zu gelangen, ist davon auszugehen, dass ihnen auch diese Reise gelingen wird. Außerdem werden die Rückkehrenden, die zuvor noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, unter Wahrung der Familieneinheit in der Provinz des Ankunftsflughafens untergebracht (s.o.).
53
b. Den Antragstellern droht bei einer Rückkehr nach Italien auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Italien nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK.
54
aa. Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
56
Wie oben für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen für anerkannte Schutzberechtigte erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim,
C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22). Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
57
Im Rahmen der diesbezüglich zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich; die Gefahr einer Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Einzelfalls hinreichend sicher bestehen und nicht nur hypothetisch sein (OVG RhPf, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG – BeckRS 2020, 37249, Rn. 34).
58
bb. Von anerkannt Schutzberechtigten wird in Italien ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit verlangt. Grundsätzlich sind anerkannt Schutzberechtigte dort italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21). Dementsprechend wird im Rahmen des italienischen Systems bezüglich anerkannter internationaler Schutzberechtigter angenommen, dass man ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen kann (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21 f.).
59
Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 14). Sie können nach Italien einreisen und sich frei im Land bewegen, erhalten jedoch bei einer Rückkehr nach Italien keine Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft, bei der Erneuerung verlorengegangener Papiere oder bei der Erneuerung der Registrierung im nationalen Gesundheitssystem (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Stand: Januar 2020, S. 49).
60
Sofern eine Person in Italien einen internationalen Schutzstatus erhalten hat, ist sie nicht mehr berechtigt, in Erstaufnahmeeinrichtungen oder CAS zu bleiben, sondern hat grundsätzlich Zugang zu den Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI (Sistema di accoglienza e integrazione – Aufnahme und Integrations-System), vormals SIPROIMI), die von lokalen Behörden zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben werden, und dementsprechend Anspruch auf Unterkunft und Versorgung (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 235 f.). Da die Plätze in den Zweitaufnahmeeinrichtungen knapp sind, entsteht in der Praxis eine Schutzlücke (AIDA, Country Report: Italy, 2021 Update, S. 213). Das System der Zweitaufnahmeeinrichtungen in Italien besteht dabei aus 934 kleineren Projekten mit einer Gesamtkapazität von derzeit 43.923 Unterbringungsplätzen (Stand Februar 2023, vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 236; gegenüber 35.898 Unterbringungsplätzen im April 2022, vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2021 Update, S. 214). In diesen Aufnahmeprojekten werden insgesamt 6.299 Unterbringungsplätze für unbegleitete Minderjährige und 803 Plätze für psychisch erkrankte oder körperlich behinderte Personen vorgesehen (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 236). Im Jahr 2021 waren 42.464 Schutzberechtigte in den Aufnahmeeinrichtungen untergebracht (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 236).
61
Die Aufenthaltsdauer in den Zweitaufnahmeeinrichtungen ist begrenzt und beträgt sechs Monate. Sie kann nach der Verordnung des italienischen Innenministeriums vom 18. November 2019 in Ausnahmefällen um weitere sechs Monate verlängert werden (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien: Rücknahme u. Unterstützung v. Personen mit in Italien zuerkanntem int. Schutzstatus, insb. von Familien m. Kindern; Auswirkungen der Corona-Pandemie v. 18.9.2020, S. 7). Solche Ausnahmefälle bestehen etwa, wenn eine Verlängerung des Aufenthalts für die Integration unerlässlich ist, wenn außerordentliche Umstände wie Gesundheitsprobleme vorliegen oder im Falle von besonderer Vulnerabilität (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Stand: Januar 2020, S. 55). Zu diesen vulnerablen Gruppen zählen beispielsweise Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, schwangere Frauen, Opfer von Menschenhandel oder auch Menschen, die unter ernsthaften Krankheiten oder psychischen Störungen leiden (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien: Rücknahme u. Unterstützung v. Personen mit in Italien zuerkanntem int. Schutzstatus, insb. von Familien m. Kindern; Auswirkungen der Corona-Pandemie v. 18.9.2020, S. 7).
62
Nach Ablauf des Unterbringungszeitraums wird keine staatliche Anschlusslösung zur Unterbringung bereitgestellt, es gibt jedoch begrenzte Unterkunftsmöglichkeiten der Gemeinden oder, nach Ablauf einer teilweise über fünfjährigen Wartezeit, auch Sozialwohnungen (SFH/Pro Asyl, Rücknahme und Unterstützung von Personen mit internationalem Schutzstatus, v. 29.10.2020, S. 2 f.). Weitere Kriterien, die von einigen Regionen für die Zuweisung einer Sozialwohnung verlangt werden, sind etwa das mehrjährige Bestehen eines Wohnsitzes oder mehrjährige Erwerbstätigkeit in der Gemeinde, in der der Antrag gestellt wird (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 218). Auch Notschlafunterkünfte werden durch die Gemeinden angeboten, die in der Nacht geöffnet sind und morgens wieder verlassen werden müssen und zu denen sowohl italienische Bedürftige als auch anerkannt Schutzberechtigte Zugang haben (SFH/Pro Asyl, Rücknahme und Unterstützung von Personen mit internationalem Schutzstatus, v. 29.10.2020, S. 2). Nur die Wohnsitzgemeinde ist verpflichtet, Unterstützungsleistungen für Obdachlose zu erbringen. Die Anzahl der Plätze in den Notunterkünften hat sich im Zuge der COVID-19-Pandemie halbiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass rücküberstellte Schutzberechtigte ohne Unterkunft bleiben, wird von der Nichtregierungsorganisation Schweizer Flüchtlingshilfe als sehr hoch bezeichnet (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21). Laut Auskunft des italienischen Flüchtlingsrats CIR dagegen ist es unwahrscheinlich, dass rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte unmittelbar nach der Ankunft keine Unterkunft bzw. keine Informationen über eine temporäre Unterkunft erhalten (Gemeinsamer Bericht des AA, des BMI und des BAMF zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, S. 12).
63
Daneben gibt es auch regional organisierte Notunterkünfte, die meist von Trägern des sog. Dritten Sektors, also nicht von staatlicher Seite, sondern von Nichtregierungsorganisationen oder kirchlichen Organisationen, betrieben werden. Diese sind jedoch nicht auf Langfristigkeit ausgerichtet, manche von ihnen haben Verträge mit der Gemeinde und werden vor allem im Winter geöffnet. Die Dauer dieser Projekte der Aufnahme hängt von der Verfügbarkeit der finanziellen Mittel ab, sie sind mithin nicht kontinuierlich garantiert. Diese Einrichtungen haben nur wenige Plätze zur Verfügung, die die Nachfrage nach Unterbringung derer, die auf der Straße leben müssen, nicht decken. Die Plätze unterliegen zudem einem Rotationssystem und sind nur für kurze Zeit nutzbar, damit möglichst viele Menschen für einige Tage dort unterkommen können. Neben der Rotation müssen die Zentren tagsüber verlassen werden und es gibt keine Möglichkeit, ein geregeltes Leben zu führen (SFH, Situation von aus dem Ausland zurückkehrenden Schutzberechtigten, 29.04.2022, S. 4 f.).
64
Hilfsorganisationen, Kirchen und private Initiativen versuchen darüber hinaus auch andere Defizite des staatlichen Systems zu kompensieren, indem sie in begrenztem Umfang Wohnmöglichkeiten bereitstellen, Essen insbesondere an Obdachlose verteilen, Italienischkurse anbieten oder ambulante medizinische Versorgung bereitstellen (SFH/Pro Asyl, Rücknahme und Unterstützung von Personen mit internationalem Schutzstatus, v. 29.10.2020, S. 7).
65
Da international Schutzberechtigte italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind, haben sie in gleichem Maße wie diese Zugang zum italienischen Gesundheitssystem (AIDA Country Report: Italy, 2022 Update, S. 243; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 13). Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl einer haus- bzw. kinderärztlichen Praxis (kostenlose Arzttermine, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 16). In der Praxis kann es jedoch zu Verzögerungen kommen, sei es wegen der in einigen Quästuren notwendigen Zuteilung eines Steuer-Codes („codice fiscale“), die manchmal einige Zeit dauert, oder deswegen, weil Voraussetzung für die Registrierung grundsätzlich eine Wohnsitzmeldung ist (domicilio), die anerkannt Schutzberechtigte häufig wegen Obdachlosigkeit nicht nachweisen können (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 16 f.; SFH/Pro Asyl, Rücknahme und Unterstützung von Personen mit internationalem Schutzstatus, 29.10.2020, S. 4). Fiktive Adressen und Adressen von Nichtregierungsorganisationen werden nicht überall akzeptiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 17). Bis zur Registrierung besteht nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung nach Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 16).
66
Des Weiteren haben anerkannte Flüchtlinge oder Personen mit subsidiärem Schutz in Italien Zugang zum Arbeitsmarkt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S.15). Die Suche nach Beschäftigung gestaltet sich aber aufgrund der relativ hohen Arbeitslosigkeit in Italien und in Ermangelung entsprechender Sprachkenntnisse oder Qualifikationen häufig schwierig (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21). Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hatte sich im Zuge der Corona-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2020 und 2021 zusätzlich verschärft. Viele Personen mit Schutzstatus, die eine Arbeit gefunden hatten, haben diese dadurch verloren (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21 f.). Viele Asylsuchende und Schutzberechtigte versuchen, auf dem Schwarzmarkt Arbeit zu finden, insbesondere in der Pflege, der Hausarbeit und der Landwirtschaft (SFH/Pro Asyl, Rücknahme und Unterstützung von Personen mit internationalem Schutzstatus, 29.10.2020, S. 5), wo sie vulnerabel für Ausbeutung sind (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 1.7.2022, S. 21). Die italienische Wirtschaft hat sich allerdings seit Ende der Corona-Pandemie positiv entwickelt, sodass nunmehr eine günstigere Arbeitsmarktsituation vorzufinden ist als zu Zeiten der Pandemie (OVG RhPf, U.v. 27.3.2023 – 13 A 10948/22.OVG – juris Rn. 73 m.w.N.).
67
Für Personen mit geringem Einkommen wurde im März 2019 das sogenannte Bürgergeld eingeführt, dessen Beantragung auch Personen mit internationalem Schutz offensteht. Die Gewährung von Bürgergeld setzt jedoch voraus, dass die Person die letzten zehn Jahre in Italien wohnhaft war (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 1.7.2022, S. 21 f.). Diese Voraussetzung erfüllen anerkannte Schutzberechtigte in der Regel nicht.
68
Die Sozialleistungen für Familien wurden im März 2022 durch den sogenannten „assegno unico“ (Kindergeld) abgelöst. Das Kindergeld wird ab Geburt bis zum 18. Lebensjahr monatlich auf Antrag gezahlt und beträgt, abhängig vom Familieneinkommen und der Anzahl der Kinder, zwischen 50 und 175 Euro pro Kind (Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022, S. 16). Ein Anspruch auf Kindergeld besteht nur dann, wenn die Eltern seit zwei Jahren regelmäßig in Italien leben und in Italien für einen Mindestzeitraum von sechs Monaten ein Arbeitsverhältnis haben (vgl. Website der Europäischen Union https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1116& intPageId=4617& langId=de, zuletzt abgerufen am 26.9.2023). Weitere Sozialleistungen obliegen den Regionen und Kommunen, welche eigene Regeln bezüglich der Höhe der Leistungen und des Empfängerkreises festlegen. Das italienische Sozialsystem stützt sich auf traditionelle Familienstrukturen, innerhalb derer Hilfsbedürftige Unterstützung durch ihr familiäres Netzwerk finden können. Im Gegensatz zu italienischen Staatsangehörigen können jedoch international Schutzberechtigte selten auf ein solches Netzwerk zurückgreifen (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Stand: Januar 2020, S. 109).
69
Für Kinder von anerkannt Schutzberechtigten besteht das Recht auf Schulbildung im selben Umfang wie für italienische Kinder. Dabei sind Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren schulpflichtig (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 241).
70
cc. Den Antragstellern droht auch nicht nach einer hier zu unterstellenden Schutzzuerkennung in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung.
71
Im Falle einer Anerkennung als anerkannt Schutzberechtigte würden die Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und sie hätten Zugang zum italienischen Gesundheitssystem. Sie könnten für sechs Monate in einer Unterkunft des SAI-Systems untergebracht werden und die dort angebotenen Integrationsleistungen nutzen. Zwar sind sechs Monate ein vergleichsweise kurzer Zeitraum, um die italienische Sprache zu erlernen, es besteht aber aus Sicht der Einzelrichterin im relevanten Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass es den Antragstellern in Italien nicht gelingen würde, sich zu integrieren, sowie unter Einsatz ihrer Arbeitskraft dort ein – wenn auch geringes – Einkommen zu erwirtschaften.
72
Dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vorliegend zugrunde zu legen ist, dass die Antragsteller auch nach einer Schutzzuerkennung in Italien weiterhin als ein Familienverband zusammenleben würden.
73
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 (1 C 45/18 – juris LS 2) für die Rückkehr einer asylsuchenden Familie in ihr Herkunftsland entschieden, dass für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen sei, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt. Die Kammer wendet diese Rechtsprechung grundsätzlich in ständiger Rechtsprechung auch auf Fallkonstellationen an, in denen es um die Ausreise einer Familie in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zur Durchführung des Asylverfahrens dort geht (vgl. VG Ansbach, U.v. 23.3.2022 – AN 14 K 21.50134 – juris Rn. 62 ff; U.v. 29.9.2022 – AN 14 K 19.50622 – nicht veröffentlicht; U.v. 8.12.2022 – AN 14 K 19.50956 – nicht veröffentlicht; ebenso VGH BW, U.v. 7.7.2022 – A 4 S 3696/21 – juris Rn. 35). Für die Gefahrenprognose ist dabei von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der hypothetischen Rückkehrsituation auszugehen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 15).
74
Zwar mag es sich bei den Antragstellern nicht um eine nur aus zwei Elternteilen und den gemeinsamen Kindern bestehende „Kernfamilie“ handeln, sodass auch die Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 17 ff.) nicht greift. Jedoch ist vorliegend bei möglichst realitätsnaher Betrachtung aufgrund zahlreicher konkreter Anhaltspunkte nach der gebotenen summarischen Prüfung dennoch davon auszugehen, dass die Antragsteller nach einer Schutzzuerkennung in Italien weiterhin als eine Familie im Sinne eines gelebten Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverbands (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 26) füreinander sorgen würden. Dass die behauptete Ehe zwischen den Antragstellern zu 1) und 2) nicht nachgewiesen wurde, ist hierfür ohne Bedeutung, da es maßgeblich nicht auf die rechtlichen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, sondern darauf ankommt, ob eine tatsächlich „gelebte“ Lebensgemeinschaft vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 18). Hierbei ist eine möglichst realitätsnahe Beurteilung vorzunehmen (vgl. BVerwG U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 15 f.).
75
Die Einzelrichterin geht nach der gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass alle Antragsteller vorliegend einen gemeinsamen Familienverband bilden. Hierfür spricht nicht nur, dass der Antragsteller zu 1) der Vater der Antragsteller zu 3) und 5) ist, sondern vor allem der übereinstimmende Vortrag der Antragsteller zu 1), 2) und 4), dass sie ihr Herkunftsland gemeinsam verlassen, sich gemeinsam in Tunesien niedergelassen und danach gemeinsam ihre Flucht nach Deutschland fortgesetzt haben. Auch hier in Deutschland waren die Antragsteller bisher immer in der gleichen Aufnahmeeinrichtung untergebracht, wie aus den jeweils gleichzeitigen Zuweisungsentscheidungen in den beigezogenen Akten ersichtlich ist.
76
Der Antragsteller zu 1) hat die Antragsteller zu 4) und 5) im Herkunftsland neben den regelmäßigen Besuchen auch finanziell unterstützt und anschließend während des viermonatigen Aufenthalts aller Antragsteller in Tunesien durch seine Arbeit nicht nur die Antragstellerinnen zu 2) und 3), sondern auch die Antragsteller zu 4) und 5) versorgt (vgl. Anhörung der Antragstellerin zu 4) am 17.8.2023, Bundesamtsakte Gz. …, Bl. 77).
77
Es stellt sich auch nicht so dar, dass nur der Antragsteller zu 1) das Bindeglied zwischen zwei „Parallelfamilien“ wäre, sondern es ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass auch die Antragstellerinnen zu 2) und 4) eine emotionale, familiäre Bindung zueinander und den gegenseitigen Kindern haben. So sagte die Antragstellerin zu 2) bei ihrer Anhörung am 17. August 2023: „Sie [die Antragstellerin zu 4) ] lebte bei ihren Eltern, aber während der Woche haben wir sie gesehen.“ (vgl. Bundesamtsakte Gz. …, Bl. 83), woraus folgt, dass nicht nur der Antragsteller zu 1) die Antragstellerin zu 4) regelmäßig besucht hat, sondern auch die Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerin zu 2) sagte außerdem bei ihrer Anhörung am 17. August 2023 über die Antragstellerin zu 4): „… ich bete sie jetzt an“ (s. Bundesamtsakte Gz. …, Bl. 83). In Bezug auf die gemeinsame Flucht gab die Antragstellerin zu 2) in ihrer Anhörung an: „Wir [d.h., nicht nur der Antragsteller zu 1), sondern auch die Antragstellerin zu 2) selbst] wollten das Kind nicht alleine zurücklassen.“ Daneben ist dem Protokoll der Anhörung der Antragsteller zu 2) am 17. August 2023 auch zu entnehmen, dass sie die Existenz und Familienzugehörigkeit der Antragsteller zu 4) und 5) von sich aus zur Sprache brachte, als sie gefragt wurde, ob ihre Gründe auch für ihre Kinder gelten würden (vgl. Bundesamtsakte Gz. …, Bl. 82).
78
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. März 2024 (Az. 24 B 22.30376), da es vorliegend nicht wie dort um einen Familienverband geht, in dem einzelne Mitglieder in Deutschland einen Schutzstatus, Abschiebungsschutz oder eine sonstige Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, während andere Familienmitglieder in einem anderen Mitgliedstaat einen Schutzstatus und deshalb in Deutschland eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erhalten haben (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – BeckRS 2024, 3997, 1. Ls., Rn. 27 ff.), sondern um einen Familienverband, dessen Mitglieder sämtlich eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG (in Bezug auf das nachgeborene Kind i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO) erhalten haben und im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt werden sollen.
79
Im Rahmen der Gefährdungsprognose ist daher davon auszugehen, dass die Antragsteller nach einer Schutzzuerkennung und einem sechs- oder ggf. zwölfmonatigen Aufenthalt in einer Zweitaufnahmeeinrichtung gemeinsam in eine Wohnung ziehen und so gemeinsam „aus einem Topf wirtschaften“ würden (vgl. BVerfG, B.v. 27.7.2016 – 1 BvR 371/11 – juris Rn. 53; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 26). Die Antragsteller zu 1), 2) und 4) sind nach der hier nur möglichen summarischen Prüfung voll arbeitsfähig. Aufgrund des jungen Alters der Antragsteller zu 3) und 5) und des am … 2024 geborenen weiteren Kindes der Antragsteller zu 1) und 2) ist allerdings bei realitätsnaher Betrachtung davon auszugehen, dass einer der Antragsteller zu 1), 2) und 4) nicht arbeiten gehen können, sondern die Betreuung der drei Kinder übernehmen müssen wird. Da die Antragsteller wie oben dargelegt gemeinsam einen Familienverband bilden, ist es ihnen insbesondere auch möglich und zumutbar, dass die Kinder nicht nur von einem leiblichen Elternteil, sondern ggf. auch von der nicht-leiblichen Mutter betreut werden.
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Es ist nach der oben geschilderten Lage für anerkannt Schutzberechtigte auf dem Arbeitsmarkt davon auszugehen, dass zwei der Antragsteller zu 1), 2) und 4) eine Arbeit finden würden und auch genug Geld erwirtschaften könnten, um ein Existenzminimum für die sechsköpfige Familie zu sichern, insbesondere auch, weil der Antragsteller zu 1) nach den Angaben der Antragstellerin zu 4) über Berufserfahrung als Maurer verfügt.
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Die Einzelrichterin verkennt nicht, dass es für die Antragsteller in Italien aufgrund des dortigen Systems und verglichen mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann, sich eine Existenz zu schaffen und zu erhalten.
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Zwei der Antragsteller zu 1), 2) und 4) werden jedenfalls nach einem Aufenthalt in den SAI jede angebotene Erwerbstätigkeit annehmen müssen, auch Tätigkeiten, die mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden und schlecht bezahlt sind. Auch die Tatsache, dass die Antragsteller anders als italienische Staatsangehörige nicht über ein Unterstützungsnetzwerk verfügen, wird sie in Italien vor Probleme stellen. Dennoch ist es nicht so, dass ihnen die Schaffung einer Existenzgrundlage durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft unmöglich gemacht würde. Vielmehr liegen die Grundvoraussetzungen wie ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis vor, auch gewisse Integrationsleistungen werden erbracht, sodass die Antragsteller zu 1), 2) und 4) in zumutbarer Weise eine Lebensgrundlage für die gesamte Familie schaffen und erhalten können. Daneben existieren Unterstützungsleistungen von zivilgesellschaftlicher Seite, die ebenfalls zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris LS).
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Es ist damit nicht ersichtlich, dass die Antragsteller in Italien unverschuldet in eine Situation geraten würden, die nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mit Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK vereinbar wäre.
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3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere droht den Antragstellern bei einer Rückkehr nach Italien keine Trennung der Familieneinheit – die einen Selbsteintritt erforderlich machen könnte (vgl. VG Ansbach, B.v. 24.2.2023 – AN 14 S 22.50084 – juris Rn. 32) –, da das Bundesamt in allen Aufnahmeersuchen jedenfalls darauf hingewiesen hat, dass der Antragsteller zu 1) der Vater der Antragsteller zu 3) und 5) ist, und die Antragsgegnerin gemäß Art. 31 Abs. 1 Dublin-III-VO verpflichtet ist, vor einer Überstellung ggf. weitere erforderliche Informationen, wie zum Beispiel, dass die hier betroffenen Antragsteller gemeinsam einen Familienverband darstellen, zu übermitteln. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass den Antragstellern nach einer Schutzzuerkennung in Italien eine Trennung ihrer Familieneinheit drohen würde, es ist daher davon auszugehen, dass die Antragsteller auch in der Zweitaufnahmeeinrichtung weiterhin gemeinsam untergebracht würden.
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4. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil aufgrund der Erklärungen des italienischen Innenministeriums vom 5. und vom 7. Dezember 2022 nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG feststehen würde, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Italien durchgeführt werden kann.
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Denn mit dem „Feststehen“ in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist kein absolutes Feststehen im Sinne einer absoluten Sicherheit gemeint, sondern vielmehr ein nur „relatives Feststehen“ dergestalt, dass nach dem derzeitigen Verfahrensstand und der Erkenntnislage des Bundesamts die Abschiebung mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden kann (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 29 AsylG, Rn. 53; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Januar 2023, § 34a AsylG, Rn. 38). Bezugspunkt für die Frage, ob in diesem Sinne feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, ist die in Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO geregelte, grundsätzlich sechs Monate dauernde Überstellungsfrist. Innerhalb dieser Frist muss im obigen Sinne feststehen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Maßgeblich ist dementsprechend eine Prognose der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörden, insbesondere des Bundesamts, die auf der Grundlage der maßgeblichen tatsächlichen Umstände unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls und der Verwaltungspraxis getroffen wird (Hailbronner a.a.O.).
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Aus der Tatsache, dass es sich hier um eine Prognose der zuständigen Behörde handelt, folgt, dass die gerichtliche Kontrolle, ob die Abschiebung in diesem Sinne durchgeführt werden kann, naturgemäß eingeschränkt ist (ebenso Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Januar 2023, § 34a AsylG, Rn. 38). Insbesondere erfolgt durch das Verwaltungsgericht keine Vollprüfung dergestalt, dass das Gericht in einstweiligen Rechtsschutzverfahren wie vorliegend positiv feststellen müsste, dass die Abschiebung innerhalb der Überstellungsfrist durchgeführt werden kann. Eine solche Vollprüfung wäre rein faktisch bereits nicht möglich, da es dem Gericht schon an der notwendigen speziellen Fachkenntnis über die Abläufe zwischen den beteiligten Behörden der jeweiligen Mitgliedstaaten fehlt. Das Verwaltungsgericht hat für eine sachgerechte Prognose nicht die nötigen Einblicke in die einschlägige Verwaltungspraxis. Unzutreffend und damit rechtswidrig wäre die Prognose jedoch jedenfalls dann, wenn das Bundesamt weiterhin von einer Durchführbarkeit der Abschiebung ausginge, obwohl der ersuchte Mitgliedsstaat ausdrücklich seine fehlende Übernahmebereitschaft erklärt hat oder er zwar nur vorübergehende Gründe für die fehlende Übernahmebereitschaft geltend macht, aber keinerlei Anstrengungen unternimmt, diese Probleme in den Griff zu bekommen, obwohl derartiges sowohl möglich als auch zumutbar wäre.
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Hinzu kommt, dass die Asylsuchenden durch diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht schutzlos gestellt werden: Denn wenn die von den zuständigen Behörden, insbesondere dem Bundesamt, getroffene Prognose, dass die Abschiebung innerhalb der Überstellungsfrist durchgeführt werden kann, sich schließlich nicht als zutreffend erweist, so wird der ersuchte Mitgliedstaat (hier: Deutschland) entsprechend dem Begehren des Antragstellers für seinen Asylantrag zuständig und das Verfahren wird ins nationale Verfahren übergeführt. Der Antragsteller könnte in diesem Fall also bis zum Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig ausreisen (s.o.) und seinen unionsrechtlichen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in Italien realisieren, nach Ablauf der Überstellungfrist würde sein Asylantrag im nationalen Verfahren in Deutschland geprüft werden.
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Die vom Bundesamt im vorliegenden Fall getroffene Prognose, dass ausgehend vom Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Hs. 2 AsylG) eine Abschiebung der Antragsteller nach Italien innerhalb der Überstellungsfrist möglich ist, ist danach nicht zu beanstanden. Die Erklärungen des italienischen Innenministeriums vom 5. und 7. Dezember 2022 erfolgten vor dem Hintergrund einer seit dem Sommer 2022 erheblich gestiegenen Zahl von in Italien ankommenden Asylsuchenden. Dass dies zu einer vorübergehenden Überlastung des italienischen Aufnahmesystems geführt hat, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Dass Italien in der Lage ist, hierauf zu reagieren und die Aufnahmekapazitäten auszuweiten, hat das Land auch in der Vergangenheit gezeigt, insbesondere in den Jahren 2018 und 2019. Daher ist die Aussage Italiens, es müssten vorübergehend Abschiebungen aufgeschoben werden („to temporarily suspend“), unter Berücksichtigung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens glaubwürdig. Die Einschätzung des Bundesamts, dass innerhalb überschaubarer Zeit mit einem Wegfall dieses Hindernisses zu rechnen ist, ist daher ebenfalls schlüssig. Dass es hierzu bislang noch nicht gekommen ist, ist vor dem Hintergrund auch im Jahr 2023 gestiegener Ankunftszahlen in Italien ebenfalls nicht verwunderlich.
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Hinzu kommt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennbar ist, dass Italien generell und auf unabsehbare Zeit nicht mehr bereit wäre, am Dublin-System teilzunehmen und dementsprechend auch Abschiebungen nach Italien als zuständigem Mitgliedsstaat zu akzeptieren. Eine derartige explizite Aussage existiert nicht. Eine positive Erklärung seitens der Italienischen Republik, zur Aufnahme- oder Wiederaufnahme nach der Dublin-III-VO bereit zu sein, ist nicht erforderlich, da sich diese Pflichten bereits aus der weiterhin geltenden Dublin-III-VO ergeben.
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Unter Berücksichtigung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens ist die Einzelrichterin daher überzeugt, dass im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG feststeht, dass die Antragsteller innerhalb der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO nach Italien abgeschoben werden können.
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5. Der Abschiebungsanordnung stehen keine Abschiebungshindernisse entgegen, die bei einer Überstellung der Antragsteller nach Italien Berücksichtigung finden müssten. Dies gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, welche die Antragsgegnerin im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu überprüfen hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4).
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Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich, insbesondere droht den Antragstellern keine Trennung ihrer Familieneinheit, da sie sich alle im Dublin-Verfahren mit Italien befinden (s.o.). Außerdem ist nun, nach Ablauf des Mutterschutzes aufgrund des am … 2024 geborenen weiteren Kindes, auch wieder von einer Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 2) auszugehen.
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Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bestehen nicht, denn wie bereits dargestellt droht den Antragstellern in Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Antragsteller keine einer Abschiebung entgegenstehenden gesundheitlichen Beschwerden im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG geltend gemacht haben.
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Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide verwiesen.
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6. Nach alldem sind die Anträge in Ermangelung hinreichender Erfolgsaussichten der gegen die Abschiebungsanordnungen gerichteten Rechtsbehelfe in den Hauptsachen abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.