Inhalt

VG München, Beschluss v. 09.01.2024 – M 5 E 23.576
Titel:

Einfluss einer negativen Bewertung auf Gesamturteil und Auswahlentscheidung

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Die Besorgnis der Befangenheit aus der subjektiven Sicht von Beurteilten genügt nicht, vielmehr muss die tatsächliche Voreingenommenheit eines Beurteilers aus der Sicht eines objektiven Dritten festgestellt werden. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein negativer Eindruck ist in die Gesamtwürdigung der dienstlichen Leistungen mit einzubeziehen, die auch durch das persönliches Verhalten mitbestimmt werden. Ansonsten würde die dienstliche Beurteilung wesentliche Bewertungsumstände nicht beachten. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit welchem Gewicht die einzelnen Beurteilungsbeiträge bei der Bildung des Gesamturteils berücksichtigt werden, liegt innerhalb des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verfasser eines Beurteilungsbeitrags ein von ihm als unkollegial wahgenommenes Verhalten negativ bewertet; dass diese Umstände in die Gesamtbewertung der dienstlichen Beurteilung negativ einfließen, liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit – die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden Sach- und Verfahrensentscheidungen – werden durch die Koordination der Entscheidungen im Spruchkörper nicht berührt. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stellenbesetzung, Vorsitzender Richter, Bundespatentgericht, Anlassbeurteilungen, Voreingenommenheit, Richter, Bewerbung, Konkurrentenstreit, Bewerbungsverfahrensanspruch, Bestenauslese, Auswahlentscheidung, dienstliche Beurteilung, Anlassbeurteilung, Beurteilungsbeiträge, negativer Eindruck, Gesamturteil, Beurteilungsspielraum, Gewichtung, richterliche Unabhängigkeit, vorläufiger Rechtsschutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.04.2024 – 6 CE 24.220
Fundstelle:
BeckRS 2024, 683

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 26.759,25 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin schrieb am … November 2021 eine Stelle einer juristischen Vorsitzenden Richterin / eines juristischen Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht der Besoldungsgruppe R 3 aus. Auf diese Stelle bewarben sich unter anderem die Antragstellerin und der Beigeladene.
2
Die 1965 geborene Antragstellerin ist seit … September 2011 Richterin am Bundespatentgericht (im Richterverhältnis auf Lebenszeit). Im Zeitraum vom ... Januar 2013 bis … Dezember 2014 war sie an den Bundesgerichtshof als wissenschaftliche Mitarbeiterin abgeordnet. Danach kehrte sie bis … Mai 2015 an das Bundespatentgericht zurück. Vom … Juni 2015 bis … Dezember 2017 war sie an das Bundesministerium der ... abgeordnet. Seit ... Januar 2018 war sie bis … Dezember 2019 in einem Markensenat beim Bundespatentgericht tätig, ab ... Januar 2020 bis zum … Januar 2022 in einem anderen Senat und seit ... Februar 2022 wiederum in einem anderen Senat. Eine Regelbeurteilung der Antragstellerin für die Zeit ab September 2011 besteht nicht. Eine Anlassbeurteilung für den Zeitraum ... Januar 2017 bis … Mai 2019 (.....10.2019) kam zu einem Gesamtprädikat von „vollbefriedigend, obere Grenze“. Die Antragstellerin erhielt von der Präsidentin des Bundespatentgerichts für den Zeitraum … Juni 2019 bis … September 2021 eine Anlassbeurteilung (.....8.2022), die mit dem Prädikat „gut, untere Grenze“ abschließt. Die Antragstellerin hat gegen diese Beurteilung am … November 2022 Widerspruch erhoben, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
3
Der 1961 geborene Beigeladene ist seit … April 2007 Richter am Bundespatentgericht (im Richterverhältnis auf Lebenszeit). Für den Beurteilungszeitraum ... Juni 2019 bis … September 2021 erhielt er von der Präsidentin des Bundespatentgerichts eine Anlassbeurteilung (.....6.2022) mit dem Gesamtprädikat „gut“. Eine Regelbeurteilung für den Beurteilungszeitraum … Januar 2014 bis … Dezember 2016 (.....5.2017) lautet auf das Gesamturteil „gut, untere Grenze“.
4
Das Bundespatentgericht schlug mit Besetzungsbericht vom … August 2022 vor, eine ausgeschriebene Stelle als Vorsitzende Richterin / Vorsitzender Richter am Bundespatentgericht mit dem Beigeladenen zu besetzen. Bei einem Vergleich der Anlassbeurteilungen ergebe sich vom Gesamtprädikat her ein Vorsprung zugunsten dieses Bewerbers.
5
Der Bundesminister der ... billigte den Besetzungsvermerk vom ... Dezember 2022, in dem vorgeschlagen wurde, eine ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen. Bei einem Vergleich der Anlassbeurteilungen stelle sich der Beigeladene als leistungsstärker als die Antragstellerin dar, da er eine um eine Stufe höhere Gesamtnote erreicht habe. Die Anlassbeurteilungen der Antragstellerin wie für den Beigeladenen seien jeweils für den Zeitraum ... Juni 2019 bis … September 2021 erstellt worden. Die Gleichstellungsbeauftragte hat dem Besetzungsvorschlag am ... Dezember 2022 zugestimmt.
6
Mit Schreiben vom … Januar 2023 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, eine Stelle als Vorsitzende Richterin / Vorsitzender Richter am Bundespatentgericht mit dem Beigeladenen zu besetzen.
7
Am ... Februar 2023 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Es bestehe sowohl ein Anordnungsgrund wie auch ein Anordnungsanspruch. Die Anlassbeurteilung für die Antragstellerin sei rechtswidrig. Das Votum eines befangenen Vorsitzenden habe sich in der Anlassbeurteilung fortgesetzt, der für den Zeitraum vom ... Oktober bis … Dezember 2019 ein Beurteilungsvotum abgegeben habe. Dessen Befangenheit ergebe sich aus den unwahren Behauptungen, die in der Beurteilung genannt seien sowie den Bemerkungen des Votums, die ein herablassendes Bild zeichnen würden, das die Richterin als rücksichtslos, ehrgeizig und egoistisch erscheinen lasse. Wenn dieser Vorsitzende nach dem … November 2019 darum gebeten habe, ihm keine weiteren Beschlussentwürfe vorzulegen, da er ansonsten deren Bearbeitung und Unterschrift bis Jahresende nicht gewährleisten könne, so habe dieser verhindern wollen, dass ihm Entwürfe nach dem Termin vorgelegt würden. Es sei unwahr zu behaupten, dass die Antragstellerin dessen Wunsch nicht nachgekommen sei, Beschlüsse bis zu einem bestimmten Termin vorzulegen, damit sie noch vor Jahresende von ihm unterschrieben werden könnten. Die Behauptung, die Antragstellerin unterliege dem Ehrgeiz, ihre Arbeitsmenge zu erhöhen, verdrehe die Tatsachen und könne als bösartig bezeichnet werden. Es sei auch falsch und frei erfunden, wenn formuliert sei, dass die Antragstellerin während des Urlaubs des Vorsitzenden bereits von ihr und dem Beisitzer unterschriebene Beschlüsse wieder an sich genommen hätte, die Richterbesetzung geändert und diese neu unterschrieben hätte. Am … Dezember 2019 seien die Fälle, die der Vorsitzende nicht mehr vor seinem Urlaub ab dem … Dezember 2019 unterschrieben habe, obwohl diese ihm schon seit längerem vorgelegen hätten, von dem an diesem Tag zur Entscheidung berufenen Senatsmitgliedern abschließend beraten und unterschrieben worden. Daraus dürfe nicht der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin einen „richtunggebenden Einfluss“ des Senatsvorsitzenden auf die Senatsrechtsprechung verletze. Es sei auch nicht zutreffend, dass es unüblich sei, dass neun mündliche Verhandlungen an einem Tag anberaumt würden. Eine solche Unüblichkeit existiere nicht. Soweit angegeben sei, dass ihre Ausarbeitungen den Anforderungen an die Gründlichkeit und Sorgfalt nicht in dem zu erwartenden Umfang entsprochen hätten, sei das unbegründet und haltlos. Das treffe nicht zu. Wenn in dem Votum davon die Rede sei, dass sachliche Fehler in den Beschlussentwürfen der Antragstellerin enthalten gewesen seien, die den guten Ruf des Bundespatentgerichts erheblich in Mitleidenschaft gezogen hätten, treffe das nicht zu. Denn die Entscheidungen seien durch die Mitwirkung aller Senatsmitglieder zustande gekommen. Es sei auch unzutreffend, dass Registernummern oder Datumsangaben fehlerhaft erfolgt wären. Die dienstliche Beurteilung verletze auch die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin, denn sie laufe auf eine direkte oder indirekte Weisung hinaus, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden solle. Das Präsidium habe durchaus erwartet, dass der Altbestand des Senats möglichst abgebaut werde, damit möglichst wenige Verfahren auf andere Senate übergingen. Dass der Vorsitzende eine anderslautende Einigung mit anderen Vorsitzenden erzielt habe, werde bestritten. Das stehe auch in Widerspruch zum Rechtsstaatsgebot, wonach der Rechtsschutzsuchende nach Spruchreife alsbald mit einer Entscheidung rechnen könne. Die Antragstellerin habe zu den dem Vorsitzenden vorgelegten Beschlussentwürfen auch noch ergänzende Bemerkungen angebracht, die dieser nicht zur Kenntnis genommen habe. Die Ladung zahlreicher Verfahren für einen Termin sei auch dadurch bedingt, dass einige bereits zuvor verhandelt und intensiv vorbereitet worden seien. Solange eine Bearbeitung von Streitverfahren einem Senat rechtlich möglich sei, auch ohne Mitwirkung des Vorsitzenden, dürfe eine solche Bearbeitung nicht zu Lasten der Richterin gehen, die Berichterstatterin sei. Die Akten eines Streitverfahrens „gehörten“ einem Vorsitzenden nicht. Daher dürften diese auch zur Entscheidungserstellung bei Abwesenheit aus dessen Büro geholt werden.
8
Die Antragstellerin hat zuletzt beantragt,
9
Der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, die mit Stellenausschreibung vom … November 2022 ausgeschriebene Stelle eines Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht mit dem beizuladenden Y. zu besetzen, bevor nicht über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden worden ist.
10
Das Bundesministerium der ... hat für die Antragsgegnerin beantragt,
11
den Antrag abzulehnen.
12
Der Vorsitzende, dessen Votum angegriffen werde, habe in einer E-Mail vom … November 2019 ausdrücklich mitgeteilt, dass es nicht darauf ankomme, dass möglichst wenige Fälle nach Jahresende an andere Senate abgegeben werden sollten. Außerdem sei nicht pauschal vereinbart worden, dass in jedem Fall Beschlüsse ohne vorherige Beratung mit Unterschriften der beiden anderen juristischen Beisitzer dem Vorsitzenden vorgelegt werden sollten. Im Zeitraum vom ... Januar 2019 bis … September 2019 seien im Senat, dem die Antragstellerin im Jahr 2019 angehörte, in der Regel ein bis drei, nur in einem Fall fünf Verfahren durchgeführt worden. Insoweit sei die Terminierung von neun Verfahren für den … November 2019 ohne Absprache mit dem Senatsvorsitzenden aus dem Rahmen gefallen. Die ab dem … Dezember 2019 von der Antragstellerin und einem weiteren Beisitzer des Senats vorgelegten acht Beschlüsse hätten vom Vorsitzenden aufgrund der bevorstehenden Feiertage und seines Urlaubs ab … Dezember 2019 nicht unterzeichnet werden können. Das habe er in einer E-Mail vom … Dezember 2019 an die Antragstellerin und den weiteren Beisitzer mitgeteilt. Die Akten seien auf einem separaten Stapel in seinem Büro gelegen. Obwohl zwischen Weihnachten und Neujahr kein regulärer Boten- und Geschäftsstellendienst im Gericht bestanden habe, seien am … Dezember 2019 in insgesamt 10 Fällen – auch den acht im Büro des Vorsitzenden befindlichen – Beschlüsse ergangen. Die Antragstellerin habe – festgehalten mit Vermerk vom … Dezember 2019 – im Einvernehmen mit dem anderen Berichterstatter die Beschlussentwürfe aus den Akten genommen, da der Senatsvorsitzende diese bis Jahresende nicht habe unterschreiben können. Die Missachtung des richtungweisenden Einflusses des Vorsitzenden liege daher vor und könne zu Lasten der Antragstellerin bewertet werden. Auch die Einwände gegen die angegebenen sachlichen Fehler griffen nicht durch. Bei den kritischen Bewertungen handle es sich um nicht ehrverletzende Werturteile, die auf einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen und Eindrücken beruhten. Die angegebene Voreingenommenheit dieses Vorsitzenden der Antragstellerin gegenüber bestehe nicht. Auch wenn es Spannungen zwischen diesen beiden Richtern gegeben habe, führe das nicht zu einer Voreingenommenheit des Vorsitzenden. Das gelte erst recht für die Beurteilerin. Diese habe das Votum nicht ungeprüft übernommen und auch nur Teile davon in die Beurteilung aufgenommen. Die Präsidentin habe zwei Voten, die zu einer insgesamt überdurchschnittlichen Bewertung gelangt seien, mit der abweichenden Einschätzung des Vorsitzenden zu einem rechtlich nicht zu beanstandenden Gesamtergebnis zusammengeführt. Die Beurteilung verletze auch nicht die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin. Denn in den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit sei nicht eingegriffen worden.
13
Mit Beschluss vom 24. Februar 2023 wurde der ausgewählte Bewerber zum Verfahren beigeladen. Dieser hat keinen Antrag gestellt. Mit Schriftsatz vom … Januar 2024 hat er darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin in allen Personal- und Befähigungsnachweisen stets schlechter als er beurteilt worden sei.
14
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
15
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
16
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerpartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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2. Der Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist gegeben. Das Auswahlverfahren für die streitgegenständliche Stelle ist grundsätzlich abgeschlossen. Eine Ernennung des Beigeladenen steht unmittelbar bevor. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin als übergangene Bewerberin lässt sich nur vor der Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern, da sich der um eine Stellenauswahl geführte Rechtsstreit mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle erledigt (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95). Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358) ist mit der endgültigen anderweitigen Besetzung einer Stelle das Besetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen mit der Folge, dass dem Begehren der Antragstellerin, die Auswahlentscheidung zu ihren Gunsten vorzunehmen, nicht mehr entsprochen werden könnte, weil der Dienstherr die Ernennung der Beigeladenen in der Regel nicht mehr rückgängig machen könnte.
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3. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch betreffend die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen glaubhaft gemacht.
19
a) Das Gericht entscheidet, ohne dem Fristverlängerungsantrag der Antragstellerpartei vom 8. Januar 2024 nachzukommen. Angesichts des Umstands, dass der vorliegende Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bereits seit 8. Februar 2023 anhängig ist und die Stellungnahmefrist fast drei Wochen betrug, wäre es der Antragstellerpartei zumutbar gewesen, fristgerecht Stellung zu nehmen. Zudem ist der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2023, zu dem der Antragstellerpartei ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme bis 8. Januar 2024 gegeben wurde, sehr knapp: Es werden lediglich zwei ältere Beurteilungen vorgelegt, von denen eine die Antragstellerin betrifft, auf die die Auswahlentscheidung nicht gestützt ist.
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Auch zum Schriftsatz des Beigeladenen vom 2. Januar 2024 war den Beteiligten keine Stellungnahme einzuräumen, da dort lediglich auf bereits aktenkundige Umstände hingewiesen wird.
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b) Einen Rechtsanspruch auf Übertragung der streitgegenständlichen Stelle hat die Antragstellerin nicht. Ein solcher lässt sich nach herrschender Rechtsprechung nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten, die sich auf das vom Beamten bekleidete Amt beschränkt und somit amtsbezogen ist. Die Antragstellerin hat aber einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 GG, § 46 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) i.V.m. § 9 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746 und vom B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194).
22
Anhand dieser Vorgaben hat der Dienstherr unter mehreren Bewerbern den am besten Geeigneten ausfindig zu machen. Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von Beamtenstellen (hier: Richterstellen), berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Beamten (hier: Richters) an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Ein Bewerber hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung (BVerwG, U. v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris). Aus der Verletzung dieses Anspruchs folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder auf Vergabe des begehrten Dienstpostens. Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B. v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746).
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Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle sind in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen, denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 – 2 VR 3/11 – NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris; VG München, B.v. 26.10.2012 – M 5 E 12.3882 – juris; B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
24
Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell und inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das Leistungsvermögen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen. Die Aktualität dienstlicher Beurteilungen bemisst sich nach dem verstrichenen Zeitraum zwischen dem Beurteilungsstichtag und dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 13). Nach § 48 Abs. 1 Alternative 2 der Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten – Bundeslaufbahnverordnung (BLV), die nach § 46 DRiG entsprechend auf die beteiligten Bewerberinnen als Richter im Bundesdienst anzuwenden sind, können Anlassbeurteilungen (Bedarfsbeurteilungen) erstellt werden, wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern (zu Beurteilungen der Richter im Bundesdienst: Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Auflage 2009, § 46 Rn. 82 ff.). Das ist insbesondere bei einer bevorstehenden Auswahlentscheidung der Fall (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – ZBR 2020, 35, juris Rn. 41).
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4. Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung entspricht diesen Grundsätzen und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
26
a) Der Auswahlvermerk vom ... Dezember 2022 genügt den formellen rechtlichen Anforderungen an die Darstellung der wesentlichen Auswahlerwägungen.
27
Aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt die Verpflichtung des Dienstherrn, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen – deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber ggf. durch Akteneinsicht verschaffen kann – wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber zu befinden, ob er die Entscheidung hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Bewerbungsverfahrensanspruch bestehen. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (vgl. Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, 2. Auflage 2018, Anhang 5 Rn. 2; BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – juris Rn. 4; BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 16.12.2008 – 1 WB 19/08 – juris Rn. 35).
28
Dort ist auf der Grundlage des ausführlichen Besetzungsberichts der Präsidentin des Bundespatentgerichts dargestellt, dass der Beigeladene auf der Grundlage des Vergleichs der vorliegenden Beurteilungen leistungsstärker als die Antragstellerin einzuschätzen sei.
29
b) Die Auswahlentscheidung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
30
aa) Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass der Leistungsvergleich zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen anhand der von der Präsidentin des Bundespatentgerichts erstellten Anlassbeurteilungen erfolgt ist (Beurteilungen aus besonderem Anlass nach § 6 Abs. 2 der Richtlinie für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richtern sowie dem höheren Dienst vergleichbaren Beschäftigten im Bundesministerium der ... – Beurteilungsrichtlinie BMJV). Anlassbeurteilungen sind nach der vorgelegten Richtlinie zum Beurteilungswesen im Bundespatentgericht (richterlicher Dienst) Unterpunkt „Fristen bzw. Anlässe für Beurteilungen“ im Fall der Bewerbung um ein Beförderungsamt zu erstellen.
31
Für die Antragstellerin war die Erstellung einer Anlassbeurteilung geboten, da für deren Leistungen keine hinreichend aktuelle periodische Beurteilung vorlag. Für die Richterin besteht eine Anlassbeurteilung für den Zeitraum Januar 2017 bis Mai 2019 (vorgelegt mit Schriftsatz vom 18.12.2023). Eine Regelbeurteilung der Antragstellerin für die Zeit ab September 2011 besteht nicht (BayVGH, B.v. 2.9.2020 – 6 CE 20.1351 – juris Rn. 2). Das steht auch in Einklang mit den Beurteilungsgrundsätzen des Bundespatentgerichts. Dort ist festgelegt, dass eine Regelbeurteilung vom 50. bis vollendetem 55. Lebensjahr nur auf Antrag erfolgt, ab dem 55. Lebensjahr wird eine Beurteilung nur nach auf Antrag im Bedarfsfall abgegeben (z.B. Bewerbung für ein Beförderungsamt oder wenn ein berechtigtes persönliches Interesse geltend gemacht wird). Für die im Jahr 1965 geborene Antragstellerin war daher keine Regelbeurteilung zu erstellen, sondern eine Anlassbeurteilung aus Anlass der Bewerbung um die streitgegenständliche Stelle. Die Anlassbeurteilung für den Zeitraum ... Januar 2017 bis … Mai 2019 (vom …10.2019) war zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung am ... Dezember 2022 nicht mehr hinreichend aktuell (§ 46 DRiG, § 22 Abs. 1 Satz 2 BBG). Der in den oben zitierten Beurteilungsgrundsätzen vorgesehene Regelbeurteilungszeitraum von drei Jahren war abgelaufen.
32
Für den Beigeladenen war eine Anlassbeurteilung einzuholen, da die für den Richter erstellte Anlassbeurteilung vom … Mai 2017 für den Zeitraum … Januar 2014 bis … Dezember 2016 nicht mehr hinreichend aktuell war. Entsprechend den Beurteilungsgrundsätzen war aus Anlass der Bewerbung des Beigeladenen um den streitgegenständlichen Dienstposten ebenso eine Anlassbeurteilung zu erstellen.
33
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn als zeitlicher Anknüpfungspunkt der Ablauf der zuvor erstellten Anlassbeurteilung für die Antragstellerin (Beurteilungszeitraum ...1.2017 bis …5.2019) gewählt wurde. Entsprechend ist auch der zeitlich korrelierende Anknüpfungspunkt für die Anlassbeurteilung des Beigeladenen sachgerecht. Das gilt auch für den Zeitraum der Anlassbeurteilungen, der sich über 27 Monate erstreckt und einen hinreichend langen Zeitraum für die Beurteilung der dienstlichen Leistungen umfasst.
34
bb) Die Anlassbeurteilungen für die Antragstellerin wie den Beigeladenen sind vergleichbar. Sie sind im selben Statusamt erstellt worden und sind zeitlich deckungsgleich (...6.2019 bis …9.2021).
35
cc) Die Anlassbeurteilung der Antragstellerin vom … August 2022 leidet nicht unter rechtlich relevanten Fehlern.
36
(1) Die dienstliche Beurteilung eines Beamten oder Richters ist ein von der Rechtsordnung dem Dienstherrn vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis. Nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den – ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden – zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung hat sich deshalb darauf zu beschränken, ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich bewegen kann, verkannt, ob er einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat. Hat der Dienstherr – wie hier – Richtlinien über die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler auf Grund des Gleichheitssatzes hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der anzulegenden Maßstäbe an diese Richtlinien gebunden. Das Gericht hat deshalb auch zu kontrollieren, ob die Richtlinien eingehalten sind, ob sie im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung verbleiben und ob sie auch sonst mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 2 A 7.08 – ZBR 2009, 196/197; BayVGH, B.v. 5.3.2012 – 6 ZB 11.2419 – juris Rn. 4; B.v. 3.6.2015 – 6 ZB 14.312 – juris Rn. 5; vgl. auch BayVGH, B.v. 2.9.2020 – 6 CE 20.1351 – juris Rn. 25; vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 13.8.2021 – M 5 E 21.1475 – juris Rn. 38).
37
(2) Es bestehen auch keine konkreten und objektiv feststellbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilerin gegenüber der Antragstellerin bei der Erstellung der Anlassbeurteilung vom … August 2022 voreingenommen und so weder Willens oder in der Lage wäre, die Richterin sachlich und gerecht zu beurteilen (BVerwG, B.v. 19.7.2018 – 1 WB 31.17 – NVwZ-RR 2019, 54, juris Rn. 31). Die Besorgnis der Befangenheit aus der subjektiven Sicht der Beurteilten genügt nicht, vielmehr muss die tatsächliche Voreingenommenheit eines Beurteilers aus der Sicht eines objektiven Dritten festgestellt werden (BVerwG, U.v. 23.4.1998 – 2 C 16.97 -BVerwGE 106, 318, juris Rn. 13).
38
Allein kritische Äußerungen bzw. das Eingehen auf Defizite bedingen keine Voreingenommenheit des Beurteilers (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 6 CE 15.2583 – juris Rn. 13). Vielmehr sind auch kritische Bewertungen in einer dienstlichen Beurteilung erforderlich, um den Zweck einer Beurteilung erfüllen zu können. Geht es hierbei um Defizite von persönlichen Eigenschaften, so sind auch entsprechend personenbezogene kritische Feststellungen nicht zu vermeiden. Es ist darauf hinzuweisen, dass nach den Beurteilungsgrundsätzen des Bundespatentgerichts unter Nr. 6 eine Beurteilung der „Persönlichkeit/Zusammenarbeit“ vorgegeben ist, die sowohl allgemein (Charakter, Wesen, Eigenschaften, besondere Befähigungen und Neigungen), wie auch zur Unterstützung des Vorsitzenden und der Kollegen, zum Integrationsvermögen, dem Verhalten im Kollegenkreis, gegenüber den übrigen Bediensteten, im Umgang mit den Verfahrensbeteiligten und mit Patentanwaltsbewerbern Stellung zu nehmen hat. Wenn die Beurteilerin insoweit kritische bzw. negative Passagen aus dem Beurteilungsbeitrag eines Senatsvorsitzenden insbesondere zu Nr. 6 „Persönlichkeit und Zusammenarbeit“ zum Teil übernommen hat, so kann daraus keine Voreingenommenheit abgeleitet werden. Vielmehr ist auch dieser negative Eindruck in die Gesamtwürdigung der dienstlichen Leistungen der Antragstellerin mit einzubeziehen, die auch durch ihr persönliches Verhalten mitbestimmt werden. Ansonsten würde die dienstliche Beurteilung wesentliche Bewertungsumstände nicht beachten.
39
(3) Die Anlassbeurteilung der Antragstellerin ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beurteilerin hat die beiden anderen Beurteilungsvoten, die keine negativen Eindrücke wiedergeben, mit dem Votum eines Vorsitzenden, der deutliche negative Erkenntnisse und Eindrücke angibt, in eine Gesamtbewertung zusammengeführt. Mit welchem Gewicht die Beurteilerin die einzelnen Beurteilungsbeiträge berücksichtigt, liegt innerhalb des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums (entsprechend § 114 Satz 1 VwGO). Es ist durchaus üblich, dass manche (Richter-)Persönlichkeiten in der engen Zusammenarbeit eines Spruchkörpers, in dem auch unterschiedliche Rechtsansichten aufeinandertreffen können, Probleme im Umgang miteinander entwickeln können. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass hinsichtlich des Punktes „Persönlichkeit/Zusammenarbeit“ unterschiedliche Eindrücke der verschiedenen Senatsvorsitzenden geschildert sind. Entsprechend ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Präsidentin zwei überdurchschnittliche Voten und ein hiervon abweichendes Votum eines Vorsitzenden zu der Gesamtnote „gut (untere Grenze)“ zusammengefügt hat. Das gilt auch mit Blick auf den Umstand, dass das ungünstigere Votum eines Vorsitzenden nur die Leistungen im Zeitraum ... Oktober 2019 bis … Dezember 2019 umfasst hat. Damit wird nach den Beurteilungsgrundsätzen „eine erheblich über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung“ gesehen, allerdings am unteren Rand dieses Leistungsbereichs. Die Bildung dieses Gesamtergebnisses liegt innerhalb des rechtlich zulässigen Bewertungsspielraums der Beurteilerin.
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(4) Der Senatsvorsitzende, der den kritischen Beurteilungsbeitrag verfasst hat, schildert im Kern eine von ihm auf Seiten der Antragstellerin zu gering ausgeprägte Kompromissbereitschaft. Es stellt einen wesentlichen Umstand im Rahmen der Zusammenarbeit innerhalb eines Spruchkörpers dar, dass beim Auftreten unterschiedlicher Ansichten zu rechtlichen Bewertungen wie auch der Vorgehensweise eine verbindende, sachlich tragbare Basis gefunden wird. Dazu müssen Kompromisse gefunden werden. Die fehlende Kompromissbereitschaft wird in folgenden Formulierungen seines Beurteilungsbeitrags deutlich: „Die Richterin verhielt sich anfangs umgänglich. Nachdem sie jedoch festgestellt hatte, dass sie ihre Vorstellungen nicht in dem gewünschten Maße umsetzen konnte, zeigte sie sich uneinsichtig und kaum bzw. nicht kompromissbereit“. – „Auch auf die hierbei verwendete Wortwahl legte sie großen Wert, zumal sie einen großen Anspruch auf größtmögliche Selbständigkeit und Respektierung ihrer richterlichen Position hat“. – „Frau X. ist eine sehr intelligente Persönlichkeit, die jedoch nur in sehr eingeschränktem Umfang bereit ist, die Rahmenbedingungen des Vorsitzenden zu akzeptieren“. Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass die vom Senatsvorsitzenden angegebenen Rahmenbedingungen sachlich nicht zutreffend gewesen seien, da bis zur Übernahme des Vorsitzes durch diesen Richter eine andere Vorgehensweise üblich gewesen sei. Denn maßgeblich für den negativen Eindruck hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden war der Umstand, dass die Antragstellerin sowohl bei der Anberaumung einer Sitzung (.....11.2019) mit relativ vielen Fällen wie auch dem Erlass von zahlreichen Beschlüssen zwischen Weihnachten und Silvester 2019, in denen die Antragstellerin als Vorsitzende fungierte, ohne Absprache hinsichtlich dieser Vorgehensweise gehandelt hat. Bereits das Unterzeichnen zahlreicher Beschlüsse zwischen Weihnachten und Neujahr – während des Urlaubs des Vorsitzenden – ist unüblich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass er zuvor angekündigt hat, es sollten ihm keine weiteren Beschlussentwürfe zugeleitet werden, da er angesichts seines bevorstehenden Urlaubs ab … Dezember 2019 diese nicht mehr bis zum Jahresende werde prüfen und unterzeichnen können (E-Mails vom … und …12.2019). Rechtlich mag diese Vorgehensweise der Antragstellerin nicht zu beanstanden sein. Allerdings unterstreicht dies die Einschätzung dieses Senatsvorsitzenden, dass die Richterin ihre Vorstellungen hinsichtlich der Vorgehensweise in der Bearbeitung durchsetzen wollte und nicht bereit war, Kompromisse einzugehen. Dabei geht es nicht um eine Einschränkung ihrer richterlichen Unabhängigkeit. Denn der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit – die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden Sach- und Verfahrensentscheidungen (BGH, U.v. 14.10.2013 – RiZ (R) 2/12 – NVwZ-RR 2014, 202, juris Rn. 16) – werden durch die Koordination der Entscheidungen im Spruchkörper nicht berührt. Vielmehr folgt diese organisatorische Abstimmung innerhalb des Spruchkörpers aus dem Umstand, dass mehrere Richter eine Entscheidung zu treffen haben. Eine solche Vorgehensweise, während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Vorsitzenden zwischen Weihnachten und Silvester, jedenfalls ohne dessen Information eine Vielzahl an Entscheidungen zu treffen, ist aber unüblich. Dass es sich um unaufschiebbare (Eil-)Entscheidungen handelte, deren Erlass zwingend geboten war, ist nicht ersichtlich. Wenn der Stellvertreter des Vorsitzenden für diesen als Vorsitzender in einer Vielzahl von Fällen vertretungsweise tätig wird, entspricht es sowohl der Stellung des Vorsitzenden eines Spruchkörpers wie auch dem Gebot der Kollegialität, über diese Vorgehensweise den Vorsitzenden vorab zu informieren. Das ist aber nicht erfolgt. Denn der Vorsitzende leitet den Spruchkörper, was eine Koordination der Sitzungen und der Entscheidungen mit umfasst, damit eine kontinuierliche Rechtsprechung des Senats sichergestellt werden kann (in diesem Sinn schon: BGH, B.v. 19.6.1962 – GSZ 1/61 – BGHZ 37, 210, juris Rn. 12, 18, 23 – „richtunggebender Einfluss“). Das Erfordernis der kollegialen Zusammenarbeit kann auch nicht dadurch relativiert werden, dass der Spruchkörper zum Jahresende 2019 aufgelöst wurde. Das gilt entsprechend für die Anberaumung der Sitzung am … November 2019. Auch wenn einige Fälle rechtlich schon intensiv vorbereitet waren, so hätte es der Kollegialität entsprochen, den Vorsitzenden hierüber zu informieren, aus welchen Gründen die Antragstellerin die Terminierung einer Senatssitzung unter ihrem Vorsitz mit einer über dem Durchschnitt liegenden Anzahl an Fällen für unproblematisch hielt. Auch das ist nicht erfolgt. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Senatsvorsitzende ein entsprechendes, von ihm als unkollegial und die Stellung des Vorsitzenden nicht beachtendes Verhalten negativ bewertet. Entsprechend ist es auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beurteilerin diese Umstände in die dienstliche Beurteilung einfließen ließ und in ihrer Gesamtbewertung als negativ eingewertet hat. Das liegt innerhalb des rechtlich nicht zu beanstandenden Beurteilungsspielraums der Beurteilerin.
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Das gilt auch für die von diesem Senatsvorsitzenden in Nr. 4 seines Beurteilungsbeitrags geschilderten sachlichen Mängel in den Entscheidungen der Antragstellerin. Die Antragstellerin stellt dem ein bloßes Bestreiten gegenüber, was die konkreten Feststellungen des Senatsvorsitzenden in dessen Votum nicht in Zweifel ziehen kann.
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ee) Auch der Leistungsvergleich ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass die Auswahlentscheidung auf den Vergleich der Anlassbeurteilung der Antragstellerin vom … August 2022 und der Anlassbeurteilung für den Beigeladenen vom … Juni 2022 gestützt wurde. Dabei ist ein Leistungsvorsprung beim Vergleich der Gesamturteile der Konkurrenten festzustellen. Der Beigeladene ist mit „gut“ beurteilt, die Antragstellerin mit „gut, untere Grenze“.
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5. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er insbesondere keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen hat (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 162 Rn. 41).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) – ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen. Das ergibt bei einer im Streit stehenden Stelle der Besoldungsgruppe R 3 einen Betrag von 26.759,25 EUR (BayVGH, B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – BayVBl 2018, 390 für die Besoldung nach Bundesrecht; hier: 107.037,00 EUR / 4).