Titel:
Langzeitausgang eines in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten
Normenkette:
BaySvVollzG Art. 54, Art. 57, Art. 58
Leitsatz:
Die Entscheidung, ob die Anstalt einem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten Langzeitausgang gewährt, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Einrichtung, wobei nicht zu beanstanden ist, wenn über die Gewährung von Lockerungen nicht sofort, sondern erst nach sorgfältiger Prüfung und gegebenenfalls Einholung eines Sachverständigengutachtens entschieden wird (Bestätigung durch BayObLG BeckRS 2024, 6704). (Rn. 15 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherungsverwahrung, Vollzugslockerung, Langzeitausgang, Ermessen, Sachverständiger
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 26.02.2024 – 203 StObWs 49/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6705
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.05.2023 in Verbindung mit dem Antrag vom 28.07.2023 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 1.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller befindet sich in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt ... – Einrichtung für Sicherungsverwahrung.
2
Mit Schreiben vom 22.05.2023, hier eingegangen am 22.05.2023, hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragt. Er beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller ein Probewohnen für sechs Monate in einer geeigneten Wohnform zu gewähren. Zu Begründung führte er aus, er habe einen Anspruch auf Vollzugslockerungen und die begehrte Beurlaubung. Er habe bereits einen Wohnheimplatz in H. in Aussicht und bedürfte nur noch der Erlaubnis der Einrichtung für Sicherungsverwahrung. Die Zusage des Wohnhauses ... vom 17.08.2022 wurde beigelegt und sei weiterhin gültig. Er habe bereits über 50 begleitete Ausgänge absolviert und der Sachverständige … habein seinem Gutachten vom 12.08.2022 festgestellt, dass weitere Lockerungserprobungen nicht erforderlich seien.
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Mit Schreiben vom 24.05.2023 ergänzte der Antragsteller seinen Antrag hinsichtlich der Rechtsgrundlage, auf die er sich berufe, nämlich auf Art. 48 Abs. 1 BaySvVollzG in Verbindung mit Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG. Das Resolzialisierungsgebot gebiete es, ihm den begehrten Langzeitausgang zu gewähren. Aufgrund der bisherigen Dauer des Freiheitsentzuges gebe es keinerlei Gründe, die einer positiven yerbescheidung entgegenstehen würden, so dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, seinem Begehren nachzukommen.
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Auf gerichtlichen Hinweis vom 24.05.2023 hinsichtlich weiteren notwendigen Sachvortrags bezüglich eines vorherigen Antrags an die Antragsgegnerin, beantragte der Antragsteller am 07.06.2023 das Verfahren ruhen zu lassen, bis über den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Langzeitausgang von der Antragsgegnerin entschieden worden ist.
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Am 28.07.2023 beantragte der Antragsteller, den Bescheid der JVA ... vom 14.07.2023 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller einen Langzeitausgang für sechs Monate zum Zwecke des Probewohnens im Wohnhaus ... in H. zu gewähren. Die Antragsgegnerin habe den Antrag auf Gewährung eines Langzeitausgangs am 14.07.2023 abgelehnt. In der Begründung des Bescheids ist ersichtlich, dass die Antragsgegnerin sich maßgeblich darauf stützt, dass der begehrte Langzeitausgang verfrüht sei. Es müssten zuvor acht unbegleitete Ausgänge beanstandungsfrei stattfinden, bevor über einen Langzeitausgang entschieden werden könne. Der Antragsteller teilte mit, dass zwischenzeitlich ein unbegleiteter Ausgang stattgefunden habe und beantragte, dem Verfahren Fortgang zu geben, nachdem alle acht unbegleiteten Ausgänge durchgeführt sein würden.
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Das Gericht teilte mit Verfügung vom 03.08.2023 mit, dass der am 28.07.2023 gestellte Antrag in einem gesonderten Verfahren geführt werde, da nunmehr ein neuer Antragsgegenstand vorliege. Zunächst habe ein Verbescheidungsantrag vorgelegen mit unmittelbarer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung des Probewohnens. Hierbei wies das Gericht darauf hin, dass aufgrund der Verbescheidung teilweise Erledigung eingetreten sein dürfte, und hinsichtlich des übrigen Teils berücksichtigt werden müsse, ob bereits Spruchreife hinsichtlich einer Verpflichtung durch die Kammer vorliegt. Bei dieser Entscheidung müsse sowohl das Lockerungsgutachten des Sachverständigen … und das Gutachten von … im Verfahren SR StVK 445/10 (2) berücksichtigt werden.
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Mit Schreiben vom 17.08.2023 teilte der Antragsteller mit, er habe seinen Antrag vom 28.07.2023 zum hiesigen Verfahren stellen wollen und kein neues Verfahren beantragt. Er regte an, die Verfahren miteinander zu verbinden. Er begehre weiterhin, die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller Langzeitausgang zu gewähren, nunmehr unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14.07.2023. Der Antragsteller werde am 26.08.2023 den vierten unbegleiteten Ausgang absolvieren, wobei weitere Termine im Wochenrhythmus geplant seien. Mit der Entscheidung solle bis zum Ende aller geplanten acht unbegleiteten Ausgänge zugewartet werden.
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Am 27.09.2023 teilte der Antragsteller mit, er habe inzwischen acht unbegleitete Ausgänge beanstandungsfrei absolviert.
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Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 06.10.2023 Stellung genommen. Sie teilte mit, auf einer Anstaltskonferenz am 28.04.2023 sei nach eingehender Beratung und unter eigener kritischer Würdigung des Lockerungsgutachtens, sei entschieden worden, dem Antragsteller Ausgänge zu gewähren und im Vorfeld eines Langzeitausgangs der zu erarbeitende Rückfallvermeidungs- und Kriseninterventionsplan auf dessen kriminalprognostische Wirksamkeit durch den Sachverständigen … zu überprüfen. Am 28.06.2023 sei die aufsichtsbehördliche Zustimmung zur Gewährung von Ausgängen gemäß Art. 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BaySvyollzG und zur Beauftragung eines Gutachtens nach beanstandungsfreiem Verlauf von mindestens acht Ausgängen erteilt worden. Seit 22.07.2023 habe der Antragsteller neun Ausgänge absolviert. Mit Schreiben vom 02.10.2023 sei Dr. … mit der Erstattung eines ergänzenden Gutachtens zur Frage der Eignung des Antragstellers für einen Langzeitausgang sowie zur kriminalprognostischen Wirksamkeit des erarbeiteten Rückfallvermeidungs- und Kriseninterventionsplans beauftragt worden. Aufgrund Art. 57 Abs. 1 Satz 1 BaySvVollzG sei die Gewährung des beantragten Langzeitausgangs besonders gründlich zu prüfen. Daher sei in Übereinstimmung mit der Soll-Vorschrift aus Art. 57 Abs. 1 Satz 2 BaySvVollzG ein Gutachten aus dortiger Sicht unabdingbar gewesen. Bei der Ermessensentscheidung des Art. 58 BaySvVollzG sei das Gutachten des Dr. … berücksichtigt worden. In diesem Gutachten sei neben der Anzahl (mindestens 8) auch ein Zeitraum (in vier Monaten) für die noch zu absolvierenden unbegleiteten Ausgänge festgelegt worden. Das Gutachten habe sich noch nicht mit der Gewährung von Langzeitausgängen beschäftigt, da in diese Prüfung die Erkenntnisse aus den unbegleiteten Ausgängen mit einbezogen werden müssen. Erst nach Vorliegen des Lockerungsgutachtens sei der Sachverhalt aus dortiger Sicht ausreichend ermittelt, so dass das in Art. 58 BaySvVollzG enthaltene Ermessen ausgeübt werden könne.
10
Der Antragsteller erhielt Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
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Er hat dies mit Schreiben vom 02.11.2023 getan. Die Bedenken der Antragsgegnerin stünden der Gewährung eines Langzeitausgangs nicht entgegen. Der Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin sei auf Null reduziert, da diese nicht vorgetragen habe, dass die negativen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG vorliegen würden. Es sei nicht zutreffend, dass ein weiteres Lockerungsgutachten erholt werden müsse, da das Gutachten des Sachverständigen … vom 13.04.2023 bereits zur Frage der Gewährung eines Langzeitausgangs zum Zwecke des Probewohnens bei beanstandungsfreiem Verlauf der unbegleiteten Ausgänge erstattet wurde. Dieser habe die Frage dahingehend beantwortet, dass bei beanstandungslosem Verlauf von acht unbegleiteten Ausgängen innerhalb von vier Monaten das Probewohnen in der Einrichtung Wohnhaus ... im H. als weitere Belastungserprobung zur Vorbereitung einer möglichen Entlassung als therapeutisch sinnvoll angesehen.
12
Die Antragsgegnerin nahm mit Schreiben vom 13.11.2023 Stellung und trug vor, dass in dem Gutachten von … lediglich enthalten sei, dass das Probewohnen therapeutisch sinnvoll sei, aber noch nicht festgestellt sei, dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen würden.
13
Die Stellungnahme der Antragsgegnerin wurde dem Antragsteller zugeleitet. Eine weitere Äußerung ist nicht eingegangen.
14
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen.
15
Es besteht kein Anspruch des Antragstellers auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung eines Langzeitausgangs.
16
Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag im Wesentlichen ausgeführt:
17
Mit Schreiben vom 02.10.2023 sei Dr. … mit der Erstattung eines ergänzenden Gutachtens zur Frage der Eignung des Antragstellers für einen Langzeitausgang sowie zur kriminalprognostischen Wirksamkeit des erarbeiteten Rückfallvermeidungs- und Kriseninterventionsplans beauftragt worden. Aufgrund Art. 57 Abs. 1 Satz 1 BaySvVollzG sei die Gewährung des beantragten Langzeitausgangs besonders gründlich zu prüfen. Daher sei in Übereinstimmung mit der Soll-Vorschrift aus Art. 57 Abs. 1 Satz 2 BaySvVollzG ein Gutachten aus dortiger Sicht unabdingbar gewesen. Bei der Ermessensentscheidung des Art. 58 BaySvVollzG sei das Gutachten des Dr. … berücksichtigt worden. In diesem Gutachten sei neben der Anzahl (mindestens 8) auch ein Zeitraum (in vier Monaten) für die noch zu absolvierenden unbegleiteten Ausgänge festgelegt worden. Das Gutachten habe sich noch nicht mit der Gewährung von Langzeitausgängen beschäftigt, da in diese Prüfung die Erkenntnisse aus den unbegleiteten Ausgängen mit einbezogen werden müssen. Erst nach Vorliegen des Lockerungsgutachtens sei der Sachverhalt aus dortiger Sicht ausreichend ermittelt, so dass das in Art. 58 BaySvVollzG enthaltene Ermessen ausgeübt werden könne.
18
Zudem trug sie vor, dass in dem Gutachten von Dr. … lediglich enthalten sei, dass das Probewohnen therapeutisch sinnvoll sei, aber noch nicht festgestellt sei, dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen würden.
19
Die Strafvollstreckungskammer hält diese Erwägungen für zutreffend und schließt sich ihnen an.
20
Ergänzend ist lediglich folgendes auszuführen:
21
Die Gestaltung des Verfahrens zur Prüfung von vollzugsöffnenden Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG, worunter Langzeitausgänge fallen, ist zum Teil gesetzlich geregelt und unterliegt zum anderen dem Gestaltupgsermessen der JVA. Dass im Übrigen über die Gewährung von Lockerungen nicht sofort sondern erst nach sorgfältiger Prüfung und gegebenenfalls Erholung eines Sachverständigengutachtens entschieden wird, ist angesichts der Gefährlichkeit der drohenden Taten nicht zu beanstanden (vgl. OLG Nürnberg vom 22.12.2015, 2 Ws 637/15). Überdies schreibt bereits Art. 57 Abs. 1 BaySvVollzG die gründliche Prüfung von Vollzugslockerungen als auch die Erholung eines Lockerungsgutachtens vor, so dass dies nicht zu beanstanden ist. Das bereits vorliegende Gutachten des Dr. … stellt auf Bl. 141 lediglich fest, dass es aus sachverständiger Sicht nach bepnstandungslosem Verlauf von acht unbegleiteten Ausgängen innerhalb von vier Monaten aus sachverständiger Sicht ein Probewohnen in der Einrichtung Wohnhaus ... in H. als weitere Belastungserprobung zur Vorbereitung einer möglichen Entlassung aus der Maßregel therapeutisch sinnvoll erscheint. Ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Langzeitausgangs vorliegen, stellt das Gutachten gerade noch nicht fest.
22
Insofern bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, in Ausübung ihres gesetzlich vorgesehenen Ermessens zur Frage der Gewährung von Langzeitausgang ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.
23
Es ist somit festzustellen, dass die Verfahrensgestaltung der JVA auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden ist.
24
Eine Ermessensreduzierung auf Null und eine Verpflichtung zur Entscheidung ohne Sachverständigengutachten liegt nicht vor.
25
Die ablehnende Entscheidung vom 14.07.2023 war daher rechtmäßig. Ein Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Langzeitausgang besteht nicht.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 StVollzG.
27
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 60, 52 Absatz 1 bis 3 GKG.