Inhalt

LG Landshut, Beschluss v. 09.04.2024 – 13 S 3298/23 e
Titel:

Intransparente Rechtswahlklausel in Flugbeförderungsvertrag

Normenkette:
Klausel-RL Art. 3
Leitsatz:
Die Formulierung in den AGB des Unternehmens "Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, (…)" ist für einen durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse unverständlich. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtswahl, Intransparenz, RL 93/13/EWG
Vorinstanz:
AG Erding, Endurteil vom 16.11.2023 – 102 C 6763/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6674

Tenor

1. Die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 16.11.2023, Aktenzeichen 102 C 6763/23, wird zurückgewiesen.
2. Die beklagte Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Erding ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30,14 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 08.11.2023, Aktenzeichen 102 C 6772/23, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer Bezug genommen. Richter am Landgericht Dr. …, der an dem Hinweisbeschluss nicht mitgewirkt hat, aber nunmehr zur Mitwirkung an der Entscheidung berufen ist, macht sich dessen Inhalt vollumfänglich zu eigen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
4
1. Das Landgericht Landshut ist international zuständig. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine ausschließliche Zuständigkeit des Vereinigten Königreichs gegeben. Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, § 29 ZPO. Der maßgebliche Erfüllungsort i.S.d. 269 Abs. 1 BGB für die von der Beklagten geschuldete Hin- und Rückbeförderung liegt – jedenfalls auch – am Abflugort, dem Flughafen München. Soweit die Beklagte meint, es liege eine gegenteilige Kommentierung im Münchener Kommentar zu § 29 ZPO vor, so verkennt sie, dass sich diese Kommentarstelle auf Ansprüche nach §§ 44 ff. LuftVG bezieht. Derartige Ansprüche sind nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.
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2. Soweit die Beklagte erneut Einwände gegen die Aktivlegitimation der Klagepartei vorbringt, handelt es sich um eine bloße Wiederholung ihres bisherigen Vortrags bzw. ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung. Weiter Anmerkungen sind dazu nicht veranlasst
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3. Die Kammer hält im Übrigen an ihrer Rechtsauffassung zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Rechtswahlklausel fest. Die betreffende Klausel in Ziff. 21.1 der Beförderungsbedingungen der Beklagten ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Satz 1, 5 Satz 1 der RL 93/13/EWG (Klausel-Richtlinie) unwirksam.
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Nach Art. 3 Satz 1 der Klausel-Richtlinie ist eine Rechtswahlklausel unwirksam, wenn sie treuwidrig zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte des Verbrauchers darstellt. Die Missbräuchlichkeit einer Rechtswahlklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich dabei aus einer Formulierung ergeben, die nicht dem in Art. 5 der Klausel-Richtlinie aufgestellten Erfordernis einer klaren und verständlichen Abfassung genügt (Transparenzgebot). Das Transparenzgebot ist im Hinblick auf das regelmäßig vorherrschende Informationsgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer weit auszulegen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 – C-191/15). Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen deshalb so gestaltet sein, dass der Verbraucher klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition erhält. Dem durchschnittlichen Verbraucher muss zur Vermeidung einer Irreführung hinreichend deutlich werden, welches bindende Recht im Einzelnen die Rechtswahlabrede beeinflussen könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.1.2021 – 9 U 184/20).
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Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist die streitgegenständliche Klausel als intransparent, irreführend und daher als rechtsmissbräuchlich einzustufen.
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Zwar führt die Beklagtenpartei zutreffend an, dass die streitgegenständliche Rechtswahlklausel – anders als diejenige der oben zitierten Entscheidung des OLG Köln – einen ausdrücklichen Hinweis auf die Verordnung (EG) 261/2004 enthält. Dennoch bleibt der Anwendungsbereich der Ausnahme von der Anwendbarkeit des Rechts von England und Wales für den Verbraucher als Adressaten unklar. Denn für den durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse ist weder aus dem Wortlaut der Klausel noch aus dem gesamten Klauselwerk heraus ableitbar, welche Bestimmungen von der Rechtswahlabrede ausgenommen sind.
10
Die Formulierung unter Ziff. 21.1 Abs. 2, Hs. 1 „Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, (…)“ ist für einen durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse ohnehin unverständlich. Aber auch der sich anschließende Halbsatz „(…), insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) 261/2004 (zu den Begriffen, siehe den Abschnitt „Definitionen“).“ verschafft einem durchschnittlichen Verbraucher keine Klarheit darüber, von welchen Vorschriften nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Aufgrund der (bloß) beispielhaften Aufzählung diverser Bestimmungen bleibt für den durchschnittlichen Leser offen, welche nationalen oder internationalen Rechtsvorschriften im Einzelnen gemeint sein könnten. Durch die unklaren Formulierungen kann der rechtsunkundige Verbraucher über die tatsächliche Rechtslage getäuscht werden.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, § 543 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 ZPO. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gebieten die Zulassung der Revision. Der zur Beurteilung der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel zur Anwendung gebrachte Maßstab ist höchstrichterlich geklärt. Die Beurteilung, ob die hier verwendete Rechtswahlklausel diesem Maßstab genügt, stellt eine Einzelfallentscheidung dar und bedarf keiner (erneuten) höchstrichterlichen Klärung.
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Wie bereits durch Hinweis der Kammer vom 19.02.2024 erläutert, hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 1.8.2023 – X ZR 118/22 die Ausführungen und Bezugnahmen des Landgerichts Memmingen zur Unwirksamkeit der dort verwendeten Rechtswahlklausel gebilligt. Das Landgericht Memmingen hat sich maßgeblich auf die oben zitierte Entscheidung OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20 gestützt. Die dort aufgestellten Grundsätze zur Missbräuchlichkeit von Rechtswahlklauseln wurden auf den hiesigen Einzelfall angewandt.
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Soweit die Beklagtenpartei Entscheidungen diverser Amtsgerichte zitiert, die im Einzelfall eine Rechtswahlklausel als zulässig erachtet haben, so erübrigt sich einer Auseinandersetzung mit diesen bereits deshalb, weil nach dem eigenen Vortrag der Beklagtenpartei keine vollständige Wortgleichheit mit der hier verwendeten Rechtswahlklausel bestand. Mit den entscheidenden Formulierungen des 2. Absatz der hier verwendeten Rechtswahlklausel beschäftigen sich diese Entscheidungen auch ersichtlich nicht.
II.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
16
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.