Inhalt

OLG München, Endurteil v. 21.03.2024 – 8 U 4789/22
Titel:

Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz beim Einbau eines Thermofensters (hier: Audi A6 Avant)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; BeckRS 2024, 5589; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; BeckRS 2024, 5526; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Darlegung und Nachweis von Anhaltspunkten für eine Prüfstanderkennungssoftware oder eine sonst unzulässige Abschalteinrichtung müssen grundsätzlich konkret motorbezogen sein; ein entsprechender Generalverdacht gegen eine ganze Motorenklasse besteht grundsätzlich nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Thermofenster, das im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist auch dann nicht mit einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik gleichzusetzen, wenn die AGR nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 33°C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Differenzschaden iHv 5% des Kaufpreises kann zugrundegelegt werden, wenn - bei bei Vertragsschluss bereits aufgespieltem Software-Update - das Risiko behördlicher Auflagen zwar nicht völlig ausgeschlossen werden konnte, aber eine unmittelbare Stilllegung durch das KBA, zumal nach von diesem genehmigten Update, nicht zu erwarten war (Grad der Fahrlässigkeit der Herstellerin im untersten Bereich). (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
5. Für ein bereits vor Fahrzeugerwerb aufgespieltes Software-Update ist im Rahmen des Vorteilsausgleichs nichts mehr anzusetzen. (Rn. 82) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 Liter TDI-Motor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Aufheizstrategie, Restreichweitenregelung, Differenzschaden, Grad der Fahrlässigkeit im untersten Bereich, Software-Update
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.07.2022 – 44 O 2750/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6664

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.07.2022, Az. 44 O 2750/21, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.922,50 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.10.2021 zu zahlen.
b. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Seiten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Nach den landgerichtlichen Feststellungen erwarb die Klagepartei am 14.06.2019 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Audi A6 Avant, EU6, Laufleistung: 19.740 km, für 38.450,00 €. In ihm ist ein 3,0 Liter TDI-Motor verbaut. Das KBA erließ für das Fahrzeug einen Zwangsrückrufbescheid (Anl. K3) zur „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Danach werde durch Erfassung und Auswertung verschiedener physikalischer Größen eine Aufheizstrategie (Strategie A) im Emissionskontrollsystem betrieben oder abgeschaltet. Werde diese abgeschaltet, verschlechtere sich das Stickoxidemissionsverhalten.
2
Die Klagepartei, die sich auf den Verbau einer illegalen Abschalteinrichtung beruft, behauptet, Messungen der DUH hätten ergeben, dass die Werte im Straßentest weit über denen der EG-Richtlinien lägen. Der zulässige Grenzwert werde nur im Rollenprüfstandverfahren eingehalten. Die Vorstände der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Weiter verfüge das Fahrzeug über ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung.
3
Die Beklagte hat den Einsatz einer unzulässigen prüfstandabhängigen Abschalteinrichtung bestritten. Der vom KBA beanstandete Bestandteil der Software verändere nur in besonderen, ausnahmsweise eintretenden Fahrsituationen die Arbeitsweise des emissionsreduzierenden SCR-Katalysators. Das angebotene Software-Update betreffe die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreiche. Außerdem sei die beanstandete Bedatung zum Zeitpunkt des Kaufs am 14.06.2019 im Fahrzeug nicht mehr vorhanden gewesen.
4
Das Landgericht hat die Beklagte, bei Klageabweisung im Übrigen, dazu verurteilt, an die Klagepartei 32.627,90 € (anstatt beantragter 34.390,78 €) nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 29.10.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Audi A6 Avant mit der Fahrgestellnummer …74. Die Beklagte hafte gemäß §§ 826, 31 BGB. Unstreitig gebe es für das Fahrzeug, wie bei Abstellen auf einen Audi A6 mit 240 kW, EU6, MBK CVU ausgeführt, einen verpflichtenden Rückruf. Die Klagepartei habe dargelegt, dass das KBA u.a. die sog. Aufheizstrategie beanstandet habe, deren Funktionsweise sich aus dem Schreiben des KBA (Anl. K3) ergebe. Die Beklagte sei dem nicht substantiiert entgegengetreten und habe eingeräumt, dass sie auf Anordnung des KBA eine Aktualisierung der Motorsoftware mit einer Aufweitung der Bedatung vornehme. Sie habe damit sittenwidrig gehandelt, wobei die Arglist des Vorgehens bereits aufgrund der Machart der monierten Abschalteinrichtung indiziert werde. Der Vortrag der Klagepartei zur Kenntnis der Verantwortlichen bei der Beklagten und zur Entscheidung über den Einsatz besagter Technologie gelte gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Funktionsweise der Software deren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordneten oder nicht unterbänden, würden diesen auch billigen, wobei sie sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst seien. Letztlich sei schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Klagepartei den Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Abschalteinrichtung und die davon ausgehende Gefahr einer Betriebsuntersagung gewusst hätte. Weiter hat das Landgericht eine Nutzungsentschädigung, ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km, bei linearer Berechnung in Höhe von 5.822,10 € bei der von ihm ausgesprochenen Verurteilung berücksichtigt und Zinsen seit Rechtshängigkeit zugesprochen.
5
Bezüglich der näheren Einzelheiten wird im Übrigen auf den Inhalt des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
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Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2024 ergänzend festgestellt, dass die aktuelle Laufleistung des Fahrzeugs unstreitig 65.503 km beträgt.
B.
7
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die erfolgte Verurteilung und verfolgt ihren Klageabweisungsantrag erster Instanz weiter.
8
Sie rügt, das Landgericht habe auf einen nicht einschlägigen Rückrufbescheid abgestellt. Sie habe klar bestritten, dass der Pkw über die bei anderen Fahrzeugen eingesetzten Bedatungen, die als Strategien A bis D bezeichnet würden, verfüge und umfassend den tatsächlichen Hintergrund des Rückrufs dargestellt. Zudem habe die Klagepartei das Fahrzeug ohnehin erst mit dem diesbezüglichen Software-Update erworben. Ihrerseits habe im maßgeblichen Erwerbszeitpunkt kein sittenwidriges Verhalten vorgelegen. Überhaupt weise der Sachverhalt kein sittenwidriges Gepräge auf. Ein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe deshalb nicht. Auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sei nicht gegeben, dies auch nicht bezüglich des Thermofensters. Die Klageumstellung hierauf sei bereits unzulässig. Insoweit fehle es zudem u.a. an einem kausalen Schaden mangels Stilllegungsrisikos und an ihrem Verschulden wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums. Jedenfalls entfiele ein unterstellter Differenzschaden vollständig durch die vorzunehmende Vorteilsanrechnung.
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Die Klagepartei hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
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Hilfsweise hat sie beantragt, das landgerichtliche Urteil insoweit aufrechtzuerhalten, als dass die Beklagte gemäß Schriftsatz vom 09.02.2024 verurteilt wird. Dort hatte sie nach Hinweis mit Beschluss vom 12.12.2023, dass die Berufung erfolgreich sein dürfte, die Beklagte aber nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV im Hinblick auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens haften könnte, hilfsweise beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.767,50 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Die Beklagte hätte genauer erläutern müssen aus welchen Gründen hier die sog. Aufheizstrategie nicht verbaut sei. Nicht jeder Rückrufbescheid weise einen Motorkennbuchstaben aus. Im Übrigen sei hier schon allein der Einsatz des unstreitig implementierten Thermofensters als sittenwidrig einzustufen. Zudem habe sie auch einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den einschlägigen europarechtlichen Normen und lasse das Software-Update ihren Schaden nicht entfallen. Weiter hat sie dargelegt, dass und weshalb bezogen auf die Nutzungsentschädigung und den Restwert des Fahrzeugs keine Vorteilsausgleichung vorzunehmen sei.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den Hinweisbeschluss des Senats vom 12.12.2023 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2024 Bezug genommen.
C.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten erweist sich als überwiegend erfolgreich.
13
I. Ein Anspruch der Klagepartei auf den sog. großen Schadensersatz besteht nämlich nicht. Insoweit wird auf die Hinweise des Senats vom 12.12.2023 verwiesen und diese zusammenfassend wiederholend ausgeführt:
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1. Die Beklagte haftet nicht nach §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB.
15
1.1. Eine entsprechende Haftung kommt nur in Betracht, wenn von der Klagepartei rechtzeitig hinreichender Vortrag sowie unstreitige oder nachgewiesene Anhaltspunkte vorgebracht wurden, die den Schluss nahelegen, dass im Motor ihres Fahrzeugs von der Beklagten entweder eine „Prüfstanderkennungssoftware“ verbaut wurde, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hat, wie sie z.B. dem BGH-Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, VW-Motor EA 189) zugrunde lag, oder eine andere verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtung, wie etwa ein sog. Thermofenster, verbaut worden ist, und zugleich Anhaltspunkte für besondere Umstände i.S.d. Rspr. des BGH vorliegen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, Endbeschluss vom 08.04.2021, Gz. 8 U 4122/20, NZB BGH Az. VII ZR 453/21 zurückgenommen).
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1.2. Das Landgericht stützt die Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB auf den Verbau der sog. Aufheizstrategie, den es unzutreffend festgestellt hat. Tatsächlich fehlen hierfür oder das Implementieren sonstiger, eine entsprechende Haftung rechtfertigende Funktionalitäten bereits zureichende Anhaltspunkte.
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a. Nach § 314 ZPO erbringt der Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Beweis für das mündliche Parteivorbringen in erster Instanz. Gleichwohl ist das Berufungsgericht nicht an die dortigen Feststellungen gebunden, wenn der Tatbestand – wie hier – bereits in sich widersprüchlich ist. Danach soll das klägerische Fahrzeug unstreitig von einem verbindlichen Rückruf wegen einer in ihm verbauten Aufheizstrategie (Strategie A) betroffen gewesen sein. Nachfolgend wird dann jedoch ausgeführt, die Beklagte habe vorgetragen, dass das KBA die Arbeitsweise des SCR-Katalysators beanstandet habe, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreiche. Dementsprechend legt das Landgericht dann auch dar, bezogen auf welchen Rückruf ausweislich der KBA-Rückrufdatenbank in Zusammenschau mit Anl. K3 es vom ersichtlich nicht unstreitigen Vorhandensein der sog. Aufheizstrategie ausgeht.
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Die Berufung hat zudem – wie zutreffend – ausgeführt, sie habe klar in Abrede gestellt, dass das Fahrzeug über die bei anderen Fahrzeugen eingesetzten Bedatungen, die als Strategien A bis D bezeichnet würden, verfüge (vgl. Klageerwiderung, S. 12) und auch umfassend den Hintergrund des Rückrufs dargestellt (vgl. Klageerwiderung, S. 9 ff.).
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b. War damit die Implementierung der sog. Aufheizstrategie nicht unstreitig, kann sich die Klagepartei auch nicht auf einen Rückruf wegen einer sog. Aufheizstrategie als Anhalt für den Verbau derselben oder den einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. dieser vergleichbar evident unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug stützen.
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Darlegung und Nachweis von Anhaltspunkten für eine Prüfstanderkennungssoftware oder eine sonst unzulässige Abschalteinrichtung müssen nach ständiger Rspr. des Senats grundsätzlich konkret motorbezogen sein; ein entsprechender Generalverdacht gegen eine ganze Motorenklasse – hier alle 3-Liter-Motoren der Beklagten – besteht danach grundsätzlich nicht (Beschluss v, 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, WM 2019, 1937, NZB vom BGH mit Beschluss v. 15.09.2020, Gz. VI ZR 389/19, ohne weitere Begründung zurückgewiesen). Das ergibt sich schon daraus, dass auch das KBA nicht etwa alle 3-Liter Motoren der A4. AG pauschal wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beanstandet hat, sondern nur bestimmte mit konkreten Motorkennbuchstaben (vgl. „Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten“ des KBA Stand 13.01.2022 https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht2_p.pdf? blob=publicatio nFile& v=7). Zudem kommt es bei den hier inmitten stehenden Motorentypen auf weitere bestimmte Merkmale der einzelnen Fahrzeuge an, d.h. etwa die kW und den Produktionszeitraum. Eine offensichtliche Entwicklungsnähe für sich ist noch nicht geeignet, auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug eines Klägers zu schließen (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Juni 2022, VII ZR 442/21 zu Audi 3 l).
21
Die Berufung verweist insoweit darauf, sie habe dargetan, dass ein Audi A6 3.0 V6 TDI EU6 mit kW streitgegenständlich sei (vgl. Klageerwiderung, S. 9, vgl. auch Anl. K1). Auch sei aus den Kaufvertragsunterlagen (vgl. Anl. K1) klar ersichtlich, dass der Motorkennbuchstabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs CRTD laute. Das Landgericht habe demgemäß auf einen nicht einschlägigen Rückrufbescheid abgestellt, d.h. einen solchen betreffend einen Audi A6 3.0 V6 TDI EU6 mit den Motorkennbuchstaben CVU und 240 kW. Dem ist die Klagepartei in der Berufungserwiderung bereits nicht entgegengetreten. Soweit sie meint, die Beklagte hätte dies noch genauer erläutern müssen, verkennt sie im Übrigen, dass zunächst sie hinreichende Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer von ihr behaupteten Funktionalität aufzuzeigen hat.
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c. Zwar ist als Hinweis darauf nicht zwingend ein Rückruf des KBA erforderlich (BGH, Beschluss vom 28.01.2020; VIII ZR 57/19). Fehlt es aber an einem solchen Rückruf müssen entsprechende Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden, was hier nicht geschehen ist.
23
Dem Urteil sind nur Ausführungen der Klagepartei zu Messungen der DUH zu entnehmen. Diese sind aber kein Anhalt dafür, dass im Motor des klägerischen Fahrzeugs eine Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik oder eine sonstige evident unzulässige Abschalteinrichtung, d. h. insbesondere eine Aufheizstrategie implementiert ist bzw. war. So wären diese grundsätzlich auch mit anderen monierten Funktionalitäten erklärbar, wie etwa dem Thermofenster oder der Restreichweitenfunktion.
24
Die Ermittlungsverfahren und die Anklageerhebung gegen Vorstandsmitglieder der Beklagten mögen zwar Hinweis auf deren Kenntnis von Manipulationen sein, besagen aber nicht, dass und inwieweit das klägerische Fahrzeug hiervon betroffen wäre.
25
Ein Thermofenster bzw. eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist im Übrigen nicht mit einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Dies ist auch dann noch der Fall, wenn die AGR nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 33°C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, und selbst dann noch, wenn nur unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) die Rate der AGR im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht (BGH, Beschluss v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20). Dass an Parameter angeknüpft wird, die regelmäßig, aber nicht ausschließlich auf dem Prüfstand vorkommen, genügt demnach für das Vorliegen einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik nicht.
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Auch bei der Restreichweitenfunktion handelt es sich nicht um eine evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und von vornherein durch Arglist geprägte Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik. Besagte Funktion unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Die verminderte Stickoxidreduktion im Rahmen der Abgasnachbehandlung wird erst bei einer Reagens-Restreichweite von 2.400 km ausgelöst (vgl. u.a. auch OLG München, Urteil vom 18. Oktober 2021 – 21 U 2504/21 –, Rn. 85, juris).
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1.3. Bezüglich sonst beanstandeter Funktionalitäten, wie hier das Thermofenster, bedarf die Annahme von Sittenwidrigkeit zusätzlicher Umstände.
28
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Motortyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einem Thermofenster ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt hier jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Leitsatz BGH, Urt. v. 16.09.2021 – VII ZR 190/20, ebenfalls zum Motor OM651). Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen hierfür noch keine Anhaltspunkte. Wenn dabei – nötige – Angaben zu Einzelheiten des Thermofensters unterlassen worden wären, wäre die Typgenehmigungsbehörde gemäß § 24 I S.1 und 2 VwVfG nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen. Hinweise auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß ergeben sich damit daraus nicht (BGH, Urt. vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rz 26 ff.).
29
Zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen des erforderlichen Unrechtsbewusstseins seitens der Beklagten sind danach auch der Berufungserwiderung nicht zu entnehmen. So hat der BGH auf einen Bericht der vom BMVI eingesetzten Untersuchungskommission V. verwiesen, nach dem Thermofenster von allen Autoherstellern eingesetzt und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet würden; insoweit sei ein Verstoß betreffend die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 II S.2 a VO (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig. Eine u.U. nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genüge aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (BGH, Urt. v. 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rz 31 ff.).
30
Dass insoweit nach zwischenzeitlich ergangener Rspr., insbesondere der des EuGH, etwas anderes geltend mag, ändert vorliegend nichts. Denn für die Vertretbarkeit der Gesetzesauslegung kommt es auf die Umstände zur Zeit des Inverkehrbringens des Fahrzeugs an (so OLG Koblenz, Entscheidung vom 28.12.2020 – 12 U 318/20, nicht beanstandet im Hinweisbeschluss des BGH vom 13. Oktober 2021, Gz: VII ZR 50/21, dort Rz. 7). Von einer klaren Rechtslage kann bezogen darauf aber aus dargelegten Gründen nicht ausgegangen werden.
31
1.4. Letztlich scheidet ein Anspruch der Klagepartei auf den großen Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB hier auch deshalb aus, weil eine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Fahrzeugs, dessen Motorsteuerungssoftware eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten hat, nur in Betracht kommt, wenn die unzulässige – mit einer Täuschung des KBA verbundene – Abschalteinrichtung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages noch vorhanden war (vgl. u.a. OLG Dresden Urt. v. 25.8.2022 – 18a U 2524/21, BeckRS 2022, 23364). Für welche Abschalteinrichtung dies – mit Ausnahme des unstreitig verbauten Thermofensters – gelten soll, ist dem klägerischen Vortrag indessen nicht zu entnehmen. Die Beklagte hat vielmehr erstinstanzlich und in der Berufungsbegründung unwidersprochen ausgeführt, dass die vom KBA beanstandete Bedatung der Motorsteuerungssoftware zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 14.06.2019 im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht mehr vorhanden war. Ein Vertrauen auf das Nichtvorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Erwerb des Fahrzeugs konnte damit insoweit nicht enttäuscht worden sein. Wenn die Klagepartei meint, ein von der Beklagten im Diesel-Abgasskandal angebotenes und aufgespieltes Software-Update könne den Schaden der Klagepartei nicht beheben, betrifft dies die Fälle, in denen das Update nach Erwerb des Fahrzeugs aufgespielt worden ist.
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2. Die Beklagte haftet auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB mangels arglistiger Täuschung und wegen fehlender Stoffgleichheit.
33
3. Nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV steht der Klagepartei gleichfalls kein Anspruch auf Rückabwicklung des mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags zu.
34
II. Nach dem deshalb zur Entscheidung stehenden Hilfsantrag, steht der Klagepartei aber ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i.H.v. 1.922,50 € nebst den geltend gemachten Zinsen ab 29.10.2021 zu, da sie durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund des Verstoßes der Beklagten gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat.
35
1. Die nun erfolgte hilfsweise Geltendmachung eines Differenzschadensersatzes war möglich.
36
Die Umstellung der Klageforderung von – erstinstanzlich zugesprochenem – „großem“ Schadensersatz auf Differenzschadensersatz ist unabhängig davon zulässig, dass die Klagepartei nicht (Anschluss-)Berufung eingelegt hat und die Beklagte der Umstellung nicht zustimmt (vgl. KG, Urt. v. 01.11.2023 – 23 U 35/21).
37
Die von ihr zitierte Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.09.2023 – VIa ZR 83/23) steht dem nicht entgegen. Dort hat die Klagepartei in erster Instanz im Rahmen des sog. „großen“ Schadensersatzes Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangt, den Zug-um-Zug-Vorbehalt dann aber in zweiter Instanz fallen gelassen. Da sie damit ihr Begehren über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus zu ihren Gunsten erweitert hat, hat der BGH hierfür zumindest eine fristgemäße Anschlussberufung für erforderlich erachtet. Dabei hat er ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Berufungsgericht zwar zu Recht einen Anspruch der Klagepartei auf den sog. „großen Schadensersatz“ verneint, aber unberücksichtigt gelassen hat, dass ihr ein Anspruch auf Ersatz des erlittenen Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen könnte. Der Klagepartei sei daher nach erfolgter Zurückverweisung Gelegenheit zu geben, zur Berechnung des Differenzschadens näher vorzutragen. Auch der BGH fordert danach für die Geltendmachung des Differenzschadens ersichtlich nicht die Einlegung einer (Anschluss-)Berufung, zumal die mögliche Geltendmachung eines Differenzschadens weder dort noch hier zum Zeitpunkt der möglichen Einlegung eines entsprechenden Rechtsmittels erkennbar war.
38
2. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße i.S.d. Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064).
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3. Die Beklagte hat in Bezug auf das unstreitig vorhandene Thermofenster eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt.
40
Unzutreffend ist diese, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann dessen tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung kommt es nicht an. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweist hingegen nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 34; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 26 f.).
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Das im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierte Thermofenster stellt eine (nach wie vor) unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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3.1. Es handelt sich insoweit um eine Abschalteinrichtung.
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Nach Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
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Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ergibt, ist dabei nicht nur auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen des NEFZ abzustellen, der im Labor durchgeführt wird, lediglich einen Ausschnitt aus einem durchschnittlichen Fahrverhalten nachbildet und nicht auf realen Betriebsbedingungen beruht. Der Begriff „normaler Fahrbetrieb“ verweist vielmehr auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris zum früheren Zulassungstest NEDC). Grundsätzlich trifft dabei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung die Klagepartei als Anspruchstellerin (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 53).
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Die Klagepartei hat insoweit vorgetragen, dass die Abgasrückführung mindestens bei Außentemperaturen ab +17°C zurückgefahren werde und sich mit fallender Temperatur immer mehr verringere. Dass ein Thermofenster vorhanden ist, hat die Beklagte dabei nicht in Abrede gestellt. Zuletzt hat sie vorgetragen, bei Erwerb des Fahrzeugs habe der Bereich, in dem die AGR tatsächlich aktiv sei zwischen ca. -10°C und ca. +39°C gelegen. Innerhalb dieses Bereichs habe zwischen ca. +5°C und ca.+38°C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR-Rate durch das Thermofenster stattgefunden. Selbst Außentemperaturen von +5°C stellen aber im Unionsgebiet durchaus übliche Fahrbedingungen dar, die zumindest in Mitteleuropa regelmäßig auftreten. Es handelt sich dabei nicht um Extrembedingungen. Auf die Jahresdurchschnittstemperatur im gesamten Unionsgebiet kommt es insoweit nicht an, da sich die normalen Fahrbedingungen nicht im Wege einer Mittelung der Temperaturen zwischen Nord- und Südeuropa abbilden lassen. Auch ein Thermofenster, dass die Abgasrückführung bei einer Temperatur von +5°C verringert, beeinträchtigt mithin die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist also eine Abschalteinrichtung.
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3.2. Es liegt bezüglich des Thermofensters auch eine unzulässige Abschalteinrichtung vor.
47
Nach Art. 5 Abs. 2 S.1 der VO (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Dies gilt nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007 ausnahmsweise dann nicht, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
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Diese Bestimmung ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 50). Danach geht es um den Schutz vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden. Die bloße Verschmutzung oder der Verschleiß des Motors, da im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent, können nicht unter die Begriffe „Beschädigung“ und „Unfall“ subsumiert werden (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2021, 1216, juris Rdnr. 109 f.; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 53 f.). Hinzu kommt, dass die Abschalteinrichtung zum Motorschutz und zur Gewährleistung des sicheren Betriebs nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich sein muss. Eine Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung keine andere technische Lösung die vorgenannten unmittelbaren Risiken abwenden kann (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 69). Der Beklagten als Anspruchsgegnerin obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die festgestellte Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig ist. Dieser genügt sie mit dem pauschalen Vorbringen, im Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, nicht (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 54). Ihre Begründung hierfür muss vielmehr so gestaltet sein, dass es dem Gericht möglich ist, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift vorliegen.
49
Der Verweis darauf, dass Thermofenster im Produktionszeitraum gängiger Industriestandard gewesen bzw. in sämtlichen in den letzten Jahren in der EU produzierten Dieselfahrzeugen vorhanden gewesen seien, ist danach unzureichend. Die vorgeschriebene Notwendigkeit der Abschalteinrichtung geht über den Maßstab des Stands der Technik hinaus. Soweit die Beklagte weiter ausführt, für den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs hätten bei Erteilung der Typgenehmigung ohne die von ihr beschriebene temperaturabhängige Regelung der Abgasrückführung die Risiken plötzlicher und außergewöhnlicher Motorschäden sowie eines nicht sicheren Fahrzeugbetriebs bestanden, die jeweils nicht durch Wartungen verhindert werden hätten können, ist auch das schon deshalb nicht zielführend, weil die ursprüngliche Bedatung des Thermofensters nicht offen gelegt wurde. Zudem würde für den Fall, dass die gemachte Aussage für die Auslegung des nach erfolgtem Update aufgeweiteten Thermofensters zutreffen sollte, dies noch nicht bedeuten, dass dies auch bei dessen Implementierung noch der Fall war. Bekanntermaßen hat etwa die VW-AG betreffend den Motor EA288 schon früh ein wesentlich weiteres Thermofenster zum Einsatz gebracht. Dem Vortrag der Beklagten ist damit nicht zu entnehmen, dass nicht durchgängig eine unzulässige Abschalteinrichtung und demgemäß unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung in Bezug auf das Thermofenster im streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegen würde. Dass das KBA seinerzeit, d.h. am 12.11.2018, das Software-Update freigegeben, also das geänderte Thermofenster offenkundig für zulässig hielt, belegt Gegenteiliges nicht. Im Übrigen fehlen schon Ausführungen zu fehlenden technischen Alternativen zum Einsatz von Thermofenstern bezogen auf den Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens und auch bezogen auf den des Updates.
50
Danach ist schon dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen, dass hier der Ausnahmetatbestand erfüllt wäre, weshalb es insoweit auch keiner Beweisaufnahme hierüber bedarf.
51
4. Die Erteilung der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ist zumindest fahrlässig und damit schuldhaft erfolgt. Die mit dem Schutzgesetzverstoß einhergehende Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt und einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht dargelegt. Auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich nicht berufen.
52
4.1. Für eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes ist auch für die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB maßgebend. § 37 Abs. 1 EG-FGV sanktioniert sowohl den vorsätzlichen als auch den fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 38; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 30). Das Verschulden des Fahrzeugherstellers wird dabei innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet.
53
4.2. Der Fahrzeughersteller muss dementsprechend Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs durch die Klagepartei ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen.
54
Verweist der Fahrzeughersteller weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf einen externen qualifizierten Rechtsrat, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkrete Abschalteinrichtung eine nicht in seinem Sinne geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Gleiches gilt, wenn er sich erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, er also schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste.
55
Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den Angaben des KBA rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 70).
56
Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er den Verbotsirrtum als solchen wie auch dessen Unvermeidbarkeit darlegen und erforderlichenfalls beweisen (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 59, 63). Das setzt zunächst die Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums voraus. Er muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten.
57
Den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines konkret dargelegten und im Falle des Bestreitens des Geschädigten nachgewiesenen Verbotsirrtums kann der Fahrzeughersteller unabhängig davon mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung zudem nur führen, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 64). Eine Entlastung auf der Grundlage einer hypothetischen Genehmigung setzt, ebenfalls unabhängig davon, voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt.
58
4.3. Vorliegend fehlt es bereits an einer konkreten und vollständigen Darlegung der Funktionsweise des ursprünglich verbauten Thermofensters durch die Beklagte. Welche Kenntnis zu diesem sie dem KBA im Zuge der Erlangung der EG-Typgenehmigung vermittelt hat, hat die Beklagte nicht ausgeführt.
59
Sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, vorzutragen, dass es der allgemeinen Auffassung in der Automobilindustrie und der Verwaltungspraxis der Genehmigungs- und Kontrollbehörden entsprochen habe, dass die verwendeten Thermofenster, die dem Motorschutz dienen, zulässig waren. Dieser Auffassung sei auch sie gewesen. Dass sie selbst eine eigene und, so erfolgt, welche interne oder externe Prüfung vorgenommen hätte, legt die Beklagte dabei nicht dar. Sie hat nicht ausgeführt, dass und wie sie ihre innerbetrieblichen Abläufe organisiert hat, um zu verhindern, dass unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigungen in den Verkehr gelangen, wie etwa eine Anweisung an die für die technische Entwicklung zuständigen Personen, kritische Punkte an die Rechtsabteilung weiterzuleiten, bei Vorgabe, dass erst nach positiver rechtlicher Bewertung eine Weiterentwicklung und der Einsatz der Technik erfolgen dürfe. Zudem hat sie schon nicht dargetan, dass sich sämtliche ihrer Repräsentanten überhaupt in einem Rechtsirrtum befunden haben, was aber Voraussetzung für einen Verbotsirrtum wäre. Auch der erforderliche Beweisantritt ist unterblieben.
60
Eine zu vermutende jedenfalls vorliegende Fahrlässigkeit hat die Beklagte damit nicht widerlegt. Auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum und eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich aus dargelegten Gründen nicht berufen.
61
5. Die Klagepartei hätte zur Überzeugung des Senats das Fahrzeug nicht, wie erfolgt, erworben, wenn sie von der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung Kenntnis gehabt hätte.
62
Der Käufer eines zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassenen oder zulassungsfähigen Fahrzeugs wird regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, d.h. nach § 6 Abs. 3 S. 1 FZV auch die Übereinstimmungsbescheinigung, vorliegen und dass wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV drohen. Er geht auch ohne Kenntnisnahme der Übereinstimmungsbescheinigung typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 56). Bereits aufgrund eines Erfahrungssatzes kann ausgeschlossen werden, dass ein Käufer ein Fahrzeug, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, zu dem vereinbarten Kaufpreis erwirbt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 49, zum sog. großen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 21, zum sog. kleinen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 55, zum Differenzschadensersatz).
63
Die Klagepartei hat auch ausgeführt, dass niemand, d.h. auch nicht sie, das Fahrzeug in Kenntnis einer nicht bestehenden Genehmigung und Genehmigungsfähigkeit käuflich erworben hätte. Darauf, ob sie vor Vertragsschluss den Inhalt der Übereinstimmungserklärung gekannt hat, kommt es, wie ausgeführt, nicht an. Dazu und zu den näheren Gründen des Kaufs musste die Klagepartei demgemäß auch nicht vortragen. Für sie streitet vielmehr bereits ein Erfahrungssatz.
64
Soweit sich die Beklagte auf eine Verhaltensänderung ihrerseits vor Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei beruft, die einem Anspruch derselben entgegenstehen würde, vermengt sie teils schon die hierzu ergangene Rechtsprechung zum Vorliegen einer sittenwidrigen Schädigung mit der zum Differenzschaden.
65
Der BGH hat bezüglich des Differenzschadens ausgeführt, habe der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben habe, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, könne die Verhaltensänderung die Anwendung des für die Gewähr des Differenzschadens maßgeblichen Erfahrungssatzes in Frage stellen, dass der Geschädigte den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Anders als bei der Frage, ob das Verhalten des Fahrzeugherstellers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch sittenwidrig war, muss allerdings nicht der Käufer, sondern der Fahrzeughersteller zur Widerlegung des Erfahrungssatzes die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 533/21 unter IV.3).
66
Dass und inwieweit die Beklagte bekannt gegeben haben sollte, dass hier ein u.U. unzulässiges Thermofenster verbaut war und auch nach dem Software-Update immer noch ist, ist nicht ersichtlich. Ein objektiver Dritter musste vielmehr bei Abstellen auf die Darlegungen der Beklagten gerade davon ausgehen, dass entsprechend ihrer eigenen Sichtweise nach Aufspielen des Updates, wie hier, alles in Ordnung ist und keinerlei Betriebsbeschränkungen wegen noch vorhandener unzulässiger Abschalteinrichtungen drohen.
67
Zur Erschütterung besagten Erfahrungssatzes ist der Vortrag der Beklagten damit ungeeignet.
68
Der Senat ist vielmehr von der Kausalität der der Beklagten anzulastenden jedenfalls fahrlässigen Ausstellung einer anhaltend unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung und dem Erwerb des Fahrzeugs zum Preis von 38.450,00 € überzeugt. Für eine Parteivernehmung nach §§ 445, 448 ZPO ist daher schon deshalb kein Raum.
69
6. Mithin hat die Beklagte nach §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV der Klagepartei ihren Differenzschaden zu erstatten, der sich hier auf 1.922,50 € beläuft.
70
6.1. Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Der Schaden der Klagepartei liegt daher in dem Betrag, um den sie ihr Fahrzeug wegen der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Die mit dem Verbau einer solchen einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt dessen objektiven Wert im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition, d.h. bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liegt (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 41).
71
6.2. Bezüglich des Differenzschadens hat der BGH Vorgaben des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) für die Anwendung des nationalen Rechts in Bezug auf die Unter- und Obergrenze des nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu gewährenden Schadensersatzes gesehen, die das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzen. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind dabei u.a. die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände, das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls. Das Gericht hat nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden, wie hoch sich der Schaden, falls streitig, innerhalb des vorgegebenen Schätzrahmens beläuft. Dabei bleibt es den Parteien unbenommen, Anknüpfungstatsachen für die Bemessung vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 73 ff.).
72
Der Senat legt seiner Entscheidung einen Differenzschaden i.H.v. 5% des Kaufpreises zugrunde. Auch bei Vertragsschluss wies die Motorsteuerungssoftware noch ein zu eng bedatetes Thermofenster auf. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 47, 70) und vor dem Hintergrund der daran anschließenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 06.02.2023, VIa ZR 419/21, NJW-RR 2023, 802, juris Rdnr. 13), war dabei das Risiko behördlicher Auflagen nicht völlig ausgeschlossen, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung durch das KBA, zumal nach von diesem genehmigten Update, nicht zu erwarten war, d.h. dieses der Beklagten absehbar zunächst ermöglicht hätte, weiter nachzubessern. Der Pflichtenverstoß der Beklagten durch Implementierung des Thermofensters, dessen Unzulässigkeit sich – wie die bisherige Sachbehandlung des KBA dieses betreffend und vor allem die Genehmigung des Updates zeigt – keineswegs aufdrängen musste, als auch der Grad ihrer Fahrlässigkeit bewegen sich damit im untersten Bereich. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Ziele, die mit der VO (EG) Nr. 715/2007 erreicht werden sollen, nämlich die Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte (z. B. Grund 6 der VO (EG) Nr. 715/2007), da das Thermofenster schon eine wesentliche Aufweitung erfahren hat.
73
6.3. Nutzungsvorteil und Restwert sind vorliegend nicht vorteilsausgleichend zu berücksichtigen, weil sie in der Summe den Kaufpreis abzüglich des Differenzschadens nicht übersteigen.
74
Der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV unterliegt der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010, juris Rdnr. 12).
75
Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind jedoch erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Die Vorteilausgleichung kann der Gewährung eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB sogar gänzlich entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 22). Die gleichen Konditionen müssen für ein Software-Update gelten, das wie die Nutzungen und der Restwert ein dem Schadensfall zeitlich nachgelagerter Vorteil ist. Die Voraussetzungen für eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände hat der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29). Die Bemessung der Höhe der anzurechnenden Vorteile ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris NJW 2023, 3010, Rdnr. 12).
76
a. Der Nutzungsvorteil aus dem Gebrauch des Fahrzeugs beträgt 7.641,74 €.
77
Der Senat schätzt den Nutzungsvorteil gemäß § 287 ZPO grundsätzlich unter Zugrundelegung der linearen Formel „Kaufpreis multipliziert mit der seit Erwerb gefahrenen Strecke geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 24). Zudem legt er bei Bezugnahme auf die Ausführungen des OLG Naumburg (Urt. v. 9.4.2021 – 8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880 Rn. 35, beck-online) regelmäßig eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde. Bei Bezugnahme auf die zitierte Entscheidung des OLG Naumburg hatten etwa im Jahr 2019 Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland ein durchschnittliches Alter von 9,5 Jahren; die durchschnittliche Jahresfahrleistung für Dieselfahrzeuge betrug ca. 20.000 km. Bei der Schätzung der Gesamtlaufleistung von 250.000 km ist bereits ein erreichbares Fahrzeugalter von 12,5 Jahren berücksichtigt. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens ist insoweit entbehrlich. Der BGH hat Laufleistungen zwischen 200.000 km und 300.000 km für angemessen erachtet. Zudem bewegt sich der Senat mit seiner Bemessung innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung (vgl. Übersicht bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Rdnr. 3574). Die Ermittlung der Gesamtfahrleistung anhand einer bislang niedrigen jährlichen Fahrleistung im Wege der Hochrechnung – wie die Beklagte meint – erachtet der Senat dabei nicht als angebracht, da sich das Fahrverhalten jederzeit ändern kann und nicht ersichtlich ist, dass die prognostizierte Gesamtfahrleistung von 250.000 km angesichts des Alters des Fahrzeugs nicht mehr erreichbar wäre.
78
Ausgehend von den Parametern 38.450,00 € (Brutto-Kaufpreis), 19.740 km (Kilometerstand bei Erwerb), 65.503 km (Kilometerstand aktuell), 250.000 km (Gesamtlaufleistung) ergibt sich für die Nutzungsentschädigung ein Betrag von 7.641,74 €.
79
b. Der Senat erachtet hier auch nach eigener Recherche einen Verkaufspreis von zumindest 24.000,00 € für erzielbar, unterstellt aber bei Bezugnahme auf die nachfolgende Zugungstenberechnung den von der Beklagten angegebenen Restwert von 26.339,50 €.
80
Für die Restwertbemessung kann auf Angaben etwa der DAT zurückgegriffen werden, deren Gebrauchtwagen-Wertermittlung auf der Basis von Händler-Verkaufserlösmeldungen unter Berücksichtigung von Serien- und Sonderausstattungen sowie Ausstattungspaketen, gegebenenfalls sogar unter Berücksichtigung des Fahrzeugzustands/Reparaturaufwands, erfolgt. Der Senat betrachtet den Restwert des Fahrzeugs als einen Vorteil, der sich nicht unmittelbar aus dem schädigenden Ereignis ergibt, sondern auf einen zusätzlichen, vielleicht gar zeitlich versetzt hinzutretenden Umstand zurückzuführen ist, weshalb zum Beispiel die Entwicklung auf dem Gebrauchtwagenmarkt Eingang finden muss.
81
Soweit die Klagepartei bei Verweis auf DAT einen Restwert von 23.188,00 € (Händlereinkaufswert) angesetzt hat (Anl. BB2), ist dem die Beklagte entgegengetreten. Sie hat eine aktuellere DAT-Auskunft für den 03.01.2024 vorgelegt, anhand derer der marktgerechte Veräußerungserlös beim streitgegenständlichen Fahrzeug unter Zugrundelegung einer Laufleistung des Fahrzeugs von 62.815 Kilometern mindestens zwischen 24.625,00 € (Händlereinkaufswert, Anlage BE 5) und 28.054,00 € (Händlerverkaufswert, Anlage BE 6) liegen. Der Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrage demnach 26.339,50 €. Würden durchschnittliche Verkaufsgeschicke zu Grunde gelegt, dann könne die Höhe des Weiterveräußerungswerts im Rahmen eines Privatverkaufs auf etwa den Mittelwert aus Händlerverkaufswertes und Händlereinkaufswertes festgelegt werden (Sachverständigengutachten vor dem Landgericht Rottweil, Az. 1 I 271/21). Ersichtlich schwanken dabei die DAT-Auskünfte zwar bezogen auf ihren Erholungszeitpunkt, kommt aber auch der Senat bei der Erholung einer aktuellen Auskunft zu einem wahrscheinlich erzielbaren Verkaufspreis i.S.d. § 287 Abs. 1 ZPO von zumindest 24.000,00 € bei Ansatz eines Mittelwertes.
82
c. Für das Software-Update ist hier zugunsten der Beklagten nichts anzusetzen, da dieses bereits vor Fahrzeugerwerb aufgespielt worden ist.
83
d. Die Vorteile übersteigen damit auch bei einer Betrachtung zugunsten der Beklagten nach folgender Berechnung den verringerten Kaufpreis nicht:
84
Tatsächlicher Wert des Fahrzeugs bei Kauf:
38.450,00 € (Kaufpreis brutto) – 1.922,50 € (Differenzschaden) = 36.527,50 €
Vorteilsausgleich:
26.339,50 € (Restwert) + 7.641,74 € (Nutzungsersatz) = 33.981,24 €
85
Daraus folgt, dass der Differenzschaden vorliegend selbst dann nicht aufgezehrt wäre, wenn noch zusätzlich für ein nachträglich erfolgtes Update ein Vorteil in Höhe des vollen Differenzschadens von 1.922,50 € zu berücksichtigen wäre.
86
7. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 261 Abs. 1 ZPO. Der Klagepartei macht Zinsen ab Rechtshängigkeit geltend. Rechtshängigkeit in diesem Sinne ist die Zustellung der ursprünglichen Klage, die hier ausweislich der vorliegenden PZU am 28.10.2021 erfolgt ist. Gemäß § 261 Abs. 2 ZPO ist nicht der Eingang der hilfsweisen Geltendmachung des Differenzschadensersatzes maßgeblich, weil es sich bei der Umstellung vom sog. großen bzw. kleinen Schadensersatz auf den Differenzschadensersatz, wie dargelegt, nicht um einen neuen Anspruch und nicht um eine Klageänderung nach § 263 ZPO handelt, sondern um eine bloße Änderung der Schadensberechnung.
D.
87
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr.1 ZPO.
88
Die Klagepartei hat vor dem Landgericht in der Hauptsache Zahlung von 34.390,78 € beantragt, wohingegen ihr nur die jetzt zugesprochenen 1.992,50 € zugestanden hätten. Dies entspricht einer Quote von 6% zu 94% zu ihren Lasten. In der Berufungsinstanz hat sie primär die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 32.627,90 € verteidigt. Dies entspricht ebenfalls einer Quote von rund 6% zu 94% zu Lasten der Klagepartei.
89
§ 92 Abs. 2 ZPO ist auf die Beklagte entsprechend anzuwenden (RGZ 142, 83; LAG Berlin, BeckRS 2001, 30895294). Diese ist danach nur geringfügig, d.h. in Höhe von 6% des Streitwertes unterlegen. Ihr lediglich in Bezug auf die zugesprochenen 1.992,50 € nicht gerechtfertigter Klageabweisungsantrag hat zudem, insbesondere bei Abstellen auf die maßgeblichen Gebührentabellen, nicht zu mehr als allenfalls geringfügigen Mehrkosten geführt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO.
E.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
92
Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beantworten. Im Übrigen handelt es sich um einzelfallbezogene, tatrichterliche Würdigungen.