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VG München, Urteil v. 13.03.2024 – M 5 K 23.4733
Titel:

Polizeidienstunfähigkeit, Polizeivollzugsbeamtin, Bandscheibenimplantat, Polizeiärztliche Begutachtung, Hilfsbeweisantrag (abgelehnt)

Normenkette:
BayBG Art. 128
Schlagworte:
Polizeidienstunfähigkeit, Polizeivollzugsbeamtin, Bandscheibenimplantat, Polizeiärztliche Begutachtung, Hilfsbeweisantrag (abgelehnt)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6594

Tenor

  I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die … geborene Klägerin steht als Polizeivollzugsbeamtin in Diensten des Beklagten. Am …  erhielt sie operativ eine Bandscheibenprothese zwischen dem ... und ... Halswirbelkörper.
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Nach einer Untersuchung kam die Polizeiärztin Dr. E., Fachärztin für Chirurgie, mit Gesundheitszeugnis vom … Oktober 2022 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin polizeidienstunfähig sei. Es sei auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet ein sehr gutes Ausheilungsergebnis erzielt worden. Allerdings liege eine irreversible permanente Grundproblematik vor, aufgrund derer die Beamtin dauerhafte Verwendungseinschränkungen habe. Es seien Situationen, in denen ein erhöhtes Widerstandsrisiko bestehe bzw. ein Risiko zu erwarten sei, dass unmittelbarer Zwang angewendet werden müsse, sowie die Teilnahme an körperbelastenden Techniken des PE-Trainings strikt zu vermeiden.
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Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit legte die Klagepartei ein Attest eines Facharztes für Orthopädie und Sportmedizin Dr. K. vom … Mai 2022 vor, wonach sich keine Einschränkungen bzw. Besonderheiten ergeben hätten. Die Patientin sei seit einem Jahr komplett beschwerdefrei. Sie sei für den Außendienst wieder einsatzfähig. Nach einem weiteren Attest eines Facharztes für Neurochirurgie Dr. R. vom ... März 2023 sei der postoperative Verlauf bei der Klägerin regelgerecht gewesen, die neurologische Ausfallsymptomatik habe sich komplett zurückgebildet. Zur Dienstfähigkeit nach Implantation einer Bandscheibenprothese gebe es eine Reihe von Publikationen, die keine Einschränkungen der Dienstfähigkeit im amerikanischen Militärdienst berichteten. Er sehe daher keinen Grund, die Klägerin als polizeidienstunfähig anzusehen.
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Die Polizeiärztin nahm hierzu mit Schreiben vom 13. Juli 2023 Stellung. Nach einer tadellos eingeheilten Bandscheibenprothese stehe es der Klägerin frei, welchen Sport sie nach eigenem Ermessen betreibe, wie sie sich bewege und in welcher Intensität sie ihren sportlichen Aktivitäten nachgehe. Im Polizeivollzugsdienst könne unkontrollierte Gewalt auf den Körper einwirken, ohne dass die Beamtin dies gegebenenfalls beeinflussen, muskulär gegensteuern und/oder die ihm entgegengebrachte Energie kompensieren könne. Aufgrund dieser zum Teil hochenergetischen Einwirkungen auf den Körper könne es zu Schäden am Implantat selbst, im Bereich des Implantates oder der darüber/darunter liegenden Segmente kommen. Zusammengefasst habe die Beamtin, verglichen mit einer gesunden Beamtin, ein individuell deutlich erhöhtes Risiko, schwere gesundheitliche Schäden durch den Polizeivollzugsdienst zu nehmen. Da das Implantat auf Dauer im Körper verbleibe, bestünden die Verwendungseinschränkungen dauerhaft.
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Mit Bescheid vom 8. September 2023 stellte das Polizeipräsidium … fest, dass die Klägerin polizeidienstunfähig sei. Aufgrund des Gesundheitszeugnisses des Polizeiärztlichen Dienstes vom 13. Oktober 2022 sei die Klägerin polizeidienstunfähig.
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Die Klagepartei hat am … September 2023 hiergegen Klage erhoben. Nach einem Attest eines Facharztes für Neurochirurgie Dr. R. vom ... Dezember 2022 bestünden nach dessen Ansicht keine Einschränkungen der Klägerin für den polizeilichen Außendienst. In weiterem Attest dieses Arztes vom ... März 2023 (bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt) verwies er darauf, dass es selbst im amerikanischen Militärdienst nach einer Bandscheibenimplantation zu keinen Einschränkungen der Dienstfähigkeit komme. Demgegenüber seien die Aussagen der Polizeiärztin pauschal und nicht auf den konkreten Fall bezogen. Nach einem Attest eines Facharztes für Orthopädie und Sportmedizin Dr. K. vom … Februar 2024 bestünden aus orthopädischer Sicht nach mittlerweile fast fünf Jahren postoperativ bei der Klägerin keine Einschränkungen zur Ausübung des Polizeiberufs. Dem Klägerbevollmächtigten sei keine Studie für ein höheres Risiko für eine Schädigung der HWS nach Trauma bei Patienten bekannt, denen eine Bandscheibenprothese mit regelgerechtem postoperativen Verlauf eingesetzt worden sei gegenüber nicht voroperierten Menschen. Nach einem Schreiben der die Klägerin im Zeitraum 13. September 2023 bis 6. März 2024 behandelnden Physiotherapeuten vom ... März 2024 bestehe für die Klägerin nach erfolgreicher Therapie keine Einschränkung für jegliche Aktivität.
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Die Klagepartei hat beantragt,
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Der Bescheid des Polizeipräsidiums … vom 8. September 2023 wird bzgl. der Ziffer 1. aufgehoben.
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Das Polizeipräsidium … hat die Akten vorgelegt und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Im Gegensatz zu Freizeitaktivitäten sowie sportlicher Betätigung in der Freizeit könne die Klägerin im Einsatzfall nicht bestimmen, ob und gegebenenfalls wie sie von ihrem polizeilichen Gegenüber angegriffen werde. Bei einem entsprechenden Angriff könne das Implantat beschädigt werden, was unter Umständen erneute ärztliche Eingriffe im Bereich der Wirbelsäule erforderlich machen könnte. Die entsprechenden Ausführungen im Gutachten der Polizeiärztin könnten von den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten nicht widerlegt werden.
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Die Polizeiärztin Dr. E. wurde zu den gesundheitlichen Umständen der Polizeidienstfähigkeit, insbesondere zur Erläuterung des Gesundheitszeugnisses vom … Oktober 2022 und der Stellungnahme vom 13. Juli 2023 in der mündlichen Verhandlung vom 11. März 2024 als sachverständige Zeugin vernommen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten, sowie insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Protokoll vom 11. März 2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Polizeipräsidiums … vom 8. September 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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1. Nach Art. 128 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetzes/BayBG müssen Polizeivollzugsbeamte den besonderen Anforderungen an den Polizeivollzugsdienst genügen. Das sind gesundheitliche Anforderungen, die über die allgemeine gesundheitliche Eignung von Beamten hinausgehen. Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere körperliche Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit (Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2023, Art. 128 BayBG Rn. 10 ff.). Mit Blick auf die besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes setzt die Polizeidienstfähigkeit voraus, dass der Polizeivollzugsbeamte zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder seinem statusrechtlichen Amt entsprechenden Stellung einsetzbar ist (VG Düsseldorf, U.v. 16.9.2015 – 2 K 83/15 – juris Rn. 40 m.w.N.; BVerwG, U.v. 3.3.2005 – 2 C 4.04 – ZBR 2005, 308, juris Rn. 9; B.v. 6.11.2014 – 2 B 97.13 – juris Rn. 10).
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Eine Einschränkung der Verwendbarkeit im Sinn einer Polizeidienstunfähigkeit trägt nicht allein dem Gedanken der Fürsorge Rechnung, der den Dienstherrn dazu anhält, die naturgemäß mit dem Polizeivollzugsdienst verbundenen Gefahren für Leib und Leben auf das unvermeidbare Maß zu beschränken. Die Festsetzung von Verwendungseinschränkungen dient darüber hinaus dem wohlverstandenen Interesse des Dienstherrn, Versorgungslasten zu vermeiden, die ihn bei einer Verwirklichung des beschriebenen Schadensrisikos treffen könnten. Es kommt insbesondere auch nicht darauf an, ob der Beamte bereit ist, auf die Fürsorge des Dienstherrn zu verzichten und sich dem mit seiner vollen Verwendung einhergehenden Risiko für seine Gesundheit freiwillig auszusetzen (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.6.2018 – OVG 4 B 16.15 – juris Rn. 19).
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Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit ist die volle Verwendungsfähigkeit bezogen auf die gesamte Breite der Tätigkeit einer Polizeivollzugskraft. Zu den typischen, die Verwendungsbreite eines Vollzugspolizisten (oder Schutzpolizisten) mitbestimmenden Aufgaben zählt es insbesondere, Festnahmen mutmaßlicher Straftäter durchzuführen, Widerstandshandlungen von Dritten abzuwehren und das richtige Verhalten in derartigen Situationen im Rahmen polizeisportlicher Übungen zu trainieren. Die Einwirkung von Gewalt auf den Körper und dabei insbesondere auf die Bereiche des Oberkörpers, des Kopfes und des Halses gehört damit zu den Gefährdungen, mit denen ein Beamter der Schutzpolizei typischerweise bei der alltäglichen Dienstausübung rechnen muss (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.6.2018 – OVG 4 B 16.15 – juris Rn. 18 für eine Beamtin mit einem Bandscheibenimplantat zwischen 6. und 7. Halswirbelkörper).
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Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 8. September 2023 ist für die Beurteilung der Polizeidienstunfähigkeit maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen (VG Ansbach, U.v. 16.4.2014 – AN 11 K 13.909 – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 16.10.1997 – 2 C 7/97 – BVerwGE 105, 267, juris Rn. 16 ff.).
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2. Nach diesem rechtlichen Maßstab ist gegen die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 8. September 2023 verfügte Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit der Klägerin rechtlich nichts einzuwenden.
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Das Gericht ist auf der Grundlage der medizinischen Feststellungen der als sachverständige Zeugin vernommenen Polizeiärztin Dr. E. davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer vollen Verwendung und hierbei insbesondere bei Gewalteinwirkungen auf ihren Oberkörper im Verhältnis zu Polizeivollzugsbeamten ohne ein entsprechendes Implantat einer erheblich höheren Gefährdung ihrer Gesundheit ausgesetzt wäre. An der Sachkunde der Polizeiärztin, die als Fachärztin für Chirurgie auch zwei Jahre in einer orthopädischen Praxis Patienten mit Wirbelsäulenbeschwerden behandelt hat, bestehen keine Zweifel. Außerdem besitzt sie die Zusatzqualifikation als Fachprüferin für Ärzte, die die Zusatzbezeichnung „Manuelle Medizin und Chirotherapie“ führen wollen.
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a) Die Ärztin hat nachvollziehbar und einleuchtend erläutert, dass bei der Klägerin bei einer unvermittelten Gewalteinwirkung auf den Oberkörper – womit bei Polizeivollzugsbeamten zu rechnen ist – deren Verletzungsrisiko gegenüber Polizeivollzugsbeamten ohne Implantat erhöht ist. Das folgt zum einen daraus, dass solche Bandscheibenimplantate häufig (34% bei einem Implantat ähnlicher Baureihe wie dem bei der Klägerin) gelockert sind. Bei einer entsprechenden Gewalteinwirkung auf die Wirbelsäule auf ein gelockertes Implantat kann es zu einer massiven Verletzung der Wirbelsäule kommen. Hinzu kommt das Risiko einer Lockerung des Implantats oder einer Verknöcherung angrenzender Wirbelkörper durch den Abrieb der Polymere des Implantats. Die Fachärztin hat auch überzeugend dargelegt, dass auch ohne die Lockerung des Implantats ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei der Klägerin besteht. Denn diese hat – wie im Röntgenbild ersichtlich – eine etwas steiler gestellte Wirbelsäule. Durch diese Stellung ist die Muskulatur Traumaanfälliger, die normalerweise eine entsprechende Gewalteinwirkung abfangen könnte. Hinzu kommen die Belastungen durch eine schwere Schutzausrüstung, die über mehrere Stunden getragen werden muss.
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Diese für das Gericht nachvollziehbare und überzeugende Bewertung des erhöhten Verletzungsrisikos der Klägerin aufgrund des Bandscheibenimplantats wird durch Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg unterstrichen. Dort ging es um die Polizeidiensttauglichkeit einer bei Bescheiderlass …-jährigen (Kriminal-)Polizeibeamtin, die eine Bandscheibenprothese zwischen dem 6. und 7 Halswirbelkörper eingesetzt erhalten hatte (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.6.2018 – OVG 4 B 16.15 – juris Rn. 21 ff.):
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„Der Gutachter hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Bandscheibenprothese in einem sehr sensiblen Bereich implantiert worden sei. Sie befinde sich in unmittelbarer Nähe zu spinalen Nervenbahnen einschließlich des Rückenmarks. Der Bereich der Halswirbelsäule sei zudem – im Verhältnis zum übrigen Körper – am stärksten belastet, weil hier höhere Drehmomente einwirkten. Darüber hinaus ist von dem Sachverständigen betont worden, dass die implantierte Prothese als künstliches Objekt nicht den natürlichen anatomischen Zustand gleichwertig „wiederherzustellen“ vermag. Ein natürliches anatomisches Zusammenspiel zwischen der Bandscheibe, dem Wirbelkörper und den Wirbelgelenken sei nicht mehr vollständig gewährleistet; bestenfalls könne das eingebrachte Implantat eine „Annäherung“ an die natürliche Physiologie erzeugen. Ferner – so der Gutachter – dienten Implantate wie die bei der Klägerin eingesetzte Bandscheibenprothese nur der Wiederherstellung einer durchschnittlichen körperlichen Belastungsfähigkeit und seien gerade nicht für maximale Belastungen (etwa wie sie im Rahmen des Leistungssports zu erwarten wären) konzipiert worden.
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Ausgehend von diesen Prämissen, die der Sachverständige teilweise unter Heranziehung von vergleichbaren Erkenntnissen und Erfahrungen aus dem Bereich der Endoprothetik von Knie- und Hüftgelenken mit ähnlichen Problemen im Zusammenspiel zwischen Implantat und Knochengewebe und damit nicht – wie die Klägerin meint – etwa spekulativ und wissenschaftlich unvertretbar hergeleitet hat, konnte der Sachverständige zunächst nicht ausschließen, dass sich das Implantat infolge von Gewalteinwirkungen in für den Polizeivollzugsdienst typischen Stresssituationen wie etwa Kampfsportübungen im Zusammenhang mit Festhaltetechniken im Bereich der Halswirbelsäule sowie entsprechenden Festnahmesituationen und Widerstandshandlungen von dritten Personen aus der Verbindung mit den angrenzenden Wirbelkörpern – im Unterschied zu einer natürlichen (elastischen) Bandscheibe – leichter lösen und sich wegen seiner „rigiden“ Eigenschaften „in einem Stück“ verlagern könnte; von dem Sachverständigen ist betont worden, dass es sich dann – anders als bei einem Bandscheibenvorfall – nicht um einen „weichen Vorfall“ handele, weil das aus Metall bestehende Implantat keine entsprechende elastische Reaktion zulasse. Die Verlagerung des Implantats setze keine quantitativ hohe Gewalteinwirkung voraus. Sie drohe bereits bei Einwirkungen, auf die der fixierte Körper nicht eingestellt sei, die die Beamtin mithin unvorbereitet träfen. Bei derartigen Spontanvorfällen, etwa im Zusammenhang mit Kipp- und Hebelbewegungen bei der Anwendung der so genannten „Schwitzkastentechnik“, würden bereits geringe Kräfte ausreichen, um zu einer Verlagerung des Implantats um wenige Millimeter zu führen. In diesem Zusammenhang sei nach Ansicht des Sachverständigen zu berücksichtigen, dass die Implantate mit Blick auf ihre über sehr feine Rillen vermittelte (geringfügige) Verankerung mit den angrenzenden natürlichen Knochenstrukturen keine im Vergleich zu natürlichen Bandscheiben höhere Stabilität besäßen. Die besagten Rillen seien nicht dafür konzipiert, eine Verlagerung zu verhindern; sie dienten lediglich der Unterstützung der „primären Verwachsung“ des Implantats mit dem Knochen sowie der für ein Anwachsen notwendigen Oberflächenvergrößerung.
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Die zuvor beschriebene Verlagerung des Implantats hätte nach Ansicht des Sachverständigen schon mit Blick darauf, dass eine sehr kleine anatomische Region mit wenig Ausweichmöglichkeiten bzw. „Reserveraum“ betroffen sei, „dramatische“ Auswirkungen, auch wenn sie nur wenige Millimeter beträfe. Im Unterschied zu einem durch ähnliche Gewalteinwirkungen verursachten Bandscheibenvorfall, der wegen der Elastizität der natürlichen Bandscheibe nur partielle Schäden hervorriefe, könnte eine Verschiebung des Implantats (ohne diese „elastische Reserve“) etwa in Richtung des Spinalkanals zu einer Querschnittslähmung bei der Klägerin führen. Neben dieser Folge seien auch Lähmungserscheinungen denkbar, wenn das Implantat auf links und rechts des Rückenmarks verlaufende Nervenbahnen treffe und sie schädige. Spontanvorfälle nach hinten könnten schließlich zur Bewegungsunfähigkeit des Kopfes bzw. Halses führen. Zur Überzeugung des Senats verdeutlichen die beschriebenen Konsequenzen einer Verlagerung für Bereiche, die durch einen natürlichen Bandscheibenvorfall im Normalfall nicht geschädigt werden, eine mit dem bei der Klägerin eingesetzten Bandscheibenimplantat verbundene spezifische Gefahr, die sich signifikant von den Gefahren abhebt, die einen Kriminalpolizeibeamten ohne ein solches Implantat bei vergleichbaren Einwirkungen treffen könnten.“
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Diese Ausführungen bestätigen – von den Besonderheiten des konkreten Falles abgesehen – die Risikobewertung der Polizeiärztin. Ein Bandscheibenimplantat im Bereich der Halswirbelsäule bedingt ein erhebliches Verletzungsrisiko bei den üblicherweise auftretenden körperlichen Risikoszenarien im Polizeivollzugsdienst.
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b) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Polizeiarzt Dr. H. im Gesundheitszeugnis vom … Juli 2019 davon ausgegangen ist, dass bei der Klägerin nach einer beabsichtigten Operation an der Halswirbelsäule von fortbestehender Vollzugsdienstfähigkeit ausgegangen werden könnte. Eine intensivere Befassung mit der Problematik der Polizeidienstfähigkeit nach Implantatversorgung ist dem Gesundheitszeugnis nicht zu entnehmen. Vielmehr lag dieser Begutachtung die damalige Schmerzsymptomatik zugrunde.
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Auch aus dem Gesundheitszeugnis der sachverständigen Zeugin vom 7. Februar 2020 ergibt sich nichts Anderes. Dort wurde die Klägerin als eingeschränkt polizeidienstfähig angesehen, weiter wurde angegeben, dass Polizeidienstunfähigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorliege. Dieses Gesundheitszeugnis ist ersichtlich nach der Bandscheiben-Operation erstellt worden und sollte zur Frage der Beurteilung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit erstellt werden. Dort sind eine Reihe von Verwendungseinschränkungen aufgeführt, worauf die sachverständige Zeugin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat. Auch hier ist eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Verletzungsrisiko nach einem Bandscheibenimplantat (noch) nicht erfolgt. Das ist vor dem Hintergrund des Abwartens des weiteren Heilungsverlaufs verständlich. Entsprechend ist in diesem Gesundheitszeugnis eine Nachuntersuchung in frühestens einem halben Jahr empfohlen, falls es zu keinen Problemen komme.
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Die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Atteste und fachärztlichen Stellungnahmen wurde bereits von der Polizeiärztin in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juli 2023 fachlich nachvollziehbar und überzeugend bewertet. Insbesondere zum ärztlichen Attest von Dr. R. vom 7. März 2023 ist dabei zu bemerken, dass der Bezug auf die Dienstfähigkeit zum amerikanischen Militärdienst keinerlei Aussagekraft hinsichtlich der Polizeivollzugsdienstfähigkeit nach Art. 128 Abs. 1 Satz 1 BayBG besitzt. Denn die maßgeblichen Anforderungen der Dienstfähigkeit, insbesondere hinsichtlich der Verletzungsanfälligkeit bei unvorhersehbarer Gewalteinwirkung auf die Halswirbelsäule, sind dort nicht wiedergegeben. Ein militärisches Training (dessen konkrete körperliche Anforderungen in dem Attest nicht benannt werden) kann mit den besonderen Anforderungen und Risiken des Polizeivollzugsdienstes nicht verglichen werden. Letztlich stellt das eine pauschale und unsubstantiierte Einschätzung dar, die auf die spezifischen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes nicht eingeht. Das Attest dieses Facharztes vom 7. Dezember 2022 ist äußerst pauschal abgefasst, geht nicht auf die besonderen körperlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes ein und bestätigt lapidar „keine Einschränkung für den polizeilichen Außendienst“.
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Entsprechendes gilt auch für das im Klageverfahren vorgelegte ärztliche Attest von Dr. K. vom 12. Februar 2024. Auch dort wird explizit nicht auf die körperlichen Anforderungen und Risiken des Polizeivollzugsdienstes eingegangen, jedoch gleichwohl gefolgert, dass „nach mittlerweile fast 5 Jahren postoperativ keine Einschränkungen zur Ausübung des Polizeiberufs“ bestünden.
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Auch der Behandlungsbericht bzw. Therapieverlauf der Physiotherapeuten der Klägerin vom 5. März 2024, nach dem „keine Einschränkung für jegliche Aktivität“ bestehe, geht auch nicht ansatzweise auf die besonderen körperlichen Anforderungen und Risiken des Polizeivollzugsdienstes ein.
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3. Es bedarf auch keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Insbesondere war dem von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht zu entsprechen.
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Ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt, darf das Tatsachengericht gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 der Zivilprozessordnung/ZPO grundsätzlich nach seinem tatrichterlichen Ermessen entscheiden. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten sind dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen, Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird (BVerwG, Urteil vom 15.7.2016 – 9 C 3.16 – juris Rn. 26; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.6.2018 – OVG 4 B 16.15 – juris Rn. 29).
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Dem Hilfsbeweisantrag der Klägerin war nicht nachzugehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die sachverständige Zeugin bei ihrer Bewertung des erhöhten Verletzungsrisikos der Klägerin im Polizeivollzugsdienst aufgrund des Bandscheibenimplantats von falschen Voraussetzungen ausgegangen wäre oder ihre medizinische Einschätzung nicht haltbar oder anzuzweifeln wäre. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügen könnte. Hierzu wurde von der Klagepartei nichts vorgebracht; auch ansonsten ist hierfür nichts ersichtlich. Gerade mit Blick auf die von der Klagepartei vorgelegten ärztlichen Atteste ist zu bemerken, dass sich diese – wie oben dargelegt – nicht mit dem spezifischen körperlichen Gefährungs- und Verletzungsrisiko im Polizeivollzugsdienst befassen. Das hat die sachverständige Zeugin andererseits ausführlich geleistet.
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Auch sonst drängt sich eine weitere Sachaufklärung nicht auf. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass durch eine weitere Aufklärung die bestehenden Zweifel an der gesundheitlichen Eignung ausgeräumt werden könnten. Die im Verwaltungsverfahren erfolgte sachverständige medizinische Einschätzung durch die Polizeiärztin Dr. E., die diese in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, ist nachvollziehbar und überzeugend. Auch vor diesem Hintergrund ist der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens zum gleichen Beweisthema abzulehnen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 86 Rn. 79).
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4. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).