Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.03.2024 – M 5 E 23.5825
Titel:

Stellenbesetzung, Einstweilige Anordnung, Anordnungsanspruch, Fortsetzung des Auswahlverfahrens, Auswahlgespräche, Beurteilungsgleichstand nicht hinreichend begründet, Anwendung von Auswahlgesprächen bei fehlendem Beurteilungsgleichstand, Verfahrensmäßige Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs, Vorabfestlegung, Organisationsgrundentscheidung

Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
Schlagworte:
Stellenbesetzung, Einstweilige Anordnung, Anordnungsanspruch, Fortsetzung des Auswahlverfahrens, Auswahlgespräche, Beurteilungsgleichstand nicht hinreichend begründet, Anwendung von Auswahlgesprächen bei fehlendem Beurteilungsgleichstand, Verfahrensmäßige Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs, Vorabfestlegung, Organisationsgrundentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6580

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle „Leitung der Veterinärverwaltung“ am Landratsamt P. bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts mit der Beigeladenen zu besetzen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 22.618,77 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege einer einstweiligen Anordnung gegen die Entscheidung des Antragsgegners, den Dienstposten der Leitung der Veterinärverwaltung am bayerischen Landratsamt P. mit der Beigeladenen zu besetzen.
2
Der Antragsgegner schrieb am … Juli 2022 den streitgegenständlichen Dienstposten der Leitung der Veterinärverwaltung am bayerischen Landratsamt P. (entwicklungsfähig bis Besoldungsgruppe A 16) geschäftsbereichsintern aus. In der Ausschreibung ist vermerkt, dass mit der Übertragung des Dienstpostens zunächst nicht gleichzeitig eine Beförderung in das der Funktion entsprechende Amt verbunden ist. Auf diese Stelle bewarben sich die Antragstellerin, die Beigeladene sowie drei weitere Bewerber. In den maßgeblichen Beförderungsrichtlinien (Ziff. 3.1.2 Satz 3 lit. k) 1. Spiegelstrich und lit. m) 6. Spiegelstrich der Richtlinien für die Übertragung höherwertiger Dienstposten und für die Beförderung im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz, Bekanntmachung v. 5.6.2023, BayMBl. Nr. 311, im Folgenden: Beförderungsrichtlinien) ist vermerkt, dass die Leitung der Veterinärverwaltung an einem Landratsamt an die Funktion A 15 bzw. A 16 gebunden ist, wenn eine Stellenausstattung von weniger als bzw. mindestens 5,0 Stellen im Bereich des staatlichen tierärztlichen Personals gegeben ist.
3
Die 1961 geborene Antragstellerin steht aktuell als Veterinärdirektorin (Besoldungsgruppe A 15) in der Funktion als Leiterin des Sachgebiets „Tierschutz“ im Landesinstitut Tiergesundheit am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Diensten des Antragsgegners. Für den Zeitraum vom ... Oktober 2017 bis … September 2020 erhielt sie eine periodische dienstliche Beurteilung im Amt A 15 mit einem Gesamtprädikat von 13 Punkten.
4
Die 1968 geborene Beigeladene steht als Veterinäroberrätin (Besoldungsgruppe A 14) beim Veterinäramt (amtstierärztlicher Dienst, Sachgebiet 45) am Landratsamt P. im Dienste des Antragsgegners. Zuvor war sie vom ... Oktober 2017 bis … August 2018 Sachgebietsleiterin sowie stellvertretende Leiterin der Abteilung „Veterinärwesen und gesundheitlicher Verbraucherschutz“ am Landratsamt F. In der periodischen dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum … Oktober 2017 bis … September 2020 erhielt die Beigeladene im Amt A 14 ein Gesamtprädikat von 13 Punkten.
5
In einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom … Oktober 2022 informierte das Ministerium den zuständigen Landrat darüber, dass die Antragstellerin auf Grundlage der letzten periodischen Beurteilung das beste Gesamturteil erzielt habe. Der Landrat könne ergänzend zu dienstlichen Beurteilungen Personalauswahlgespräche bei der Auswahlentscheidung heranziehen, müsse die Bewerber jedoch von der Gewichtung von dienstlichen Beurteilungen im Verhältnis zum Personalauswahlgespräch rechtzeitig im Vorhinein in Kenntnis setzen.
6
Der Landrat des Landratsamts P. führte am ... Dezember 2022 mit allen Bewerbern Personalauswahlgespräche – wobei dem Gericht lediglich die Bewertungsbögen der Antragstellerin sowie der Beigeladenen vorliegen –, ohne die Bewerber vorab über die Gewichtung von dienstlicher Beurteilung und Auswahlgespräch zu informieren. Infolge der Auswahlgespräche wurde die Beigeladene als leistungsstärkste Bewerberin erachtet.
7
Mit Schreiben vom … März 2023 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen. Hiergegen hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingelegt.
8
Mit Beschluss vom 23. Mai 2023 hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner untersagt, die streitgegenständliche Stelle bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts mit der Beigeladenen zu besetzen (M 5 E 23.1516). Beanstandet wurde, dass den Akten nicht entnommen werden konnte, dass die Gewichtung von dienstlicher Beurteilung und Auswahlgespräch vor Kenntnis des Abschneidens der Bewerber getroffen worden ist.
9
In einem Vermerk vom … Juli 2023 entschied das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, eine erneute Auswahlentscheidung unter Beibehaltung des Bewerberkreises durchzuführen, d.h. das Bewerbungsverfahren nicht abzubrechen. Der Fehler, nicht rechtzeitig die Gewichtung von dienstlichen Beurteilungen und Auswahlgespräch festgelegt zu haben, könne durch eine Wiederholung der Auswahlgespräche mit vorhergehender Bekanntgabe des Gewichtungsschlüssels geheilt werden. Das geeignetste Mittel zur Feststellung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber seien periodische Beurteilungen. Die dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen seien, auch wenn sie in unterschiedlichen Statusämtern erzielt worden seien, einem Vergleich zugänglich. Es müsse jedoch das höhere Statusamt der Antragstellerin berücksichtigt werden, sodass deren Gesamturteil von 13 Punkten im Statusamt A 15 auf fiktive 14 Punkte im Statusamt A 14 angehoben werde. Demgegenüber stehe die Beigeladene mit einem Gesamturteil von 13 Punkten im Statusamt A 14. Eine Binnendifferenzierung sei nicht erforderlich, da sich ein Vorsprung der Beigeladenen ergebe. Sofern das Gericht dies anders beurteile, werde die Durchführung eines systematisierten Personalauswahlgesprächs weiterhin als zulässig erachtet, da sich der Vorsprung der Antragstellerin nach der Durchführung der Binnendifferenzierung minimiere. Hierbei seien die Einzelmerkmale „Führungserfolg“, „Fachkenntnisse“, „Qualität“ sowie „Entscheidungsfreude und Urteilsvermögen“ heranzuziehen, da es um Ämter ab der vierten Qualifikationsebene gehe. Unter Berücksichtigung des konkreten Anforderungsprofils der Stelle seien die weiteren Einzelmerkmale „Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten“ und „Zielorientiertes Verhandlungsgeschick“ relevant. Bei einer Erhöhung auch der Einzelmerkmale um einen Punktwert aufgrund des höheren Statusamts der Antragstellerin erzielten beide Bewerberinnen identische Punktwerte, wobei die Antragstellerin bei den Einzelkriterien „Führungserfolg“ und „Fachkenntnisse“ jeweils einen um einen Punkt höheren Einzelwert aufweise. Da nach Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG dienstliche Beurteilungen stets verwendet werden müssten und weitere Auswahlmethoden zusätzlich gestattet seien, könne nach dem inhaltlichen Vergleich der Beurteilungen auf systematisierte Personalauswahlgespräche ergänzend abgestellt werden. Der Dienstherr gewichte die dienstliche Beurteilung zu 60% und das Auswahlgespräch zu 40%.
10
Mit Schreiben vom ... August 2023 lud das Landratsamt (nur) die Antragstellerin und die Beigeladene zu einem Auswahlgespräch ein, das am … September 2023 stattfinden sollte. In diesem Schreiben wies das Landratsamt auf den festgelegten Gewichtungsschlüssel hin.
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Die Antragstellerin teilte daraufhin mit Schreiben vom … September 2023 mit, dass sie an dem Auswahlgespräch nicht teilnehmen werde, da das Bewerbungsverfahren in der gesamten Veterinärverwaltung des Freistaats Bayern nach einem einheitlichen System erfolgen müsse, das einheitliche Fragenkataloge und eine Festlegung der Gewichtung von dienstlichen Beurteilungen und Auswahlgesprächen beinhalte. Andernfalls sei der Bewerbungsverfahrensanspruch nicht hinreichend beachtet. Die Auswahlkommission am Landratsamt P. sei aufgrund der durch das Gericht beanstandeten Auswahlentscheidung befangen, sodass ein faires Auswahlverfahren nicht zu erwarten sei.
12
Mit Schreiben vom … September 2023 teilte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz den Bewerbern mit, aus welchen Gründen das Auswahlverfahren ohne eine erneute Ausschreibung fortgesetzt werde.
13
Am … Oktober 2023 fand sodann ein strukturiertes Auswahlgespräch (nur) mit der Beigeladenen statt. Die weiteren Bewerber wurden zum Auswahlgespräch nicht eingeladen. Die Antragstellerin wurde zwar eingeladen, nahm am Gesprächstermin jedoch nicht teil. Die Auswahlkommission wurde im Vergleich zum vorhergehenden Auswahlgespräch um den Leiter der Abteilung Zentrale Angelegenheiten des Landratsamts P., Herr B., sowie um einen erfahrenen amtstierärztlichen Vertreter des Sachgebiets 54 der Regierung von Niederbayern, Herrn F., ergänzt. Dabei sei ein standardisierter Gesprächsleitfaden mit 18 Fragen verwendet worden, der dem Gericht nicht vorliegt. Die sechs fachlichen Fragen seien ausschließlich von Herrn F. bewertet worden. Für die Bewertung sei ein 16-Punkte-Beurteilungssystem herangezogen worden.
14
Mit Entscheidungsvorschlag des Landrats vom … Oktober 2022 stellte dieser fest, dass sich die Beigeladene als am besten geeignete Bewerberin herausgestellt habe. Die Antragstellerin und die Beigeladene seien nach der Beurteilungslage als leistungsstärkste Bewerberinnen in die engere Auswahl einbezogen worden, nicht aber die weiteren drei Bewerber. Die dienstlichen Beurteilungen der beiden Bewerberinnen seien annähernd gleich. Ein Vergleich der Gesamtprädikate ergebe einen minimalen Vorsprung der Beigeladenen, der bei einer inhaltlichen Ausschärfung der Beurteilung relativiert werde. Entsprechend den Beurteilungsrichtlinien seien für den maßgeblichen Dienstposten die Einzelmerkmale Fachkenntnisse, Qualität, Entscheidungsfreude und Urteilsvermögen sowie Führungserfolg relevant. Eine Addition der Punktwerte in diesen Einzelmerkmalen ergebe für die Beigeladene einen Gesamtpunktwert von 52 Punkten. Die Antragstellerin erziele 54 Punkte, da sie in den Kriterien „Qualität“ sowie „Entscheidungsfreude“ einen Vorsprung um je einen Punkt aufweise. Bei den für den konkreten Dienstposten relevanten Fähigkeiten, mit hoher Arbeitsgüte sorgfältige Entscheidungen mit hoher Selbständigkeit, Zielorientierung, Entschlusskraft und einer gewissen Risikobereitschaft zu treffen und fundiert zu vertreten, lägen die beiden Bewerberinnen gleichauf. Die Entscheidung, welche Beamtin den Anforderungen des ausgeschriebenen Dienstpostens besser gewachsen sei, solle nicht alleine aufgrund der dienstlichen Beurteilung getroffen werden, zumal die beiden Kandidatinnen sehr unterschiedliche Ämter sowohl im abstrakt-funktionellen als auch im konkret-funktionellen Sinn innehätten. Dementsprechend solle daneben ein strukturiertes Auswahlgespräch Entscheidungsgrundlage sein. Beide Bewerberinnen seien zu einem strukturierten Auswahlgespräch eingeladen worden. Da die Antragstellerin zu diesem Gespräch nicht erschienen sei, habe sie hierfür null Punkte erhalten. Für die Beurteilung, deren Gesamturteil wegen des höheren Statusamtes fiktiv um einen Punkt auf 14 Punkte erhöht worden sei, habe sie unter Berücksichtigung der Bewertungsmatrix von 60% 8,4 Punkte erzielt, was wegen des Ausfalls im Auswahlgespräch zugleich das Gesamtergebnis darstelle. Die Beigeladene habe 7,8 Punkte für das Gesamturteil von 13 Punkten erzielt und im Interview 14 Punkte erhalten, sodass unter Berücksichtigung der Bewertungsmatrix von 40% ein Einzelpunktwert von 5,6 Punkten für das Auswahlgespräch und alles in allem ein Gesamtpunktwert von 13,4 Punkten erzielt worden sei. Aufgrund der höheren Gesamtbewertung werde um die Übertragung des Dienstpostens an die Beigeladene gebeten.
15
Im abschließenden Auswahlvermerk vom … November 2023 des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz ist festgehalten, dass von der Auswahlkommission am … Oktober 2023 ein strukturiertes Personalauswahlgespräch geführt worden sei. Die Beigeladene habe 14 von 16 Punkten erzielt. Da die Antragstellerin zum Auswahlgespräch nicht erschienen sei, sei ihre Leistung mit null Punkten bewertet worden. Unter Berücksichtigung der Bewertung der dienstlichen Beurteilung zu 60% und des Auswahlgesprächs zu 40% habe die Beigeladene das höchste Gesamtergebnis erzielt, sodass die Auswahlentscheidung dementsprechend auf die Beigeladene gefallen sei.
16
Mit Schreiben vom … November 2023 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass eine erneute Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen getroffen worden sei.
17
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Dezember 2023 Widerspruch ein, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
18
Am … März 2023 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und dies wie folgt begründet: Der Antragsgegner habe zusätzlich zu den dienstlichen Beurteilungen schon gar nicht auf ein Auswahlgespräch zurückgreifen dürfen. Denn die hierfür nötige Voraussetzung einer im Wesentlichen gleichen Eignung der Bewerber habe gefehlt, da die Antragstellerin nach einem Vergleich der dienstlichen Beurteilungen als leistungsstärkere Bewerberin hätte ausgewählt werden müssen. Diese verfüge anders als die Beigeladene über Erfahrung auf verschiedenen Ebenen der Veterinärverwaltung und über Führungserfahrung, da sie ein Sachgebiet leite. Da das Auswahlgespräch nicht notwendig gewesen wäre, habe die Antragstellerin ihren Bewerbungsverfahrensanspruch auch nicht dadurch verwirkt, dass sie selbst nicht am Auswahlgespräch teilgenommen habe. Es sei rechtswidrig, wegen der Nichtteilnahme am Auswahlgespräch der Antragstellerin null Punkte zu geben. Selbst wenn ein Auswahlgespräch habe durchgeführt werden dürfen, sei es jedenfalls nicht zulässig, wenn der Antragsgegner für jedes Auswahlverfahren gesondert den Gewichtungsschlüssel zwischen Beurteilungen und Auswahlgespräch festlege. Vielmehr sei für alle Bewerbungsverfahren der gesamten Veterinärverwaltung ein einheitlicher Gewichtungsschlüssel festzulegen, um zu verhindern, dass dieser je nach Einzelfall zugeschnitten werde, um das Verfahren zu steuern. Im Übrigen habe der Fehler im ersten Auswahlverfahren, den Gewichtungsschlüssel im Vorfeld bekannt zu geben, nicht durch eine Wiederholung der Auswahlgespräche unter vorheriger Bekanntgabe des Gewichtungsfaktors geheilt werden können. Denn zur Wahrung der Chancengleichheit aller Bewerber sei der Gewichtungsfaktor vor der erstmaligen Durchführung der Auswahlgespräche bekanntzugeben. Auch hätte der Antragsgegner einen für alle Auswahlverfahren einheitlichen Fragenkatalog verwenden müssen, was sich aus den Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht ergebe. Im Übrigen würden die offenen Fragestellungen des Auswahlgesprächs gerügt, da die Antworten ergebnisorientiert bewertet werden könnten. Hinzu komme, dass die Auswahlkommission aufgrund der ersten Auswahlentscheidung bereits befangen gewesen sei. Die Antragstellerpartei bezieht sich ergänzend auch auf die Ausführungen im Verfahren M 5 E 23.1516.
19
Die Antragstellerpartei hat beantragt,
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Dem Antragsgegner wird untersagt, den ausgeschriebenen Dienstposten Leitung der Veterinärverwaltung am Landratsamt P. mit der Beigeladenen bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu besetzen.
21
Der Antragsgegner hat beantragt,
22
den Antrag abzulehnen.
23
Zur Begründung wird auf die im Verfahren M 5 E 23.1516 vorgetragenen Argumente Bezug genommen. Hierin wurde insbesondere vorgetragen, dass der Dienstherr nach seinem personalpolitischen Ermessen bestimmen könne, ob er die Auswahlentscheidung auf dienstliche Beurteilungen oder auch auf weitere Auswahlmethoden stützen wolle (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 – 3 CE 19.2457 – juris Rn. 20). Während nach der alten Rechtslage die Ergebnisse der Auswahlgespräche neben dienstlichen Beurteilungen allenfalls bei einem Beurteilungsgleichstand bzw. einer Pattsituation zur Anwendung hätten gelangen können, habe sich dies durch die Neuformulierung des Art. 16 Abs. 1 Satz 4 LlbG geändert. Die vorher unstrittige Nachrangigkeit der weiteren Auswahlverfahren („neben“) sei durch die Neuformulierung („und“) zu Gunsten der Gleichrangigkeit gegenüber dienstlicher Beurteilungen aufgelöst worden. Dementsprechend könne das Auswahlgespräch auch bei dem Fehlen einer Pattsituation im Rahmen der Auswahlentscheidung beachtlich sein. Denn ansonsten wäre die oben beschriebene gesetzliche Neuregelung sinnentleert. Hieraus folge, dass bei einem Beurteilungsgleichstand im um einen Punkt unterschiedlichen Statusamt der Beurteilungsrückstand durch die Ergebnisse im Auswahlgespräch kompensiert werden könne.
24
Zudem hat der Antragsgegner ergänzend vorgetragen: Ein Anordnungsanspruch liege nicht vor, da nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft sei. Diese sei unter Beachtung des Leistungsgrundsatzes getroffen worden. Auch bei einer erneuten Auswahlentscheidung erschiene die Auswahl der Antragstellerin nicht möglich, da diese aufgrund der Verweigerung wesentlicher Verfahrensbestandteile als chancenlose Bewerberin einzustufen sei. Ein Abbruch des Auswahlverfahrens sei nicht gerechtfertigt gewesen, da die vom Gericht mit Beschluss vom 23. Mai 2023 dargelegten Mängel heilbar gewesen seien. Der Gewichtungsschlüssel von dienstlicher Beurteilung und Auswahlgespräch sei rechtzeitig in der Ladung zu den aktuellen Vorstellungsgesprächen bekannt gegeben worden. Abweichend vom Vortrag der Antragstellerpartei, der Gewichtungsschlüssel sei vor der erstmaligen Durchführung von Auswahlgesprächen bekannt zu geben, könne es bei einer Fortsetzung des Auswahlverfahrens lediglich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung ankommen, sodass das zweite Auswahlgespräch maßgeblich sei. Dies stehe auch im Einklang mit einer aktuellen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 16.10.2023 – 3 CE 23.1070 – juris Rn. 16). Für dieses zweite Personalauswahlgespräch sei ein einheitlicher und vorab festgelegter Fragenkatalog verwendet worden. Aus Abschnitt 4 Satz 6 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) gehe nicht hervor, dass Gewichtungsschlüssel oder Fragenkatalog für alle Auswahlverfahren der Bayerischen Veterinärverwaltung einheitlich festgelegt werden müssten. Maßgeblich sei vielmehr, dass der Fragenkatalog im Einzelfall vorab festgelegt und auf alle Bewerbungen einheitlich angewendet werde. Ein vorab für alle Auswahlverfahren einheitlich festgelegter Fragenkatalog werde dem Zweck nicht gerecht, die Leistungsauswahl in Ausübung des organisatorischen Ermessens des Dienstherrn unter Berücksichtigung der Anforderungen des konkret zu besetzenden Dienstpostens zu treffen und missachte die ständige Verwaltungspraxis. Im Übrigen handele es sich bei der genannten Verwaltungsvorschrift um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift ohne eigenen Regelungscharakter.
25
Die Entscheidungsfindung unter Verwendung eines Auswahlgesprächs sei ordnungsgemäß erfolgt. In einem ersten Schritt seien die dienstlichen Beurteilungen im Gesamturteil durch einen fiktiven Punktezuschlag des Gesamturteils der Antragstellerin aufgrund ihres höheren Statusamtes vergleichbar gemacht worden. In einem zweiten Schritt seien die in etwa gleichwertigen Beurteilungen inhaltlich im Wege der Binnendifferenzierung ausgeschöpft worden unter Heranziehung der für den Geschäftsbereich maßgeblichen Beurteilungskriterien (Art. 16 Abs. 2 LlbG i.V.m. Nr. 5.2 der ressortinternen Beförderungsrichtlinien). Da nach einer ausschärfenden Betrachtung der Beurteilungen beide Bewerberinnen als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen waren, konnte somit gestützt auf das personalpolitische Ermessen die Auswahl anhand eines strukturierten Interviews getroffen werden. Die dienstliche Beurteilung sei mit einem Gewicht von 60% und damit im Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs überhälftig gewichtet worden (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304).
26
Dem Einwand, dass das Auswahlgremium befangen gewesen sei und keine für die Antragstellerin positive Entscheidung habe erfolgen können, werde entgegengetreten. Die Auswahlkommission sei sogar um einen zusätzlichen Vertreter der Regierung ergänzt worden. Die Beamtin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie zum Vorstellungsgespräch nicht erscheine und anschließend das Verfahren beanstande. Im Übrigen verfüge der Dienstherr bei der Verfahrensgestaltung über ein weites Ermessen, das nicht durch unsubstantiierte Einzelangriffe oder im Wege einer Blockadehaltung entzogen werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 3 CE 18.2550 – juris Rn. 12 ff.). Die Beigeladene weise Führungserfahrung auf, da sie ein Sachgebiet geleitet habe und stellvertretende Abteilungsleiterin am Landratsamt gewesen sei.
27
Es stelle sich die Frage der Verwirkung, da die Antragstellerin die konkrete Vorgehensweise erst mit Antrag vom ... Dezember 2023 angegriffen habe, obwohl sie mehr als zwei Monate nach Mitteilung über die Weiterführung des Auswahlverfahrens mit Schreiben vom … September 2023 untätig geblieben sei. Wenn die Situation als actus contrarius zum Abbruch eines Auswahlverfahrens gesehen werde, bei welchem die Abbruchentscheidung binnen Monatsfrist anzugreifen sei, wäre die Antragstellung verspätet. Die Antragstellerin, die im Vorfeld angekündigt habe, an keinem weiteren Auswahlgespräch teilnehmen zu wollen, wäre auch bei einer erneuten Wiederholung des Auswahlverfahrens chancenlos (vgl. BayVGH, B.v. 18.4.2018 – 3 CE 18.618 – juris Rn. 1 ff.).
28
Mit Beschluss vom 8. Dezember 2023 wurde die ausgewählte Bewerberin zum Verfahren beigeladen, die sich im Verfahren nicht geäußert hat.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 5 E 23.1516 Bezug genommen.
II.
30
Der zulässige Antrag ist begründet.
31
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung – vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen – notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragspartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
32
2. Ein Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist glaubhaft gemacht. Das Auswahlverfahren für die streitgegenständliche Stelle ist grundsätzlich abgeschlossen. Eine Besetzung des Dienstpostens mit der Beigeladenen, auf dem sie einen Bewährungsvorsprung erhalten könnte, steht unmittelbar bevor. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin als übergangene Bewerberin lässt sich nur vor der Besetzung des Dienstpostens mit der ausgewählten Konkurrentin mittels einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern, da sich der um eine Stellenauswahl geführte Rechtsstreit mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle erledigt (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95).
33
3. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
34
Ist ein Auswahlverfahren zur Vergabe einer Beförderungsstelle nach erfolgter Aufhebung der Auswahlentscheidung – wie hier – fortgesetzt worden und hat der Dienstherr eine erneute Auswahlentscheidung getroffen, so ist für die (dessen Beurteilungsermessen beachtende) Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser erneuten Auswahlentscheidung durch die Verwaltungsgerichte die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung maßgeblich, weshalb auch das zu diesem Zeitpunkt aktuelle Beurteilungsbild der zu betrachtenden Bewerber in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 29.4.2016 – 1 WB 27.15 – juris Rn. 18; für das Dienstrecht der Beamten und Richter: BVerfG, B.v. 25.1.2017 – 2 BvR 2076/16 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 58; OVG NW, B.v. 30.11.2021 – 1 B 1341/21 – juris Rn. 13 f.; BayVGH, B.v. 16.10.2023 – 3 CE 23.1070 – juris Rn. 16). Dementsprechend sind die herangezogenen Beurteilungen noch hinreichend aktuell, da die zum Beurteilungsstichtag … September 2023 zu erstellenden Beurteilungen erst ab März 2024 einheitlich verwendet werden (vgl. Ziff. 2.8 und 2.1 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung und die Leistungsfeststellung der Beamten und Beamtinnen im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz, Bekanntmachung v. 5.6.2023, BayMBl. 2023, 313).
35
a) Die Antragstellerin hat einen Bewerbungsverfahrensanspruch, das heißt einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 94 Abs. 2 Satz 2 Verfassung für den Freistaat Bayern (BV) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746; B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194; BVerwG, U.v. 17.8.2005 – 2 C 36.04 – juris).
36
Die Ermittlung des – gemessen an den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung – am besten geeigneten Bewerbers hat stets in Bezug auf das konkret angestrebte Amt zu erfolgen. Maßgeblich ist insoweit der Aufgabenbereich des Amtes, auf den bezogen die einzelnen Bewerber untereinander zu vergleichen sind und anhand dessen die Auswahlentscheidung vorzunehmen ist (BayVGH, B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris Rn. 6). Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Kandidaten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Der Bewerber hat daher einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Auswahl (BVerwG, U.v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
37
Aus der Verletzung dieses Anspruches folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Einstellung oder Beförderung. Vielmehr ist es im Hinblick auf den Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432 – juris). Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746). Aufgrund der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden subjektiven Rechts und der Garantie von Art. 19 Abs. 4 GG sind die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95).
38
Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle sind in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen, denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 – 2 VR 3/11 – NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris; VG München, B.v. 26.10.2012 – M 5 E 12.3882 – juris; B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris). Maßgebend für den Leistungsvergleich ist dabei in erster Linie das abschließende Gesamturteil der Beurteilung, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (BVerwG v. 22.11.2012 – 2 VR 5.12 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 17.5.2013 – 3 CE 12.2469 – juris Rn. 31 m.w.N.). Hierbei ist darauf zu achten, dass die dem Vergleich der Konkurrenten zugrunde gelegten Beurteilungen untereinander vergleichbar sind; das ist in der Regel der Fall, wenn die Beurteilungen im selben Statusamt erzielt worden sind. Umgekehrt fehlt es grundsätzlich an der Gleichwertigkeit von Beurteilungen, wenn das gleiche Prädikat in unterschiedlichen Statusämtern erzielt worden ist (BayVGH v. 6.8.2007 – 3 CE 07.1498 – juris Rn. 29).
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Bei gleichem Gesamturteil hat der Dienstherr die Beurteilungen zunächst umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen (sog. Binnendifferenzierung bzw. innere Ausschöpfung, BVerwG v. 27.2.2003 – 1 C 16.02 – juris Rn. 13; BayVGH v. 6.8.2007 – 3 CE 07.1498 – juris Rn. 32 m.w.N.). Bei einer im Wesentlichen gleichen Beurteilungslage kann der Dienstherr die Auswahl nach weiteren sachgerechten Merkmalen treffen (BayVGH v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris Rn. 108). Sind mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen, kann er auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss. So kann er der dienstlichen Erfahrung, der Verwendungsbreite oder der Leistungsentwicklung, wie sie sich aus dem Vergleich der aktuellen mit früheren Beurteilungen ergibt, besondere Bedeutung beimessen (BVerwG v. 22.11.2012 – 2 VR 5.12 – juris Rn. 25).
40
b) Vor diesem Hintergrund ist die Auswahlentscheidung rechtlich zu beanstanden. Denn der Antragsgegner hat die Ergebnisse des Auswahlgesprächs zu 40% in die Auswahlentscheidung einbezogen, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Der Antragsgegner hat das Vorliegen eines Beurteilungsgleichstandes nicht hinreichend begründet (hierzu unter aa). Im Übrigen hat der Antragsgegner die Organisationsgrundentscheidung, Auswahlgespräche unabhängig von einem Beurteilungsgleichstand und damit generell heranzuziehen, erst im laufenden Auswahlverfahren in Kenntnis der Bewerberlage getroffen (hierzu unter bb). In der Begründung der Auswahlentscheidung ist auch unklar, nach welchem Auswahlprinzip vorgegangen wird. Einerseits wird mit einem Beurteilungsgleichstand argumentiert, die Auswahlgespräche als maßgebliche Entscheidungsgrundlage erforderlich machen würden. Andererseits wird mit einer Auswahlmethode argumentiert, die die dienstlichen Beurteilungen und zusätzlich Auswahlgespräche mit einem Gewicht von 40% heranzieht. Von beiden Varianten wurde rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht.
41
aa) Der Antragsgegner hat einen Beurteilungsgleichstand in Form einer im Wesentlichen gleichen Beurteilungslage, der ein anschließendes Durchführen von Auswahlgesprächen im „klassischen gestuften Verfahren“ ermöglicht hätte, nicht hinreichend begründet.
42
(1) Nach der Rechtsprechung zum „klassischen gestuften Auswahlverfahren“ (hierzu umfassend BayVGH, B.v. 17.5.2013 – 3 CE 12.2469 – juris Rn. 31 ff. m.w.N.) ist die Heranziehung von wissenschaftlich fundierten Auswahlverfahren erst möglich, wenn nach einer vollständigen Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilungen ein Beurteilungsgleichstand vorliegt. Ist danach eine im Wesentlichen gleiche Beurteilungslage gegeben, kann der Dienstherr die Auswahl nach weiteren sachgerechten Merkmalen treffen. Zur Auflösung der „Pattsituation“ kann der Dienstherr nach seinem Ermessen ergänzend auch auf die Ergebnisse von Vorstellungs- bzw. Auswahlgesprächen oder Assessment-Centern neben der dienstlichen Beurteilung abstellen (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2013 – 3 CE 12.2470 – juris Rn. 40 m.w.N.).
43
Eine im Wesentlichen gleiche Beurteilungslage liegt dann vor, wenn die Gesamturteile gleichwertig sind. Dies ist der Fall, wenn ein identisches Gesamturteil im selben Statusamt vorliegt oder wenn bei Beurteilungen aus verschiedenen Statusämtern ein Statusrückstand durch leistungsbezogene Kriterien kompensiert wird, wobei die gesamten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind (vgl. BayVGH v. 8.8.2007 – 3 CE 07.1050 – juris Rn. 33). Damit kann der Dienstherr einem Bewerber, der nicht das beste Gesamturteil aufweist, im Hinblick auf das Anforderungsprofil dann den Vorrang einräumen, wenn er spezifische Anforderungen des Dienstpostens aufgrund des Binnenvergleichs voraussichtlich am besten erfüllt (BVerwG, U.v. 25.10.2011 – 2 VR 4/11 – NVwZ-RR 2012, 241, juris). Auch dieses Urteil muss in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen gestützt werden. Sonstige aussagekräftige Umstände dürfen ergänzend einbezogen und gewürdigt werden, wenn sie in der Beurteilung nicht vollständig berücksichtigt sind. Je mehr das abschließende Gesamturteil eines Bewerbers abfällt, desto größer muss sein Vorsprung bei den spezifischen dienstpostenbezogenen Leistungskriterien sein, um ausgewählt werden zu können (BVerwG, B.v. 27.9.2011 – 2 VR 3/11 – NVwZ-RR 2012, 71, juris).
44
Im Ausgangspunkt gilt, dass es an der Gleichwertigkeit fehlt, wenn das gleiche Prädikat in unterschiedlichen Statusämtern erzielt worden ist (BayVGH v. 6.8.2007 – 3 CE 07.1498 – juris Rn. 29). Bei Beurteilungen in verschiedenen Statusämtern ist anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob sie als gleichwertig mit dem Ergebnis einer „Pattsituation“ angesehen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2021 – 3 CE 21.1466 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 8.10.2019 – M 5 E 19.2141 – juris Rn. 41 f.). Im Rahmen der Einzelfallprüfung können z.B. der Abstand der Gesamtprädikate und ihr Verhältnis zu der anhand einer Punkteskala vergebbaren Höchstpunktezahl, aber auch die Gewichtung und Wertung der Ergebnisse in einzelnen Beurteilungsmerkmalen („Binnendifferenzierung“) anhand eines spezifischen Anforderungsprofils der zu besetzenden Stelle von Bedeutung sein (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2009 – 3 CE 09.2350 – juris Rn. 38; VG München, B.v. 8.10.2019 – M 5 E 19.2141 – juris Rn. 41 f.).
45
Ein derartiger Ausgleich kommt z.B. in Betracht, wenn ein Bewerber in einem niedrigeren Statusamt sich zunächst einem statusbedingten Vorsprung eines Mitbewerbers gegenübersieht, weil dieser in seiner Beurteilung das gleiche Gesamtprädikat in einem um eine Stufe höheren Statusamt erlangt hat, er diesen Vorsprung jedoch bei signifikanten Unterschieden in gerade für den zu besetzenden Dienstposten besonders wichtigen Einzelmerkmalen zu seinen Gunsten ausgleichen kann (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2007 – 3 CE 07.1050 – juris Rn. 33 m.w.N.). Dementsprechend ist es innerhalb einer 16-Punkte-Skala wie beim staatlichen Beurteilungssystem möglich, dass sich beispielsweise aus der Binnendifferenzierung im Wesentlichen gleiche Beurteilungen ergeben, sofern das Gesamtprädikat nicht mehr als einen Punkt abweicht (BayVGH, B.v. 8.8.2007 – 3 CE 07.1050 – juris Rn. 33).
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(2) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Antragsgegner das Vorliegen einer im Wesentlichen gleichen Beurteilungslage, die ein anschließendes Durchführen von Auswahlgesprächen im „klassischen gestuften Verfahren“ ermöglicht hätte, nicht hinreichend begründet. Anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls ist auch nicht anderweitig erkennbar, wie die Beigeladene den Statusrückstand bei gleichem Gesamturteil durch weitere vom Antragsgegner herangezogene leistungsbezogene Kriterien hätte ausgleichen bzw. kompensieren können. Dementsprechend lagen die Voraussetzungen für die Heranziehung der Auswahlgespräche im „klassischen gestuften Verfahren“ nicht vor.
47
Wie insbesondere aus dem Vermerk vom … Juli 2023 des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz hervorgeht, ist der Antragsgegner von einem Punktevorsprung der Antragstellerin ausgegangen, da sie dasselbe Gesamtprädikat von 13 Punkten in einem höheren Statusamt (A 14 anstelle A 13 der Beigeladenen) erzielt hat (vgl. hierzu S. 3 f. des Vermerks). Es fehlte damit grundsätzlich an der Gleichwertigkeit der Beurteilungsergebnisse (BayVGH, B.v. 6.8.2007 – 3 CE 07.1498 – juris Rn. 29). Dass eine Kompensation dieses Statusrückstandes etwa wegen des Vorliegens signifikanter Unterschiede in den für den relevanten Dienstposten besonders wichtigen Einzelmerkmalen (vgl. vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2007 – 3 CE 07.1050 – juris Rn. 33 m.w.N.) anzunehmen wäre, kann weder dem vorbereitenden Vermerk des Landratsamtes P. vom … Oktober 2023, noch den Vermerken des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom … Juli 2023 und vom … November 2023 entnommen werden. Vielmehr wird darin einheitlich beschrieben, dass die Antragstellerin in zwei der für den Dienstposten wesentlichen Einzelmerkmalen „Qualität“ sowie „Entscheidungsfreude und Urteilsvermögen“ – unter Anerkennung des höheren Statusamtes – jeweils eine um einen Punkt bessere Beurteilung aufweist. Auch aus der tabellarischen Gegenüberstellung der herangezogenen Einzelmerkmale (Vermerk vom 11. Juli 2023, Bl. 185 der Behördenakte) ergibt sich ein Punktvorsprung der Antragstellerin in diesen beiden Einzelmerkmalen. Dass der Antragsgegner selbst nicht von einer (vollständigen) Kompensation des Statusrückstandes ausgeht, ergibt sich bereits aus der Formulierung, wonach „der minimale Vorsprung“ der Antragstellerin „bei Ausschärfen der Beurteilung relativiert werde“ (Vermerk des Landratsamtes P. vom … Oktober 2023 und ähnlich auch im Vermerk des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom … Juli 2023). Eine hinreichende Begründung für eine im Wesentlichen gleiche Beurteilungslage ist hierin gerade nicht zu sehen.
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bb) Will der Dienstherr auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Sätze 4 und 5 LlbG Auswahlgespräche zur Entscheidungsgrundlage heranziehen, wenn kein Beurteilungsgleichstand in Form einer im Wesentlichen gleiche Beurteilungslage vorliegt, so ist zur verfahrensmäßigen Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs erforderlich, dass der Dienstherr dies mit der Ausschreibung abstrakt oder im Einzelfall festlegt. Denn bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Gewicht ein wissenschaftlich fundiertes Auswahlverfahren als Entscheidungsgrundlage zur Anwendung kommt, handelt es sich um eine Organisationsgrundentscheidung, die der Dienstherr nicht im laufenden Auswahlverfahren in Kenntnis der Bewerber- und Beurteilungslage treffen kann (siehe unter 1). Im Widerspruch hierzu hat der Dienstherr die Entscheidung, Auswahlgespräche zu 40% bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, erst im laufenden Auswahlverfahren in Kenntnis der Bewerber- und Beurteilungslage getroffen und sich damit dem Verdacht ausgesetzt, hierdurch das Auswahlverfahren gezielt zu steuern (siehe unter 2).
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(1) Auf Grundlage der mit Wirkung zum 1. August 2013 durch Gesetz zur Änderung des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes und weitere Rechtsvorschriften vom 24. Juli 2013 (GVBl. 2013, 450) neu eingefügten Art. 16 Abs. 1 Sätze 4 und 5 LlbG mag ein gemischtes Verfahren, das das Abstellen auf Auswahlgespräche nicht nur nachrangig bei einem Beurteilungsgleichstand, sondern generell nebeneinander erlaubt – zulässig sein (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 3 CE 18.2550 – juris Rn. 7 und dem vorhergehend VG München, B.v. 16.11.2018 – M 5 E 18.4029 – juris Rn. 30 ff. – dort wurde trotz Vorsprungs eines der Bewerber nach der Beurteilungslage ein Auswahlgespräch zu 50% in die Gesamtbewertung einbezogen).
50
Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 4 und 5 LlbG können dienstliche Beurteilungen und wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren, wie insbesondere systematisierte Personalauswahlgespräche, strukturierte Interviews oder Assessment-Center, sofern diese von Auswahlkommissionen durchgeführt werden, Grundlage für die Auswahlentscheidung des Dienstherrn sein (vgl. BVerfG, B.v. 11.5.2011 – 2 BvR 764/11 – juris Rn. 12 zur grundsätzlichen Zulässigkeit ergänzender Auswahlverfahren). Zur Auswahlentscheidung selbst trifft Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG dahingehend eine Abstufung, dass dienstliche Beurteilungen stets verwendet werden müssen und weitere Auswahlmethoden zusätzlich gestattet sind (BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – juris Rn. 8; B.v. 5.8.2014 – 3 CE 14.771 – juris Rn. 45 f.). Die Gewichtung dienstlicher Beurteilungen und anderer Auswahlmethoden bestimmt gem. Art. 16 Abs. 1 Satz 5 (in der seit 1.8.2013 geltenden Fassung) der Dienstherr. Die in Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG festgelegte Gewichtungsbefugnis des Dienstherrn ist nicht grenzenlos, sondern durch den rechtlichen Rahmen des vom Bund gesetzten Statusrechts (§ 9 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) und des Grundgesetzes (Art. 33 Abs. 2 GG) begrenzt. Die Gewichtung muss zweckgerecht, den Aspekten des Leistungsgrundsatzes entsprechend wahrgenommen werden. Nur dienstliche Beurteilungen decken alle drei Kernelemente (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung) ab. Darüber hinaus haben sie den Vorteil von Langzeitbeobachtungen, während systematisierte Personalauswahlgespräche nur die augenblickliche Leistung bewerten (BayVGH, B.v. 5.8.2014 – 3 CE 14.771 – juris Rn. 46).
51
In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass dem Leistungsgrundsatz auch dann Genüge getan wird, wenn der Dienstherr im Rahmen des Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG dienstliche Beurteilungen und Auswahlgespräch jeweils zur Hälfte gewichtet (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 3 CE 18.2550 – juris Rn. 7). Die dienstliche Beurteilung darf nicht zur Marginalie werden (BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – juris Rn. 13 a.E.).
52
Will der Dienstherr von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und damit von dem in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, dass wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren nur bei einem Beurteilungsgleichstand zur Anwendung kommen, abweichen, so hat er dies vorab (vor der Kenntnis des Bewerberfeldes) – in abstrakter Weise in den Beurteilungsrichtlinien oder für jeden Einzelfall jedenfalls in den Behördenakten – zu regeln. Der Dienstherr hat sich vor der Durchführung eines Bewerbungsverfahrens, das vom „klassischen gestuften Verfahren“ abweichen soll, darüber im Klaren zu sein, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Gewicht wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren im Verhältnis zu dienstlichen Beurteilungen im jeweiligen Auswahlvorgang zur Anwendung kommen werden. Die Art der Verfahrensgestaltung – „klassisch gestuftes Verfahren“, nachrangige Heranziehung der Auswahlgespräche zur Auflösung eines Beurteilungsgleichstandes oder „gemischtes Verfahren“, generelles Nebeneinander von Auswahlgespräch und dienstlicher Beurteilung – d.h. letztlich die Frage, ob ein Beurteilungsrückstand durch ein Auswahlgespräch kompensiert werden darf, darf nicht erst in Ansehung der Beurteilungslage der Bewerbungen getroffen werden, da sich der Dienstherr sonst dem Verdacht aussetzt, gezielt das Ergebnis des Auswahlverfahrens zu steuern (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – RiA 2018, 131, juris Rn. 13).
53
Diese Vorabfestlegung des anzuwendenden Verfahrens dient der verfahrensmäßigen Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs. Um die Durchsetzung der in Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte sicherzustellen, d.h. dem Bewerbungsverfahrensanspruch zur Durchsetzung zu verhelfen, ist eine angemessene Gestaltung des Auswahlverfahrens erforderlich. Denn durch die Gestaltung des Auswahlverfahrens wird unmittelbar Einfluss auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen. Der Bewerbungsverfahrensanspruch weist eine besondere Verfahrensabhängigkeit auf mit der Folge, dass eine einmal getroffene Organisationsgrundentscheidung, die sich maßgeblich auf das Auswahlergebnis auswirken kann, im laufenden Verfahren nicht „nachgebessert“ werden darf. Dazu gehört beispielsweise die Entscheidung darüber, ob am Auswahlverfahren sowohl Beförderungsbewerber als auch Versetzungsbewerber teilnehmen dürfen. Wählt der Dienstherr ein solches Modell, so muss sich der Dienstherr an diesem Modell „festhalten“ lassen; nachträgliche Einschränkungen sind nur aus Gründen möglich, die den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werden (zu alldem BVerfG, B.v. 28.2.2007 – 2 BvR 2494/06 – NVwZ 2007, 693, juris Rn. 6 f. m.w.N.).
54
Als eine solche Organisationsgrundentscheidung ist auch die Entscheidung zu verstehen, ob Auswahlgespräche unabhängig von einem Beurteilungsgleichstand zur Anwendung kommen sollen oder nicht und wenn ja – mit welchem Gewicht die hierin gewonnenen Erkenntnisse in die Auswahlentscheidung einzuwerten sind. Denn mit dieser Grundentscheidung nimmt der Dienstherr unmittelbar Einfluss auf das Ergebnis des Auswahlverfahrens, indem er darüber entscheidet, ob einem Bewerber, der nach der Beurteilungslage im Leistungsvergleich unterlegen wäre, die Möglichkeit gegeben wird, diesen Rückstand über ein Auswahlgespräch zu kompensieren.
55
Soweit der Antragsgegner auf das ihm zustehende Organisationsermessen bei der Ausgestaltung des Auswahlverfahrens verweist, ist anzumerken, dass es dem Dienstherrn (weiterhin) freisteht, zu entscheiden, ob er die Auswahlentscheidung auf dienstliche Beurteilungen oder auf weitere Auswahlmethoden stützen will (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 – 3 CE 19.2457 – juris Rn. 20). Gleichwohl ist der Dienstherr an die Vorgaben des Leistungsprinzips und der Bestenauswahl (Art. 33 Abs. 2 GG) gebunden (vgl. auch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 LlbG). Um dem Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber zur Geltung zu verhelfen, hat sich der Dienstherr im Zeitpunkt der Ausschreibung dahingehend festzulegen, ob wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren anlässlich der besonderen Anforderungen des Dienstpostens nachrangig – bei einem Beurteilungsgleichstand – oder generell neben den dienstlichen Beurteilungen zur Anwendung gelangen sollen. Durch diese Festlegung wird das Organisationermessen des Dienstherrn nicht unangemessen eingeschränkt. Es steht dem Dienstherrn dabei frei, abstrakt in Ausschreibungsrichtlinien die Voraussetzungen für die Anwendung wissenschaftlich fundierter Auswahlverfahren sowie deren Gewichtung festzulegen oder dies vor Kenntnis der Bewerberlage – mit der Ausschreibung – im Einzelfall festzulegen.
56
Soweit der Antragstellerbevollmächtigte eine generelle Pflicht annehmen will, durch Ausschreibungsrichtlinien einheitlich für die gesamte Veterinärverwaltung den Gewichtungsschlüssel sowie den jeweiligen Fragenkatalog festzulegen, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar mag es sinnvoll sein, abstrakt in Ausschreibungsrichtlinien festzulegen, in welchen Fällen wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren zur Anwendung kommen und wie diese zu gewichten sind. Eine Pflicht hierzu besteht jedoch auch vor dem Hintergrund der Verfahrensabhängigkeit des Bewerbungsverfahrensanspruchs nicht. Vielmehr liegt es im Organisationsermessen des Dienstherrn, im Einzelfall zu entscheiden, für welche Dienstposten welches Verfahren angewandt werden soll, der dabei jedoch die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten hat. Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR), insbesondere aus der Formulierung in Abschnitt 4 Satz 6, wonach systematisierte Personalauswahlgespräche einen vorab festgelegten, für alle Bewerbungen einheitlich verwandten Fragenkatalog erfordern. Vielmehr ist dieser Vorschrift genüge getan, wenn im jeweiligen Auswahlverfahren vorab ein einheitlicher Fragenkatalog festgelegt und angewendet wird.
57
Unter Präzisierung des Beschlusses vom 23. Mai 2023 (M 5 E 23.1516) sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Will der Dienstherr wie bisher üblich im „gestuften Verfahren“ vorgehen, dann kann er sich nach einer umfassenden Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilungen dafür entscheiden, Auswahlgespräche durchzuführen, um eine „Pattsituation“, d.h. einen Beurteilungsgleichstand aufzulösen. Will der Dienstherr hingegen Auswahlgespräche generell und unabhängig von einem Beurteilungsgleichstand als Entscheidungsgrundlage heranziehen, dann hat er diese Organisationsgrundentscheidung bereits vor Kenntnis der Bewerber- und Beurteilungslage festzulegen. Denn ansonsten setzt sich der Dienstherr dem Verdacht aus, durch die Änderung der Wertigkeit der dienstlichen Beurteilung im laufenden Auswahlverfahren zugunsten von Auswahlgesprächen gezielt das Ergebnis des Auswahlverfahrens zu steuern (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – RiA 2018, 131, juris Rn. 13), indem einem Bewerber, der nach der Beurteilungslage unterlegen wäre, die Möglichkeit eingeräumt wird, den Punkterückstand über das Auswahlgespräch zu überkompensieren.
58
(2) Mangels eines hinreichend begründeten Beurteilungsgleichstandes zwischen der Beigeladenen und der Antragstellerin hätten Auswahlgespräche im konkreten Fall nur dann als generelles Element der Auswahlentscheidung herangezogen werden dürfen, wenn diese Organisationsgrundentscheidung vor Kenntnis der Bewerber- und Beurteilungslage, d.h. anlässlich der Ausschreibung in abstrakter Weise durch Beurteilungsrichtlinien oder konkret für den Einzelfall niedergelegt worden wäre. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.
59
Insbesondere ergibt sich diese Organisationsgrundentscheidung nicht abstrakt aus den Richtlinien für die Übertragung höherwertiger Dienstposten und für die Beförderung im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz v. 5.6.2023, BayMBl. Nr. 311, im Folgenden: Beförderungsrichtlinien). Hierin ist in Ziff. 5, Sätze 1 bis 3 festgelegt, dass zunächst die Gesamturteile zu vergleichen sind und bei einem Gleichstand in die Binnendifferenzierung übergegangen wird. Gleichzeitig ist vermerkt, dass die Möglichkeit, wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren einzusetzen und deren Gewichtung zu bestimmen, unberührt bleibt. Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass der Dienstherr bei allen Auswahlentscheidungen Auswahlgespräche neben dienstlichen Beurteilungen anwenden will.
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Auch aus den Behördenakten ergibt sich nicht, dass bereits vor der Kenntnis des Bewerberfeldes die Grundentscheidung getroffen worden ist, generell und nicht nur bei einer im Wesentlichen gleichen Beurteilungslage Auswahlgespräche durchzuführen und wie diese zu gewichten sind. Den Akten kann eine mit der Ausschreibung getroffene klare Organisationsentscheidung in Richtung eines „gemischten Verfahrens“ nicht entnommen werden. Es kann für das Gericht nicht eindeutig nachvollzogen werden, ob der Dienstherr von Anfang an geplant hat, Auswahlgespräche neben der Beurteilungslage als Entscheidungsgrundlage für die Auswahlentscheidung heranzuziehen. Erstmals im Vermerk des Landrats vom … Oktober 2023, der nach der Durchführung der Auswahlgespräche ergangen ist, ist angedeutet, dass die Auswahlentscheidung nicht allein auf Grundlage der Beurteilungslage getroffen werden solle, sondern daneben auf Auswahlgespräche zurückzugreifen sei. Der Dienstherr hat letztlich das Auswahlgespräch zu 40% und die Beurteilungslage zu 60% gewichtet, was zunächst auf ein „gemischtes Verfahren“ hindeutet. Gleichzeitig fällt aber auf, dass der Dienstherr Auswahlgespräche nur mit der Beigeladenen und der Antragstellerin hat führen wollen, während andere Bewerber – anders als noch im ersten Auswahlverfahren – nicht die Möglichkeit bekommen sollten, einen Beurteilungsrückstand über Auswahlgespräche zu kompensieren. Dies spricht gegen ein „gemischtes Verfahren“, das sich dadurch auszeichnet, dass den Bewerbern – es sei denn, sie sind bereits nach der Beurteilungslage chancenlos – die Möglichkeit eingeräumt wird, den Beurteilungsrückstand über Auswahlgespräche zu kompensieren. Dafür, dass der Dienstherr eigentlich ein „klassisches gestuftes Verfahren“ durchführen wollte, spricht, dass die Gesamturteile der dienstlichen Beurteilungen verglichen worden sind und im Anschluss das Vorliegen einer im Wesentlichen gleichen Beurteilungslage geprüft worden ist. Ein solcher Beurteilungsgleichstand ist nur im gestuften Verfahren eine Voraussetzung für die Durchführung von Auswahlgesprächen, sodass dies nahelegt, dass der Dienstherr im gestuften Verfahren vorgehen wollte. Da jedoch die Voraussetzungen für ein Auswahlgespräch im gestuften Verfahren nicht vorlagen, war die erstmals im Besetzungsvermerk vom … November 2023 aktenkundige Gewichtung von Auswahlgespräch zu 40% und dienstlicher Beurteilungen zu 60% zu spät. Da das Auswahlverfahren jedoch fortgesetzt worden ist und der Dienstherr eine erneute Auswahlentscheidung unter Beibehaltung des Bewerberfelds getroffen hat, war zu diesem Zeitpunkt das Bewerberfeld und die Beurteilungslage bereits bekannt. Da der Dienstherr diese Weichenstellung im laufenden Auswahlverfahren in Kenntnis der Bewerber- und Beurteilungslage getroffen hat, setzt er sich dem Verdacht aus, gezielt das Ergebnis des Auswahlverfahrens zu steuern (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – RiA 2018, 131, juris Rn. 13). Um sicherzustellen, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber hinreichend Geltung erlangen kann, sind verfahrensmäßige Absicherungen zu treffen, die einer gezielten Steuerung des laufenden Auswahlverfahrens entgegenwirken.
61
Der Gedanke, dass auch bei einer Wiederholung der Auswahlentscheidung das zukünftige Bewerberfeld aus dem vergangenen Auswahlverfahren antizipiert werden könnte und damit die erneute Durchführung des Auswahlverfahrens den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin nicht hinreichend absichern könnte, greift nicht durch. Denn bei einer neuen Ausschreibung entsteht ein neues Bewerberfeld, das eine neue Bewertung anhand des Leistungsgrundsatzes ermöglicht.
62
cc) Die Antragstellerin wäre bei einer erneuten Auswahlentscheidung auch nicht chancenlos. Denn eine Auswahl der Antragstellerin erschiene ernstlich möglich (BayVGH, B.v. 18.4.2018 – 3 CE 18.618 – juris Rn. 1 ff.). Die Antragstellerin weist in ihrer dienstlichen Beurteilung verglichen mit der Beigeladenen dasselbe Gesamturteil im höheren Statusamt auf. Auch hat die Antragstellerin ihren Bewerbungsverfahrensanspruch nicht dadurch verwirkt, dass sie nicht am Auswahlgespräch teilgenommen hat. Denn sie hat aus ihrer Sicht rechtfertigende Gründe für die Nichtteilnahme angegeben, insbesondere, dass eine Festlegung der Gewichtung im Einzelfall rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen durfte im vorliegenden Fall die Auswahlentscheidung nicht auf Grundlage von Auswahlgesprächen getroffen werden, sodass der Antragstellerin das Nichterscheinen zum zweiten Auswahlgespräch nicht vorgehalten werden kann. Insoweit der Antragsgegner auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Februar 2019 (3 CE 18.2550 – juris Rn. 12 ff.) verweist, folgt hieraus keine andere Bewertung, da die Ausführungen im Beschluss eine andere, namentlich die Konstellation betreffen, in der sich ein Antragsteller gegen die Bewertung einzelner Komponenten des Auswahlgesprächs richtet. Um dies rügen zu können, hat der Bewerber konkrete und substantiierte Einwendungen gegen die Bewertung zu benennen. Vorliegend rügt die Antragstellerin gerade nicht einzelne Komponenten des Auswahlgesprächs, da sie an einem solchen gerade nicht teilgenommen hat, sondern bereits die Durchführung des Auswahlgesprächs ohne vorangehende abstrakte Festlegung einer Gewichtung für alle Stellenbesetzungen der Veterinärverwaltung.
63
Auch hat die Antragstellerin ihren Bewerbungsverfahrensanspruch entgegen des Vortrags des Antragsgegners nicht verwirkt. Denn die Antragstellerin ist nicht verpflichtet, bereits vor dem Erlass der Negativmitteilung im Auswahlverfahren um Rechtsschutz gegen die Fortsetzung des Auswahlverfahrens zu ersuchen. Hierbei würde es sich um eine Form des vorbeugenden Rechtsschutzes handeln, da anders als bei dem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens kein Anknüpfungspunkt für ein gerichtliches Vorgehen besteht, solange das Auswahlverfahren nicht beendet und dies den unterlegenen Bewerbern per Negativmitteilung mitgeteilt worden ist.
64
Ergänzend sei angemerkt, dass Anhaltspunkte dafür, dass das Auswahlgremium voreingenommen gewesen wäre und auch bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens unter Beachtung der verfahrensmäßigen Absicherungen des Bewerbungsverfahrensanspruchs eine faire Auswahlentscheidung nicht gewährleistet wäre, nicht vorhanden sind. Die tatsächliche Voreingenommenheit ist aus Sicht eines objektiven Dritten festzustellen. Der alleinige Vortrag, das Auswahlgremium sei wegen der zuvor beanstandeten Auswahlgespräche befangen, genügt hierfür nicht, insbesondere dann nicht, wenn die Auswahlkommission mit der im vorherigen Auswahlverfahren nicht (vollständig) identisch war.
65
4. Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene, die sich mangels eigener Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO), ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
66
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) – ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, da der streitgegenständliche Dienstposten für die Antragstellerin einen Beförderungsdienstposten darstellen würde. Die Jahresbezüge für die Antragstellerin in dem mit der Stelle verbundenen maximal erreichbaren Amt A 16 würden sich (laut Mitteilung des Antragsgegners) auf 90.475,09 EUR belaufen, hiervon ein Viertel (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 32; B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris Rn. 26).