Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.01.2024 – 3 CE 23.1813
Titel:

Abänderung des Anforderungsprofils   

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 2
Leitsatz:
Mit der Ausschreibung tritt eine Bindungswirkung zulasten der Hochschule ein, die sich für ihre weiteren Entscheidungen an dem Ausschreibungstext und dem dortigen Anforderungsprofil festhalten lassen muss. Eine nachträgliche Änderung der  Auswahlkriterien ist unzulässig. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stellenbesetzung (W 3 Professur), Anforderungsprofil, Abänderung des Anforderungsprofils durch den Berufungsausschuss
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.09.2023 – M 5 E 23.3439
Fundstelle:
BeckRS 2024, 654

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. September 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert. Der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, den Lehrstuhl für Statistik und quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften (W 3) mit der Beigeladenen zu besetzen, solange über die Bewerbung des Antragstellers keine neue Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats getroffen worden ist.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.930,36 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg. Die vom Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmen und beschränken, führen zur Abänderung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
2
1. Der Antragsteller hat in seiner Beschwerdebegründung unter B.2. mit der Bezugnahme auf die Antragsschrift im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 11. Juli 2023 (Seite 8 ff.) ausgeführt, dass das in der Ausschreibung geforderte Profil
3
„Die Bewerberinnen und Bewerber verfügen über ausgewiesene Forschungsexpertise im Bereich der angewandten statistischen/quantitativen Verfahren, besonders im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren und moderner Evaluationsmethoden zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen.“
4
in der siebten Sitzung des Berufungsausschusses am 24. April 2023, wie zuvor bereits von einer Vertreterin der Rechtsabteilung der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 15.11.2022, dort Seite 6, im Verfahren M 5 E 22.4977), dahin interpretiert worden ist, dass die angesprochene ausgewiesene Expertise sicherstellen sollte,
5
„dass der/die spätere StelleninhaberIn gegebenenfalls in einem der Bereiche zumindest Erfahrung nachweisen und Lehrveranstaltungen anbieten kann…“.
6
Das Verwaltungsgericht zitiert zwar diese Passage aus der siebten Sitzung des Berufungsausschusses (UA Rn. 59), geht aber nicht auf den Vortrag des Antragstellers ein, der in dieser Interpretation eine „Abschwächung“ des Anforderungsprofils sieht. Das Verwaltungsgericht unterstellt vielmehr die Richtigkeit der Interpretation und prüft lediglich, ob der Berufungsausschuss bei der Beurteilung der Expertise der Beigeladenen die rechtlichen Grenzen seines Beurteilungsspielraums verletzt hat, was seiner Meinung nach nicht der Fall war (vgl. zum Beurteilungsspielraum: BVerwG, U.v. 20.10.2016 – 2 C 30.15 – juris Rn. 17 und 20; NdsOVG; B.v. 2.5.2019 – 5 ME 68/19 – juris Rn. 28). Unberücksichtigt gelassen hat das Verwaltungsgericht, dass das Anforderungsprofil vom Berufungsausschuss abgeändert worden ist. Diese Abänderung ergibt sich zum einen daraus, dass auf eine „ausgewiesene Forschungsexpertise“, die naturgemäß nur im Wege einer ex-post-Betrachtung festgestellt werden kann, verzichtet wurde. Als ausreichend wurde nunmehr eine nicht näher bestimmte „Erfahrung“ erachtet, was bedeutet, dass das Anforderungsprofil qualitativ deutlich abgeschwächt worden ist. Zudem ist mit der Formulierung „gegebenenfalls in einem der Bereiche“ die durch die Konjunktion „und“ gewünschte Expertise sowohl zu modernen maschinellen Verfahren als auch modernen Evaluationsmethoden zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen aufgegeben worden.
7
Das ist unzulässig, weil mit der Ausschreibung eine Bindungswirkung zulasten der Hochschule eintritt, die sich für ihre weiteren Entscheidungen an dem Ausschreibungstext und dem dortigen Anforderungsprofil festhalten lassen muss (vgl. Krüger/Leuze in Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Stand: Juni 2023, § 45 HRG Rn. 15). Es ist daher unzulässig, die Auswahlkriterien nachträglich dergestalt zu ändern, dass sich der Bewerberkreis – wie hier durch die „Aufweichung“ des Anforderungsprofils – erweitern würde (BVerfG, B.v. 28.2.2007 – 2 BvR 2494/06 – juris Rn. 7; vgl. auch Ziff. 5.1 der Berufungsrichtlinien der Antragsgegnerin (abrufbar unter www.ku.de/fileadmin/2102/Berufungsleitfaden_Oktober2016.pdf; zuletzt besucht am 3.1.2024).
8
Hinzu kommt, dass der Berufungsausschuss erst aufgrund des „abgeschwächten“ Anforderungsprofils in seiner siebten Sitzung am 24. April 2023 die Überzeugung gewinnen konnte, dass die Beigeladene „ebenfalls über Expertise im Bereich ML verfügt, die sich bzgl. neuer und anderer Methoden weiter im Aufbau befindet.“ Diese Überzeugungsbildung steht indes in Widerspruch zu der erstmaligen Einschätzung der Beigeladenen. In dem Bericht des Berufungsausschussvorsitzenden zum Berufungsvorschlag der Berufungskommission für den Lehrstuhl für Statistik und quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften vom 11. April 2022 findet sich unter der Überschrift „Auswahl der KandidatInnen für Gutachten“ (unter Bezugnahme auf die Protokolle der 4. und 5. Sitzung des Berufungsausschusses) eine Einschätzung der Bewerber. Dort wird zur Person der Beigeladenen ausgeführt, dass sie über eine nur „eingeschränkte Expertise im Machine Learning“ verfügt, die sich unter anderem sichtbar durch aktuelle laufende Forschungsprojekte und Vorträge noch im Aufbau befindet. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung der auswärtigen Gutachter, die beide keine nachgewiesene Erfahrung mit den Methoden moderner maschineller Lernverfahren bei der Beigeladenen feststellen konnten.
9
Dieser Widerspruch zeigt hinreichend deutlich auf, dass erst das Abschwächen des Anforderungsprofils eine Auswahl der Beigeladenen möglich machte. Entscheidend ist aber, dass die dem Berufungsausschuss nicht zustehende Änderung des Anforderungsprofils dazu führte, dass die Auswahlentscheidung materiell rechtswidrig ist. Eine entsprechende Änderung ist allein der Hochschulleitung vorbehalten (vgl. Ziff. 2.1, 5.1 des Berufungsleitfadens). Ein geändertes Anforderungsprofil käme dem Abbruch des ursprünglichen Auswahlverfahrens und einer Neueinleitung gleich (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2023 – 1 WB 45.21 – juris Rn. 34).
10
Die Antragsgegnerin wird eine erneute Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats treffen müssen.
11
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
12
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO.