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VG München, Urteil v. 27.02.2024 – M 1 K 20.1996
Titel:

Außenbereich, Beseitigungsverfügung, Dachgauben, Teilprivilegierung

Normenketten:
BayBO Art. 76 Satz 1
BauGB § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5
Schlagworte:
Außenbereich, Beseitigungsverfügung, Dachgauben, Teilprivilegierung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6542

Tenor

I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen eine ihm gegenüber verfügte Anordnung der Beseitigung von Dachgauben.
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Er ist Landwirt und Eigentümer der Grundstücke FlNrn. … Gem. … Das Grundstück ist mit einem Rinderstall bebaut, darüber befindet sich eine Tenne. Seit dem Bezug eines neuen Liegeboxenlaufstalls steht das Gebäude leer.
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Unter dem 3. Mai 2018 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung zum Teil-Ausbau einer bestehenden Scheune mit zwei Wohneinheiten. Im Ober- und Dachgeschoss des bestehenden Gebäudes sollten zwei Wohneinheiten entstehen. Im Obergeschoss sollten zudem sechs bodentiefe Fenster errichtet werden; im Dachgeschoss waren zwei Dachgauben geplant. Mittig des bestehenden Gebäudes sollte eine Außentreppe errichtet werden, die zu einem durchgehenden Balkon im Obergeschoss und den Eingangstüren der beiden Wohneinheiten führen sollte. Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei. Es handle sich um eine Nutzungsänderung, die nicht gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB zulässig sei. Durch die bodentiefen Fenster und Türen werde der der Charakter des ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäudes zu stark verändert. Die Zahl der bodentiefen Fenster und Türen sei zu reduzieren und durch kleinere Fenster zu ersetzen. Die Errichtung von Dachgauben, Dacheinschnitten/Loggien und Balkonen sei ebenfalls unzulässig. Der Zugang zu den Wohnungen müsse anstelle einer Außentreppe im Inneren des Gebäudes geplant werden.
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Sodann plante der Kläger um. Auf die Dachgauben und die bodentiefen Fenster wurde verzichtet. Die Außentreppe sollte linksseitig des Gebäudes errichtet werden. Unter dem 10. Dezember 2018 stellte der Kläger einen neuen Bauantrag für das geänderte Vorhaben. Mit Bescheid vom 28. Februar 2019 genehmigte das Landratsamt das Vorhaben auf Grundlage von § 35 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB.
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Im Rahmen einer Baukontrolle am 20. Februar 2020 stellte das Landratsamt fest, dass an dem bestehenden Gebäude zwei Dachgauben und zehn bodentiefe Fenster eingebaut worden waren. Die Fassade war verputzt und nicht mit Holz verkleidet worden. Nach den Feststellungen seien nicht die mit Bescheid vom 28. Februar 2019 genehmigten, sondern die unter dem 3. Mai 2018 beantragten Pläne umgesetzt worden. Die weiteren Arbeiten wurden mündlich eingestellt. Mit Bescheid vom 20. Februar 2020 wurde die mündlich angeordnete Baueinstellung bestätigt und verfügt, dass die weiteren Bauarbeiten im Gebäude und am Balkon eingestellt bleiben. Dagegen hat die Klagepartei am … März 2020 Klage erhoben (M 1 K 20.1263); nach Klagerücknahme wurde das Verfahren am 5. Juni 2020 eingestellt.
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Mit Schreiben vom 20. Februar 2020 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass die Abweichung von dem genehmigten Bauplan genehmigungspflichtig sei. Die planabweichende Bauausführung sei nicht genehmigungsfähig, wie das Landratsamt dem Kläger bereits am 9. Juli 2018 mitgeteilt habe. Rechtmäßige Zustände seien nur dadurch herzustellen, dass die Gauben und bodentiefen Fenster zurückgebaut würden. Zudem sei die genehmigte Holzverschalung anzubringen. Die Bauausführung sei insgesamt an den genehmigten Eingabeplan anzupassen. Es sei beabsichtigt, die Beseitigung der Gauben und bodentiefen Fenster anzuordnen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 20. März 2020 gegeben. Unter dem 5. März 2020 nahm das Landratsamt erneut eine Baukontrolle vor und stellte fest, dass der Zustand unverändert war.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8. April 2020 verpflichtete das Landratsamt den Kläger, die beiden errichteten Dachgauben bis spätestens vier Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids vollständig und ersatzlos zurückzubauen (1.) sowie die bodentiefen Fenster in der Südfassade der Scheune bis spätestens vier Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids vollständig zu beseitigen und die Bauausführung an den genehmigten Eingabeplan vom 28. Februar 2019 anzupassen, insbesondere durch Anbringung der Holzverschalung (2.). Zwangsgelder für Nichtbefolgung der Ziffer 1 (3.) und der Ziffer 2 (4.) wurden angedroht. Die Beseitigung stütze sich auf Art. 76 Satz 1 BayBO. Sie könne angeordnet werden, weil die genannten Baumaßnahmen abweichend von der Baugenehmigung und somit im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften durchgeführt worden seien. Die Maßnahmen seien auch nicht nachträglich genehmigungsfähig. Das Grundstück liege im Außenbereich. Eine Privilegierung liege nicht vor. Die als Wohnungen ausgebauten Räume im Obergeschoss seien in der Vergangenheit landwirtschaftlich genutzt worden. Bei dem Einbau von zwei Wohnungen in die bestehende Tenne handle es sich um eine Nutzungsänderung im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Voraussetzung sei, dass das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz diene. Bauliche Änderungen dürften nur begleitenden Charakter haben. Von den die äußere Gestalt bestimmenden Gebäudeteilen müssten zumindest wesentliche Teile erhalten bleiben. Eine weitere Voraussetzung sei, dass die äußere Gestalt des Gebäudes im Wesentlichen gewahrt bleibe. Das Gebäude müsse in seiner Kubatur erhalten bleiben, mehr als nur unwesentliche Änderungen kämen nicht in Betracht. Der Einbau der bodentiefen Fenster und Türen sei unzulässig, weil der Charakter des ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäudes zu stark verändert werde. Die Errichtung der Dachgauben sei unzulässig. Das Vorhaben stelle durch die Dachgauben eine nicht erlaubte Kombination aus § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB und § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB dar. Als sonstiges Vorhaben widerspreche es den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der das Grundstück als landwirtschaftliche Nutzfläche ausweise. Zudem sei die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten; ebenso entstehe ein rechtserheblicher Bezugsfall. Die Beseitigung werde nach pflichtgemäßem Ermessen angeordnet. Eine nachträgliche Genehmigung als milderes Mittel komme mangels Genehmigungsfähigkeit nicht in Betracht. Bei einer Duldung oder nachträglichen Genehmigung sei mit zahlreichen Bezugsfällen zu rechnen. Es würde ein rechtswidriger Zustand legalisiert. Das Belassen der Anlagen verleite zur Nachahmung. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig.
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Am … Mai 2020 hat die Klagepartei Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid des Landratsamtes R. vom 08.04.2020 – Az.: … aufzuheben.
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Der Bescheid sei rechtswidrig. Es könnten auf andere Weise als durch Beseitigung rechtmäßige Zustände hergestellt werden, nämlich durch eine nachträgliche Genehmigung. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BauGB, wonach die äußere Gestalt des Gebäudes im Wesentlichen gewahrt bleiben müsse, lägen vor. Der teilweise Umbau betreffe im Verhältnis zur gesamten Hofstelle einen insgesamt nur sehr geringen Gebäudeteil. Das betroffene Gebäude bleibe in seinen Ausmaßen (Länge, Breite etc.) und damit in seiner Kubatur unverändert. Die Errichtung von Dachgauben sei eine unwesentliche bzw. geringfügige Veränderung. Sie nähmen einen nur geringen Teil des Dachs oberhalb der Südfassade in Anspruch und träten von hier aus kaum in Erscheinung. Zudem seien sie im Hinblick auf eine zweckmäßige Verwendung der Bausubstanz durch Nutzung des Dachgeschosses zu Wohnzwecken erforderlich. Darüber hinaus seien ähnliche bzw. sogar massivere Dachan- bzw. Dachaufbauten im Gemeindegebiet keineswegs wesensfremd. Das Vorhaben habe daher keine Bezugsfallwirkung. Hinsichtlich der bodentiefen Fenster könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die Anforderungen an die Belichtung von Wohnraum verändert hätten und der Einbau von tendenziell größeren Fenstern alles andere als unüblich sei. Ungeachtet dessen habe das Landratsamt im Rahmen der erteilten Baugenehmigung zutreffend die Errichtung eines Balkons unmittelbar vor den hier streitgegenständlichen Fenstern an der Südfassade der Scheune unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der äußeren Gestalt des Gebäudes als zulässig angesehen. Für einen außenstehenden Betrachter werde der Unterschied daher schon optisch nicht wahrnehmbar sein, weil die untere Hälfte der Fenster von dem genehmigten Balkon verdeckt werde. Auch das Fehlen einer Holzverschalung stelle nur eine unwesentliche Veränderung der äußeren Gestalt des Gebäudes dar. Sie sei weder bisher durchgängig am Anwesen des Klägers vorhanden noch sei sie es bei anderen Hofstellen in Außenbereichslagen der Gemeinde. Im Übrigen sei die Verpflichtung zur Anpassung der Bauausführung durch Anbringung einer Holzverschalung entsprechend der genehmigten Eingabepläne vom 28. Februar 2019 nicht von Art. 76 Satz 1 BayBO gedeckt, weil nach dieser Vorschrift keine Baumaßnahmen gefordert werden könnten.
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Der Beklagtenvertreter beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Landratsamt habe die Maßnahmen zu Recht auf Grundlage von Art. 76 Satz 1 BayBO angeordnet. Ergänzend zum Bescheid sei auszuführen, dass der Kläger sich nicht auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB berufen könne. Die Baugenehmigung vom 28. Februar 2019 habe die Möglichkeiten der Vorschrift ausgereizt. Die tatsächliche Bauausführung habe zur Folge, dass die äußere Gestalt des Gebäudes nicht im Wesentlichen gewahrt bleibe. Die Norm lasse eine Nutzungsänderung (ehemaliger) landwirtschaftlicher Gebäude zu, eine damit verbundene bauliche Änderung dürfe ausschließlich begleitenden Charakter haben und müsse sich der im Vordergrund stehenden Nutzungsänderung unterordnen. Im vorliegenden Fall dominiere erkennbar die Änderung des Bestands durch die tatsächliche Bauausführung. Infolge der ausgeführten Dachgauben und der bodentiefen Fenster verliere sich der Eindruck eines ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäudes und es entstehe der Eindruck eines Neubaus, ähnlich einem Doppelhaus. Tatsächlich stelle sich der Mittelteil der ehemaligen Scheune als Fremdkörper zwischen dem Betriebsleiterwohngebäude und dem noch vorhandenen Scheunenteil dar. Eine derartige Umgestaltung eines ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäudes sei mit dem Regelungszweck des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB nicht vereinbar.
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Unter dem 1. Februar 2021 stellte der Kläger einen Tekturantrag. Die errichteten bodentiefen Fenster im Obergeschoss sollten bestehen bleiben und eine vertikale Holzverschalung vor den Fenstern angebracht werden. Der errichtete Balkon sollte auf das mit Bescheid vom 28. Februar 2019 genehmigte Maß gekürzt werden. Die Dachgauben sind ausdrücklich nicht Bestandteil des Tekturantrags. Mit Bescheid vom 25. Februar 2021 genehmigte das Landratsamt das Vorhaben (A.) und beauflagte (B.), dass die in der Plandarstellung enthaltene Gestaltung der Fassade vollständig umgesetzt werden müsse. Das Vorhaben werde nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB beurteilt.
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Am 27. Februar 2024 wurde mündlich verhandelt. Die Parteien erklärten den Rechtsstreit im Hinblick auf Ziffer 2 und Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids übereinstimmend für erledigt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Aufgrund der übereinstimmenden Erledigterklärung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf Ziffern 2 und 4 des Bescheids vom 8. April 2020 war das Verfahren insoweit in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
II.
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Soweit noch über die Klage bezüglich Ziffer 1 und 3 des Bescheids zu entscheiden ist, ist sie zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Anordnung der Beseitigung der errichteten Dachgauben ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Die Anordnung ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2020 vor Erlass des Bescheids ordnungsgemäß angehört, Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG.
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b) Auch in materieller Hinsicht ist die Beseitigungsanordnung nicht zu beanstanden.
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Rechtsgrundlage der angefochtenen Anordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Eine Errichtung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist nach herrschender Meinung (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 149. EL 2023, Art. 76 Rn. 79 m.w.N.) gegeben, wenn für das Vorhaben weder die erforderliche Baugenehmigung vorliegt (formelle Illegalität), noch das Vorhaben genehmigungsfähig ist (materielle Illegalität).
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aa) Die streitgegenständlichen Dachgauben sind formell baurechtswidrig. Ihre Errichtung ist genehmigungspflichtig, Art. 55 Abs. 1 BayBO, eine Baugenehmigung liegt dafür nicht vor. Der die Dachgauben enthaltende Eingabeplan vom 3. Mai 2018 wurde nicht genehmigt.
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bb) Die Dachgauben sind materiell baurechtswidrig. Als sonstiges, nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich, § 35 Abs. 2 BauGB, beeinträchtigt es öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB.
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(1) Das Vorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Gemeinde, der für das Grundstück eine Fläche für die Landwirtschaft vorsieht, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Dem widerspricht die Errichtung von Wohnzwecken dienenden Dachgauben.
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(2) Die Entstehung einer Splittersiedlung ist ebenso zu befürchten, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Das Bauvorhaben soll Wohnzwecken dienen und besitzt damit eine Vorbildwirkung, die Anlass für eine weitere im Außenbereich unerwünschte bauliche Entwicklung durch nichtprivilegiertes Wohnen sein kann.
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(3) Die genannten öffentlichen Belange können dem Vorhaben auch entgegengehalten werden, weil sich der Kläger nicht auf eine sog. Teilprivilegierung aus § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB berufen kann.
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(a) Ein Fall des 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB, wonach die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter den in Buchst. a bis Buchst. g aufgezählten Voraussetzungen zulässig ist, ist nicht gegeben. Es handelt sich schon nicht um eine Nutzungsänderung des bestehenden Gebäudes, weil der Kläger diese Teilprivilegierung bereits mit dem am 28. Februar 2019 genehmigten Vorhaben in Anspruch genommen hat. Eine nach der Vorschrift notwendige Nutzungsänderung von landwirtschaftlichen Zwecken hin zu Wohnzwecken geht mit den streitgegenständlichen Dachgauben nicht (erstmalig) einher. Die Prüfung solcher unabhängig von einer Nutzungsänderung geplanten baulichen Veränderungen findet nicht am Maßstab des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB statt. Im Übrigen trifft die Beurteilung des Beklagten zu, dass die Tatbestandsvoraussetzung von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BauGB, wonach die äußere Gestalt des Gebäudes im Wesentlichen gewahrt bleiben muss, nicht erfüllt ist. Durch die Gauben wird die Kubatur des Gebäudes erhöht. Die Dachfläche des Tennenbereichs wird aufgerissen, der Gebäudeteil erhält den Charakter eines Wohn-Neubaus.
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(b) § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist ebenso wenig einschlägig. Danach ist die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter den in Buchst. a bis Buchst. c näher aufgezählten Voraussetzungen zulässig. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, entsprechend den Wohnbedürfnissen der Bewohner eines im Außenbereich gelegenen Wohngebäudes an diesem Erweiterungen zuzulassen, die insbesondere auch den heutigen Anforderungen entsprechen. Sie erfasst die quantitative Veränderung der Wohnfläche für Wohnzwecke (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 151. EL 2023, § 35 Rn. 158).
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Zu beachten ist hier, dass die auf dem Grundstück FlNr. 2746 Gem. … befindliche ehemalige Scheune bis zu der 2019 genehmigten Wohnnutzung zu rein landwirtschaftlichen Zwecken genutzt wurde. Mit der Baugenehmigung vom 28. Februar 2019 wurde erstmalig Wohnnutzung in dem Gebäude genehmigt. Eine nach Nr. 5 teilprivilegierte Wohnraumerweiterung liegt damit schon deshalb nicht vor, weil in dem Gebäude bislang keine Wohnnutzung stattgefunden hat und eine nach der Vorschrift mögliche Erweiterung eines bestehenden Wohngebäudes daher denklogisch (noch) nicht möglich ist. Die tatsächliche Vornahme der genehmigten Nutzungsänderung zu Wohnzwecken einschließlich der Errichtung nicht genehmigter Dachgauben stellt vielmehr eine in § 35 Abs. 4 BauGB nicht geregelte Kombination der Nrn. 1 und 5 dar. Eine solche Kombination der genannten Vorschriften ist jedoch unzulässig. Der Gesetzgeber hat in § 35 Abs. 4 BauGB ein differenziertes System von Einzelregelungen geschaffen, das nicht durch Kombination der verschiedenen Nummern beliebig erweiterbar ist (BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 10/97 – juris Rn. 18).
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Das Vorhaben ist somit auch nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB unter dem Gesichtspunkt der Wohnraumerweiterung teilprivilegiert.
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cc) Der Beklagte hat das ihm in Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumte Ermessen auch in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Er hat im Bescheid deutlich gemacht, dass er eine Ermessensentscheidung trifft und seine Erwägungen näher dargelegt (Seite 3 f. des Bescheids). So hat er die Notwendigkeit der Verfügung u.a. mit der einhergehenden negativen Bezugsfallwirkung begründet. Soweit die Klagepartei in ihrer Klagebegründung anführt, dass es in der näheren Umgebung und auch im Gemeindegebiet bereits einige Bezugsfälle von landwirtschaftlichen Gebäuden mit Dachgauben gebe und eine negative Bezugsfallwirkung daher ausgeschlossen sei, dringt sie damit nicht durch. Soweit gerichtlich überprüfbar, § 114 Satz 1 VwGO, liegen keine Ermessensfehler vor. Zunächst ist schon fraglich, ob die (vereinzelten) dargelegten Bezugsfälle tatsächlich mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind. Es ist nicht auszuschließen, dass diese anders als die hier streitgegenständlichen Dachgauben rechtmäßig auf Grundlage von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB genehmigt wurden; Gegenteiliges wurde auch von der Klagepartei nicht dargelegt. Im Übrigen wäre selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit und dementsprechend Vergleichbarkeit der baulichen Anlagen eine gleichheitswidrige, willkürliche und damit fehlerhafte Ausübung des Ermessens nicht festzustellen. So ist etwa eine Vollzugspraxis, die sich auf bislang nicht genehmigte Neufälle beschränkt, verhältnismäßig. Ein vorrangiges Vorgehen gegen die aktuellsten Bausünder stellt einen tragfähigen Grund dar, um der bei diesen neueren Vorhaben größeren negativen Vorbildwirkung entgegenzutreten (BayVGH, B. v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 5).
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2. Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Der Beklagte hat das Zwangsgeld in rechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Fall der Nichtbefolgung der Nr. 1 in Höhe von 5.000,00 EUR, und damit noch im unteren Bereich des in Art. 31 Abs. 2 VwZVG vorgesehenen Rahmens, angedroht. Die Klagepartei hat diesbezüglich auch nichts vorgetragen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; im Hinblick auf die Teileinstellung bezüglich Nrn. 2 und 4 des Bescheids entsprach es billigem Ermessen, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die Kosten ebenfalls dem Kläger aufzuerlegen. Der Beklagte konnte auch die Beseitigung der ungenehmigt errichteten bodentiefen Fenster auf Grundlage von Art. 76 Satz 1 BayBO anordnen. Erst die Annäherung der Bauausführung an den genehmigten Eingabeplan vom 28. Februar 2019 hat jedenfalls aus Sicht der Bauaufsichtsbehörde die Genehmigungsfähigkeit erbracht. Zudem hat der Kläger die Teilerledigung durch eigenen Willensentschluss veranlasst, indem er seiner Pflicht nachkam und durch Stellung eines genehmigungsfähigen Bauantrags rechtmäßige Zustände herstellte. Auch unter diesem Gesichtspunkt entspricht es billigem Ermessen, ihm die Kosten aufzuerlegen.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.