Inhalt

VG München, Urteil v. 27.02.2024 – M 1 K 20.884
Titel:

Aufforderung zur Vorlage eines Bauantrags, Nutzungsänderung, Rechtsanwaltskanzlei

Normenketten:
BayBO Art. 55 Abs. 1
BayBO Art. 57 Abs. 4 Nr. 1
BayBO Art. 76 S. 3
Schlagworte:
Aufforderung zur Vorlage eines Bauantrags, Nutzungsänderung, Rechtsanwaltskanzlei
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6540

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen eine ihm gegenüber verfügte Aufforderung zur Stellung eines Bauantrags.
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Er ist Rechtsanwalt und Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 1090/6 und 1090/7 Gem. …, die mit einem Doppelhaus bebaut sind und für die kein Bebauungsplan besteht. Seit 2009 betreibt der Kläger in dem bestehenden Gebäude eine Rechtsanwaltskanzlei.
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Unter dem … Juni 2010 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung des Doppelhauses in eine Rechtsanwaltskanzlei. Mit Schreiben vom 13. Juli 2010 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass für die weitere Bearbeitung des Bauantrags die Berichtigung bzw. Vorlage verschiedener Unterlagen erforderlich sei, u.a. ein amtlicher Lageplan, Bauzeichnungen und ein Stellplatznachweis. Mit Schreiben vom … August 2010 bat der Kläger um Fristverlängerung. Nach Fristablauf erinnerte das Landratsamt unter dem 17. November 2010 um Erledigung der noch offenen Punkte. Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass er nicht reagiert habe und beabsichtigt sei, die Nutzung zu untersagen. Der Kläger erwiderte, dass fehlende Unterlagen in den nächsten Tagen eingereicht würden. Mit Schreiben vom 15. Juni 2011 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass der eingereichte Stellplatznachweis geprüft worden und festgestellt worden sei, dass die geplanten Stellplätze aufgrund des Einfahrtswinkels teilweise nicht benutzbar seien. Sie seien umzuplanen. Nach weiteren erfolglosen Kontaktversuchen fertigte das Landratsamt unter dem 24. November 2011 den Entwurf eines Schreibens gegenüber dem Kläger, dass der Bauantrag als zurückgezogen gelte.
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Mit Schreiben vom 26. Januar 2012 forderte das Landratsamt den Kläger erneut auf, einen Bauantrag mit den nach der Bauvorlagenverordnung erforderlichen Unterlagen einzureichen. Dazu gehöre weiterhin u.a. der Nachweis der erforderlichen Kfz-Stellplätze, Bauzeichnungen (Grundrisse/Schnitte/Ansichten) im Maßstab 1:100 mit Angabe der vorgesehenen Nutzung der Räume sowie ein Lageplan mit Einzeichnung des Vorhabens im Maßstab 1:1000. Mit Schreiben vom … März 2012 teilte die Rechtsanwaltskanzlei des Klägers mit, dass der Kläger nunmehr ein Planungsbüro beauftragt habe, um die geforderten Pläne zu erstellen.
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Unter dem 8. Mai 2018 griff das Landratsamt das Verfahren neu auf. Mit Schreiben vom 28. November 2018 teilte es dem Kläger mit, dass für die geplante Nutzungsänderung bislang keine Genehmigung vorliege. Ein Bauantrag sei baldmöglichst, spätestens bis 1. Februar 2019 einzureichen. Mit Schreiben vom … Februar 2019 teilte die Kollegin des Klägers mit, dass eine Architektin mit der Erstellung der vom Landratsamt zuletzt geforderten Unterlagen beauftragt worden sei. Mit E-Mail vom … April 2019 an das Landratsamt teilte die Architektin mit, dass es ihr bislang nicht möglich gewesen sei, die geforderten Unterlagen einzureichen. Mit E-Mail vom 27. Juni 2019 erkundigte sich das Landratsamt bei der Architektin über den aktuellen Stand; eine Reaktion erfolgte nicht. Mit weiterer E-Mail vom 5. August 2019 bat das Landratsamt die Architektin erneut um Mitteilung, wann mit der Vorlage der Unterlagen gerechnet werden könne; eine Reaktion erfolgte nicht.
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Mit Schreiben vom 2. September 2019 bat das Landratsamt den Kläger um Mitteilung, bis wann die erforderlichen Unterlagen vorgelegt würden. Ausweislich eines Aktenvermerks teilte eine Kollegin des Klägers am … September 2019 dem Landratsamt gegenüber telefonisch mit, dass sie sich mit der Architektin in Verbindung setzen werde. Mit Schreiben vom 29. November 2019 forderte das Landratsamt den Kläger letztmalig auf mitzuteilen, bis wann die erforderlichen Unterlagen vorgelegt würden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. Januar 2020, zugestellt am 29. Januar 2020, forderte das Landratsamt den Kläger auf, für die durchgeführte Nutzungsänderung auf den Grundstücken FlNrn. 1090/6 und 1090/7 Gem. … einen ordnungsgemäßen Bauantrag bis spätestens zwei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids über die zuständige Stadtverwaltung vorzulegen (I.). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld von 1.000 EUR angedroht (II.). Die Vorlage eines Bauantrags könne gem. Art. 76 Satz 3 BayBO gefordert werden, weil die Nutzungsänderung des Doppelhauses in eine Anwaltskanzlei genehmigungspflichtig sei. Das Vorhaben sei auch nicht verfahrensfrei, weil andere öffentliche-rechtliche Anforderungen für die Nutzung als Anwaltskanzlei als für die Nutzung als Doppelhaus in Betracht kämen (z.B. BauNVO, Stellplätze etc.).
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Am … Februar 2020 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 27.01.2020, dem Kläger zugestellt am 29.01.2020, aufzuheben.
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Das Gebäude sei von den Voreigentümern jahrzehntelang als Gästehaus für die Übernachtung von Pilgern genutzt und somit bereits früher gewerblich genutzt worden. Das Landratsamt habe das Bauantragsverfahren weiterbetrieben, obwohl es den gestellten Bauantrag als zurückgezogen betrachte. Wenn sich das Landratsamt nunmehr darauf berufe, dass der 2010 gestellte Bauantrag zurückgenommen sei, gehe es hierbei fehl. Die Vorgehensweise, nunmehr die Nutzungsuntersagung anzudrohen, sei rechtsmissbräuchlich. Das Landratsamt habe sein Recht verwirkt, den Kläger zur Vorlage eines Bauantrags aufzufordern.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Für die aus Art. 76 Satz 3 BayBO folgende Verpflichtung sei ausreichend, dass die Nutzung formell rechtswidrig sei. Es handle sich um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung, weil für die neue Nutzung als Anwaltskanzlei andere öffentliche Anforderungen in Betracht kämen als für die bisherige Wohnnutzung. Durch die neue Nutzung werde eine höhere Anzahl an Stellplätzen gemäß der Stellplatzsatzung der Stadt A. erforderlich. Ohne Belang sei, dass das Objekt angeblich jahrzehntelang als Gästehaus und somit gewerblich genutzt worden sei. Weder dem Landratsamt noch der Stadt lägen dazu Baugenehmigungen vor. Der Kläger habe trotz mehrfacher Aufforderungen die nachgeforderten Unterlagen nicht eingereicht. Die Feststellung der Fiktion der Rücknahme des Bauantrags vom 25. Juni 2010 sei dem Kläger mit Schreiben vom 24. November 2011 mitgeteilt worden. Das Verfahren sei somit beendet; ein neuer Bauantrag sei einzureichen, was dem Kläger kommuniziert worden sei. Die Forderung sei auch nicht rechtsmissbräuchlich oder das Recht verwirkt. Es könnten nur Rechte, nicht jedoch Pflichten verwirkt werden. Zudem werde ein illegaler Zustand nicht dadurch legal, dass er über einen längeren Zeitraum von der Behörde hingenommen wird. Speziell im vorliegenden Fall bestehe kein Vertrauensschutz, weil der Kläger mehrfach zur Stellung eines beurteilungsfähigen Bauantrags aufgefordert worden sei.
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Am 27. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Um in einem Baugenehmigungsverfahren die Zulässigkeit des Vorhabens überprüfen und die Baugenehmigung erteilen zu können, kann die Bauaufsichtsbehörde gemäß Art. 76 Satz 3 BayBO verlangen, dass der Bauherr einen Bauantrag stellt. Voraussetzung hierfür ist, dass die in Mitten stehende bauliche Anlage formell rechtswidrig ist bzw. keinen formellen Bestandsschutz genießt (Decker in Busse/Kraus/Decker, 150. EL Februar 2023, BayBO Art. 76 Rn. 317 m.w.N.).
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1. Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde der Kläger mit Schreiben vom 29. November 2019 vor Erlass ordnungsgemäß angehört, Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG.
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2. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
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a) Ob im Hinblick auf den unter dem 25. Juni 2010 gestellten Bauantrag und das dadurch eingeleitete Baugenehmigungsverfahren tatsächlich die Fiktion der Rücknahme gem. Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO eingetreten ist, kann letztlich dahinstehen. In den vorgelegten Behördenakten befindet sich zwar lediglich der Entwurf eines an den Kläger adressierten Schreibens, dass der Antrag nach o.g. Vorschrift als zurückgezogen gelte (Bl. 44 d. BA). Selbst wenn das Schreiben nicht an den Kläger zugestellt worden ist – was anhand der Behördenakten nicht aufklärbar ist –, nimmt dies dem Landratsamt nicht die Befugnis, auf Grundlage von Art. 76 Satz 3 BayBO mittels Bescheid die Vorlage eines ordnungsgemäßen Bauantrags zu fordern. Dem Kläger wurde mehrfach dargelegt, welche Unterlagen noch einzureichen sind. Seiner Pflicht zur Einreichung eines Bauantrags, der sämtliche nach der Bauvorlagenverordnung notwendigen Unterlagen enthält, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO, ist der Kläger nicht nachgekommen. Etwaige Versäumnisse der von ihm beauftragten Bauvorlageberechtigten gehen zu seinen Lasten.
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b) Bei dem streitigen Vorhaben – der Nutzungsänderung eines Doppelhauses zu Wohnzwecken in eine Rechtsanwaltskanzlei – handelt es sich um ein gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtiges Vorhaben, für das eine Baugenehmigung nicht vorliegt. Dass das Gebäude bereits früher gewerblich als Gästehaus genutzt wurde und als solches genehmigt war, ist – unabhängig von der fehlenden Bedeutung dieses Vorbringens im Hinblick auf die jetzige Nutzung als Rechtsanwaltskanzlei – nicht ersichtlich. Der Beklagte hat vorgetragen, dass diesbezüglich keine Genehmigungen vorliegen; Gegenteiliges hat schließlich auch der Kläger nicht behauptet.
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c) Das Vorhaben ist auch nicht verfahrensfrei.
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Gem. Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO ist die Änderung der Nutzung von Anlagen verfahrensfrei, wenn u.a. für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 und Art. 62 bis 62b BayBO als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen.
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Für das Vorhaben kommen zunächst andere bauordnungsrechtliche Anforderungen in Betracht als für die bisherige Nutzung. Die Nutzung des Gebäudes als Rechtsanwaltskanzlei löst im Vergleich zur bisherigen Wohnnutzung angesichts des zu erwartenden Besucherverkehrs einen höheren Stellplatzbedarf aus. Der Kläger kann lediglich zwei Stellplätze nachweisen (Bl. 23 d. BA). In den Antragsunterlagen wird die gewerbliche Nutzfläche mit 180 m² angegeben (a.a.O.). Mangels Festsetzung in der Stellplatzsatzung der Stadt A. ist hier die Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (GaStellV), vgl. § 3 der Stellplatzsatzung der Stadt A. Demzufolge ist für Büroräume je 40 m² Nutzfläche ein Stellplatz anzusetzen (Ziffer 2.1 der Anlage), hier mithin mindestens fünf Stellplätze. Weitere Stellplätze für die in dem Gebäude ebenfalls befindliche Wohnnutzung sind dabei noch nicht berücksichtigt. Ob der Kläger die erforderlichen Stellplätze womöglich andernorts nachweisen kann oder dafür eine Abweichung in Frage käme, ist für die hier streitgegenständliche Aufforderung, einen Bauantrag zu stellen, unerheblich. Die Erfüllung der Verpflichtung nach der GaStellV ist in dem dafür vorgesehenen Baugenehmigungsverfahren von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen.
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Auch bauplanungsrechtlich kommen für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtlichen Anforderungen in Betracht. Die gewerbliche Nutzung als Anwaltskanzlei unterliegt nach der Baunutzungsverordnung anderen Beurteilungskriterien als die bislang ausgeübte Wohnnutzung (vgl. für das allgemeine Wohngebiet etwa § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im Gegensatz zur nur ausnahmsweise Zulassung von nicht störenden Gewerbebetrieben, § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO).
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Dass die Nutzung als Anwaltskanzlei in dem bestehenden Gebäude im Vergleich zur Wohnnutzung – wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – nunmehr womöglich nur noch in geringerem Umfang als vormals beantragt stattfindet, weil die Rechtsanwaltskanzlei des Klägers ein anderes Betriebskonzept (Aufteilung auf mehrere Standorte) verfolgt, ist irrelevant. Es ist Pflicht des Bauherrn (vgl. Art. 49 BayBO), den Umfang der beabsichtigten Nutzung konkret planerisch darzustellen und in einem förmlichen Baugenehmigungsverfahren für rechtmäßige Zustände zu sorgen.
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d) Die Anordnung begegnet auch keinen Bedenken hinsichtlich der Ermessensausübung des Beklagten. Er hat im Bescheid dargelegt, dass die Nutzungsänderung genehmigungspflichtig und nicht verfahrensfrei ist, sodass die Vorlage eines Bauantrags habe gefordert werden können. Ohnehin handelt es sich bei dem in Art. 76 Satz 3 BayBO vorgesehenen Ermessen um ein intendiertes (BayVGH, B.v. 28.1.1999 – 2 ZB 99.234 – juris Rn. 2), sodass es für die getroffene Entscheidung keine zusätzlichen Ausführungen bedurfte.
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Dass die Behörde rechtsmissbräuchlich gehandelt hätte oder ihre Befugnis verwirkt hätte, ist abwegig. Soweit der Kläger es für rechtsmissbräuchlich erachtet, dass der Beklagte die Untersagung der Nutzung des Betriebs androhte, ist dies schon deshalb irrelevant, weil eine solche nie verfügt wurde und nicht Gegenstand des hiesigen Klageverfahrens ist. Zudem unterliegen bauaufsichtliche Befugnisse keiner Verwirkung (BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 9 ZB 19.1612 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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e) Die auf Grundlage von Art. 31, 36 VwZVG angedrohte Zwangsgeldandrohung in Ziffer II des Bescheids begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Der Beklagte hat das Zwangsgeld in rechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer I in Höhe von 1.000 EUR, und damit noch im unteren Bereich des in Art. 31 Abs. 2 VwZVG vorgesehenen Rahmens, angedroht. Die Klagepartei hat diesbezüglich auch nichts vorgetragen.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.